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nur eine Auswahl der bedeutendern und bemerkenswertern Erscheinungen zur Erwähnung gelangen kann. Dabei aber legen wir uns aus praktischen Gründen noch weitere Beschränkungen auf. Nicht nur die Litteratur der eigentlich politischen Staatengeschichte, sondern auch diejenige der christlichen Kirchen-, der Kunst- und der systematischen Litteraturgeschichte sowie der speziellen Rechtsgeschichte und der Geschichte der Einzelwissenschaften wird, abgesehen von einzelnen, aus besondern Gründen zu berücksichtigenden Schriften, ausgeschlossen, da sie in diesem Werke der Gegenstand besonderer Behandlung ist. Endlich werden hier im allgemeinen nur solche Arbeiten, die als besondere Bücher oder Broschüren erschienen sind, berücksichtigt werden, diejenigen, welche in Zeitschriften veröffentlicht sind, nur in Ausnahmefällen.
Mit der Begriffsbestimmung und der Gebietsabgrenzung der Kulturgeschichte hat man sich bei dem lebhaften Interesse, welches gerade in der letzten Zeit Fragen der historischen Methodenlehre und der Geschichtsphilosophie zugewandt wird, vielfach beschäftigt. Kommen hier insbesondere die zwei großen Werke von O. Lorenz, »Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben« (Berl. 1886),
und von E. Bernheim, »Lehrbuch der historischen Methode« (Leipz. 1889), in Betracht, die beide das Verhältnis der Kultur- zur politischen Geschichte in verschiedener Weise beleuchten, so ist für die hier einschlägigen Fragen nicht minder lehrreich eine Diskussion, die sich zwischen D. Schäfer und E. Gothein entsponnen hat. Gegenüber einer akademischen Antrittsrede des erstern, welche unter dem Titel: »Das eigentliche Arbeitsgebiet der Geschichte« (Jena [* 2] 1889) scharf und bestimmt die Aufgabe des Historikers auf die Erforschung eigentlich staatlichen Lebens beschränkt, hat der letztere in einer geistvollen Schrift: »Die Aufgaben der Kulturgeschichte« (Leipz. 1889), nicht unglücklich die Verteidigung der letztern geführt, dabei aber zugleich auch einen methodischen Unterschied zwischen politischer und Kulturgeschichte aufgestellt, über dessen Berechtigung man streiten kann;
die Methode der politischen Geschichte ist nach ihm wesentlich synthetisch, während er die analytische Methode für die Kulturgeschichte in Anspruch nimmt.
Von erheblichem methodologischen Interesse ist außerdem noch die wenn auch in vielen Beziehungen anfechtbare, so doch anregende Schrift von O. Schrader, »Über den Gedanken einer Kulturgeschichte der Indogermanen auf sprachwissenschaftlicher Grundlage« (Leipz. 1886),
wozu auch desselben Verfassers Schrift: »Sprachvergleichung und Urgeschichte« (2. Aufl., Jena 1890) zu vergleichen ist. Freilich ist gegen die Methode Schraders mehrfach Einspruch erhoben worden, am nachdrücklichsten und entschiedensten von E. v. Bradke: »Über Methode und Ergebnisse der arischen Sprachwissenschaft« (Gießen [* 3] 1890).
Allgemeine Kulturgeschichte.
Die Werke, welche den
Versuch machen, Universalgeschichten der menschlichen
Kultur zu geben, sind auch in den letzten
Jahren
nicht diejenigen, welche als die hervorragendsten
Erscheinungen der Kultur
geschichtschreibung überhaupt bezeichnet werden
können. Von
Kolbs bekannter
»Kulturgeschichte der Menschheit« ist 1885 die dritte, vielfach umgearbeitete
Auflage erschienen (Leipz. 1885);
Honegger behandelt im 2.
Band
[* 4] seiner »Allgemeinen
Kulturgeschichte« (das. 1886) das
Altertum
und ließ auch einen
»Katechismus der
Kulturgeschichte« (2. Aufl., das. 1888) erscheinen; O.
Henne-Am Rhyn, ein mehr fruchtbarer und fleißiger als an neuen
Gedanken reicher
Schriftsteller, hat 1890 zwei
neue, sich vielfach berührende Werke herausgegeben: »Die
Kultur der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in vergleichender
Darstellung«
(Danzig
[* 5] 1890) und »Kulturgeschichtliche
Skizzen« (Berl. 1890).
Diesen schon länger bekannten
Namen tritt neuerdings
derjenige Jul.
Lipperts an die Seite, welcher in seiner
»Kulturgeschichte der Menschheit in ihrem organischen
Aufbau« (Stuttg.
1866-67,2 Bde.) den
Versuch macht, ein einheitliches
Prinzip seiner auf gründlichen Forschungen beruhenden
Darstellung zu
Grunde
zu legen; indem er als solches die Lebensfürsorge der
Menschen betrachtet und darthut, wie diese auf den verschiedenen
Stufen
menschlicher
Entwickelung den Fortschritt der geistigen und materiellen
Kultur bedingt, gelingt es ihm, einen
wenn auch nicht über
Anfechtung erhabenen, so doch sehr beachtenswerten leitenden
Gedanken zu gewinnen und so die
Klippe zu
umschiffen, an der manche andre über bloßes Notizensammeln wenig hinauskommende
Arbeiten dieses Litteraturzweiges stranden.
Kürzer gefaßt und populärer ist desselben Verfassers »Kulturgeschichte in einzelnen Hauptstücken« (Leipz. u. Prag [* 6] 1886,3 Bde.),
die in ihrem ersten Teil die materielle (Nahrung, Kleidung, Wohnung),
im zweiten die gesellschaftliche, im dritten die geistige Kulturentwickelung behandelt. Auch ein Werk des Lütticher Professors G. Kurth, »Les origines de la civilisation moderne«, von dem bis jetzt zwei Bände erschienen sind (2. Aufl., Namur [* 7] 1888), erhebt sich über den Durchschnittswert dieser allgemeinen Werke; der Verfasser setzt erst bei der Berührung der römischen mit der germanischen Welt ein, und besonders die Abschnitte des zweiten Teiles, in denen er auf einem ihm durch genaues Quellenstudium vortrefflich bekannten Gebiet arbeitet (die Ursprünge der katholischen Gesellschaft, die barbarische Gesellschaft des 6. Jahrh., die Wirksamkeit der Kirche), erwecken allgemeineres Interesse.
Mehr populäre Zwecke verfolgt dagegen die für die reifere Jugend und weitere Kreise [* 8] von Gebildeten bestimmte »Histoire sommaire de la civilisation« von G. Ducoudray (Par. 1886). Die in Stockholm [* 9] erscheinende »Allmän Kulturhistoria« von A. Nyström ist bis zum vierten Bande gediehen. Als nützliches Hilfsmittel für kulturhistorische Studien ist hier noch der »Kulturhistorische Bilderatlas« zu erwähnen, dessen erster, das Altertum umfassender Teil von Th. Schreiber bearbeitet ist (2. Aufl.), während der zweite mittelalterliche Teil einen der gründlichsten Kenner der mittelalterlichen Kultur, den Direktor des Germanischen Museums zu Nürnberg, [* 10] A. Essenwein, zum Bearbeiter hat (Leipz. 1887-88).
Allgemeine Geschichte einzelner Kulturgebiete.
So wenig wie in den universalen Kulturgeschichten, die wir eben erwähnt haben, liegt in den jetzt zu erwähnenden allgemeinen Arbeiten der Schwerpunkt [* 11] wissenschaftlicher Thätigkeit auf unserm Gebiet. Jene wie diese sind zumeist auf die Benutzung sekundärer Quellen angewiesen, und so bieten die meisten von ihnen, zwar eine je nach Fleiß und Sorgfalt bald mehr, bald minder nützliche Zusammenstellung von Thatsachen und von Ergebnissen fremder Arbeiten, aber den meisten ist es unmöglich, bei dem heutigen Stande der Einzelforschung Abschließendes und Erschöpfendes zu bieten. Das gilt, wenn wir zunächst die Geschichte der materiellen Kultur ins Auge [* 12] fassen, auch von dem an sich sehr nützlichen Werke v. Hellwalds, »Haus und Hof« [* 13] (Leipz. 1888), das, mit zahlreichen Illustrationen ausgestattet, die Geschichte der menschlichen Wohnstätten von den ältesten ¶
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Höhlenwohnungen der Urzeit bis zu unserm heutigen städtischen Hausbau darzustellen unternimmt. Besonders hervorzuheben sind weiter die der Geschichte der Trachten gewidmeten Arbeiten: das prächtige Werk A. Racinets, »Le [* 15] costume historique«, von welchem A. Rosenberg eine deutsche Ausgabe veranstaltete (Berl. 1883-88,5 Bde.), und die beiden großen, schon in zweiter Auflage erschienenen, zugleich den Hausrat und zum Teil auch andre Werkzeuge [* 16] des friedlichen und kriegerischen Lebens in zahlreichen Abbildungen veranschaulichenden Bücher von J. H. ^[Jacob Heinrich] v. Hefner-Alteneck, »Trachten, Kunstwerke und Gerätschaften vom frühen Mittelalter bis Ende des 18. Jahrhunderts« (Frankf. a. M.),
und Frdr. Hottenroth, »Trachten, Haus-, Feld- und Kriegsgerätschaften der Völker alter und neuer Zeit« (2. Aufl., Stuttg. 1882 ff.); lediglich mit Kriegswerkzeugen beschäftigt sich das sehr gründliche und reichhaltige Werk von A. Demmin, [* 17] »Die Kriegswaffen in ihrer historischen Entwickelung von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart« (2. Aufl., Leipz. 1886). Minder umfangreich und mehr populären Charakters ist das Buch von A. v. Heyden, »Die Tracht der Kulturvölker Europas vom Zeitalter Homers bis zum Beginn des 19. Jahrh.« (Leipz. 1889). Neben diesen umfassenden Werken gibt es eine große Zahl von Monographien über einzelne Gegenstände des materiellen Kulturlebens, von denen nur beispielsweise J. Friedrichson, »Geschichte der Schiffahrt« (Hamb. 1889),
Beßler, »Geschichte der Bienenzucht« [* 18] (Ludwigsb. 1885),
eine »Geschichte des Geldes« von Del Mar (Lond. 1885, engl.),
eine »Geschichte des Pfluges« von Muñoz y Rubio (Madrid [* 19] 1886, span.),
eine »Geschichte der Reitkunst« von B. v. Öttingen (Berl. 1885) und A. Ottos, »Beiträge zur Geschichte der ältern Haustiere« erwähnt werden mögen.
Ein Teil dieser letzterwähnten Schriften hat uns schon zur Geschichte der wirtschaftlichen Kultur übergeführt, auf welchem Gebiet wir noch einige bedeutende Leistungen zu nennen haben. Eine wertvolle Arbeit ist Kulturgeschichtliche v. Scherzers Buch »Das wirtschaftliche Leben der Völker« (Leipz. 1885), welches sich die Aufgabe gestellt hat, die wichtigsten Elemente und Faktoren, welche die Geschichte des Menschengeschlechts konstituieren, in ihrer allmählichen Entwickelung bis zum heutigen Standpunkt in ein Gesamtbild zusammenzufassen. Ebenso verdient W. Götz, »Die Verkehrswege im Dienste [* 20] des Welthandels« (Stuttg. 1888), mit Anerkennung genannt zu werden: mit ungemeiner Beherrschung des Stoffes hat der Verfasser die Geschichte der Überwindung geographischer Entfernungen durch die Verkehrseinrichtungen der Menschen von den Zeiten der Ägypter und Assyrer an bis zu dem Zeitalter der Eisenbahnen, Dampfschiffe und Telegraphen [* 21] dargestellt.
Besonders eifrig hat man sich in den letzten Jahren mit der Geschichte der gesellschaftlichen Kultur beschäftigt, und seit den Forschungen Bachofens und Darguns über das sogen. Mutterrecht steht dabei die Entstehungs- und Entwickelungsgeschichte [* 22] der Familie im Vordergrund der Diskussion. Von den größern Schriften darüber steht diejenige von Fr. v. Hellwald, »Die menschliche Familie nach ihrer natürlichen Entstehung und Entwickelung« (Leipz. 1888), auf dem Standpunkt der darwinistischen Entwickelungslehre und setzt daher mit einer Betrachtung der geschlechtlichen Verhältnisse der Tierwelt ein, um daran Untersuchungen über die entsprechenden Verhältnisse der Urmenschen zu knüpfen. Auf Grund eines reichen ethnologischen Materials wird dann die Entstehung des Mutterrechts und der Übergang zum Vaterrecht und zur Ehe sowie die weitere Entwickelung der Familie bis in die neuere Zeit geschildert. Gleichfalls auf ethnologischer Grundlage beruhend, aber die juristischen Gesichtspunkte mehr betonend, stimmen die »Studien zur Entwickelungsgeschichte des Familienrechts« von A. H. Post (Oldenb. 1889) in vielen wichtigen Punkten mit den Ergebnissen v. Hellwalds überein, während das sehr gelehrte, von nicht gewöhnlichem Scharfsinn zeugende Buch von C. N. Starcke, »Die primitive Familie in ihrer Entstehung und Entwickelung« (Leipz. 1888), in einem entschiedenen Gegensatz zu der in diesen Fragen jetzt herrschenden Ansicht steht, und indem es an dem ethnologischen Material einschneidende Kritik ausübt, wenigstens soviel darthut, daß die Thatsachen, die sich aus der ethnologischen Forschung ergeben, nicht bloß eine Deutung zulassen.
Uns speziell interessiert, daß seine Ausführungen, soweit sie die von vielen neuern, vor allen von Dargun behauptete einstige Herrschaft des Mutterrechts bei den indogermanischen Völkern bestreiten, durch eine gehaltreiche Untersuchung von B. Delbrück, »Die indogermanischen Verwandtschaftsnamen« (»Abhandlungen der sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften«, Leipz. 1889, Bd. 11), eine gewichtige Unterstützung erhalten haben. Mit den Mitteln der vergleichenden Sprachforschung wird hier überzeugend dargethan, daß für die Zeit, in welcher die indogermanischen Völker in ihrer Kultur noch ungetrennt waren, Spuren des Vaterrechts erweislich, solche des Mutterrechts dagegen nicht erweislich sind: von Reminiszenzen eines ursprünglichen Mutterrechts noch bei den Germanen wird man danach nicht mehr reden dürfen.
Mancherlei, was mit den hier behandelten Fragen zusammenhängt, ist übrigens auch in dem bekannten Werke von H. Ploß, »Das Weib in der Natur und Völkerkunde«, behandelt, von welchem die zweite Auflage vorliegt (Leipz. 1887). Spärlicher vertreten sind allgemeine Arbeiten über einzelne Probleme der rechtlichen und staatlichen Kultur; wir erwähnen L. Felix, »Der Einfluß der Natur auf die Entwickelungsgeschichte des Eigentums« (Leipz. 1883),
ein Werk, in dem eine Fülle von Einzelthatsachen gesammelt ist, die auf die Entstehung des Eigentumsbegriffs und seine Beeinflussung durch Natur, Sitte, Religion Bezug haben; sodann M. Jähns' Schrift »Heeresverfassung und Völkerleben« (Berl. 1885), welche die Geschichte der militärischen Institutionen von den Wanderheeren und Heergemeinden des Altertums bis zu den auf der allgemeinen Wehrpflicht beruhenden Heeren der Gegenwart verfolgt und den Zusammenhang dieser Institutionen mit dem Völkerleben im allgemeinen darlegt; ferner die geistvollen Studien W. Roschers, »Umrisse zur Natur des Cäsarismus« und »Umrisse zur Natur der Demokratie« (»Abhandlungen der sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften« Bd. 10,11, Leipz. 1888 f.),
weiter L. Günthers fleißige und gründliche Untersuchungen über »Die Idee der Wiedervergeltung in der Geschichte und Philosophie des Strafrechts«, die in ihrem ersten Teile (Erlang. 1889) Altertum und Mittelalter umfassen. Aber auch die allgemeinern Untersuchungen über das Recht und seinen Zusammenhang mit der allgemeinen Kultur, wie sie vom philosophischen Standpunkt aus von J. ^[Jakob] Frohschammer, »Über die Organisation und Kultur der menschlichen Gesellschaft; philosophische Untersuchungen über Recht und Staat, soziales Leben und Erziehung« (Münch. 1885),
angestellt sind, dürfen hier ¶