Geschichte. Die Beziehungen
Kanadas zu der großen Nachbarrepublik wurden immer schwieriger. Abgesehen
von den Streitigkeiten über die Fischereigerechtsame, deren friedliche Schlichtung scheiterte, bedrohte die
Mac Kinley-Bill
(s. d.) Kanada mit der
Ausschließung vom
Markte der
Vereinigten Staaten
[* 12] von
Nordamerika.
[* 13] Diese
Gefahr verschaffte den zahlreichen
Anhängern einer Vereinigung mit letztern in Kanada neue
Kraft, zumal das
Gefühl der Anhänglichkeit an das Mutterland in Kanada nicht
sehr lebhaft ist und sich die
Kolonie vor
Jahren schon gegen
England durch
Schutzzölle abgeschlossen hat.
Macdonald hoffte dadurch seine Gegner zu überrumpeln und durch den
Ausfall der
Wahlen die bisherige Regierungsmehrheit
von 50
Stimmen so zu vermehren, daß seine Herrschaft dauernd gesichert werde.
Indes täuschte er sich sehr. Die
Opposition
unter Laurier und
SirRichardCartwright wußte besonders in den an die
Union grenzenden
ProvinzenOntario und
Quebec mit großem
Erfolg zu agitieren, und das Ergebnis der
Wahl5. März war, daß die
Konservativen 25 Sitze verloren und die
Mehrheit des
Ministeriums im
Unterhaus von 50 auf 25
Stimmen herabsank. Wenn die
Regierung auch mit dem
Parlament weiter regieren
konnte, so hatte doch der Zusammenhang mit
England eine Lockerung erfahren.
DerGedanke,
England und
Frankreich an der engsten
Stelle des
Kanals durch einen festen
Verkehrsweg zu verbinden, ist nicht neu.
Schon 1802 legte der Bergingenieur
Mathieu dem Ersten
Konsul der französischen
Republik
den
Plan einer unterseeischen Kanalverbindung vor. Unter den mehrfachen seitdem gemachten
Vorschlägen
eines unterseeischen
Verkehrswegs ragt der auf gründliche geologische Vorarbeiten gestützte
Entwurf eines Kanaltunnels des
französischen
Ingenieurs Thomé de Gamond hervor, auf dessen
Arbeiten sich die 1882 dem
Parlament zur
Genehmigung unterbreiteten
beiden Tunnelentwürfe der englischen Südostbahngesellschaft unter Watkins und der von Hawkshaw geleiteten englischen Kanaltunnelgesellschaft
stützen.
Obwohl an der technischen Ausführbarkeit niemand zweifelte, so scheiterte doch 1884 die Ausführung
eines
Tunnels an dem
Widerstand der öffentlichen Meinung in
England und an der
Ablehnung des englischen
Parlaments.
Bald nach
dem
Falle dieser Tunnelentwürfe bildete sich eine Kanalbrückeneisenbahn-Gesellschaft, die, gestützt auf die Vorarbeiten
der französischen
Ingenieure Vérard de Sainte-Anne u.
Henri d'Aulnois, einen
Entwurf zur Überbrückung des
Kanals aufstellte,
welcher in der neuesten Zeit von zwei andern französischen
Ingenieuren,
HenriSchneider, dem
Direktor der
großen Eisenwerke von
Creusot, und H. Hersent, dem Unternehmer beim Panamakanalbau, umgearbeitet wurde.
Wenn nun auch der
Plan eines Brückenbaues jenem Tunnelbau gegenüber im Nachteil ist, indem die
Brücke
[* 14] der
Schiffahrt auf
dem
Kanal
[* 15] hinderlich, die
Bauzeit eine längere und der Kostenaufwand ein bedeutend höherer wird, so trägt
doch der Brückenentwurf, vom technischen Standpunkt betrachtet, bereits den
Stempel der
Reife. Hiernach soll die 37,65 km
lange
Brücke flußeiserne Überbauten erhalten, die von 100-500 m voneinander gestellten
Pfeilern getragen werden und eine 72 m
über Niedrigwasser befindliche, 8 m breite zweigeleisige Fahrbahn bekommen.
Die Brückenachse bildet keine völlig gerade
Linie, sondern setzt sich aus drei geraden
Strecken zusammen, welche an den über
den
Sandbänken von Varne und von Colbart befindlichen
Scheitelpunkten durch kurze
Krümmungen verbunden sind. Hierbei schneiden
die
Achsen der Brückenenden die beiden
Ufer beiFolkestone und
KapGris-Nez so günstig, daß das Brückengeleise
bequem an die bestehenden
Linien der englischen Südostbahn und der französischen Nordbahn angeschlossen werden kann.
Den verschiedenen Meerestiefen entsprechend, sind die Öffnungen von 100-500 m weit geplant, wobei die größern Weiten den
größern Tiefen entsprechen. Die beiden erwähnten
Sandbänke befinden sich etwa in der Mitte des
Kanals
7-8 m unter Niedrigwasser und sind 6 km voneinander entfernt. Zwischen ihnen liegt eine
Mulde von höchstens 27 m Tiefe unter
Niedrigwasser. Zwischen der
Bank von Varne und
Folkestone beträgt die Tiefe höchstens 24 m, während sie zwischen der
Bank
von Colbart und demKapGris-Nez bis auf 55 m unter Niedrigwasser wächst. An dieser tiefsten
Stelle aber
würde die Pfeilergründung die größten Schwierigkeiten bereiten.
Die
Pfeiler sollen aus steinernen Unterteilen, welche mit
Hilfe und im
Schutze eiserner
Mantel auszuführen wären, und aus eisernen
Oberteilen bestehen, die wieder aus je zwei durch
Fachwerk
[* 16] verbundenenSäulen
[* 17] zusammengesetzt werden sollen.
Die
Träger
[* 18] der
Brücke sind nach dem Auslegersystem geplant, welches in der Auskragung eines auf je zwei
Pfeilern ruhenden
Trägers über diese
Pfeiler hinaus besteht, worauf dann zwischen je zwei solcher vorgekragten Trägerenden ein kleinerer
Träger
durch Überschiebung eingeschaltet wird: ein
System, welches im größten
Maßstab
[* 19] bei der Forthbrücke
(s.
Forth, Bd. 6) zur Ausführung gelangt ist. Man kann sich
einen
Begriff von der
Ausdehnung
[* 20] dieses
¶
mehr
Bauwerkes machen, wenn man erwägt, daß sämtliche 118 Pfeiler, in ihrer Höhe von 5-56 m Tiefe unter Wasser wechselnd, eine
Mauerwerksmasse von mehr als 4 Mill. cbm und 76,000 Ton. Eisen
[* 22] für die Senkkasten erfordern würden. Ferner würde der eiserne
Überbau ein Gesamtgewicht von nahe 771,265 T. oder 20,5 T. auf 1 m Brückenlänge
erreichen. Was die Aufstellung betrifft, so wären die einzelnen Teile, soweit thunlich, in den inländischen Werkstätten
fertig zu stellen, von dort nach den in der Nähe der Baustelle bezeichneten Hafenplätzen zu bringen, wo der Zusammenbau
auf geeigneten Hellingen erfolgen würde.
Von hier würden die letztern, wie Schiffe
[* 23] vom Stapel gelassen, auf Prähme gebracht und mittels Schleppdampfer
an den Ort ihrer Aufstellung gebracht werden. Die Lagerung selbst solle man mit Hilfe von hydraulischen Pressen bewerkstelligen,
welche zwischen den erwähnten eisernen Pfeilern aufzustellen wären. Die erste Kundgabe des vorliegenden Planes, welcher von
den beiden genannten Verfassern als ein vorläufiger bezeichnet wird, erfolgte im September 1889 in einer
in Paris
[* 24] tagenden Versammlung des Verbandes englischer Eisenindustriellen (Iron and SteelInstitute), worin zwar ersucht wurde,
sich nur über die technische Seite des Entwurfs zu äußern, aber nicht verhindert werden konnte, daß mehrere Mitglieder
den Plan einer Kanalbrücke verwarfen und einer Tunnelanlage den Vorzug gaben.