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Strafen und die gesamte ethische Auffassung des Deliktes als einer sozialen Erscheinung. Endlich aber wird die Kriminalstatistik auch auf dem Gebiet der Strafrechtspflege von Belang, indem sie es ermöglicht, jeden Einzelfall im Rahmen der Massenerscheinung zu erfassen. Die Kriminalstatistik ist gegenüber den übrigen Zweigen der Verwaltungsstatistik frühzeitig und in nicht geringer Ausdehnung [* 2] gepflegt worden, obgleich bis heute das oben bei Besprechung der Ziviljustizstatistik bemerkte formale Moment der Geschäftsstatistik noch störend einwirkt. In Frankreich beginnen die Nachweisungen schon 1827 (für 1825), in Österreich [* 3] 1828, in Schweden [* 4] 1830, in Belgien [* 5] 1831, in Dänemark [* 6] 1832, in den Niederlanden 1850; die Gefängnisstatistik in Frankreich 1852, in Schweden 1835, in den Niederlanden 1854 etc. In den Staaten des Deutschen Reichs ist die Pflege der Kriminalstatistik sehr verschieden gewesen, am besten in Bayern, [* 7] gut in Sachsen, [* 8] unvollkommener in Preußen. [* 9] Im Deutschen Reiche und in Italien [* 10] beginnt die Pflege der Statistik dieses Gebietes bald nach deren Konstituierung, und zwar geht von diesen beiden Staaten die reformatorische Bewegung aus, welche wir gegenwärtig in der Kriminalstatistik sehr zu deren Vorteil sowie zum Vorteil der Wissenschaft und Verwaltung bemerken. Die Hauptpunkte dieser Reform sind: Organisierung eigner statistischer Behörden hierfür, die volle Scheidung der Justizgeschäftsstatistik von der sozialen Kriminalstatistik, die Einführung der Zählkarten, die Anlegung von Verbrecherkatastern, endlich die Herstellung der Verbindung mit der Gefängnisstatistik.
Was zunächst die spezielle Organisation der Kriminalstatistik anbelangt, so fehlt eine solche bisher bis auf eine einzige Ausnahme, nämlich Italien. In diesem Staate besteht, gegründet auf ältere einheimische Vorbilder (Sardinien [* 11] 1852-57), eine Kommission für die Zivil-, Handels- und Kriminalstatistik (Commissione per la statistica civile, commerciale e penale) auf Grund königlicher Dekrete von 1882 etc., deren Thätigkeit bisher vorwiegend der Kriminalstatistik zugewendet ist.
Diese Kommission ist von beratender Funktion und befaßt sich vorwiegend mit der methodischen Ausbildung, aber auch mit der Kontrolle der amtlichen Statistik, endlich mit der Herstellung des Zusammenhanges zwischen dieser und der Justizverwaltung; da aber außer höhern Administrativbeamten auch Vertreter der Wissenschaft Mitglieder sind, so ist es klar, daß auch die Anforderungen der Wissenschaft zur Geltung kommen. Außer dieser Kommission besitzt aber Italien noch eine weitere vortreffliche hierher gehörige Einrichtung, nämlich die Inauguralreden der Generalprokuratoren an den 24 Appellgerichtshöfen, bei welchen in öffentlicher Sitzung die Hauptresultate der Kriminalität des verflossenen Jahres vorgetragen werden.
Unleugbar ist mit dieser Einrichtung eine bedeutende volkspädagogische Einwirkung verbunden, die um so höher anzuschlagen ist, wenn man bedenkt, wie verbreitet die unrichtigen Anschauungen über die Bewegung der Verbrechensziffern im allgemeinen unter der Bevölkerung [* 12] sind. In den übrigen Staaten gehen einfach die Daten von den allgemeinen statistischen Ämtern aus. Nur hat das Deutsche Reich [* 13] seit 1882 mit richtigem Blicke die von Schweden schon 1830 eingeführte vollkommene Scheidung der justizgeschäftlichen Ausweise von den kriminalstatistischen vorgenommen; die erstern werden unter Einfluß des Justizministeriums, die zweiten allein vom kaiserlichen statistischen Reichsamt bearbeitet. - Was ferner die Methodik der Kriminalstatistik anbelangt, so liegt die allerorten als notwendig erkannte und im Deutschen Reiche sowie in Italien (Direktor Bodio) bereits seit 1882, resp. 1890 durchgeführte Reform in der Verwendung der Zählkarten statt der bisher sonst allgemein verwendeten Listen, welche eigentlich nur auf dem Gebiet der Justizgeschäftsstatistik Geltung behalten sollten.
Die im Deutschen Reiche mit § 563 der Protokolle des Bundesrats vom und in Italien mit eingeführten Zählkarten werden von den Justizbehörden für jeden Einzelfall besonders ausgefüllt und in dem Statistischen Amte aufgearbeitet. Die Kosten der Aufbereitung belaufen sich im Deutschen Reiche auf 51,000 Mk., und zwar für 4 Beamte und 18 Hilfsbeamte, zusammen für 22 Personen, auf 41,000 Mk. und für den Druck auf 10,000 Mk. jährlich. Die Zählkarten enthalten in den beiden Staaten, abgesehen von prozessualen Notizen (die in Klammern [* 14] stehenden Angaben werden nur in Italien erhoben):
1) die Personaldaten
für den Angeklagten,
Name, Geburtsort,
Geburtstag,
Zivilstand
(Legitimität,
Filiation, Familienverhältnis
der Minderjährigen),
Beruf (strafrechtlicher Zustand), strafrechtliche Vergangenheit;
2) die strafbaren Handlungen, Bezeichnung der That (nach der Anklage) nach dem Urteil, nach Ort und Zeit;
3) die Beendigungsformen und die Strafen. In Österreich scheint eine methodische Reform der Kriminalstatistik mit der Einführung eines neuen Strafgesetzbuches geplant zu sein, womit überhaupt ein sehr geeigneter Zeitpunkt für Reformen auf diesem Gebiet gegeben ist.
Die J. und speziell die Kriminalstatistik setzt der internationalen Vergleichung bedeutende Schwierigkeiten entgegen, da es sich nicht um allgemeine und überall gleichbleibende Erscheinungen, sondern um gesetzlich formulierte Thatsachen handelt, wobei die Fixierung in jedem Staate und zu den verschiedenen Zeiten erheblich verschieden ist. Bis zu einem gewissen Grade sind die sich einer internationalen Regelung oder Vergleichung entgegenstellenden Hindernisse geradezu unübersteiglich, insbesondere dürfen die einfachen Zahlen nie als vergleichbar angesehen werden.
Abgesehen von der Justizgeschäftsstatistik kommen insbesondere die internationalen Bestrebungen bezüglich der Kriminal- und der Gefängnisstatistik in Betracht. Die erstgenannten gehen von dem internationalen statistischen Kongreß und zwar insbesondere seiner Session zu Petersburg [* 15] 1872 aus und erstreben neben der allgemeinen Einführung der Zählkarte vornehmlich die Herstellung einer einheitlichen Nomenklatur der durch die Strafgesetze der verschiedenen Staaten vorhergesehenen Delikte, was auf mehreren Sessionen des Kongresses (Wien, [* 16] London, [* 17] Florenz, [* 18] Paris) [* 19] allerdings erfolglos versucht wurde, jedoch zu mehreren Arbeiten von Taganzew, Baumhauer, Foinitzky und in neuerer Zeit von Würzburger u. a. führte. Die Gefängnisstatistik wurde zwar auch vom allgemeinen statistischen Kongreß (besonders Paris 1855, Budapest [* 20] 1876), dann aber von dem internationalen Gefängniskongreß (London 1872, Stockholm [* 21] 1878, Petersburg 1890 etc.) gepflegt, welche Bestrebungen unter anderm zur »Statistique pénitentiaire internationale« von Beltrani-Scalia führten.
Die Ergebnisse der administrativen Kriminalstatistik sind von hervorragender Bedeutung für die Wissenschaft geworden und haben eine bedeutende, sich nach mehreren Richtungen spaltende moralstatistische Litteratur hervorgerufen. Die älteste ist die metaphysische Richtung Quételets, die sogen. Sozialphysik, welche durch Buckle in England und durch A. Wagner ¶
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und G. v. Mayr in Deutschland [* 23] Eingang gefunden hat, hier aber von Knapp, Drobisch und Rehnisch bekämpft wird. Sie basiert im Wesen auf dem Comtismus, und ihr Grundgedanke ist, daß der menschliche Wille nur die Rolle einer accidentellen Ursache spielt, welche die Wirkung der konstanten Ursachen der Erscheinungen nicht wesentlich zu berühren vermag, von denen die menschliche Geisteswelt ebenso wie die gesamte Natur mit Notwendigkeit beherrscht sei. Ziemlich jung, aber im Wesen verwandt, ist die anthropologisch-evolutionistische Richtung Lombrosos (s. d.) und seiner Schule in Italien, welche die Naturnotwendigkeit des Verbrechens vorwiegend durch die körperliche Naturanlage des Menschen begründet findet.
Die dritte Richtung ist die sozial-ethische A. v. Öttingens; dieselbe beruht auf der Erkenntnis des Zusammenhanges des Individuums mit der Gesellschaft und der Bedingtheit des erstern von der letztgenannten, wodurch sich die Struktur der Massenerscheinungen und der Gedanke der sozialen Mitschuld ergibt, welcher von Öttingen theologisch-dogmatisch aufgefaßt wird. Im Gegensatz zu diesen drei Richtungen metaphysischer Art steht ein gewisser statistischer Kritizismus (v. Inama-Sternegg, Platter), der an Stelle der Einführung spekulativer Elemente in die induktive Beweisführung vielmehr die exakte Induktion [* 24] methodischer Massenbeobachtung fordert.
Neben diesen genannten drei metaphysischen Richtungen und ihren kritischen Gegnern stehen dann zahlreiche historisch-deskriptive Bearbeitungen. Diese lehnen sich vorwiegend an die 60jährige, zusammenhängende Reihe der französischen kriminalistischen Daten (Ferri, Tarde, Lacassagne, Chaussinand, Robiquet, Soquet etc.), dann an die sehr detaillierte italienische amtliche Statistik (Pavia, Ferri, Lucchini, Soldau, Barzilai etc.) und endlich an die preußische Statistik an (Valentini, Schrader, Stursberg, Starke, Mittelstädt, Illing, Aschrott etc.). Zu Vergleichungen zwischen den Verhältnissen mehrerer Staaten findet sich bei der Eigenart der kriminal-statistischen Daten weniger Anlaß (Bourdet, Bosco etc.). Dabei wäre es aber gefehlt, nicht auch auf die stellenweise trefflichen amtlichen Bearbeitungen des kriminal-statistischen Materials hinzuweisen. In erster Linie gilt dies bezüglich der Bearbeitung der französischen offiziellen Kriminalstatistik durch Yvernès, insbesondere im Jahrgang 1880 des »Compte rendu«, welcher die ganze Periode 1826-80 umfaßt; ferner bezüglich der bayrischen (v. Mayr) und sächsischen (Böhmert) Statistik, endlich früher (1849-59) und auch neuerdings wieder bez. der österreichischen und endlich der italienischen Arbeiten Bodios. Die Kriminalstatistik des Deutschen Reichs bietet mehr eine Umschreibung der amtlich erlangten Zahlen als eine ursachliche Durchforschung derselben.
Vgl. E. Mischler in Holtzendorff-Jagemanns »Handbuch des Gefängniswesens«, Bd. 1 (Hamb. 1887);
Derselbe, Zur Organisation und Methodik der Kriminalstatistik (in der Wiener »Statistischen Monatsschrift«, Bd. 16, Heft 5).