Ein Erpressungsversuch würde aber nur dann vorliegen, wenn das
Büreau, welches den Mahnbrief absendet, weiß, daß die in
demselben geltend gemachteForderung nicht zu
Recht besteht. Denn dann liegt auf seiten des Briefschreibers
die Absicht vor, einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen und zwar dadurch, daß
er den Adressaten
unter Anwendung von
Drohungen zur
Zahlung einer thatsächlich nicht vorhandenen
Schuld zu veranlassen sucht.
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß sich das
Büreau durch Absendung des mit Veröffentlichung in den
Listen drohenden Mahnschreibens
einer strafrechtlichen Verantwortung nur dann aussetzt, wenn es im Einverständnis mit seinem
Abonnenten oder aus eigner Gewinnsucht
von dem Adressaten Beträge auf hinterlistige
Weise zu erschwindeln sucht. Der
Abonnent würde alsdann
als
Anstifter, der Büreauinhaber als Thäter bestraft. In diesem
Sinne hat sich auch das
Reichsgericht in der angeführten
Entscheidung ausgesprochen.
Endlich bleibt noch zu erwähnen, daß sich stets der Einsender der Benachrichtigung, welcher wider besseres
Wissen eine nicht
zu
Recht bestehende
Forderung geltend macht und dadurch ein gegen den angeblichen
Schuldner gerichtetes
Mahnschreiben beim
Büreau erwirkt, eines Erpressungsversuchs schuldig macht. Er wird wegen vollendeter
Erpressung bestraft,
wenn der gemahnte
Schuldner aus
Furcht zahlt. Sollte endlich die falsche Benachrichtigung dazu führen, daß der vermeintliche
Schuldner auf die
Liste gesetzt wird, so ist der Angeber
(Abonnent oder Mitglied) der verleumderischen
Beleidigung
aus § 187 des
Strafgesetzbuchs schuldig. Hier wie dort bleibt das
Büreau, welches,
bona fides vorausgesetzt, nur als
Werkzeug
in Betracht kommt, außer jeder strafrechtlichen Verantwortung.
Medizin. Der neunte
Kongreß für i. M. tagte 15.-18. April in
Wien.
[* 2] In der Eröffnungsrede
gab
Nothnagel eine
Skizze des 2000jährigen Entwickelungsgangs der
Therapie.
Lies dieselbe in diesem langen Zeitraum nichts als
Stagnation erkennen, so begann mit dem laufenden
Jahrhundert eine neue
Epoche, als die
Medizin aus einer nur beschreibenden in
eine wahre, mit den
Methoden echter
Naturforschung arbeitende
Wissenschaft umgewandelt wurde. Erst als die
Physiologie und die pathologische
Anatomie erblühten, die
Physik und
Chemie, das Tierexperiment, die pathologische
Histologie
feste Anhaltspunkte schufen, begann auch die wissenschaftliche Behandlung.
Jetzt steht die
Therapie inmitten der
Bewegung, doch ist nicht mehr zu befürchten, daß eine besondere Forschungsmethode die
Klinik aus ihrer festen
Bahn drängen, daß man über das kranke
Organ den gesamten
Organismus, über die
Krankheit den
Menschen vergessen werde. Die Geschichte lehrt: für die
Medizin führt der Weg zum Können durch das Kennen,
beide aber sollen getragen sein von höchster sittlicher, von echt menschlicher
Gesinnung. Den ersten
Vortrag hielt
Immermann(Basel)
[* 3] über die Behandlung der
Empyeme. Als Hauptindikationen für die
Therapie der
Empyeme dürften gelten: 1)
den vorhandenen
Eiter zu entfernen, 2) die Wiederansammlung desselben zu verhüten, 3) das normale anatomische wie physiologische
Verhalten des respiratorischen
Apparats so direkt und so vollständig wie möglich wiederherzustellen.
Die erste
Indikation erfordert in der
Regel operatives Vorgehen. Auf spontane
Resorption des
Eiters ist eigentlich
fast nur zu rechnen, wenn die
Empyeme nur Pneumokokken enthalten. Sind auch Streptokokken, Staphylokokken, Tuberkelbacillen
vorhanden, dann tritt wegen der Lebenszähigkeit dieser Eitererreger keine
Resorption ein. Auch innere, sogen. resorptionsbefördernde
Mittel sind wirkungslos.
Spontane Abkapselung des
Eiters ist ses selten, und der Durchbruch nach irgend
welcher Seite hin kann unberechenbare
Folgen haben.
Der Redner empfiehlt möglichst umfassenden
Gebrauch antiseptisch auszuführender
Punktion, um die vorliegende bakteriologische
Spezies kennen zu lernen. Nur bei Pneumokokkenempyemen sei exspektatives Verhalten am Platze, in allen übrigen
Fällen operative
Entfernung des
Eiters einzig zweckentsprechend. Hierbei aber kommen nur solcheMethoden in
Frage, die eine
regelmäßige und vollständige
Entfernung der Eiterreste und der Eiternachschübe ermöglichen.
Bleiben mit Eiterresten auch lebende Eitererreger zurück, so kommt es leicht zu einer neuen Ansammlung von
Eiter. Die Erfüllung
der dritten
Indikation bleibt häufig ein frommer
Wunsch, man wird sich oft mit einer relativen
Heilung oder
Herstellung mit
Defekt begnügen müssen, und oft sind relativ geringe therapeutische
Effekte noch erst durch sehr erhebliche
operative
Eingriffe teuer zu erkaufen. Fällt das
Resultat der Erwägungen sehr ungünstig aus, dann ist es besser, den Kranken
zu schonen und sich mit palliativen Maßregeln zu begnügen. In einfachen und frischenFällen hat man
dagegen sehr entschieden die Herstellung unter möglichster Wahrung des noch erhaltenen anatomischen Bestandes und der noch
erhaltenen physiologischen Heilpotenzen zu erstreben.
Der Redner bespricht sodann die einzelnen gebräuchlichen
Methoden der Empyembehandlung und verweilt besonders bei der Radikalmethode,
bei welcher der
Thorax mindestens an einer
Stelle breiter eröffnet und eine äußere Brustfistel angelegt
wird, die so lange offen bleibt, bis die Ausheilung erfolgt ist.
Höchst beachtenswerte Anfänge dieser
Methode lassen sich
auf
Hippokrates und die
Asklepiaden zurückführen; die jetzt vornehmlich geübte
Technik ist von König angegeben und von
Küster
verbessert worden. Sie erzielt zweifellos glänzende Erfolge, aber keineswegs korrekte
Heilung in anatomisch-physiologischem
Sinne, und es erscheint daher
Bülaus permanente
¶
mehr
Aspirationsdrainage als ein großer Fortschritt. Bei dieser wird ein längeres elastisches Rohr seitlich an abhängiger Stelle
luftdicht in den Thorax eingeführt und äußerlich mit einem längern Schlauch verbunden, der am Boden in ein Gefäß
[* 5] mit desinfizierender
Sperrflüssigkeit taucht. Durch den Heber
[* 6] wird der Eiter herausgesogen und gleichzeitig eine Wiederausdehnung der
Lunge
[* 7] unter negativem Druck, also in durchaus natürlicher Weise, erzielt. Ist die Lunge noch vollkommen und leicht ausdehnbar,
so genügt die Heberwirkung, andernfalls kann dieselbe durch Aspirationsvorrichtungen verstärkt werden. In allen Fällen,
wo die Lunge überhaupt noch ausdehnbar ist, erzielt die Methode sehr günstige Resultate. - Der KorreferentSchede (Hamburg)
[* 8] erkannte die Vorzüge der Bülauschen Methode an, zog aber doch die Incision mit Resektion eines Rippenstücks vor und nahm
sie gegen die Vorwürfe, daß bei ihr der Atmosphärendruck notwendig die Entfaltung der Lunge hindere, in entschiedenster
Weise in Schutz. Leyden (Berlin)
[* 9] trat für die Bülausche Operation ein, welche er auf seiner Abteilung stets
und mit bestem Erfolg anwendet, und schlug vor, eine Sammelforschung zu veranstalten, welche sich auf sämtliche von nun
an zu beobachtende Fälle beziehen soll. Dieser Vorschlag wurde vom Kongreß angenommen.
Unna
[* 10] (Hamburg) sprach über die insensible Perspiration der Haut.
[* 11] Über die Folgen der Hautfirnissung und deren Ursache herrscht
bei den Physiologen noch immer keine Einigung. Unna untersuchte die Perspiration mit Hilfe von Hühnerhaut,
die von Federn und Fett befreit und über mit Wasser gefüllte Glastrichter gespannt wurde, welche mit graduierten Röhren
[* 12] zum
Ablassen des verdunstenden Wassers kommunizierten. Fette setzten die Wasserverdunstung regelmäßig herab, Lanolin mehr als Glycerinfette,
Vaselin wirkt ähnlich wie Lanolin, und auch Glycerin setzt dem Wasserdampf ein merklich es Hindernis entgegen.
Eine dünne Gelatinedecke vermehrt dagegen die Wasserverdunstung der Haut, und dies erklärt die klinische Wahrnehmung, daß
ein am ganzen Körper Eingeleimter beständig mehr oder minder friert. Kautschuk und Guttapercha setzen die Verdunstung herab
und zwar ersteres bedeutend stärker, dünne Kollodiumhäutchen dagegen steigern sie. Gelatine und Kollodium
stimmen darin überein, daß sie beim Eintrocknen sich zusammenziehen, und da sie auf der Haut hieran gehindert sind, so müssen
die dünnen Schichten porös werden, und hieraus erklärt Unna die Steigerung der Hautverdunstung.
Der Einfluß des Fettes gibt Ausschluß über die enormen Schwankungen der Zahlen, welche die Physiologen
bisher für die natürliche Wasserverdunstung der lebenden Haut gefunden haben. Man muß auf die alte Anschauung von Krause
zurückgehen,
welcher den rein physikalischen Prozeß der insensibeln Verdunstung von dem physiologischen Prozeß der sensibeln
Schweißbildung trennte. Die letztere beginnt erst auf der Höhe einer gesteigerten insensibeln Verdunstung
und nach Überwindung eines gewissen Widerstandes. Es besteht also keinesfalls ein unmerklicher Übergang der insensibeln
Verdunstung in Schweiß.
Zum Schlusse weist Unna auf die praktischen Folgerungen hin, welche die i. M. aus diesen physiologischen Versuchen ziehen kann.
Die Fetteinreibung erhält dem KörperWärme
[* 13] und treibt große Wassermengen nach der Niere hin. Umgekehrt
wird letztere durch künstliche Entfettung der Haut entlastet. Er empfiehlt die Entfettung der Haut mit nachfolgender Einleimung
zur Herabsetzung des Fiebers, und Senator teilte mit, daß er dies Verfahren, von ganz andern Betrachtungen ausgehend, schon
vor Jahren angewandt und eine ziemliche Herabsetzung der Temperatur erreicht habe.
Mosler (Greifswald)
[* 14] sprach über Pemphigus. Unter diesem Namen werden zur Zeit noch mehrere Hautkrankheiten
[* 15] zusammengefaßt, deren Wesen nicht näher bekannt ist. Die Untersuchungen des Redners beziehen sich nur auf chronische Fälle.
Es gelang, aus dem Inhalt der auf der Haut gebildeten Blasen gelbe und weiße Kolonien von Kokken zu züchten, die aber
aus frischen Blasen in viel geringerer Zahl erhalten wurden als aus ältern. Bei genauerer Untersuchung ergab sich, daß es
sich hierbei um Epiphyten der Haut handelte, welche in die Blasen eingedrungen waren.
Bei Anwendung von Sublimatbädern gelangte man zu dem Resultat, daß eine Beteiligung von Bakterien an dieser Erkrankung nicht
nachweisbar sei. Impfungen mit Blaseninhalt blieben erfolglos. Behandlung mit salzsaurem Chinin (40 g) führte nicht zu völliger
Heilung, wohl aber wurde der Ausschlag auf eine Abortivform in Gestalt einzelner kleiner Bläschen reduziert. Die von dem Redner
beobachteten Fälle von Pemphigus führten ihn zu der Ansicht, daß gewisse Formen, darunter auch scheinbar
genuiner Pemphigus, nicht als selbständige Erkrankung, sondern als Symptom einer vasomotorischen Neurose aufzufassen sind.
Ziemssen (München)
[* 16] demonstrierte einen Kugelthrombus des Herzens und einen gestielten oder echten Herzpolypen. Gans (Karlsbad)
sprach über das Verhalten der Magenfunktion bei Zuckerruhr. Seine Untersuchungen ergaben drei wichtige Thatsachen:
1) der Mageninhalt der Diabetiker weist ein sehr wechselndes Verhalten auf; neben Fällen mit normaler
Magensekretion stehen auf der einen Seite solche mit bedeutender Hypersekretion, auf der andern solche mit totalem Schwunde
der Salzsäure. Ebenso wechselt bei einem und demselbem Individuum sehr oft die Menge der abgeschiedenen Salzsäure von einem
Extrem bis zum andern.
2) Die motorische Magenthätigkeit der Kranken war vollkommen gut erhalten, trotzdem darunter
Fälle von sehr langer Dauer waren.
3) Irgend ein Abhängigkeitsverhältnis der Magenfunktion von der Menge des durch den Harn ausgeschiedenen Zuckers sowie überhaupt
von der Schwere oder Dauer des Falles konnte in keiner Weise aufgefunden werden. Die Versuche ergeben also
die schon so oft empirisch behauptete Notwendigkeit einer strengen Individualisierung der Ernährung der Diabetiker. Bäumler
(Freiburg)
[* 17] referierte über die in den beiden letzten Influenza-Epidemien gesammelten Erfahrungen.
Adamkiewicz (Krakau)
[* 18] sprach über den pachymeningitischen Prozeß. Man nimmt gegenwärtig
¶