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daß Davitt und einige andre die Landliga zu diesem Zwecke organisiert hätten. Alle Angeklagten hätten aber einer Verschwörung angehört, welche es darauf abgesehen hätte, die Großgrundbesitzer durch Gewaltmittel und Terrorismus zu schädigen und aus dem Lande zu treiben. Die Dubliner Mordthaten hätten die Angeklagten mißbilligt, und die angeblichen Briefe Parnells seien als gefälscht anzuerkennen. Aber das System des Terrorismus hätten die Angeklagten nicht verurteilt, sondern auf demselben bestanden, obwohl sie wissen mußten, daß dadurch Verbrechen hervorgerufen wurden.
Nicht erwiesen sei, daß die Angeklagten mit bekannten Verbrechern oder den Invincibles in Verbindung gestanden hätten, erwiesen aber, daß sie Unterstützungen auch von Revolutionären angenommen hätten. Daß gerade die wichtigsten Anklagen gegen die Parnelliten zu Boden gefallen waren, ergab sich danach klar; und die Regierung hatte denn auch nicht die Absicht, an den verklausulierten Bericht irgend eine weitere Aktion zu knüpfen, sondern begnügte sich mit dem Antrag, die Eintragung desselben in die Bücher des Hauses anzuordnen und den Richtern für ihr unparteiisches Verfahren den Dank des Parlaments auszusprechen, wogegen die Opposition den Gegenantrag stellte, das Haus möge ausdrücklich ein Verdammungsurteil über die gegen Parnell und Genossen auf Grund falscher und verleumderischer Angaben erhobenen Anklagen aussprechen und sein Bedauern über das den Angeklagten durch diese Bosheit zugefügte Unrecht zu erkennen geben.
Mit heftigen Debatten über diese Angelegenheit und über die Adresse auf die Thronrede wurden hauptsächlich die ersten Wochen der Session ausgefüllt; in dieselben hinein fiel 4. März ein neuer, bedeutungsvoller Wahlsieg der Opposition in dem bisher konservativ vertretenen Londoner Wahlkreis von St. Pancras. In der Adreßdebatte wurde 18. Febr. das übliche Tadelsvotum Parnells über die irische Politik der Regierung mit 307 gegen 240 Stimmen, zwei Tage darauf ein liberaler Antrag auf Gewährung von Homerule für Schottland mit 181 gegen 141 Stimmen abgelehnt;
in der Debatte über die Parnellkommission machte es großen Eindruck, daß Lord R. Churchill in einer heftigen Rede seine vollständige Mißbilligung der Politik der Regierung aussprach, aber der Sieg blieb der letztern auch hier;
10. März wurde der Gegenantrag Gladstones mit 339 gegen 268 Stimmen abgelehnt, 11. März derjenige der Regierung angenommen;
21. März ging der letztere auch im Oberhaus durch.
Jetzt erst war Raum für die Landankaufs-Vorlage der Regierung gewonnen; nachdem 20. März Lord Salisbury eine Versammlung der konservativen Partei im Carltonklub abgehalten und dieselbe in nachdrücklichen Worten zur Eintracht ermahnt hatte, wurde die Bill 24. März eingebracht und zum erstenmal gelesen. Unleugbar war es eine höchst umfassende und durchgreifende Maßregel, welche dadurch in Aussicht genommen wurde. Zum Behuf der Förderung des Güterkaufs durch die irischen Pachter sollte unter Aufhebung aller früher in dieser Beziehung getroffenen Bestimmungen ein Garantiefonds von nicht weniger als 33 Mill. Pfd. Sterl. geschaffen werden.
Der Kaufpreis für Landgüter sollte auf den 20fachen Betrag des Reinertrags der Pacht festgesetzt werden; eine Regierungsbehörde sollte den Kaufpreis vorschießen, die Käufer sollten jährlich 4 Proz. dieses Preises an Zinsen, Amortisationsquote und Beitrag zu dem Garantiefonds zahlen und, wenn sie diesen Betrag von 4 Proz. des Kaufpreises 49 Jahre lang entrichtet hätten, freie Eigentümer werden. Die Verkäufer sollten den Kaufpreis in Staatspapieren erhalten, welche mit 2¾ Proz. verzinslich wären.
Der Antrag kam den Wünschen und Bedürfnissen der Irländer so weit entgegen, daß selbst unter den Anhängern der Regierung viele Grundbesitzer nur zögernd und nicht ohne Bedenken für denselben eintraten; nichtsdestoweniger wurde er von Parnell und seiner Partei, der im Interesse seiner Homerule-Pläne die Schaffung eines ruhigen und zufriedenen Bauernstandes in Irland durch die englische Regierung nicht wünschen konnte, heftig bekämpft, und Gladstone und die Seinen schlossen sich in diesem Widerstand ihren irischen Freunden aufs entschiedenste an. Trotzdem wurde natürlich die zweite Lesung der Regierungsvorlage 1. Mai mit 348 gegen 268 Stimmen beschlossen; nun aber begann die Einzelberatung, bei der die Opposition mit größter Rücksichtslosigkeit von ihrer Verschleppungstaktik Gebrauch machen konnte.
Inzwischen waren der Regierung auch auf einem andern Gebiet, auf dem sie eigentlich die größten Erfolge hätte erwarten können, ernste parlamentarische Schwierigkeiten erwachsen. Die Finanzlage Großbritanniens war unter der geschickten Verwaltung Göschens eine glänzende. Obwohl in den letzten drei Jahren eine Summe von etwa 23 Mill. Pfd. Sterl. auf Schuldentilgung hatte verwandt werden können, ergab der Rechnungsabschluß für das ablaufende Finanzjahr einen Überschuß der Einnahmen über die Ausgaben von rund 3,150,000 Pfd. Sterl.; und für das Finanzjahr 1890/91 berechnete der Voranschlag des Budgets, den der Schatzkanzler 17. April dem Unterhaus vorlegte, die Ausgaben auf rund 86,900,000, die Einnahmen auf rund 90,500,000 Pfd. Sterl., so daß sich ein Überschuß von mehr als 3,500,000 Pfd. Sterl. herausstellte. So konnte Göschen nicht nur eine Ermäßigung einiger Einfuhrzölle (namentlich des Theezolles um 2 Pence für das Pfund), sondern auch die lange ersehnte Herabsetzung des Portos für Briefe nach Indien und den Kolonien zugestehen.
Weiter beantragte er, die den lokalen Grafschaftsbehörden zu überweisenden Einnahmen um 1,300,000 Pfd. Sterl. zu erhöhen und die Mittel dafür unter andern durch eine Erhöhung der Abgabe auf Sprit um 6 Pence für die Gallone aufzubringen. Damit in Verbindung standen dann Vorschläge für die Regelung des Konzessionswesens der Schankwirtschaften, die im wesentlichen darauf hinausliefen, einerseits die Zahl der Schankkonzessionen erheblich zu vermindern, anderseits aber die Wirte, denen infolgedessen die Erneuerung ihrer Konzessionen verweigert werden mußte, aus Staatsmitteln zu entschädigen.
Diese letztern Vorschläge stießen nun aber auf den allerheftigsten Widerstand. Die in England und Schottland so einflußreiche Temperanz- (Mäßigkeits-) Partei, zu deren Organ sich vor allen die Gladstonianer machten, die aber auch innerhalb der konservativen Partei viele Anhänger zählte, war zwar mit der Verminderung der Zahl der Schankwirtschaften ganz einverstanden, wollte aber von einer Entschädigung der dadurch betroffenen Wirte durchaus nichts wissen.
Indem nun die Opposition nicht nur die Landankaufs- und die Schankwirtschaftsbill aufs lebhafteste bekämpfte, setzte sie zugleich bei der Budgetberatung ihre Obstruktionstaktik so erfolgreich fort (in einer Sitzung des Hauses, die von 3 Uhr [* 2] nachmittags am 19. Mai bis 4 Uhr morgens am 20. Mai dauerte, wurden z. B. nur zwei unbedeutende Positionen des Staatshaushaltsetats angenommen), daß die parlamentarische Geschäftslage eine höchst unerfreuliche wurde. Im ¶
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Juni bereits erkannte die Regierung, daß sie ihre drei großen Gesetzvorlagen (neben den beiden zuletzt besprochenen diejenige über die Umgestaltung der Zehntenpflicht) in dieser Session nicht würde durchbringen können. Um nun wenigstens die Vorarbeiten dafür zu retten und in der nächsten Tagung die Beratung nicht wieder von vorn beginnen zu müssen, schlug Salisbury 12. Juni einer neuen Versammlung der konservativen Partei eine Abänderung der Geschäftsordnung des Hauses in dem Sinne vor, daß alle Bills in einer neuen Session an dem Punkte wieder aufgenommen werden sollten, bis zu welchem sie in der vorhergehenden Session gelangt wären.
Die Konservativen erklärten sich damit einverstanden; auch die liberalen Unionisten billigten den Vorschlag in einer am folgenden Tage abgehaltenen Parteiversammlung, und derselbe wurde dem Hause vorgelegt und einer Kommission überwiesen. Allein da Gladstone denselben bekämpfte, und da unter diesen Umständen die Debatten darüber nur neuen Zeitverlust herbeigeführt haben würden, blieb der Regierung nichts andres übrig, als auf ihren Vorschlag selbst, damit zugleich aber auch auf die Erledigung der drei großen von ihr in Angriff genommenen Reformmaßregeln zu verzichten. Indem W. H. Smith diesen Entschluß der Regierung 10. Juli dem Hause ankündigte, sprach er zugleich die Absicht derselben aus, das Parlament im Herbst wieder einzuberufen und demselben die Landankaufs und die Zehntenbill aufs neue vorzulegen.
Nun erst nahmen die Geschäfte einen schnellern Verlauf. Die 350,000 Pfd. Sterl., welche auf die Ablösung der Schankkonzessionen jährlich hatten verwendet werden sollen, wurden den Grafschaftsbehörden überwiesen, in Irland für Schulzwecke, in England und Schottland zu beliebiger Verwendung. Die Budgetberatung wurde 13. Aug. nach mehreren zwölfstündigen Sitzungen des Unterhauses zu Ende gebracht. Am 18. Aug. wurde die Session des Parlaments geschlossen. Ihr Ertrag war auf dem Gebiet der innern Politik kein sehr erheblicher. Zu stande gekommen waren außer einigen Kolonialgesetzen, unter denen die Verleihung einer Repräsentativ-Verfassung an die Kolonie Westaustralien das Wichtigste war, nur Gesetze von minder erheblicher Bedeutung; darunter mögen ein Gesetz zur Hebung [* 4] des elementaren und höhern technischen Unterrichts, die Gesetze über die Verbesserung der sanitären Verhältnisse Londons und der Wohnungsverhältnisse der arbeitenden Klassen, endlich eine in den letzten Tagen der Session, angesichts der in Aussicht stehenden Mißernte in Irland, zur Vermeidung eines Notstandes daselbst eingebrachte Vorlage über neue Eisenbahnbauten erwähnt werden.
Bei diesem Mangel an Erfolgen auf dem Gebiet der innern Gesetzgebung war es für die Regierung tröstlich, daß sie auf in der That glänzende Ergebnisse ihrer auswärtigen Politik hinweisen konnte; war dort eigne Ungeschicklichkeit und geschickte Taktik der Gegner ihr überall hemmend in den Weg getreten, so hatte hier Lord Salisbury seine großen Fähigkeiten ungestört bewähren können; es war ihm gelungen, bei den Verhandlungen, welche seit langem unter den europäischen Kolonialmächten über die Teilung Afrikas gepflogen wurden, seinem Vaterland durch eine Reihe von Verträgen weitgehende Vorteile zu sichern.
Der erste von diesen Verträgen war derjenige mit Deutschland, [* 5] der nach längern in Berlin [* 6] und London [* 7] geführten Unterhandlungen 17. Juni seinen Grundzügen bekannt und 1. Juli von beiden Mächten unterzeichnet wurde. Er grenzte die Interessensphären der Kontrahenten in Ost- und Südwestafrika sowie im Togogebiet ab und gewährte den Angehörigen beider Mächte in dem ausgedehnten Bereich zwischen dem Nyassa-, dem Tanganjikasee und dem Congostaat volle Verkehrs- und Abgabenfreiheit.
Deutschland überließ an England das Protektorat über das Wituland und über das Sultanat von Sansibar [* 8] mit Ausnahme der zu dem letztern gehörigen, aber von Deutschland auf Grund früherer Verträge okkupierten Festlandsküstenstriche und der Insel Mafia; diese letztern Gebiete sollten vom Sultan von Sansibar gegen eine Geldentschädigung an Deutschland abgetreten werden, wofür England seinen Einfluß beim Sultan einzusetzen versprach. Endlich trat England, einem seit langem gehegten Wunsch des deutschen Kaisers und seines Volkes Rechnung tragend, die Insel Helgoland [* 9] an Deutschland ab. Die Bedeutung dieses Vertrags, der in Großbritannien, [* 10] abgesehen von gewissen ultraradikalen Kreisen, mit allgemeiner Befriedigung aufgenommen wurde, beruhte nicht bloß auf seinen eigentlichen Festsetzungen selbst, sondern auch darauf, daß derselbe aufs neue die guten und freundschaftlichen Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland darthat, was auf die allgemeinen politischen Verhältnisse zurückwirken und der Bewahrung des europäischen Friedens zu statten kommen mußte; ein abermaliger Besuch, den Kaiser Wilhelm II. im Anfang des August in England abstattete, bei welchem er mit dem englischen Hofe aufs herzlichste verkehrte und von der Bevölkerung [* 11] freudigst begrüßt wurde, gab einen weitern Beweis von der Annäherung der beiden blutsverwandten Reiche.
Obwohl die englische Regierung verfassungsmäßig nicht verpflichtet gewesen wäre, das Abkommen mit Deutschland dem Parlament zu unterbreiten, hielt sie es doch für angemessen, wenigstens zu der Abtretung von Helgoland die Zustimmung desselben einzuholen; die bezügliche Bill wurde 15. Juli vom Oberhaus und 29. Juli vom Unterhaus angenommen, nachdem einige Gegenanträge, darunter ein Amendement, zunächst eine Volksabstimmung in Helgoland herbeizuführen, verworfen worden waren. Die feierliche Übergabe der Insel an die deutschen Behörden fand 9. Aug. statt.
Dem Vertrag mit Deutschland folgten Verhandlungen mit Frankreich, welche schon deswegen nötig waren, weil Großbritannien und Frankreich sich durch ein früheres Abkommen verpflichtet hatten, beiderseits die Unabhängigkeit des Sultans von Sansibar zu respektieren. Sie führten zu einem am 5. Aug. abgeschlossenen Vertrag, durch welchen Frankreich seine Zustimmung zu der englischen Schutzherrschaft über Sansibar gab, wogegen England dem französischen Protektorat über die Insel Madagaskar [* 12] nachträglich die bisher versagte Anerkennung zu teil werden ließ. Auch hier wurde gleichzeitig eine Abgrenzung der Interessensphären beider Mächte vorgenommen. Ungeregelt blieb freilich zunächst noch eine andre Differenz zwischen Großbritannien und Frankreich wegen der dem letztern durch den Frieden von Utrecht [* 13] eingeräumten Fischereirechte an der Küste von Neufundland, welche von der Bevölkerung dieser britischen Kolonie auf das lebhafteste bekämpft wurden; die Verhandlungen darüber wurden fortgeführt.
Zwischen Großbritannien und Portugal [* 14] kam der Teilungsvertrag über die afrikanischen Besitzungen, welcher dem erstern sehr bedeutende Vorteile sicherte, 20. Aug. zu stande; allein derselbe rief in Portugal unter der Bevölkerung eine so heftige Opposition hervor, daß das portugiesische Ministerium zurücktreten mußte, und daß auch die nach langer Krisis neugebildete Regierung demselben ihre Ratifikation zunächst noch ¶