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Beobachtungen übereinstimmend gelehrt: dieselben sind zu jeder Jahreszeit, unter jedem Himmelsstrich, in hoch gelegenen Gegenden wie in Niederungen, mitten auf dem Kontinent und auf Schiffen auf hoher See aufgetreten. Dagegen scheinen die Witterungsverhältnisse Einfluß auf das mehr oder weniger häufige Erkranken gewisser Personen zu haben. In dem Bericht über die Grippe-Epidemie im deutschen Heere wird das häufigere Erkranken der Rekruten und des Ausbildungspersonals derselben den Witterungseinflüssen schuld gegeben.
Von den Grippekranken in Köln [* 2] kamen 19,4 Proz. auf das israelitische Krankenhaus, [* 3] 18 Proz. auf die städtische Irrenanstalt, 14 Proz. auf die Gefangenenanstalt, 19 Proz. auf die Straßenbahngesellschaft, 42 Proz. auf die Ärzte, 30,8 Proz. auf die Schulkinder und 4,2-5 Proz. auf die Arbeiter von zwei Fabriken. Alles dieses spricht jedoch mehr für Kontagiosität der Krankheit als für Witterungseinflüsse. Welcher Prozentsatz der Bevölkerung [* 4] ergriffen wurde, ist, solange die Ergebnisse der über die letzte Epidemie ins Werk gesetzten Sammelforschung noch nicht bekannt sind, schwer abzuschätzen; in Köln wurden 70,000 Grippefälle gezählt, was einer Erkrankungsziffer von 20 Proz. der Einwohnerschaft entsprechen würde. Von den deutschen Heeren (einschließlich Marine) sind insgesamt 55,263 Mann an Grippe erkrankt; davon entfallen auf Gardekorps und 1.-15. Armeekorps 45,100 Mann = 105,8 pro Mille der Kopfstärke. Im 1. bayrischen Armeekorps erkrankten 5438 Mann = 208,9 pro Mille, im 2. bayrischen Armeekorps 4248 Mann = 195,2 pro Mille der Kopfstärke.
Über die Zahl der Erkrankungsfälle in den einzelnen Gegenden Deutschlands [* 5] mag diejenige, welche im Heere beobachtet worden ist, ein auch für die bürgerliche Bevölkerung ziemlich richtiges Bild geben, da eine wesentliche Verschiedenheit in den Erkrankungsziffern wohl kaum bemerkbar gewesen sein dürfte und das vom Heere gewonnene statistische Material den Vorzug absoluter Zuverlässigkeit besitzt. Es geht aus der Mortalitätsstatistik die bemerkenswerte Thatsache hervor, daß der Südwesten Deutschlands erheblich mehr durchseucht wurde als alle übrigen Teile des Reiches. Näheres ergibt die der unten citierten offiziellen Schrift entnommene Karte (S. 379), welche die Zahl der Erkrankungen in den einzelnen Armeekorps zur Anschauung bringt.
Die Grippe gilt als ziemlich ungefährliche Krankheit, und sie genoß besonders im Beginn der letzten Epidemie noch diesen Ruf. Betrachtet man nur die reinen Grippeformen, so wird die Krankheit auch jetzt noch als sehr ungefährlich zu bezeichnen sein: von den 55,263 Erkrankten des deutschen Heeres (einschließlich Marine) starben 60 = 0,1 Proz. der Erkrankten. Doch ist hierbei zu bedenken, daß eine relativ hohe Mortalität durch die Mit- und Nachkrankheiten, insbesondere Lungenentzündung, hervorgerufen wurde, sowie daß die Grippe besonders durch Schaffung einer besondern Disposition zu andern schweren Krankheiten gefährlich wurde, und in diesem Sinne läßt sich aus der Einwirkung der Grippe auf die Gesamtsterblichkeit ein besseres Urteil über ihre Gefährlichkeit gewinnen, als wenn die Mortalität der Krankheit für sich allein ins Auge [* 6] gefaßt wird. Die folgende Tabelle gibt die Sterblichkeit, auf Kopf und Jahr berechnet, in den größern Städten Deutschlands nach den Veröffentlichungen des kaiserlichen Gesundheitsamtes vor und während der Grippe-Epidemie (November einerseits und Dezember und Januar anderseits) an.
Sterblichkeit auf 1000 Einwohner.
Ort | im November | in der Woche bis | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
7. Dez. | 14. Dez. | 21. Dez. | 28. Dez. | 4. Jan. | 11. Jan. | ||
Danzig | 20.4 | 27.5 | 27.0 | 47.5 | 61.0 | 52.2 | 34.1 |
Kiel | 25.9 | 21.7 | 33.5 | 42.5 | 69.6 | 36.1 | 39.6 |
Berlin | 18.7 | 20.6 | 27.2 | 32.4 | 37.7 | 32.1 | 26.2 |
Königsberg i. Pr. | 23.9 | 25.3 | 29.2 | 27.2 | 27.2 | 41.1 | 39.2 |
Posen | 25.6 | 29.6 | 22.2 | 33.3 | 32.6 | 46.3 | 44.9 |
Breslau | 23.1 | 24.5 | 27.9 | 24.1 | 24.8 | 28.4 | 26.8 |
Stettin | 27.1 | 32.2 | 30.2 | 34.6 | 35.1 | 46.8 | 42.4 |
Hannover | 18.1 | 21.2 | 20.5 | 21.9 | 25.9 | 38.2 | 35.8 |
Frankfurt a. M. | 15.1 | 22.1 | 16.8 | 19.6 | 27.4 | 41.4 | 39.0 |
Elbing | 29.1 | 28.6 | - | 22.2 | 36.4 | 60.3 | 61.6 |
Magdeburg | 20.4 | 22.5 | 25.2 | 27.2 | 27.8 | - | 53.4 |
Hamburg | 19.7 | 20.6 | 25.1 | 26.9 | 26.9 | 31.6 | 32.1 |
Köln | 18.9 | 24.7 | 23.7 | 24.5 | 29.5 | 51.0 | 52.2 |
Die entsprechenden Verhältnisse im Heere zeigt folgende Tabelle:
Morbidität und Mortalität im 1.-15. Armeekorps in den Monaten November bis März 1888/89 und 1889/90.
Monat und Jahr | Krankenzugang | Es starben | |||
---|---|---|---|---|---|
in Summa | auf Tausend | absolute Zahl | pro Mille Kranke | ||
November | 1888 | 25830 | 64.0 | 53 | 0.14 |
1889 | 26204 | 64.4 | 55 | 0.14 | |
Dezember | 1888 | 22874 | 54.3 | 49 | 0.12 |
1889 | 39651 | 94.0 | 98 | 0.23 | |
Januar | 1889 | 34409 | 81.3 | 64 | 0.15 |
1890 | 69844 | 165.0 | 130 | 0.31 | |
Februar | 1889 | 33517 | 79.2 | 75 | 0.18 |
1890 | 35783 | 84.6 | 94 | 0.23 | |
März | 1889 | 36113 | 85.2 | 93 | 0.22 |
1890 | 34842 | 82.1 | 103 | 0.24 |
Auch hier zeigt sich also in den Grippemonaten ein Anwachsen der Gesamtmortalität auf ungefähr das Doppelte gegen dieselben Monate des Vorjahrs.
Das Krankheitsbild der Grippe ist nichts weniger als charakteristisch; im Gegenteil, es gibt wohl keine Infektionskrankheit, welche durch solche Vielgestaltigkeit der Erscheinungen ausgezeichnet wäre wie sie; so läßt sich eine Beschreibung derselben nur geben, wenn man eine große Menge von Fällen zusammen überblickt. Die Krankheit kann alle Organsysteme befallen, die Keime scheinen in alle eindringen zu können und wählen sich bei jedem Individuum den Ort der geringsten Widerstandsfähigkeit zum Angriffspunkt; es prävalieren gastrische Erscheinungen bei Personen mit früher gestörter Verdauung, nervöse Erscheinungen bei solchen, die ein angestrengtes Leben hinter sich haben oder neurasthenisch sind, die heftigsten Bronchial- und Lungenaffektionen werden beobachtet bei Personen mit ältern Katarrhen und Lungenleiden.
Das Krankheitsbild der Grippe zeigt ferner allerorten auch eine gewisse Lokalfarbe: in Malariagegenden Malaria-Erscheinungen, an Orten mit häufigen Lungenentzündungen zahlreiche Grippe-Lungenentzündungen und an sanitär sehr günstigen Orten besonders milde Grippeformen. Tritt die Grippe im Sommer auf, so herrschen Symptome der Verdauungsorgane vor (besonders Diarrhöen), im Winter treten Erscheinungen von seiten der Atmungsorgane mehr in den Vordergrund. Um unter dieser Vielgestaltigkeit der Erscheinungen das Charakteristische herauszufinden, sei zunächst das Fieber erwähnt. Dasselbe tritt in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle rasch auf und steigt meist schon im Beginn der Krankheit auf seine höchste Höhe: 39-40°. Nach 1,2 oder 3 Tagen tritt meist unter Schweißausbruch plötzliche ¶
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Entfieberung ein, in manchen Fällen erfolgt aber auch allmählicher, sogen. lytischer Abfall. Der Beginn der Krankheit ist meist ein ganz plötzlicher, besonders wurde bei jungen, kräftigen Leuten, z. B. Soldaten, beobachtet, daß sie plötzlich bewußtlos niederstürzten, anscheinend aus vollem Wohlbefinden heraus. Ziemlich allgemein und für Grippe charakteristisch sind die Kopf-, Kreuz- und Muskelschmerzen, ferner Bindehautkatarrh, gerötetes Gesicht, [* 8] dann auch Katarrh der obern Luftwege. Um die mannigfaltigen Erscheinungen etwas zu gruppieren, wurde bei der letzten Epidemie vielfältig eine Trennung von drei Formen, einer katarrhalischen, einer gastrischen und einer nervösen, aufgestellt, womit jedoch nicht gemeint sein sollte, daß nicht diese drei Formen in der mannigfachsten Weise verbunden sein könnten.
Die soeben genannten katarrhalischen Erscheinungen würden dann die ersten Symptome der katarrhalischen Form bilden, zu welchen noch weiter ein auch auf die gröbern und eventuell feinern Bronchien sich erstreckender Katarrh hinzukäme. Der Husten ist dabei verschieden; häufig trocken, ohne Auswurf, krampfartig, manchmal schon von Beginn an mit reichlichem Auswurf; der letztere ist anfänglich meist zäh, glasig, später schaumig, nicht selten etwas mit Blut vermischt, in einzelnen Fällen wurde er sehr reichlich gefunden, bis zu 0,5 Lit. täglich.
Auch Fälle von Mandelentzündung, ferner Atemnot und asthmatische Anfälle wurden zuweilen beobachtet. Diese katarrhalischen Formen waren bei der letzten Epidemie entschieden die häufigsten. Nicht selten besteht neben den genannten katarrhalischen Erscheinungen auch Erbrechen schleimiger Massen, Appetitlosigkeit, in manchen Fällen Verstopfung, in andern Durchfall, ja sogar zuweilen profuser Brechdurchfall. Eine rein nervöse Form wurde bei der letzten Epidemie ziemlich selten beobachtet, am meisten werden dazu diejenigen Fälle der häufigsten katarrhalischen Form zu rechnen sein, bei welchen besonders heftige Erscheinungen von seiten des Nervensystems die Krankheit schwerer gestaltet haben. So zeigten sich häufig die Muskelschmerzen von besonderer Heftigkeit, ebenso Müdigkeit und Gliederschwere; dann Schlaflosigkeit, welche oft noch wochenlang nach Ablauf [* 9] der Krankheit bestehen blieb, in andern Fällen Schlafsucht in bedenklichen Graden, welche auf Hirnreizung schließen ließen, ferner ziemlich häufig sehr heftige Kopfschmerzen, besonders in der Stirn, Ohnmachtsanfälle, Überempfindlichkeit.
Inwieweit diese nervösen Erscheinungen unmittelbar durch die Grippe hervorgerufen werden, oder ob sie mehr zu den durch andre Krankheitsstoffe erzeugten Mit- und Nachkrankheiten zu rechnen sind, läßt sich nicht entscheiden. Milzschwellungen wurden in 10 Proz. der Fälle beobachtet, Hautausschläge in 12,4 Proz. In weitaus den meisten Fällen endigte die Krankheit in Genesung und zwar häufig schon nach wenigen Tagen mit kurzer Rekonvaleszenz. Seltener machte die letztere nur langsame Fortschritte, besonders waren es die nervösen Erscheinungen, welche oft lange Zeit anhielten.
Der Grippe besonders eigentümlich zeigten sich die Mit- und Nachkrankheiten (Komplikationen) der verschiedensten Art. Die wichtigste, weil häufigste und meist sehr gefährliche war in der letzten Epidemie die Lungenentzündung; alte oder durch anderweitige Krankheit geschwächte Individuen erlagen derselben ziemlich häufig; diese Krankheit nimmt während des Verlaufs der Epidemie an Häufigkeit zu und setzt bei den Kranken auf der Höhe der Krankheit oder in der Rekonvaleszenz ein. Unter 34,556 kranken Soldaten der deutschen Armee traten 219 Lungenentzündungen auf (= 0,63 Proz.), unter 439 Grippekranken im Bürgerhospital zu Köln 150 (= 24 Proz.), davon verliefen tödlich 32 (= 30 Proz.). Als Ursache dieser Lungenentzündungen wurden in vielen Fällen sogen. Streptokokken, in andern der Diplococcus pneumoniae (s. Bakterien, S. 85) gefunden.
Selten trat als Komplikation Hirnhautentzündung auf. Ganz vereinzelt kam es auch zu einer Verbindung beider genannter Krankheiten; so entstand der Zustand, über welchen kurz nach der Grippe viel geredet wurde, die Nona. Das Wenige, was hierüber bekannt wurde, ist, daß bei der nachgewiesenermaßen vereinigt aufgetretenen Hirnhaut- und Lungenentzündung eine völlige Apathie der Kranken und eigentümliche Schlafsucht sich gezeigt hat. Die Fälle solcher Nona verliefen meist tödlich.
Von weitern komplizierenden Krankheiten wurden hauptsächlich noch beobachtet Lungentuberkulose, Brustfellentzündung, Herzbeutelentzündung, Herzschlag und Herzlähmung nach überstandener Grippe, ferner Bildung von Blutgerinnseln (Thromben) in den Blutgefäßen; von seiten des Nervensystems außer den schon erwähnten, zum Wesen der Grippe selbst zu rechnenden Zuständen sowie den Hirnhautentzündungen auch Hirnabscesse, Geisteskrankheit. Besonders häufig traten als Nachkrankheit Ohrenleiden, Mittelohreiterungen und Blutungen ins Trommelfell auf; in der Armee wurde diese Erkrankung in 290 Fällen (= 0,52 Proz. aller Grippefälle) beobachtet. Auch Augenerkrankungen kamen infolge von Grippe zur Beobachtung, als Hornhaut-, Regenbogenhaut-, Sehnervenentzündung, Glaukom; die Gesamtzahl der Augenerkrankungen ist aber während und nach der Epidemie nicht gestiegen.
Die Behandlung der Grippe betreffend, ist viel debattiert worden, ob Vorbeugungsmaßregeln nützlich seien oder nicht. Diejenigen, welche auf dem miasmatischen Standpunkt stehen, halten sie für nutzlos, die Kontagionisten haben von denselben Vorteil erwartet. Die Erfahrungen, welche man mit Absperrungs- und Desinfektionsmaßregeln im deutschen Heere an dem großen Beobachtungsmaterial gemacht hat, konnten keinen deutlichen Nutzen dieser Maßregeln erweisen.
Von Ärzten, welche die tropischen Malariafieber aus eigner Beobachtung kennen, wurde auf eine gewisse Ähnlichkeit [* 10] zwischen Grippe und Malaria hingewiesen und in diesem Sinne als prophylaktische Maßregel der tägliche Genuß einer kleinen Menge von Chinin empfohlen, welche am zweckmäßigsten in irgend welchen Spirituosen genommen werde. Beim Bonner Husarenregiment wurde dann in einer Eskadron der Versuch gemacht; jeder Mann erhielt täglich 0,5 g Chinin in 15 g Kornbranntwein.
Leider wurde der Versuch erst begonnen, nachdem schon eine Anzahl der Mannschaften erkrankt war. Während des Versuchs erkrankten bei der ersten Eskadron 22, bei der dritten 19, bei der vierten 42, bei der fünften 32 und bei der zweiten, welche den Chininschnaps bekommen hatte, nur 7 Mann. In andern Fällen freilich war die Wirkung weniger günstig. Von Heilmitteln gegen die hat sich keins gefunden, welches als spezifisches gewirkt hätte; insbesondere hat eben Chinin, welches ja gegen ausgebrochene Malaria sich als spezifisch wirksam erweist, bei Grippe ganz im Stiche gelassen, dagegen haben Antipyrin, Antifebrin und Phenacetin bei den oft sehr heftigen Neuralgien und andern nervösen Beschwerden gute Dienste [* 11] geleistet. Im allgemeinen hat man die Erfahrung gemacht, daß, wo keine Komplikationen bestehen, die rasch verlaufende und im ganzen gutartige Krankheit ohne viel Zuthun vorübergeht, und hat ein energischeres Eingreifen auf die Komplikationen beschränkt. ¶