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Kommunalverbänden zu richten. Das Nähere hat das Statut zu bestimmen. Der Kommissionsbericht erwähnt, daß auch die rheinischen Gewerbegerichte, welche in der preußischen Rheinprovinz [* 2] eingeführt wurden (s. Gewerbegerichte, Bd. 7), nach ihrer ursprünglichen Verfassung die Aufgabe gehabt hätten, den staatlichen Behörden in gewerblichen Angelegenheiten mit Gutachten zu dienen, daß diese Thätigkeit jedoch niemals zu voller Ausbildung gelangt und allmählich völlig eingeschlafen sei.
Eine Thätigkeit der Gewerbegerichte nach dieser Richtung sei aber um so mehr dort erwünscht, wo keine Gewerbekammern beständen. In Ländern, wo (wie in Sachsen, [* 3] Bayern [* 4] etc.) Gewerbekammern bestehen, welche dieselbe Aufgabe haben, könne aber trotzdem eine derartige Bestimmung keine Bedenken erregen, weil der Vorschlag doch nur eine Pflicht der Gewerbegerichte einführen wolle, zu antworten, wenn sie gefragt werden, ohne ihnen ein Recht zu geben, gehört zu werden. Eine Kompetenzstreitigkeit könne also nicht eintreten.
Auch würde es vom allgemeinen Gesichtspunkte aus durchaus erwünscht sein, die Möglichkeit zu haben, in gewerblichen Fragen ein Gutachten zu erhalten, das nicht einseitig von den Arbeitgebern ausgehe, wie das auch dort der Fall sei, wo Gewerbekammern beständen, da in diesen doch nur die Arbeitgeber vertreten seien. Namentlich bei den heutigen vielfachen sozialen Schwierigkeiten würde es von hohem Werte sein, im gegebenen Falle ein Gutachten zu erhalten, das kontradiktorisch zwischen Arbeitgebern und Arbeitern unter der unparteiischen Leitung eines unbeteiligten Dritten festgestellt worden sei.
Der Abschnitt V des Gesetzes (§ 71-75) regelt näher das Verfahren vor dem Gemeindevorsteher, wenn ein zuständiges Gewerbegericht nicht vorhanden ist. Nach § 120a der Gewerbeordnung war die Vorentscheidung der in Rede stehenden gewerblichen Streitigkeiten, soweit besondere Behörden nicht bestanden, obligatorisch; die ordentlichen Gerichte durften sie nicht entscheiden, sofern die Vorentscheidung nicht erfolgt war; dem Beklagten, welcher ohne sie vor das Amtsgericht gezogen wurde, stand die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges zu. Vorschriften über das Verfahren vor der Gemeindebehörde fehlten, ebenso besondere Vorschriften über die Vollstreckbarkeit der Schiedssprüche.
Die Gewerbeordnung hatte diese Materie der Landesgesetzgebung überlassen, und letztere hatte überall versäumt, die Lücke auszufüllen. Die rechtskräftigen Entscheidungen der Gemeindebehörde waren keine Urteile eines ordentlichen Gerichts und nicht als solche vollstreckbar. Es waren administrative Vorentscheidungen, welche den Charakter eines zivilgerichtlichen Erkenntnisses, nicht den einer polizeilichen Anordnung hatten, und auf welche bezüglich ihrer Vollstreckung daher nicht die für die Durchführung polizeilicher Anordnungen gegebenen Bestimmungen, sondern die gesetzlichen Vorschriften über die Exekution in Zivilsachen Anwendung finden sollten.
In der Zivilprozeßordnung fehlten jedoch Bestimmungen, wonach diese rechtskräftigen Entscheidungen der Gemeindebehörden direkt vollstreckbar waren; sie waren jedenfalls nicht Endurteile im Sinne des § 644 der Zivilprozeßordnung. Die sofortige vorläufige Vollstreckbarkeit war zwar den Entscheidungen in Alinea 2 des § 120a beigelegt, doch führte auch diese in der Praxis vielfach zu Schwierigkeiten, da für die Gerichtsvollzieher formelle Vorschriften über die vorläufig vollstreckbaren Ausfertigungen fehlten.
Die praktischen Erfahrungen, welche mit dieser Einrichtung gemacht worden sind, sprachen nicht dafür, sie in der bisherigen Ausdehnung [* 5] beizubehalten. Insbesondere hat der unbedingte Zwang, welchem die Beteiligten in der Richtung unterworfen wurden, vor Angehung eines ordentlichen Gerichts ihren Rechtsstreit der Vorentscheidung einer nicht richterlichen Behörde zu unterwerfen, sich als zu weitgehend erwiesen, und bereits die Vorlage von 1878 beabsichtigte, die obligatorische Anrufung der Gemeindebehörde durch eine neue fakultative Anrufung des Gemeindevorstehers zu ersetzen und sie zugleich auf diejenigen Streitigkeiten zu beschränken, welche, wie die Streitigkeiten über Antritt, Fortsetzung oder Auflösung des Arbeitsverhältnisses sowie über das Arbeitsbuch oder Arbeitszeugnis, der schleunigen Erledigung in besonderem Grade bedürfen.
Diesen Standpunkt nimmt auch das neue Gesetz ein, wobei jedoch im Einklang mit den Vorschriften des Krankenversicherungsgesetzes vom auch die Streitigkeiten über die Berechnung und Anrechnung der von den Arbeitern zu leistenden Krankenkassenbeiträge berücksichtigt sind. Nach den neuen gesetzlichen Bestimmungen kann demgemäß, wenn ein zuständiges Gewerbegericht nicht vorhanden ist, bei Streitigkeiten der in Nr. 1 und 3 der obenerwähnten, den Gewerbegerichten zugewiesenen Rechtsstreitigkeiten jede Partei die vorläufige Entscheidung durch den Gemeindevorsteher nachsuchen.
Den Parteien ist Gelegenheit zu geben, ihre Ausführungen und Beweismittel in einem Termin vorzubringen. Eine Beweisaufnahme durch Ersuchen andrer Behörden findet nicht statt, auch sind Beeidigungen nicht zulässig. Kommt ein Vergleich zu stande, so ist ein Protokoll darüber aufzunehmen und von den Parteien und dem Gemeindevorsteher zu unterschreiben. Die Entscheidung ist schriftlich abzufassen;
sie wird rechtskräftig, wenn nicht binnen 10 Tagen nach der Verkündigung, resp. der Behändigung von einer der Parteien Klage bei dem ordentlichen Gericht erhoben wird;
sie ist von Amts wegen für vorläufig vollstreckbar zu erklären, wenn nicht glaubhaft gemacht wird, daß die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde;
sie kann von einer vorgängigen Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden.
Die Vergleiche und Entscheidungen sind, sofern die Partei es beantragt, auf Ersuchen des Gemeindevorstehers durch die Ortspolizeibehörde nach den Vorschriften über das Verwaltungszwangsverfahren, und wo ein solches nicht besteht, nach den Bestimmungen über die Zwangsvollstreckung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zu vollstrecken. Nur beim Lehrvertragsbruch des Lehrlings (§ 130 der Gewerbeordnung) ist ein unmittelbarer Zwang zur Vornahme einer Handlung zulässig. Diese Geschäfte des Gemeindevorstehers können von demselben mit Genehmigung der höhern Verwaltungsbehörde auch einem Stellvertreter übertragen werden, und die Landeszentralbehörde kann mit ihrer Wahrnehmung an Stelle des Gemeindevorstehers ein zur Vornahme von Sühneverhandlungen über streitige Rechtsangelegenheiten staatlich bestelltes Organ beauftragen.
Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden keine Anwendung auf Gehilfen und Lehrlinge in Apotheken und Handelsgeschäften sowie auf Arbeiter, welche in den unter der Militär- und Marineverwaltung stehenden Betriebsanlagen beschäftigt sind.
Der § 77 hat noch die Errichtung besonderer Gewerbegerichte für Bergwerke, Salinen, Aufbereitungsanstalten und unterirdisch betriebene Brüche und Gruben durch direkte Anordnung der Landeszentralbehörde mit ¶
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primärem Rechte derselben gegenüber der Gemeinde und den weitern Kommunalverbänden vorgesehen und für diese einige abweichende Bestimmungen getroffen. In den Motiven wird ausgeführt, daß die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit die Anwendung des Gesetzes auch auf den Bergbau [* 7] dringend wünschenswert erscheinen ließen. Aber mit Rücksicht auf die Eigentümlichkeiten des Bergbaues und auf das öffentliche Interesse an einer zweckmäßigen Einrichtung der Gewerbegerichte für diesen wichtigen Industriezweig seien einige Abweichungen von den allgemeinen Bestimmungen geboten.
Insbesondere würde hier die Errichtung der Gewerbegerichte durch Ortsstatut nicht zweckmäßig sein. Die Gemeinden standen den Bergbauverhältnissen im allgemeinen nicht so nahe, wie den Gewerbeverhältnissen im übrigen. Deshalb besteht meist und namentlich in Preußen [* 8] schon neben der Ortspolizei eine besondere Bergpolizei und eine mit den Bezirken der Gemeinden der weitern Gemeindeverbände und der allgemeinen politischen Verwaltung sich nicht deckende Verwaltungseinteilung.
Außerdem handelt es sich beim Bergbau um Unternehmungen, welche vielfach nicht auf das Gebiet einer einzelnen Gemeinde beschränkt sind. Sollen die Gewerbegerichte für den Bergbau ihrem Zwecke entsprechen, so müßten sie als für diesen ausschließlich zuständige errichtet und örtlich an die für die Bergverwaltung im allgemeinen bestehende Bezirkseinteilung angeschlossen werden. Eine zweckmäßige Einteilung der Gewerbegerichtsbezirke werde demnach nicht von lokalen Instanzen, sondern nur von der Landeszentralbehörde nach einem einheitlichen Plane getroffen werden können.
Demgemäß ist dieser die Errichtung der Gewerbegerichte unbedingt überlassen, aber durch den Wortlaut des Gesetzes ist eine Gemeinde nicht gehindert, für ihren Bezirk ein Gewerbegericht für den Bergbau einzurichten, sofern die Landesbehörde damit zögert. Wenn aber diese später ein Gewerbegericht errichtet, so hört damit die Zuständigkeit des gemeindlichen Gerichts auf. Bei diesen vom Staate errichteten Gewerbegerichten hat der Staat die Kosten der Gewerbegerichte zu tragen und werden der Vorsitzende und dessen Stellvertreter von der Landeszentralbehörde ernannt.
Die Zuständigkeit der Innungen zur Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und ihren Lehrlingen sowie die Zuständigkeit der Innungsschiedsgerichte erleiden durch das Gesetz keine Einschränkung. Durch die Zuständigkeit einer Innung oder eines Innungsschiedsgerichts wird aber die Zuständigkeit eines für den Bezirk der Innung bestehenden oder später errichteten Gewerbegerichts ausgeschlossen.
Vgl. K. Bachem, Reichsgesetz, betreffend die Gewerbegerichte (Köln [* 9] 1890);
Schier, Das Reichsgesetz, betreffend die Gewerbegerichte, mit Kommentar (Kassel [* 10] 1890 ff.);
W. Stieda, Das Gewerbegericht (Leipz. 1890);
F. Schmid, Wirksamkeit der Gewerkgerichte etc. (1889).