Wie in der
Arbeiterversicherung ist das
Deutsche Reich
[* 5] auch mit diesem
Gesetz in der legislatorischen
Lösung
einer wichtigen sozialpolitischen
Frage den übrigen Kulturstaaten vorangeschritten. Das
Gesetz entspricht den
Forderungen,
die für die
Lösung dieser
Frage von der
Wissenschaft seit
Jahren gestellt waren (s. Gewerbegerichte, Bd.
7, S. 288). Die Gewerbegerichte sind besondere
Gerichte zurEntscheidung von Rechtsstreitigkeiten zwischen gewerblichen
Arbeitgebern und ihren Arbeitern aus dem abgeschlossenen Arbeitsvertrag.
Sie sind nicht freiwillige
Schiedsgerichte, sondern gesetzlich organisierte
Gerichte, welche als die ordentlichen
Gerichte für
diese Streitigkeiten bestehen
und sie selbständig zu entscheiden haben. Bei richtiger
Zusammensetzung bestehen sie aus einem
Kollegium einer gleichen Zahl von Arbeitgebern und Arbeitern unter dem Vorsitz einer
Person, die weder
Arbeitgeber noch
Arbeiter ist. Die
Notwendigkeit solcher
Gerichte ergibt sich aus folgenden Erwägungen.
Zunächst ist für die gewerbliche
Gerichtsbarkeit ein Hauptpunkt, daß bei einem
Rechtsstreit zuerst ein friedlicher
Ausgleich
der
Parteien versucht wird. Erfahrungsgemäß ist dieser in den meisten
Fällen von Erfolg, wenn das
Organ,
welches den
Ausgleich zu vermitteln sucht, mit den realen Verhältnissen des praktischen
Lebens, aus denen solche Streitigkeiten
entstehen, vertraut ist, einen sachgemäßen
Ausgleich vorschlagen kann und das Vertrauen der streitenden Teile genießt.
Um daher den friedlichen
Ausgleich möglichst oft zu erzielen, müssen bei dem betreffenden
Organ diese
Voraussetzungen vorhanden sein.
Außerdem muß man an die Art dieser Rechtsprechung aus sozialpolitischen
Gründen die Anforderungen stellen, daß die Rechtsprechung
nach dem freien Ermessen der
Richter erfolge und namentlich auch Rücksichten der
Billigkeit und der
Humanität mit maßgebend
sein dürfen, daß die
Richter durch ihre Lebensstellung mit den realen Verhältnissen des gewerblichen
Lebens bekannt sind, die
Garantie für objektive, sachgemäße
Entscheidung bieten und in dieser Hinsicht das Vertrauen der
Streitenden haben, daß das Prozeßverfahren ein einfaches sei, die
Entscheidung und die
Zwangsvollstreckung des
Urteils möglichst
schnell erfolge, die
Kosten des gerichtlichen
Verfahrens aber geringe seien. Die Bedeutung dieser Gewerbegerichte liegt
darin, daß sie nicht nur eine bessere Rechtsprechung ermöglichen, sondern auch den sozialen
Frieden fördern.
Gewerbegerichte
dieser Art existierten bisher nur verhältnismäßig wenige in
Deutschland.
[* 6] Die bisherige
Gesetzgebung war nicht genügend,
diese wichtige sozialpolitische
Institution sich in erwünschter
Weise entwickeln zu lassen. Die
Gewerbeordnung von 1869 verwies
in § 120a die Streitigkeiten der selbständigen Gewerbtreibenden mit ihren Arbeitern, die auf den Antritt,
die Fortsetzung oder Aufhebung des Arbeitsverhältnisses, auf die gegenseitigen Leistungen aus demselben, auf die Erteilung
oder den
Inhalt der
Arbeitsbücher oder Zeugnisse sich beziehen, soweit für diese Angelegenheiten nicht besondere Behörden
bestehen, auf die
Entscheidung der Gemeindebehörde, ließ jedoch zu, daß statt dessen durch
OrtsstatutSchiedsgerichte, welche durch die Gemeindebehörde unter gleichmäßiger Zuziehung von Arbeitgebern und Arbeitern zu
bilden waren, mit der
Entscheidung betraut werden konnten.
Aber die statutarische Errichtung von gewerblichen
Schiedsgerichten erreichte nur einen sehr geringen
Umfang. Im ganzen existierten
Ende 1889 nur 74 (1874 nur 57, und zwar 51 in
Preußen,
[* 7] 6 in andern
Staaten, trotzdem in
Preußen das
Ministerium
in den
Jahren 1870 und 1871 den Gemeindebehörden die Errichtung warm empfohlen hatte). Die in neuerer Zeit hervorgetretene
größere Bereitwilligkeit der beteiligten
Kreise,
[* 8] die Einsetzung gewerblicher
Schiedsgerichte zu fordern, ließ das Unzureichende
der gesetzlichen Bestimmungen deutlich hervortreten.
Der Mangel lag hauptsächlich darin, daß die
Gewerbeordnung es sowohl an jeder nähern Ausführung des
Prinzips über die
Zusammensetzung der
Schiedsgerichte, als auch an allen Bestimmungen über die prozessualen Befugnisse der
Gerichte, über das
Verfahren vor denselben und über die Rechtswirkung ihrer
Entscheidungen fehlen ließ. Die hieraus sich
ergebende Unsicherheit erschwerte einerseits die Ausbreitung der
Institution und bewirkte anderseits bei den entstandenen
Schiedsgerichten eine das
Maß des Erwünschten übersteigende Verschiedenheit der Einrichtungen.
Das
Bedürfnis nach einer Ergänzung und Verbesserung der gesetzlichen Bestimmungen wurde schon im Anfang der 70er Jahre
anerkannt. Bereits in den
Jahren 1873 und 1874 und nochmals im Jahre 1878 wurden dem
Reichstag von den
BundesregierungenGesetzentwürfe, betreffend die Errichtung von
Gewerbegerichten, vorgelegt, aber es kam zu keiner Verständigung
zwischen
Regierungen und
Reichstag.
Auch der
Versuch, bei der Neuregelung des Innungsrechts Gewerbegerichte durch
Innungen ins
Leben zu rufen, war von geringem Erfolg. Das Innungsgesetz
vom hatte den neu zu bildenden
Innungen in § 97 die
Ausgabe gestellt, Streitigkeiten der in
§ 120a der
Gewerbeordnung bezeichneten Art (s.
oben) zwischen den Innungsmitgliedern und ihren
Lehrlingen an
Stelle der Gemeindebehörde
zu entscheiden, und in § 97a die Befugnis erteilt,
Schiedsgerichte zu errichten, welche berufen sind,
Streitigkeiten der in § 120a bezeichneten Art zwischen den Innungsmitgliedern und deren
Gesellen an
Stelle der sonst zuständigen
Behörden zu entscheiden, der § 100d bestimmte bezüglich dieser
Schiedsgerichte: dieselben müssen mindestens aus einem
Vorsitzenden und zwei
Beisitzern bestehen. Die
Beisitzer müssen zur Hälfte aus den Innungsmitgliedern, zur Hälfte aus deren
Gesellen entnommen sein. Die erstern sind von der Innungsversammlung oder einer andern Vertretung der Innungsmitglieder,
die letztern von den
Gesellen der
Innung oder einer Vertretung derselben zu wählen. Der Vorsitzende wird von der Aufsichtsbehörde
¶
Inzwischen hatte auch das Gerichtsverfassungsgesetz vom in § 14 Nr. 4 der
Landesgesetzgebung die Möglichkeit offen gehalten, ihrerseits mit der Errichtung von Gewerbegerichten vorzugehen. Einige
Staaten benutzten diese Vollmacht. Am wichtigsten ist das ausführliche elsaß-lothringische Gesetz vom
welches die fünf aus der französischen Zeit übernommenen (in Straßburg,
[* 10] Mühlhausen,
[* 11] Thann, Markirch
[* 12] und Metz)
[* 13] in glücklicher
Weise reformierte. Im KönigreichSachsen
[* 14] wurden durch Gesetz vom fünf Bergschiedsgerichte geschaffen. Hamburg
[* 15] hatte
schon durch Gesetz vom ein allgemeines Gewerbegericht eingeführt. Bremen
[* 16] gab sich ein solches
durch Gesetze vom und vom
Im Reichstag trat seit der Mitte der 80er Jahre eine sehr entschiedene Strömung zu gunsten der Gewerbegerichte hervor.
Im März 1886 wurde die Frage der Gewerbegerichte eingehend behandelt und die Resolution von Dr. Lieber angenommen:
Den HerrnReichskanzler zu ersuchen, dem Reichstag den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die obligatorische Einführung von Gewerbegerichten,
mit der Maßgabe baldthunlichst vorzulegen, daß die Beisitzer derselben zu gleichen Teilen von den Arbeitgebern und den Arbeitern
in getrennten Wahlkörpern und in unmittelbarer, gleicher und geheimer Abstimmung gewählt werden. Im
Januar 1888 wurde von den Abgeordneten Baumbach, Hitze und Schrader die Vorlage eines neuen Gesetzentwurfs verlangt, wurde
die Resolution von 1886 wiederholt.
Am legte der Reichskanzler von Caprivi den vom Bundesrat beschlossenen Gesetzentwurf vor, welcher an die frühern
Regierungsentwürfe anknüpfte, aber in vielen Beziehungen den im Reichstag ausgesprochenen Wünschen Rechnung zu tragen suchte.
Schon9. Mai erfolgte die erste Lesung und Überweisung an eine Kommission von 21 Mitgliedern. Die Kommission erstattete nach zahlreichen
Sitzungen, in denen nicht weniger als einige 60 gedruckte und über 46 handschriftliche Abänderungsanträge eingebracht
wurden, 9. Juni den Bericht.
Die wichtigsten Änderungen des Entwurfes durch die Kommission waren folgende: Bezüglich der Wahl der Beisitzer wurde die Bestimmung
hinzugefügt, daß die Wahl direkt und geheim sein soll, die Bestätigung des Vorsitzenden durch die höhere Verwaltungsbehörde
wurde ausgeschlossen bei Staats- oder Gemeindebeamten, welche ihr Amt kraft staatlicher Ernennung oder Bestätigung
verwalten;
die Entschädigung für Reisekosten und Zeitversäumnis der Beisitzer wurde obligatorisch gemacht;
das Verfahren
wurde in vielen Beziehungen noch weiter vereinfacht, das Versäumnisverfahren gänzlich umgestaltet, so
daß die harten Versäumnisfolgen
des ordentlichen Zivilprozesses ausgeschlossen sind;
die Aufgabe des Gewerbegerichts, in erster Linie auf die Herbeiführung
eines Vergleichs hinzuwirken, wurde stärker betont und obligatorisch gemacht;
die Vertretung durch Rechtsanwalte
oder Personen, welche das Verhandeln vor Gericht geschäftsmäßig betreiben, und die Berufung bei Streitgegenständen von 100 Mk.
und weniger wurden ausgeschlossen;
die Gerichtsbarkeit der Gewerbegerichte wurde auch auf die Arbeiter der Reichs- und Staatsdruckereien,
der staatlichen Münzanstalten und Eisenbahnverwaltungen ausgedehnt etc. Der so umgestaltete Entwurf wurde
in zweiter (17.-24. Juni) und dritter (28. Juni)Lesung vom Reichstag in der Hauptsache angenommen und nur noch unwesentlich abgeändert.
Der Bundesrat stimmte den Abänderungen zu, das Gesetz wurde ausgefertigt.
Die wesentlichsten Bestimmungen des Gesetzes sind folgende. Der Grundgedanke ist, in erster Linie den Gemeinden
die Einsetzung der Gewerbegerichte zu überlassen und deren Eingliederung in den Gemeindeorganismus unter Berücksichtigung
der örtlichen Einrichtungen und Bedürfnisse zu ermöglichen. Man ging davon aus, daß nicht überall das Bedürfnis noch
die Voraussetzungen der praktischen Durchführbarkeit von Gewerbegerichten vorhanden seien und deshalb auch die
Einführung der Gewerbegerichte nicht obligatorisch gemacht werden dürfe, und daß die Gemeinden in der Regel am besten beurteilen könnten,
ob nach den gewerblichen Verhältnissen ihres Bezirks das Bedürfnis und die Voraussetzungen für die ersprießliche Wirksamkeit
eines solchen Sondergerichts vorliegen. Aber man überließ den Gemeinden nicht ausschließlich die Errichtung der Gewerbegerichte, man
statuierte unter besondern Umständen auch den Zwang zur Einsetzung von Gewerbegerichten gegenüber den beteiligten Gemeinden.
Die Gewerbegerichte sollen gewerbliche Streitigkeiten zwischen Arbeitern einerseits und ihren Arbeitgebern anderseits
sowie zwischen Arbeitern desselben Arbeitgebers entscheiden. Als Arbeiter im Sinne des Gesetzes gelten Gesellen, Gehilfen, Fabrikarbeiter
und Lehrlinge, auf welche Titel VII der Gewerbeordnung Anwendung findet, ebenso Betriebsbeamte, Werkmeister
und mit höhern technischen Dienstleistungen betraute Angestellte, deren Jahresverdienst an Lohn oder Gehalt 2000 Mk. nicht
übersteigt.
Die Errichtung erfolgt für den Bezirk einer Gemeinde durch Ortsstatut nach Maßgabe des § 142 der Gewerbeordnung mit Genehmigung
der höhern Verwaltungsbehörde. Mehrere Gemeinden können sich durch übereinstimmende Ortsstatuten zur
Errichtung eines gemeinsamen Gewerbegerichts für ihre Bezirke vereinigen. Auch kann ein Gewerbegericht für den Bezirk eines
weitern Kommunalverbandes errichtet werden. Die Errichtung eines Gewerbegerichts kann aber auch auf Antrag beteiligter Arbeitgeber
oder Arbeiter durch Anordnung der Landeszentralbehörde erfolgen, wenn ungeachtet einer von ihr an die beteiligten
Gemeinden oder den weitern Kommunalverband ergangenen Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist die Errichtung nicht erfolgt
ist. In allen Fällen sind vor der Errichtung sowohl Arbeitgeber als Arbeiter der hauptsächlichen Gewerbezweige und Fabrikbetriebe
in entsprechender Anzahl zu hören.
Die Gewerbegerichte sind ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zuständig für Streitigkeiten:
1) über den Antritt, die Fortsetzung oder die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sowie über die Aushändigung oder den
Inhalt des Arbeitsbuches oder Zeugnisses;
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