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Form eines Aufgeldes auf die Aktien erhoben, und das führte dazu, daß 30 Proz. und mehr Aufgeld gezahlt wurde und sich dasselbe in den meisten Fällen sofort weiter erhöhte. Diese Bewegung war nicht das Werk von Fachspekulanten, sondern des Publikums, welches durch Kursgewinn Reichtümer erwerben wollte und erworben hätte, wenn es mit dem erzielten Gewinn sich befriedigt erklärt und, wie man an der Börse sagt, »herausgegangen wäre«; aber statt dessen war jeder neue Erfolg nur eine Anregung für eine Ausdehnung [* 2] der Engagements, bis sich endlich eine Reaktion entwickelte.
Die spekulative Beteiligung des Publikums ging von Brauerei- und ähnlichen Aktien auf Bergwerkspapiere über. Der Mangel an spekulativer Teilnahme für andre Industriepapiere wurde durch Täuschungen in der Dividendenfestsetzung einiger industrieller Gesellschaften verschärft, während sich die spekulative Teilnahme für Bergwerkspapiere steigerte, weil der Markt für Montanerzeugnisse in eine steigende Preisbewegung trat und diese eine Auffassung der Verhältnisse hervorrief, welche nur den günstigen Erscheinungen Rechnung trug und jedes ungünstige Moment einfach von der Tagesordnung absetzte. Im Mai kam die Arbeiterfrage in Fluß.
Arbeiterausstände in den Kohlenrevieren, besonders in Rheinland-Westfalen, veranlaßten eine Verminderung der Förderung über die Ausstandszeit hinaus, weil die Überschichten in Wegfall kamen und die Betriebsunterbrechungen Störungen verursacht hatten. Die Kohlenpreise stiegen, weil sich auch der Bedarf zu nicht kleinem Teile infolge der großen Arbeiten für Rüstungszwecke erweitert hatte. Die Steigerung der Kohlenpreise und des Arbeitslohnes beeinflußte auch die Bewegung in andern Bergwerksartikeln, besonders des Eisens, und so entwickelte sich eine allgemeine Preisbewegung, welche von den zum Abschluß gekommenen Konventionen und errichteten Verkaufssyndikaten zu einer Preisfixierung benutzt wurde, welche eine Reaktion veranlassen mußte. Diese Reaktion trat im J. 1890 sehr scharf in die Erscheinung und übertrug sich auf die Preise aller Rohmaterialien und Kurse, nur mit dem Unterschied, daß im Januar, Februar und März die Kurse fielen, während die Eisen- und Kohlenpreise noch stiegen. Letztere gingen dann aber ebenfalls scharf zurück.
Unter dieser Gestaltung der Verhältnisse hatte besonders der deutsche Ausfuhrhandel zu leiden. Die Einfuhr fremder Erzeugnisse ist trotz der Schutzzölle gestiegen, die Ausfuhr gefallen. Die stattgehabte Bewegung ist aus folgenden Zahlen erkennbar. Es war in Tonnen für
Roheisen | Brucheisen | Eisen- u. Stahl-Fabrikate | ||||
---|---|---|---|---|---|---|
Einfuhr | Ausfuhr | Einfuhr | Ausfuhr | Einfuhr | Ausfuhr | |
1889 | 339264 | 156435 | 15059 | 35284 | 69757 | 817524 |
1888 | 216958 | 144251 | 7623 | 28439 | 47270 | 879999 |
1887 | 157102 | 212293 | 6634 | 60548 | 54148 | 989466 |
Ähnliche Verhältnisse entwickelten sich im Kohlen- und Koksverkehr. Es betrug in Tonnen an
Steinkohlen | Koks | Braunkohlen | ||||
---|---|---|---|---|---|---|
Einfuhr | Ausfuhr | Einfuhr | Ausfuhr | Einfuhr | Ausfuhr | |
1889 | 4573209 | 8860247 | 387394 | 814613 | 5650966 | - |
1888 | 5252409 | 9459769 | 268635 | 917684 | 5211667 | - |
1887 | 2674739 | 8781377 | 236798 | 724763 | 4424327 | - |
Mit dem Plus der Einfuhr und dem Minus der Ausfuhr ist eine Steigerung der Produktion Hand [* 3] in Hand gegangen, dieselbe betrug in Tonnen:
1889 | 1888 | 1887 | |
---|---|---|---|
An Steinkohlen | 67311337 | 65386120 | 60333984 |
- Braunkohlen | 17551411 | 16487728 | 15883694 |
- Roheisen | 4524759 | 4337121 | 3954413 |
Der Hauptgrund der sich entwickelnden Reaktion lag in der Identifizierung der Worte Verbrauch und Absatz. Die statistischen Aufzeichnungen haben allerdings niemals das Wort Verbrauch in Anwendung gebracht, aber der Spekulation entsprach diese Praxis nicht; sie adoptierte das Wort Verbrauch und fand, daß dieser die Produktion decke. Aber das war eine Täuschung, welche besonders in der ersten Hälfte des Jahres 1890 in dem stärkern Angebot seitens der Händler unter Kartellpreisen zum Ausdruck kam.
An der Börse entwickelte sich, nachdem die Kurse fast das ganze zweite Halbjahr 1889 gestiegen waren, die Reaktion infolge der Gestaltung der Verhältnisse am Geldmarkt, welche die leichten Hände zur Liquidation ihrer Engagements zwangen und einen Kursdruck veranlaßten, der aus folgender Aufstellung hervorgeht. Dieser Kursdruck mußte sich am stärksten für Bergwerksaktien geltend machen, weil auf diesem Gebiete die größte Anspannung der spekulativen Kräfte stattgefunden hatte und hier jede Arbitrage fehlte. Mit derselben fehlt auch das besonders im internationalen Verkehr arbeitende Sicherheitsventil, d. h. der Abzug, bez. der Bezug von Material, wenn dasselbe zu stark vorhanden ist, bez. fehlt. Es notierten:
1889 | Diskonto-Kommandit-Gesellschaft | Deutsche Bank | Darmstädter Bank | Berliner Handelsgesellschaft |
---|---|---|---|---|
Höchster Kurs | 254.90 | 177.90 | 182.75 | 207.75 |
Niedrigster Kurs | 224.60 | 166.90 | 161.30 | 166.40 |
31. März 1890 | 230.25 | 166.80 | 163.25 | 166.50 |
30. Juni 1890 | 222.90 | 168.00 | 158.50 | 168.90 |
.
1889 | Dresdener Bank | Nationalbank für Deutschland | Internationale Bank |
---|---|---|---|
Höchster Kurs | 192.60 | 155 | 135 |
Niedrigster Kurs | 146 | 128.75 | 119.10 |
31. März 1890 | 155.10 | 124.00 | 114.00 |
30. Juni 1890 | 157.50 | 135.25 | 118.80 |
.
1889 | Harpener | Hibernia | Gelsenkirchen | Laurahütte | Dortmunder Union |
---|---|---|---|---|---|
Höchster Kurs | 327.70 | 245.30 | 228 | 189.25 | 142.90 |
Niedrigster Kurs | 128.60 | 137 | 139.75 | 126.75 | 82 |
31. März 1890 | 203.50 | 176.60 | 166.10 | 138.50 | 88.75 |
30. Juni 1890 | 196.10 | 166.50 | 165.50 | 145 | 89.10 |
Von dem durch den Wert des Bezugs neuer Aktien entstandenen Kursdifferenzen haben wir bei dieser Aufstellung abgesehen.
Die veränderte Gestaltung der Geldverhältnisse war eine Folge des gesteigerten Bedarfs der Industrie, welcher besonders in der Erweiterung der Unternehmungen durch den Erwerb von Zechen und dem herrschenden Gründungsfieber zum Ausdruck kam. Auch andre Gründe haben mitgewirkt. So wurde durch Suspension der Ankäufe von Diskonten in den Provinzen seitens der Reichsbank das Angebot derselben am offenen Markte gesteigert. Die großen finanziellen Operationen, welche stattfanden, haben ebenfalls die Kräfte der Banken in Anspruch genommen. Auch sind wohl fremde Guthaben, welche in Deutschland [* 4] standen, besonders seitens der russischen Regierung, zurückgezogen worden. Zuerst (im April) sprach sich der gesteigerte Geldbedarf in der Vermehrung der Anlage von Wechseln und Lombarddarlehen bei der Reichsbank aus. Es waren durchschnittlich bei letzterer angelegt: ¶
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Wechsel | Lombarddarlehen | |||
---|---|---|---|---|
in Tausenden Mark | ||||
1889 | 1888 | 1889 | 1888 | |
Januar | 465429 | 503279 | 54932 | 57110 |
April | 462598 | 434460 | 55521 | 50980 |
August | 538586 | 384448 | 64095 | 42412 |
September | 591990 | 418145 | 81803 | 53838 |
Dezember | 538673 | 467443 | 115425 | 59372 |
Die Reserve steuerfreier Noten betrug durchschnittlich in 1889: 193,627,000, in 1888: 275,001,000 Mk. Am überstieg der Notenumlauf die steuerfreie Grenze um 109,473,000 Mk., während in 1888 noch 66,143,000 Mk. steuerfreie Reserve vorhanden war. Der Bankdiskonto wechselte im J. 1889 fünfmal zwischen 3 und 5 Proz. und betrug durchschnittlich 3,676 Proz. gegen 3,324 Proz. in 1888. Am offenen Markte wechselte der Diskontosatz zwischen 1,521 und 4,776 Proz. gegen 1,409 und 3,505 Proz. im J. 1888. Der durchschnittliche Satz betrug in 1889: 2,629, 1888: 2,056 und 1887: 2,304 Proz., im Dezember 1889: 4,776 Proz., 1888: 3,505 und 1887: 2,418 Proz.
In der nachstehenden Aufstellung zeigt sich die Geldbewegung des ganzen Jahres sehr deutlich. Es stellte sich am offenen Markte der durchschnittliche Diskontosatz wie folgt:
1889 Prozente | 1888 Prozente | |
---|---|---|
Januar | 2,158 | 1,678 |
Februar | 1,521 | 1,501 |
März | 1,770 | 1,829 |
April | 1,573 | 1,543 |
Mai | 1,570 | 1,555 |
Juni | 2,265 | 1,753 |
Juli | 1,768 | 1,409 |
August | 2,157 | 1,671 |
September | 3,151 | 1,830 |
Oktober | 4,185 | 3,250 |
November | 4,702 | 3,159 |
Dezember | 4,776 | 3,505 |
im ganzen Jahre | 2,629 | 2,408 |
Im ersten Semester des Jahres 1890 berechnet sich der durchschnittliche Diskontosatz auf 3,366 Proz. Auf dem Kapitalmarkt hat sich eine bemerkenswerte Veränderung der Verhältnisse vollzogen. Die fremden Anleihen haben den deutschen Anleihen in der Kursentwickelung den Rang abgelaufen. Die Kursbewegung war folgende:
1889 | deutsche Reichsanleihe | preußische Konsols | ||
---|---|---|---|---|
4 Proz. | 3½ Proz. | 4 Proz. | 3½ Proz. | |
Höchster Kurs | 109.60 | 104.40 | 109.10 | 105.80 |
Niedrigster Kurs | 106.60 | 101.70 | 105.00 | 102.10 |
Schlußkurs | 107.40 | 103.10 | 106.00 | 104.45 |
1890 31. März | 106.00 | 101.00 | 106.00 | 101.40 |
30. Juni | 107.40 | 100.50 | 106.50 | 100.70 |
.
1889 | 4proz. Ägypter | Italien. Rente | 6proz. Mexikaner | Österr. Goldrente | Ungar. Goldrente |
---|---|---|---|---|---|
Höchster Kurs | 95.00 | 97.90 | 99.50 | 95.00 | 89.20 |
Niedrigster Kurs | 84.00 | 91.90 | 92.70 | 93.60 | 84.80 |
Schlußkurs | 94.20 | 93.80 | 95.90 | 93.75 | 87.10 |
1890 31. März | 94.10 | 91.80 | 95.20 | 94.10 | 86.50 |
30. Juni | 97.50 | 94.30 | 98.00 | 95.00 | 89.90 |
Diese Aufstellung bedarf kaum eines Kommentars. Die Kurse fremder Anleihen haben allermeist das höchste Niveau des Jahres 1889 überschritten, während die Kurse der deutschen Reichsanleihe und Konsols, besonders 3½proz., erheblich unter den höchsten Kurs gegangen sind. Die Bewegung des Kapitalpreises spricht sich weit mehr in den Kursen der Reichsanleihen und Konsols als in denjenigen fremder Anleihen aus. Daß der Kapitalpreis im J. 1889 gestiegen ist, bekundet die matte Haltung fast aller 3½proz.
Anleihen und die Thatsache, daß dieselben nur schwer und sehr langsam verkäuflich sind. Die Kurse der fremden Anleihen standen unter dem Einfluß von Konvertierungen, welche sich nicht mehr an die Bewegungen des Kapitalpreises anschließen, sondern Finanzoperationen geworden sind, deren Erfolg in der Schwierigkeit liegt, die Gläubiger zu einer gemeinsamen Opposition zu veranlassen. Auch fehlt für größere Summen, und um solche handelt es sich, der Ersatz von besser verzinslichen Papieren. Diese Gestaltung der Verhältnisse findet darin eine Stütze, daß 3½ Proz. der in Deutschland vertretenen großen Zahl kleinerer Kapitalisten nicht genügen und auf Kosten der Sicherheit ein wesentlicher Teil des Kapitals Veranlagung in fremden Anleihen vorzieht.
Weiter mußte der bedeutend günstigern Gestaltung der finanziellen Verhältnisse verschiedener Staaten, besonders Rußlands, Erwähnung gethan werden. Dieselbe wurde allerdings durch Konvertierungen älterer Anleihen und eine dadurch veranlaßte Entlastung bewirkt; es sind aber auch die Steuerkräfte ganz bedeutend in Anspruch genommen worden. Das große Publikum sieht nur die Thatsache, ohne die Ursache zu untersuchen. Diese Thatsache wurde durch die bedeutende Kurssteigerung der fremden Anleihen gegenüber dem Rückgang der deutschen Anleihen verschärft, und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der deutsche Kapitalbesitz in Wertpapieren durch die Aufnahme fremder Anleihen im J. 1889 bedeutend gestiegen ist.
Im J. 1890 sind in Wirkung dieser Erscheinungen die Kurse der deutschen Reichsanleihen und preußischen Konsols unter Pari gegangen. Einem Konsortium der angesehensten Banken und Firmen, an welchem auch die Reichsbank und die Königliche [* 6] Seehandlungs-Societät beteiligt waren, war es in einem Zeitraum von einem halben Jahre nicht möglich, 120 Mill. Mk. 3½proz. Reichsanleihen und 50 Mill. Mk. 3½proz. preußischer Konsols unterzubringen.
Ein bedeutender Teil 3½proz. Konsols kam allerdings im Austausch gegen Prioritäten verstaatlichter Bahnen zur Ausgabe; aber die Voraussetzung ist gerechtfertigt, daß ein Teil dieser Konsols zum Zwecke des Tausches gegen fremde Anleihen verkauft worden ist. Jedenfalls ist die sich widersprechende Kursrichtung fremder und deutscher Anleihen ein bemerkenswertes Symptom der neuesten Zeit, in welcher die Höhe des Zinsertrags bei der Wahl der Anlagepapiere eine größere Rolle als die Sicherheit spielt. Diese Kursbewegung ist ferner ein bemerkenswertes Symptom, weil sie mit der in neuester Zeit vielfach behandelten Frage im Zusammenhang steht, wohin die fortdauernde Belastung der Völker für Rüstungszwecke führen soll.
Der Wechselmarkt stand mit den Bewegungen des Geldmarktes im engsten Zusammenhang. Berlin [* 7] war jahrelang der billigste, im J. 1889 wurde er der teuerste Geldmarkt. Teures Geld wirkt drückend auf die Wechselkurse. Auch wurde der Wechselmarkt sehr stark durch die großen finanziellen Operationen beeinflußt. Rußland hat den Schwerpunkt [* 8] derselben von Berlin nach Paris [* 9] verlegt; aber der Berliner [* 10] Wechselmarkt stand doch unter dem Einfluß auch der großen russischen Konvertierungen. Die ¶