Ziemssen,
Immermann u. a. auf der andern Seite. Die erstern wollen den Fieberkranken nur abwartend
behandelt wissen, erwarten insbesondere von der Bekämpfung des
Fiebers keinen Vorteil, da sie nicht dieses, sondern die stattgehabte
Infektion allein als das Gefahrbringende ansehen. Sie erwarten nur von der Anwendung spezifischer
Mittel, welche die in den
Körper eingedrungenen Infektionsstoffe unschädlich zu machen vermögen, eine günstige
Wirkung und sind der
Ansicht, daß,
wo solche
Mittel nicht existieren, nicht mehr geschehen könne, als die Kranken zweckmäßig hygienisch-diätetisch zu verpflegen.
Von manchen wird auch dem Fieber unmittelbare Heilwirkung in der
Weise zugeschrieben, daß es die
Bakterien vernichte oder doch
schädige.
Liebermeister dagegen sieht, ohne die
Wirkung der spezifischen Giftstoffe abzuleugnen, in hohem und besonders in
anhaltendem Fieber die Hauptgefahr für das
Leben des Erkrankten und ist deshalb bestrebt, dieses energisch zu bekämpfen und
zwar in erster
Linie durch kalte
Bäder im
Sinne der seiner Zeit von
Brand inStettin
[* 2] eingeführten
Methode,
sodann auch in schwereren
Fällen durch Anwendung der sogen. antipyretischen
Arzneimittel
(Chinin,
Antipyrin,
Antifebrin u. a.).
Bei
Krankheiten, gegen welche spezifische
Mittel bekannt sind, werden sie selbstverständlich von den Vertretern beider
Richtungen
angewandt.
Einen Standpunkt, welcher zwischen den zwei genannten etwa in der Mitte steht, vertrat
Cantani auf dem
zehnten internationalen medizinischen
Kongreß in
Berlin.
[* 3] Er ist der
Ansicht, daß das Fieber zwar als gesteigerter Oxydationsprozeß
dem
Gewebe
[* 4] des
Körpers allerdings
Schaden bringe, daß dasselbe aber gleichwohl notwendig sei, um die in den
Körper eingedrungenen
Krankheitserreger zu schädigen, um die Widerstandsfähigkeit der
Gewebe zu kräftigen und
so den Infektionsstoffen
einen schlechten Nährboden zu bereiten. Er verwirft deshalb die antipyretischen
Medikamente, weil sie die Wärmeerzeugung
beeinträchtigen, will aber bei
Gefahren, welche durch besonders hohe
Temperaturen drohen, eine mäßige Wärmeentziehung durch
kühle
Bäder sowie durch Einverleibung großer
MengenWasser (3-6
Liter täglich zu trinken und im
Klystier)
[* 5] angewandt wissen.
Eine günstige Beeinflussung der Infektionskrankheiten durch hohe Fiebertemperaturen ist reine
Hypothese,
welche an den experimentell-bakteriologischen
Erfahrungen nur wenig
Stütze findet, denn die pathogenen
Bakterien gehen erst
bei 42 und 43° zu
Grunde, einer
Temperatur, welche der
Mensch erfahrungsgemäß nur in seltenen
Fällen erreicht, und bei welcher
er in wenigen
Stunden stirbt. Anderseits ist die vernichtende
Wirkung, welche hohe
Temperatur allein (nicht
durch Fieber erzeugt) auf den
Menschen ausübt, durch die
Fälle von
Hitzschlag hinlänglich bekannt. Daß die Fiebermittel, insbesondere
die neuern, unter Umständen schädliche
Wirkungen auf den
Organismus ausüben können, daß es kein
Gewinn ist, die
Temperatur
um jeden
Preis herabzudrücken, ist allerdings sichergestellt. - S. auch die Kongreßberichte:
Balneologische Gesellschaft,
Innere Medizin und
Medizinischer Kongreß.
Der
Guineawurm
(Filaria medinensis) ist in den Tropenländern der
Alten Welt ein bekannter
Parasit des
Menschen. Besonders häufig
ist er an der
Goldküste, 1820 wurde er durch Nubier, welche Mehemmed
Ali in die ägyptische
Armee einreihte, nach
Ägypten
[* 7] verschleppt, er ist aber noch heute bei den Eingebornen Unterägyptens nicht allgemein eingebürgert.
Dagegen findet sich der
Wurm
[* 8] sehr häufig in fleischfressenden
Tieren dieser Gegend schmarotzend, besonders
bei
Hund und
Schakal. Während aber beim
Menschen sich meist nur Ein
Parasit findet, waren bei den
Tieren häufiger mehrere, bis
fünf,
Würmer gleichzeitig vorhanden; dafür scheint das
Aufbrechen der
Geschwüre nicht mit so schmerzhaften
Komplikationen
verbunden zu sein wie beim
Menschen. In
Guinea findet man denWurm als häufigen
Parasiten der
Rinder,
[* 9] in
Indien beim
Pferd.
[* 10]
desiècle (franz., spr. fäng dö ssjähkl,
»Ende des
Jahrhunderts«),
neuerdings auch in
Deutschland
[* 12] eingedrungener
Pariser Modeausdruck, womit alles Überlebte, Verrottete,
an der
Wende des
Jahrhunderts dem
Untergang Verfallene der abendländischen Hochkultur bezeichnet wird.
Im J. 1887 gehörten 1,116,836
Personen dem männlichen, 1,154,076 dem weiblichen
Geschlecht an. Danach hat sich das Zahlenverhältnis
der beiden
Geschlechter im letzten Jahrzehnt etwas verschoben; denn während 1880 auf 1000
Frauen nur 958
Männer
entfielen, sind es 1887 schon 967. Die Zahl der Eheschließungen war 1888: 16,748 (1887: 17,179), der Gebornen (inkl.
Totgeborne) 80,172 (1887: 84,102), der Gestorbenen 47,417 (1887: 45,253).
Elementarschulengab es 1886: 873 mit 28,662
Schülern
und 24,236 Schülerinnen;
Mittelschulen 28 mit 4258 Lernenden für die männliche und 46 mit 3825 Lernenden
für die weibliche
Jugend,
Lehrerseminare 42 mit 527 Lernenden.
Der
Umfang der Staatswaldungen belief sich 1887 auf 14¼ Mill.
Hektar, doch brachten sie nur einen
Reinertrag
von 1 Mill. finn. Mk. Der Viehstand
¶
mehr
bezifferte sich 1887 auf 258,666 Pferde,
[* 18] 952,640 StückRindvieh, 1,042,789 Schafe,
[* 19] 184,755 Schweine.
[* 20] Unter den Erzeugnissen des
Bergbaues ragt, abgesehen von einer geringen MengeGold,
[* 21] Gußeisen und Eisen
[* 22] hervor. Im Durchschnitt der Jahre 1883-87 betrug die
Produktion des erstern 1,121,788, des letztern 894,427 Pud. Die Zahl der Fabriken wird 1887 auf 6951 mit
einem Produktionswert von 151,252,000 Rubel angegeben. Die namhaftesten Industriezweige sind:
Die Zahl der kleinern Etablissements, deren jährliche Produktion unter 1000 Rubel bleibt, war 762 mit
einer Gesamtproduktion von 3,474,000 Rub. Die Zahl aller industriellen Arbeiter ist 54,544. Außerdem waren im Durchschnitt
der Jahre 1886-88 thätig 51 Branntweinbrennereien mit einer Jahresproduktion von 861,000 hl, 46 Bierbrauereien und 29 Tabaksfabriken.
Der Wert derAusfuhr war 1889: 102,7 Mill. finn.
Mk. (1888: 90,5 Mill.), der Einfuhr 133,5
Mill. finn. Mk. (1888: 112,2 Mill.). Der
Schiffsbestand belief sich 1888 auf 336 Dampfschiffe mit 17,454 Ton. und 1799 Segelschiffe mit 235,161 T. Das Eisenbahnnetz
umfaßte 1890: 1825 km; die Gesamteinnahmen waren 1886-88 durchschnittlich 8,344,379 Rub., die Ausgaben 5,397,433
Rub., so daß ein Reingewinn von 2,946,946 Rub. berechnet wird. Der in den Eisenbahnen steckende Anlagewert betrug 1888: 120,166,357
Rub. Die Zahl der Postbüreaus war 1888: 311. Sie beförderten etwa 5⅓ Mill. Briefe und Postkarten. Die Staatseinnahmen und
-Ausgaben wurden für 1890 auf 54,158,831 finn. Mk. veranschlagt.
Die Staatsschuld betrug 1890: 85 Mill. finn. Mk.
Geschichte. Die russifizierenden Einheitsbestrebungen, welche in den baltischen Provinzen so großes Unheil anrichteten, nahmen
sich seit 1890 auch Finnland zum Ziel, und der Zar begünstigte sie. Wie immer, begann die russische Presse
[* 23] ein planmäßiges Hetzen
gegen die finnische Selbständigkeit, das um so mehr Besorgnisse in Finnland erwecken mußte,
als die russischen Zeitungen ohne Zulassung der Regierung derartige Angriffe gar nicht hätten wagen können. Es begab sich
daher Anfang Mai 1890 eine Abordnung von Vertrauensmännern der vier Stände auf dem finnländischen Landtag nach Petersburg,
[* 24] um den Zaren auf die durch das Gebaren der Presse hervorgerufene Erregung und Bekümmernis aufmerksam zu
machen und um Erhaltung der bestehenden, vom Zaren bei seinem Regierungsantritt wieder bestätigten Verfassung zu bitten; doch
wurde ihr der nachgesuchte Gesamtempfang verweigert.
Die finnländische Presse wurde gemaßregelt, sobald sie die finnländische Selbständigkeit, wenn auch in vorsichtigster
Weise, verteidigte, angesehene Senatoren wegen ihrer Anhänglichkeit an die Verfassung zum Rücktritt genötigt.
Durch kaiserliches Dekret wurde 4. Juli das Postwesen von Finnland mit dem des russischen Reiches vereinigt. Der Unterricht in der russischen
Sprache
[* 25] wurde an den Schulen erheblich verstärkt und beschlossen, daß die Volksschullehrer unentgeltlich in der russischen
Sprache unterrichtet werden sollen.
Auf Kosten des Staats wurden finnische Beamte in
das Innere Rußlands geschickt, um sich in der russischen
Sprache zu vervollkommnen. Das neue vom Landtag beschlossene Strafgesetz für Finnland wurde vom Zaren nicht genehmigt, sondern 1891 befohlen,
daß die Einführung desselben bis zur Beseitigung der mit den Verwaltungsgrundsätzen des russischen Reichs in Widerspruch
stehenden Artikel verschoben werde. Dieser Erlaß rief die größten Besorgnisse vor weitern Verfassungsänderungen
und daher Erbitterung und Trauer hervor.
Zur Litteratur: Ignatius, Finlands Geografi (Helsingf. 1881 ff.);