mehr
Substanz zu betrachten, die sich im Zustand von beginnender Zersetzung befindet. In diesen Zustand werden, wie man jetzt weiß, alle durch Einwirkung von Salpetersäure auf organische Körper erhaltenen explosiven Substanzen, nicht etwa nur Schießbaumwolle und Nitroglycerin, versetzt, wenn der zur vollständigen Entfernung des Überschusses von Salpetersäure nötige Waschprozeß von dieser Säure auch nur Spuren zurückgelassen hat.
Erst das Studium der modernen Explosivstoffe hat erkennen lassen, daß die Explosionswirkungen explosiver Substanzen abhängig sind von der Art ihrer Zündung, daß insbesondere ein heftiger Stoß dieselben zu vollkommenster Kraftentfaltung bringt. Je nach der Art, wie das Dynamit gezündet wird, kann es sich ruhig und ohne Flamme [* 2] zersetzen oder mit Lebhaftigkeit verbrennen oder explodieren, bald mäßig stark, bald mit außerordentlicher Heftigkeit. Die Substanzen, welche diese letztere Wirkung hervorbringen, sind Detonatoren genannt worden.
Ihre Wirkungsweise hat zuerst Nobel (1864) bei seinen Arbeiten über das Nitroglycerin erkannt, und er hat das geeignete Verfahren gefunden, diese Substanz mittels einer Knallquecksilberkapsel mit Sicherheit zur Detonation zu bringen. Die Schießbaumwolle verhält sich, wie dies besonders Abel in Woolwich (1868) gezeigt hat, den verschiedenen Zündmitteln gegenüber ebenso verschieden wie das Nitroglycerin. Nach Berthelot läßt sich diese auffallende Verschiedenheit durch die thermodynamischen Theorien erklären.
In der That, die Verschiedenheit der explosiven Phänomene hängt von der Geschwindigkeit ab, mit der die Reaktion sich fortpflanzt, und von dem mehr oder weniger starken Druck, welcher die Folge davon ist. Die Rechnung lehrt freilich, daß das Aufhalten eines Gewichtes von wenigen Kilogrammen, das aus 0,25-0,5 m Höhe fällt, die Temperatur einer explosiven Substanz nur um Bruchteile eines Grades erhöhen könnte, wenn die entstandene Wärme [* 3] sich in der ganzen Masse verbreitete, diese letztere würde so nicht eine genügend hohe Temperatur erreichen, z. B. 190-200° für das Nitroglycerin, eine Temperatur, auf welche plötzlich die ganze Masse gebracht werden muß, damit ihre Explosion eintritt.
Man muß daher annehmen, daß der Druck, der infolge des auf die Oberfläche des Nitroglycerins ausgeübten Stoßes auftritt, zu plötzlich erfolgt, um sich gleichmäßig in der ganzen Masse zu verteilen, und daß die Umsetzung der lebendigen Kraft [* 4] in Wärme nur in den ersten von dem Stoße erreichten Schichten stattfindet. Ist dieser Stoß hinreichend heftig, so können diese Schichten ebenso plötzlich auf 200° gebracht werden, und ihre Zersetzung wird sogleich erfolgen unter Entwickelung großer Mengen von Gasen.
Diese Gasentwickelung erfolgt so plötzlich, daß der Körper, der den Stoß verursacht hat, seinen Platz noch nicht hat verlassen können; die rapid entwickelten Explosionsgase erzeugen einen neuen Stoß, der ohne Zweifel heftiger als der erste ist, auf die unter der ersten Schicht liegenden Schichten. Die lebendige Kraft dieses neuen Stoßes setzt sich in Wärme um in den Schichten, die er zuerst erreicht, und bringt diese zur Explosion, und diese Wechselwirkung zwischen einem Stoß, der eine lebendige Kraft entwickelt, die sich in Wärme umsetzt, und einer Erzeugung von Wärme, welche die Temperatur der erhitzten Schichten erhöht bis zu dem Grade, daß eine neue Explosion entsteht, die fähig ist, wiederum einen Stoß auszuüben: diese Wechselwirkung pflanzt die Reaktion von Schicht zu Schicht durch die ganze Masse fort.
Die Intensität des ersten Stoßes kann natürlich eine sehr verschiedene sein, je nach der Art, wie er hervorgebracht wird. Eine und dieselbe explosive Substanz kann also sehr verschiedene Wirkungen hervorbringen, je nach der Art, wie ihre Zersetzung bewirkt wird. Ebenso variieren die Wirkungen, je nachdem die Substanz für sich oder im Gemisch mit einer andern Substanz sich befindet, und welcher Art die Struktur dieser letztern ist. Das Dynamit, von Kieselgur aufgesaugtes Nitroglycerin, ist gegen einen gewöhnlichen Stoß wenig sensibel, explodiert aber durch den Aufschlag eines Geschosses und besonders durch den Stoß von explodierendem Knallquecksilber.
Ein geringer Zusatz von Kampfer setzt seine Sensibilität für den Stoß noch weiter herab. Die Schießbaumwolle, wenn mit Wasser oder Paraffin [* 5] imprägniert, kann nur durch eine mit trockner Schießbaumwolle geladene Zündpatrone, die selbst durch Knallquecksilber gezündet wird, zur Detonation gebracht werden. Bei der durch Essigäther oder einem andern Lösungsmittel gelatinierten nitrierten Cellulose, dem wesentlichen Bestandteil aller rauchlosen neuen Pulver, ist deren Sensibilität für den Stoß außerordentlich herabgesetzt.
Von der Heftigkeit des Stoßes und von der Größe der Arbeit, die er leisten kann, ist die Menge der in Wärme umgesetzten lebendigen Kraft abhängig. Diese beiden Faktoren sind verschieden bei den verschiedenen Explosionsstoffen. Die geeignetsten Detonatoren sind nicht immer diejenigen, deren Explosion augenblicklich erfolgt. Der Chlorstickstoff ist nicht sehr wirksam, um Schießbaumwolle zu detonieren; der gegen Reibung [* 6] so empfindliche Jodstickstoff bleibt fast ohne Wirkung auf Schießbaumwolle, nur weil beide Körper weniger Wärme entwickeln als das Knallquecksilber.
Die komprimierte Schießbaumwolle ist infolge ihrer Struktur weniger dicht als das Nitroglycerin, es muß daher der durch Stoß hervorgerufene Druck durch die vorhandenen Zwischenräume merklich abgeschwächt werden; daher ist auch die Schießbaumwolle viel schwieriger zur Detonation zu bringen als das Nitroglycerin. Durch zur Explosion gebrachte Schießbaumwolle kann Nitroglycerin detoniert werden, nicht aber Schießbaumwolle durch explodierendes Nitroglycerin.
Die Schießbaumwolle verlangt zu ihrer Detonation den viel heftigern Stoß des reinen Knallquecksilbers, und auch das letztere ist weniger wirksam, wenn es frei liegend, als wenn es in einer Metallkapsel eingeschlossen zur Verwendung gelangt. Es ist weniger wirksam, wenn es in einer Kapsel von Papier oder Stanniol als in einer Kapsel aus Kupferblech benutzt wird; es ist noch weniger wirksam, wenn die Knallquecksilberkapsel nicht in unmittelbarer Berührung mit der Schießbaumwolle ist; es ist wirkungslos, wenn es sich in einer Federpose befindet, die elastisch ist. Ebenso ist unmittelbarer Kontakt nötig zwischen der Zündkapsel und der durch dieselbe zu detonierenden explosiven Substanz, andernfalls wird der von der Zündkapsel gelieferte Stoß durch die vorhandene Luftschicht abgeschwächt.
Das Studium der detonierenden Substanzen hat zur Erkennung noch einer andern Art der Fortpflanzung der Reaktionen im Innern einer explosiven Substanz geführt; diese Art der Fortpflanzung besteht in einer Wirkung in die Ferne und zwar durch Vermittelung der Luft oder fester Körper, die selbst keine chemische Veränderung erfahren. Man hat diese Explosionen Explosionen durch Influenz genannt. Auf dieses Phänomen ist besonders durch das Studium des Nitroglycerins und der Schießbaumwolle die Aufmerksamkeit gelenkt worden. Hierbei hat sich folgendes ¶
mehr
ergeben: Eine Dynamitpatrone, durch eine Knallquecksilberkapsel zur Detonation gebracht, läßt die benachbarten Dynamitpatronen detonieren, selbst wenn die Patronen sich nicht berühren. Befinden sich die Patronen in feste Metallhülsen eingeschlossen und auf widerstandsfähiger Unterlage, so teilt sich die Detonation von 100 g Dynamit auf 0,3 m Entfernung mit. Auf weichem Boden sind die Entfernungen geringere.
Eine an einem Faden [* 8] in freier Luft aufgehängte Dynamitpatrone gelangt nicht zur Detonation durch Influenz, denn da sie schwingen kann, erfährt sie nicht die ganze Kraft des von der detonierten Dynamitpatrone gelieferten Stoßes. Aber selbst die Luft genügt, um die Detonation durch Influenz fortzupflanzen, es geschieht freilich viel schwieriger und nur, wenn mit sehr großen Massen operiert wird.
Ist das Umhüllungsmaterial der Patronen ein wenig widerstandsfähiges, so ist die Entfernung, auf welche sich die Explosion fortpflanzt, ebenfalls eine geringere. Einfach auf den Erdboden gestreutes Dynamit ist nicht im stande, wenn es detoniert wurde, in der Nähe befindliches Dynamit zu detonieren. Abel in Woolwich hat mit komprimierter Schießbaumwolle dieselben Resultate erhalten.
Zu den durch Influenz erfolgenden Explosionen gehören auch die Explosionen der Knallquecksilber enthaltenden Substanzen, die sich plötzlich auf eine große Anzahl von Patronen fortpflanzen. Aus diesen Thatsachen ergibt sich, daß die Explosionen durch Influenz nicht durch eigentliche Zündung erfolgen, sondern durch einen fortgepflanzten Stoß, welcher von dem kolossalen und plötzlichen Druck, den das Nitroglycerin oder die Schießbaumwolle liefert, hervorgebracht wird, einen Stoß, dessen lebendige Kraft sich in der explosiven Substanz in Wärme umsetzt.
Nach Berthelot beruhen die Explosionen durch Influenz auf Erzeugung zweier Arten von Wellen. [* 9] Unter den Wellen ersterer Art, die Berthelot explosive Wellen im engern Sinne nennt, versteht er die im Innern des detonierenden Körpers sich unausgesetzt vollziehende Umwandlung der chemischen Wirkungen in kalorische und mechanische, welche den Stoß auf die Unterlagen und die angrenzenden Körper übertragen. Die andern Wellen, die rein physikalischen und mechanischen, pflanzen gleicherweise den plötzlichen Druck rings um das Erschütterungszentrum zu den benachbarten Körpern und für einen besondern Fall auf eine neue Explosivmasse fort. Der Vorgang im Innern des detonierenden Körpers, die explosive Welle, hält nach Berthelots Theorie ungeschwächt an, bis die Detonation ihr Ende erreicht, weil während derselben immer neue chemische Reaktionen erzeugt werden. Die mechanische Welle dagegen verliert von ihrer Intensität fortgesetzt in dem Maße, als ihre lebendige Kraft, die von dem Anfangsimpuls abhängig ist, sich in einer viel größern Menge von Substanz verteilt.
Eine von der Berthelotschen abweichende Theorie hat Abel aufgestellt, es ist die Theorie der synchronen Schwingungen. Nach Abel beruht die die Detonation einer explosiven Substanz bestimmende Ursache aus dem Synchronismus zwischen den Schwingungen, die von einem zweiten Körper, welcher die Detonation hervorruft, erzeugt werden, und denjenigen Schwingungen, die der erste Körper, wenn er detonierte, erzeugen würde; genau so wie eine Violinsaite auf Entfernung hin tönt, wenn eine gleichgestimmte andre Saite in Schwingungen versetzt wird.
Zur Stütze seiner Ansicht führt Abel folgende Thatsachen an: Zuvörderst scheint es für jede explosive Substanz spezielle Detonatoren zu geben. Der Jodstickstoff z. B., der gegen Stoß und Reibung so empfindlich ist, scheint komprimierte Schießbaumwolle nicht zur Detonation bringen zu können. Auch der Chlorstickstoff, der so leicht explodiert, bringt die Schießbaumwolle nur dann zur Detonation, wenn man von ihm die zehnfache Menge von der des Knallquecksilbers verwendet. Auch Champion und Pellet haben zur Stütze der Abelschen Hypothese zahlreiche Versuche angestellt. Sie haben Jodstickstoff auf einer Violoncellsaite durch Mittönen und Nitroglycerin in dem Brennpunkt eines Hohlspiegels durch explodierendes Nitroglycerin in dem Brennpunkt eines zweiten, dem ersten zugewendeten konaxialen Hohlspiegels zur Detonation gebracht.
Keiner dieser Versuche ist indessen beweisend. Die beobachteten Wirkungen bleiben aus bei Entfernungen, die unvergleichlich viel geringere sind als die, bei denen gleichgestimmte Saiten mittönen. Die Detonationen sind viel eher Funktionen der Intensität der mechanischen Wirkung, als daß sie in dem Wesen und der Art der bestimmenden Schwingungen ihren Grund haben. Die Detonation bleibt auch aus, wenn die Masse des Detonators eine zu geringe und folglich die lebendige Kraft des Stoßes abgeschwächt ist.
Der spezifische vibratorische Ton, der die Detonationen hervorrufen würde, müßte immer derselbe bleiben. Dynamitpatronen detonieren nicht durch Kapseln, [* 10] die weniger als 0,2 g Knallquecksilber enthalten; nur wenn dieselben 1 g des Fulminats enthalten, ist die Detonation der Dynamitpatronen gesichert. Es existiert also eine direkte Beziehung zwischen dem Charakter der Detonation und der Intensität des durch einen und denselben Detonator hervorgebrachten Stoßes.
Ließe in der That die Schießbaumwolle das Nitroglycerin infolge des Synchronismus der mitgeteilten Schwingungen detonieren, so wäre unverständlich, warum die umgekehrte Wirkung nicht statthat. Das Nichtvorhandensein von Wechselwirkung erklärt sich leicht durch den Strukturunterschied der beiden Substanzen, der eine Hauptrolle spielt bei der Umsetzung von lebendiger Kraft in Arbeit. Auch die weitern angestellten Versuche zeigen nur die schon bekannte Sensibilität der fraglichen Substanzen für den Stoß.
Indessen ist es zweifellos, daß die Fortpflanzung der Explosionen durch Influenz sich infolge von Wellenbewegung [* 11] vollzieht, und zwar ist unter dieser zu verstehen eine komplexe Bewegung, die in denjenigen Teilen der zur Explosion gebrachten Substanz, welche ihre Natur dabei verändern, teils chemischer, teils physikalischer Art ist, in denjenigen dagegen, welche keine Veränderung ihrer Natur erfahren, rein physikalisch ist. Was diese Art von Wellenbewegung von den Schallwellen im engern Sinne unterscheidet, ist ihre außerordentliche Intensität.