mehr
ferner die
Masse auf der Erde
so verteilt ist, daß die Schwererichtung nicht mehr durch den
Schwerpunkt
[* 2] als den Anziehungsmittelpunkt
der annähernd kugelförmigen Erde
hindurchgeht, so zeigt sich diese Unregelmäßigkeit äußerlich darin, daß das
Bleilot seitlich von seiner normalen
Richtung abgelenkt wird. Das
Lot erfährt Ablenkungen von der
Richtung, die
es über einer vollkommnen Ellipsoidoberfläche haben würde und zwar in dem
Sinne, daß es nach der
Richtung hin gezogen wird,
in welcher sich überwiegende
Kontinental- oder Gebirgsmassen in der
Nähe befinden.
Indessen nicht bloß eine anziehende, sondern auch eine abstoßende Wirkung erfährt das Lot, die in manchen Fällen durch Annahme eines unterirdischen Hohlraums ihre Erklärung findet. Unter solchen Umständen erwies es sich als unmöglich, durch Gradmessungen und durch Beobachtungen am Sekundenpendel übereinstimmende Werte für die Größe der Abplattung zu erhalten, denn die Resultate der Gradmessungen waren durch den Einfluß der Lotablenkungen mit einem konstanten Fehler behaftet.
Durch fortgesetzte
Beobachtungen hat sich nun herausgestellt, daß die
Annahme eines
Sphäroids für die
Erdgestalt eine irrige war, daß vielmehr die
Fläche, welche unsern Erdkörper umschließt und die wir uns durch die Meeresfläche
oder deren kanalartige Fortsetzung unterhalb der
Kontinente vertreten denken können, überhaupt keine geometrisch regelmäßige
Gestalt besitzt; die einerseits durch geodätische, anderseits durch physikalische Messung ermittelten
Ellipsoide können nur als
Annäherungen an die wirkliche Erdgestalt betrachtet werden
, welch letztere überhaupt nicht ein
für allemal, sondern gewissermaßen nur von
Punkt zu
Punkt sich bestimmen läßt, da der Erdoberfläche keine exakt geometrische
Fläche entspricht.
Nach dem Newtonschen Gravitationsgesetz ziehen sich irgend zwei materielle, bezüglich mit den Massen m1 und m2 begabte Punkte, deren Entfernung gleich R ist, gegenseitig an mit der Kraft [* 3] K·(m1·m2)/R², wo K eine gewisse Konstante bedeutet. Die Anziehung selbst erfolgt längs der beide Massenpunkte verbindenden geraden Linie. Mit Hilfe dieses Gesetzes läßt sich das allgemeine Anziehungsproblem lösen: Ein Körper, durch dessen Volumen die Masse nach einem bestimmten Gesetz verteilt ist, wirkt in dem Sinne auf einen irgendwo gelegenen Massenpunkt, daß zwischen diesem und jedem der in endlicher oder unendlicher Anzahl vorhandenen Körperpunkte (Massenteilchen) eine vom Newtonschen Gesetz geregelte Anziehung stattfindet.
Will man die Größe der gegenseitigen Anziehung zwischen Körper und Massenpunkt finden und ebenso die Richtung, längs welcher diese Kraft wirksam ist, so bedient man sich des Potenzials, das sich folgendermaßen definieren läßt: Wenn ein ursprünglich in unendlicher Entfernung befindliches Massenteilchen m2 durch die Anziehung eines Massenteilchens m1 so weit herangebracht worden ist, daß zwischen m1 und m2 statt der unendlichen nur mehr die endliche Entfernung R besteht, so bezeichnet man die zur Überwindung des Weges aufgewendete mechanische Arbeit als das von m1 auf m2 in der Distanz R ausgeübte Potenzial, und es ist dasselbe seinem Werte nach gleich K·(m1·m2)/R.
Sieht man nun vorläufig von der
Umdrehung der Erde
um ihre
Achse ab, so wird ein der Erdoberfläche angehöriger
Massenpunkt durch keine andre
Kraft als durch die
Schwerkraft beeinflußt. Offenbar gibt es zweifach unendlich viele
Punkte,
für welche das Schwerepotenzial einen bestimmten Wert besitzt.
Alle
diese
Punkte erfüllen eine gewisse
Fläche; diese Ortsfläche
gleichen Schwerepotenzials nennt man
Niveau- oder Gleichgewichtsfläche. Die Schwererichtung fällt allenthalben
mit einer
Normalen dieser
Niveaufläche zusammen, auf welcher der
Punkt, zu dem das
Lot gezogen werden
soll, gelegen ist. Da
die Schwererichtung aber mannigfach variiert, so sind
Niveauflächen im allgemeinen keine Parallelflächen.
Die
Schwerkraft hat in jedem
Punkte eine bestimmte, von
Punkt zu
Punkt wechselnde
Richtung; ein
Gleiches muß
demnach für das Flächenelement gelten, auf welchem die Schwererichtung normal steht, und es folgt daraus die
Eigenschaft,
daß eine Gleichgewichtsfläche im allgemeinen stetig gebogen ist, keine
Spitzen, Rückkehrspunkte,
Kanten besitzt, sie kann
folglich auch nur entweder geschlossen oder unendlich ausgedehnt sein. Außer der
Schwerkraft beeinflußt einen der Erde
angehörigen
Punkt auch noch die Schwung- oder
Zentrifugalkraft.
[* 4]
Die Resultante aus beiden steht auf einer in absoluter Ruhe befindlichen Wasserfläche immer senkrecht; eine vollkommen ruhige Wasserfläche stellt also eine Niveaufläche der vereinigten Schwere und Schwungkraft [* 5] dar und ist identisch mit dem, was man Erdgestalt nennt. Irgend eine der unendlich vielen Niveauflächen, welche wir als im Innern unsrer Erdrinde verlaufend anzunehmen haben, und deren jede mit gleichem Rechte die Bezeichnung als Geoid in Anspruch nehmen kann, ist der wahre Repräsentant der Erdgestalt.
Nach unsrer bisherigen Kenntnis von der Verteilung der Dichte im Innern der Erde
ist nicht anzunehmen, daß plötzliche
Änderungen in der Dichte vorkommen. Den Verlauf der Gleichgewichtsflächen im Erdinnern kann man sich
mithin derart vorstellen, daß jede
Niveaufläche von allen denjenigen, die der Außenseite näher liegen, schalenförmig
umschlossen wird; dieselbe umschließt ihrerseits wieder unendlich viele andre
Niveauflächen. Die innerste
Niveaufläche degeneriert
in einen einzigen
Punkt.
Man kann sonach von einem
Mittelpunkt des
Geoids sprechen und das
Wesen des
Geoids folgendermaßen definieren:
jede Geoidfläche hat die
Eigenschaft, daß ein gleiches
Maß von mechanischer
Arbeit aufgewandt werden
muß, um einen schweren
Körper vom
Mittelpunkt der Erde
aus bis zu irgend einem der unendlich vielen
Punkte jener
Fläche heranzubringen. Unter
Niveausphäroid
versteht man ferner eine geschlossene, sphäroidisch gekrümmte
Fläche, die sich einerseits dem
Geoid
sehr nahe anschließt, anderseits mit einem Rotationsellipsoid sehr nahe übereinstimmt.
Die
Abweichung irgend eines
Niveausphäroids von einem Rotationsellipsoid gleicher
Abplattung ist eine so unbedeutende, daß
für die
Praxis der
Geodäsie es ganz gerechtfertigt ist, das
Geoid mit einem zweiachsigen abgeplatteten
Ellipsoid
[* 6] wo nicht zu identifizieren, so doch in nahe Beziehung zu bringen. Das
Ellipsoid, welches an
Stelle der mathematischen
Erdoberfläche als Projektionsfläche dient, bezeichnet man als
Referenzellipsoid. Damit ergibt sich die
Notwendigkeit, die
wirklich vorhandenen geometrischen Beziehungen des
Geoids zu dem seine
Stelle vertretenden
Referenzellipsoid für den ganzen
Umkreis der Erde
zu ermitteln. Am zuverlässigsten läßt sich die wahre Gestalt der Erde bestimmen durch
Verbindung mehrerer
Methoden, nämlich astronomisch-trigonometrischer Messungen, geometrischer
Nivellements und Schweremessungen. Weil diese
Methode,
wenn auch theoretisch die beste, praktisch mit großen Schwierigkeiten verknüpft wäre, so hat man ein kürzeres
Verfahren
¶
mehr
vorgezogen, das wesentlich auf dem Studium der Lotabweichungen beruht. Hat man ein bestimmtes Referenzellipsoid zu Grunde gelegt, so kann man ganz allein durch geodätische Operationen für jeden Punkt die Lotrichtung bestimmen. Stimmt dieselbe mit der astronomisch beobachteten wirklichen überein, so herrscht an dem betreffenden Punkte keine Lotabweichung, die Krümmung der Erdoberfläche ist dieselbe wie die des Referenzellipsoids. Die Differenz zwischen der astronomisch bestimmten und geodätisch ermittelten ergibt die Lotabweichung.
Man zerlegt die Lotabweichung in solche nach der Breite [* 8] und solche nach der Lange. Ist die Lotabweichung nach der Breite positiv, so zeigt dies im allgemeinen ein Ansteigen der Geoidfläche im Vergleich mit dem Referenzellipsoid nach S. zu an, ein negativer Wert ergibt ein Ansteigen nach N. Ein ähnliches Verhalten, nur nach O. und W., kann man aus den Lotabweichungen nach der Länge schließen. Aus der nach solcher Methode angestellten Untersuchung haben sich folgende Resultate ergeben: lokale Abweichungen treten auch in ebenen Gegenden häufig auf, sowohl in Europa [* 9] als in Amerika. [* 10]
Nicht nur an Gebirgen und Meeresküsten zeigen sich systematische Lotabweichungen, sondern es treten auch in ebenen Regionen
Gruppen von Lotabweichungen mit gleichem Vorzeichen auf, die man als regionale Lotabweichungen bezeichnen kann. Eine
solche regionale und zwar positive Lotabweichung besteht in Deutschland
[* 11] zwischen dem 51. und 53. Parallel.
[* 12] Nicht minder bemerkenswert ist, daß nördlich von den Alpen
[* 13] München,
[* 14] südlich Nizza
[* 15] und Genua
[* 16] Lotabweichungen von absolut kleinerm
Betrag zeigen, als nach der äußern
[* 7]
Figur der Erde
zu erwarten ist. Ebenso liegen die Verhältnisse
bei den Apenninen. Diese Anomalien deuten auf ausgedehnte unterirdische Anomalien der Massenlagerung, deren
Sitz aber eher im Festland als im Meeresboden zu suchen ist.
Vgl. S. Günther, Mathematische Geographie (Stuttg. 1890).