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Sittenbilder zu geben, und entweder ganz einseitig und unzulänglich sind, oder durch tendenziöse Absichtlichkeit der poetischen Wirkung völlig verlustig gehen. Zu den bessern Werken der Gattung zählen: »Dunst aus der Tiefe« von Hermann Heiberg, »Adams Söhne, Evas Töchter« von E. Vely. Daran schließen sich der durch einen Prozeß bekannt gewordene Roman »Die Alten und die Jungen« von Konrad Alberti, »Im Liebesrausch« von Heinz Tovote und zahlreiche Nachahmungen, die hier nicht aufgeführt zu werden brauchen. Ganz wohlthuend berührt es gegenüber dem Grundton fast all dieser Berliner [* 2] Geschichten, wenn Jul. Rodenberg in dem kleinen humoristischen Roman »Herrn Schellbogens Abenteuer« ein Stücklein aus dem alten Berlin [* 3] zum besten gibt.
Aus der großen Zahl der sonst erschienenen, nicht gerade in Berlin spielenden und doch modernen Romane seien »Der Weltfahrer« von Wolfgang Kirchbach, »Die Tochter Rübezahls« von Rud. v. Gottschall, »Tante Carldore« von Jul. Grosse, »Camilla« von Ernst Eckstein, »Zwei Ehen« von Alfred Friedmann, »Hofluft« von Nataly v. Eschstruth, »Amors Bekenntnisse« von August Niemann, »Ausgewanderte« von Mite Kremnitz, »Glück« von Oskar v. Redwitz, »Bludička«, Roman aus dem slawischen Volksleben von Ossip Schubin, »Nach uns die Sündflut« von E. A. König, »Der Mäcen« von Detlef v. Liliencron, »Des Armen Schuld« von Karl v. Weber, »Es klopft!« von Carmen Sylva, »Die Waffen [* 4] nieder« von Bertha v. Suttner, »Am Kreuz«, [* 5] ein Passionsroman aus Oberammergau, von Wilhelmine v. Hillern, »Nach Jahr und Tag« von Konrad Telmann hier genannt. Das Register könnte in dem Augenblick sehr vergrößert werden, in dem man die ersichtlich nur für den Bedarf der illustrierten Blätter und der Leihbibliotheken geschriebenen Romane hereinzuziehen begönne, womit noch nicht gesagt sein soll, daß alle aufgezählten Arbeiten sich weit über das Niveau bloßer Unterhaltungslitteratur und in die reinern Regionen poetischer Schöpfung erhüben.
Die Novelle ist nach wie vor eifrig gepflegt worden, und da sie sich ihrer Natur nach der raschen und im Grunde industriellen Ausbeutung widersetzt, so hat sich auf ihrem Gebiet der poetische und künstlerische Drang und Trieb lebendiger erhalten als auf dem weitern Felde des Romans. Freilich fehlt es auch in der Erzählung an einer Art der Produktion nicht, die sich mit der flüchtigen Skizze, der bloßen Andeutung begnügt, das Zeichen für die Sache setzt und sich die sinnlich anschauliche und lebendig beschreibende Ausgestaltung erläßt.
Das Bedürfnis zahlreicher Feuilletons, kurze und knappe Geschichten zu erhalten, hat auch in der deutschen Litteratur eine Gattung von Novellen ins Leben gerufen, die, den amerikanischen und englischen short stories verwandt, mehr auf litterarischen Effekt als auf Lebenswärme und Lebenswiedergabe abzielen, deren Kürze daher mit der preiswerten Kürze der echten alten Novelle in keiner Weife verwechselt werden darf. Aus der Fülle der wirklichen Novellen ragen durch echte Gestaltung und Vorzüge des Stils die »Florentiner [* 6] Novellen« von Isolde Kurz, die neue Folge der »Littauischen Geschichten« von Ernst Wichert, die prächtigen beiden Sammlungen: »Zwischen Elbe und Alster« und »Bescheidene Liebesgaben«, Hamburger Novellen von Ilse Frapan, »Im Zwielicht«, zwanglose Geschichten von Hermann Sudermann hervor.
Ihnen schließen sich an: »Das Glück der Erde«, Novellen von Gottfried Böhm, »Frühlingsstimmen« von Otto Roquette, »Auf der Reise«, drei Novellen von Adolf Stern, »Gemütliche Geschichten« aus einer schweizerischen Kleinstadt von J. V. ^[Josef Viktor] Widmann, »Aus vier Dimensionen«, humoristische Novellen von O. v. Leixner, »In der Irre«, Novellen von Dito und Idem, »Neue Geschichten des Majors« von Hans Hopfen, [* 7] »Sizilianische Geschichten« von Konrad Telmann.
Mit den Novellen »Eva in allerlei Gestalten« von Moritz v. Reichenbach, [* 8] den »Neuen Novellen« von Hans Arnold, »Fallobst«, wurmstichige Geschichten von Heinz Tovote, »Im kühlen Grunde und andre Geschichten« von Julie Ludwig, »Menschen und Schicksale« von Fritz Lemmermayer, »Im Cölibat«, Klostergeschichten von Anton Ohorn betreten wir schon wieder zerklüftetern Boden. Dafür versetzen uns die prächtigen Märchen »Es war einmal« von Rudolf Baumbach, die feinsinnigen Skizzen »Aus dem Kleinleben« von Hermine Villinger und vollends die »Gesammelten Schriften« von Heinrich Seidel auf sichern poetischen Grund zurück, wenn eben dieser Grund auch eng umschränkt ist.
Zwischen der Dichtung und der historischen Litteratur im engern Sinne stehen jene persönlichen Erinnerungen und Schilderungen zwischen inne, die durch Gegenständlichkeit und Stimmungsfülle sich der poetischen Darstellung nähern, und deren unerreichte Muster in unsrer Litteratur Goethes »Aus meinem Leben« und »Heinrich Stillings Jugendjahre« sind und bleiben. Zu den jüngsten Erscheinungen dieser Art gehören die »Jugenderinnerungen« von Karl Gerok, das Büchlein »Aus meiner Jugendzeit« von Heinrich Hansjakob, die Erinnerungen »Aus dem Alumnat« von G. Wustmann.
Auch die »Vischer-Erinnerungen« von Ilse Frapan, die »Erinnerungsblätter aus dem Leben einer deutschen Lehrerin« von Bertha Buchwald fallen unter diese kleine Gruppe, während Gustav Freytags vielbesprochene Erinnerungsblätter »Der Kronprinz und die deutsche Kaiserkrone«, obschon aus persönlichsten Eindrücken hervorgegangen und gewiß lebendig und anschaulich genug durch das Gewicht des Stoffes und der Betrachtungen, nach der Seite der historisch-politischen Werke hinüberneigen.
Geschichte, Biographie, Litteraturgeschichte etc.
Das Gebiet der historischen Litteratur, soweit dieselbe über die bloße Forschung und kritische Spezialuntersuchung hinaus der Nationallitteratur im engern Sinne angehört und sich an das große gebildete, nicht an das Publikum der Fachgenossen wendet, hat wie in den vorhergehenden Jahren beträchtlichen Zuwachs erfahren. Das große zeitgeschichtliche Werk Heinrich v. Sybels: »Die Begründung des Deutschen Reiches durch Kaiser Wilhelm I.«, ist bis zum fünften Bande und damit bis zur kriegerischen Katastrophe des Jahres 1866 und der ersten Neuordnung der deutschen Verhältnisse durch die Verfassung des Norddeutschen Bundes vorgeschritten und hat den gewaltigen Anteil des ehernen Kanzlers, des Fürsten Bismarck, an Deutschlands [* 9] Neuaufrichtung noch viel klarer und zusammenhängender überschauen lassen, als es bis dahin möglich war.
Auf ein außerordentliches Material unmittelbarer Zeugnisse und Urkunden gestützt, geistvoll übersichtlich geordnet und durchgeführt, nahm und nimmt die Sybelsche Darstellung die Teilnahme aller Deutschen der Gegenwart aufs stärkste in Anspruch und ist von jenem frischen Hauch des persönlichen Miterlebens, der Miterfahrung durchweht, der sich meist nur bei Geschichtschreibern ihrer eignen Zeit findet. Von allgemeiner Wichtigkeit und Bedeutung reihen sich die »Erinnerungen aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Hermann v. Boyen«, persönliche Erinnerungen von bedeutendstem Gehalt, ¶
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Zeugnisse aus den Zeiten der Napoleonischen Fremdherrschaft und des Befreiungskriegs, dem Buche über die zeitgenössische Geschichte unmittelbar an. Von den vielgenannten »Denkwürdigkeiten« des Grafen K. F. von Vitzthum erschien der letzte Teil unter dem Separattitel: »London, [* 11] Gastein und Sadowa«; von den Erinnerungen Herzog Ernsts II. von Sachsen-Koburg-Gotha »Aus meinem Leben und meiner Zeit« ward der dritte Band [* 12] veröffentlicht, ohne indessen den Erwartungen in dem Maße Rechnung zu tragen wie die Anfänge des interessanten Werkes. Als ein interessanter Beitrag zur Geschichte der 30er und 40er Jahre trat der erste Band der »Lebenserinnerungen« von Julius Fröbel, dem bekannten Führer der deutschen Demokratie im Jahre 1848, hervor.
Die Säkularfeier der französischen Revolution ist nicht ohne einige bedeutende litterarische Erscheinungen vorübergegangen. Ein neues, auf das beste und mannigfach neues Material gegründetes Werk: »Das Leben Mirabeaus«, von Alfred Stern gehört zu den besten Monographien, die wir deutscherseits über Menschen oder Zustände der Revolutionsperiode besitzen. Als interessante Studie verdient das Buch »Die konservativen Elemente Frankreichs am Vorabend der Revolution« von Eugen Guglia hervorgehoben zu werden. Als Bruchstück und Probe einer beabsichtigten größern so anschaulichen wie eingehenden Geschichte der großen Umwälzung erschien aus dem Nachlaß des Freiherrn Ernst von Stockmar »Ludwig XVI. und Marie Antoinette auf der Flucht nach Montmedy«, eine Episode, die lebhaft beklagen läßt, daß der Verfasser das Werk nicht ausführen konnte.
Von historischen Werken, die wert und fähig sind, ein größeres gebildetes Publikum zu fesseln, sei zunächst die groß angelegte »Deutsche [* 13] Geschichte im Zeitraum der Gründung des preußischen Königtums« von Hans v. Zwiedineck-Südenhorst hervorgehoben. In gedrängter Fassung und populärem Ton, aber tüchtig und selbständig schrieb Otto Kämmel eine übersichtliche »Deutsche Geschichte«. Hierher gehören ferner die Werke von Richard Schück: »Brandenburg-Preußens Kolonialpolitik unter dem Großen Kurfürsten«, und von C. Grünhagen: »Schlesien [* 14] unter Friedrich dem Großen«;
etwas ferner liegende Stoffe behandelten Markus Landau [* 15] in »Geschichte Karls VI. als König von Spanien« [* 16] und Fritz Honig in »Oliver Cromwell«.
Zur Geschichte der Gegenwart führen wieder Kecks »Leben des Generalfeldmarschalls E. v. Manteuffel«, G. v. Natzmers »Kaiser Wilhelm I., die Prinzeß Elise Radziwill und die Kaiserin Augusta« und H. v. Poschingers »Ein Achtundvierziger. Lothar Buchers Leben und Werke«. Mehr kulturgeschichtlichen Gepräges und Wertes waren das interessante Buch von Ludwig Laistner: »Das Rätsel der Sphinx«, [* 17] Grundzüge einer Mythengeschichte;
ferner die Bücher von Ludwig v. Hörmann: »Die Jahreszeiten [* 18] in den Alpen«, [* 19] Bilder aus dem Natur- und Volksleben;
F. A. Stocker: »Basler Stadtbilder«, Schilderungen alter Häuser und Geschlechter;
Albert Borchert: »Das lustige alte Hamburg«, [* 20] und K. Rhamm: »Dorf und Bauernhof im altdeutschen Lande«.
Eine umfassendere, von andern Gesichtspunkten ausgehende Übersicht der in den letzten Jahren erschienenen Geschichtswerke gibt der besondere Artikel Historische Litteratur.
Unter den neu veröffentlichten Briefen und Briefwechseln fand sich neben einzelnem Unbedeutenden, dessen Hervorziehen auf der falschen Voraussetzung beruht, daß alles Material zur Geschichte bedeutender Zeiten und Menschen im ganzen Umfang der Nachwelt vermittelt werden müsse, doch auch sehr Wertvolles. Die Herausgabe der Briefe des Fürsten Bismarck: »Bismarcks politische Briefe von 1849 bis 1889«, ist natürlich als eine durchaus vorläufige anzusehen, die ihre entscheidende Ergänzung in späterer Zeit finden muß.
Auf dem Gebiet der Litteratur- und Kunstgeschichte waren die von der Goethe-Gesellschaft herausgegebenen »Briefe von Goethes Mutter an ihren Sohn, Christiane und August v. Goethe« die wichtigste Erscheinung. Gleichfalls als Veröffentlichung der Goethe-Gesellschaft erschien das von Otto Harnack herausgegebene Buch »Zur Nachgeschichte der italienischen Reise«, Goethes Briefwechsel mit Freunden und Kunstgenossen in Italien [* 21] 1788-90. Diesen Goethebriefen schlossen sich »Friedrich Schlegels Briefe an seinen Bruder August Wilhelm«, herausgegeben von O. Walzel, die »Briefe von Jakob und Wilhelm Grimm an Georg Fr. Benecke, 1808-29« an. Der »Briefwechsel zwischen Rauch und Rietschel« ward mit dem zweiten Bande zu Ende geführt, der »Briefwechsel zwischen Moritz v. Schwind und Eduard Mörike« durch Jakob Bächtold mitgeteilt. Von tieferm Gehalt und seltner Originalität erscheint der »Briefwechsel Friedrich Hebbels«, den Fr. Bamberg [* 22] herausgibt, und von dem der erste Teil hervortrat.
Die Zahl der litteraturgeschichtlichen Werke war wie immer groß, allein nur ein kleiner Teil derselben kann nach Stoff und Ausführung Anspruch auf die Teilnahme andrer als der engsten Fachkreise erheben. Eine neue »Allgemeine Geschichte der Litteratur« begann G. Karpeles, eine vortreffliche »Geschichte der deutschen Litteratur in der Schweiz« [* 23] Jakob Bächtold, eine gedrängte Darstellung der neuesten deutschen Litteratur: »Die deutsche Nationallitteratur vom Tode Goethes bis zur Gegenwart«, von der schon zwei Auflagen vorliegen, schrieb Ad. Stern. - Zur Geschichte der klassischen Epoche der deutschen Litteratur dienen die fortgeführten umfassenden Schiller-Biographien von O. Brahm und R. Weltrich; ferner die umfassende Zusammenstellung und Aneinanderreihung von »Goethes Gesprächen« durch W. v. Biedermann.
Das Buch »Wieland und Reinhold. Originalmitteilungen als Beiträge zur Geschichte des deutschen Geisteslebens im 18. Jahrhundert« von Robert Keil ist hauptsächlich durch die Briefe Wielands wichtig. Die Sammlung der »Goetheschriften« von Kuno Fischer gedieh bis zum dritten Teile. Von Berthold Litzmann wurden zwei interessante und gehaltreiche Werke in »Friedrich Ludwig Schröder«, Beitrag zur deutschen Litteratur- und Theatergeschichte, und »Friedrich Hölderlin« veröffentlicht.
Von Schriften zur Geschichte der neuern und neuesten deutschen Litteratur waren einige autobiographische die wichtigsten. In erster Reihe steht hier »Finder und Erfinder«, Lebenserinnerungen von Friedrich Spielhagen. Auch »Aus bewegtem Leben«, Erinnerungen aus 30 Kriegs- und Friedensjahren von Hans Wachenhusen, fesselt durch die bunte Mannigfaltigkeit der Erlebnisse des Verfassers. Ein umfassendes Lebensbild: »Gustav Kühne«, von Edgar Pierson, gründet sich hauptsächlich auf den Briefwechsel des jungdeutschen Schriftstellers mit berühmten Zeitgenossen. Diesen wichtigern Büchern reihen sich die Schriften: »Aus dem Leben Karl Böttichers« von Clarissa Lohde-Bötticher, »Katholische Erzähler der neuesten Zeit« von H. Keiter, »Aus der Heimat Hamerlings« von Joseph Allram, »Richard Gosche, Erinnerungsblätter für seine Freunde«, »Richard Wagner und die Tierwelt« von Hans von Wolzogen an. Die biographischen und polemischen Schriften, die in dem Streite über die Autorschaft der Romane Alfred ¶