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nämlich eine Verschwörung, welche der Major z. D. Panitza, ein makedonischer Bulgare, der sich im Kriege durch Tapferkeit ausgezeichnet hatte, angezettelt und für die er mehrere Offiziere der Linie und der Landwehr gewonnen hatte; ihr Ziel war, den Fürsten und die Minister gefangen zu nehmen und, falls sie Widerstand leisteten, zu töten. Panitza wurde verhaftet, und in seinen Papieren fand man Briefe und Aktenstücke, welche bewiesen, daß Panitza seit 1887 mit russischen Beamten, namentlich mit der russischen Gesandtschaft in Bukarest, [* 2] in Verbindung gestanden hatte; die Vermittelung bildete ein ehemaliger russischer Offizier, Kolubkow, in Sofia.
Panitza hatte zwar seinen Mitverschwornen vorgespiegelt, der geplante Staatsstreich habe den Zweck, einer von Rußland beabsichtigten Okkupation Bulgariens durch Beseitigung des dem Zaren verhaßten Fürsten und Stambulows zuvorzukommen. In Wirklichkeit aber sollte der Staatsstreich dazu dienen, Rußland wieder die Wege nach Bulgarien [* 3] zu öffnen; der russische Departementschef Zinowjew versprach, daß gleich nach dem Gelingen der Revolution Rußland einen General nach Bulgarien senden werde, um bis zur Wahl eines neuen Fürsten, für welche drei Kandidaten bezeichnet waren, die bulgarischen Angelegenheiten zu leiten.
Zweimal, im Sommer 1889 und Anfang Januar 1890, war der Staatsstreich geplant, aber durch besondere Umstände die Ausführung vereitelt worden. Die Regierung ließ alle Genossen Panitzas verhaften und im Mai vor ein Kriegsgericht stellen. Die Anklageakte enthielt alle Briefe und Telegramme, welche die Teilnahme der russischen Beamten bezeugten. Das Gericht verurteilte 30. Mai Panitza zum Tode durch Erschießen, den Russen Kolubkow zu 9 Jahren, die übrigen Teilnehmer zu 6 und weniger Jahren Gefängnis.
Nachdem der Kassationshof die Berufung der Verurteilten abgewiesen hatte, wurde Panitza 28. Juni Sofia erschossen; Kolubkow wurde an die russische Grenze gebracht. Rußland mußte dem stillschweigend zusehen. Die Erbitterung über den Verlauf der Dinge in Bulgarien wuchs in den russischen Kreisen begreiflicherweise nur noch mehr. Aber auf eigne Faust in Bulgarien einschreiten konnte Rußland nicht, ohne einen Krieg zu entzünden, und das wollte der Zar nicht. Aber selbst wenn es gelang, in Bulgarien festen Fuß zu fassen, so war es mehr als fraglich, ob Rußland davon Vorteil hatte, da die ihm feindliche Stimmung dort mit jedem Jahre zunahm.
Die Regierung des Fürsten Ferdinand befestigte sich unter der geschickten Leitung Stambulows immer mehr. Der Fürst selbst zeigte ein lebhaftes Interesse für die Entwickelung der Verkehrswege und beförderte die Vollendung der Bahn von Sofia nach Burgas und den Ban einer andern Eisenbahn von Sofia über Tirnowa nach Warna und Rustschuk. Straßen und Brücken [* 4] wurden gebaut, die öffentliche Sicherheit hergestellt und das Ansehen der Behörden gekräftigt. Begreiflicherweise wünschte das Volk aus dem provisorischen Zustand herauszukommen durch Anerkennung der Herrschaft des Fürsten.
Der auswärtige Minister Stransky richtete daher im Juni 1890 eine Note an die Pforte, in welcher er die Anerkennung des Fürsten und die Entsendung bulgarischer Bischöfe nach Makedonien verlangte. Die erstere war indes unmöglich, da hierfür der einstimmige Beschluß der Mächte erforderlich war, und ein solcher war bei der offen ausgesprochenen Gesinnung Rußlands nicht zu erwarten. Dagegen erfüllte die Pforte den andern Wunsch Bulgariens und ernannte drei Bischöfe für die bulgarische Kirche in Makedonien; auch hiergegen erhob Rußland, freilich vergeblich, Einspruch. In Bulgarien zeigte man sich für die Ernennung der Bischöfe sehr dankbar, und so sehr hatte die Stimmung in Bulgarien umgeschlagen, daß ein Teil der bulgarischen Presse [* 5] der Türkei [* 6] die Freundschaft Bulgariens und ein Bündnis gegen Rußland antrug: »Wir werden nicht aufhören«, hieß es, »offen jene Macht zu bekämpfen, welche durch unser Land die ottomanische Hauptstadt zu erreichen strebt, um sich von dort aus der ganzen europäischen und asiatischen Türkei zu bemächtigen.« Die Bevölkerung [* 7] war mit der vorsichtigen Haltung der Regierung durchaus einverstanden, und bei den Neuwahlen für die Sobranie wurden fast nur Anhänger der Regierung, nämlich 260, darunter 30 Türken und 2 Griechen, und bloß sehr wenige (35) Anhänger Karawelows und Zankows gewählt.
Stambulow erklärte sich durch dies Ergebnis ermutigt, auf der beschrittenen Bahn zu verbleiben und unentwegt die bisherige auswärtige wie innere Politik fortzusetzen. Die russische Regierung verharrte in ihrer zürnenden Zurückhaltung, aber die panslawistische Partei in Rußland bekam Besorgnis, daß Bulgarien sich wirklich ganz von Rußland abwenden könne, und suchte durch Agenten wieder Beziehungen anzuknüpfen. So kam im September 1890 ein Journalist Tatischew nach Sofia und bot in einer Unterredung mit den Ministern Anerkennung des Fürsten Ferdinand, Unabhängigkeit und Unterstützung bei der Erwerbung Makedoniens an, wenn Bulgarien eine Militärkonvention mit Rußland anschließe, russischen Oberbefehl über die bulgarische Armee annehme und Burgas als Flottenstation abtrete. Stambulow erklärte jede Verhandlung auf dieser Grundlage für undenkbar.
Vgl. Franz Joseph, Prinz zu Battenberg, Die volkswirtschaftliche Entwickelung Bulgariens von 1879 bis zur Gegenwart (Leipz. 1890).