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Außer den geschilderten, als Krankheitserreger anerkannten hat man bei einer Reihe von Infektionskrankheiten der Menschen und Tiere Bakterien gefunden, deren ursachliche Beziehungen zu den betreffenden Krankheiten aber noch unsicher sind; dahin gehören die Bakterienbefunde bei Influenza, Hirnhautentzündung, ägyptischer Augenkrankheit (Trachoma), ferner bei Scharlach, Maul- und Klauenseuche u. a. Schließlich ist noch zu erwähnen, daß gewisse Infektionskrankheiten wahrscheinlich gar nicht durch Bakterien hervorgebracht werden, sondern durch Schmarotzer, welche dem niedersten Tiertypus, den Protozoen, angehören. So hat man neuestens im Blute der Malariakranken die sogen. Plasmodien gefunden (Marchiafava und Celli); auch bei der epidemischen Ruhr fand man in vielen Fällen ähnliche Mikroorganismen, eine Amöbenart (Kartulis). Die Plasmodien der Malaria sind nichts weiteres als kleine lebende Protoplasmaklümpchen, welche im stande sind, Fortsätze aus ihrem Körper hervorzustülpen und wieder einzuziehen und dadurch sich von der Stelle zu bewegen. Ihr Wohnsitz ist im Innern der roten Blutkörperchen; [* 2] wie sie dahin kommen, ist noch völlig unbekannt; ihre ursachliche Bedeutung für die Malaria ist höchst wahrscheinlich.
Vgl. Flügge, Die Mikroorganismen (Leipz. 1886);
Huber und Becker, Die pathologisch-histologischen und bakteriologischen Untersuchungsmethoden (das. 1886);
Fränkel, Grundriß der Bakterienkunde (2. Aufl., Berl. 1890);
Eisenberg, Bakteriologische Diagnostik (Hamb. 1886);
Löffler, Vorlesungen über die geschichtliche Entwickelung der Lehre [* 3] von den Bakterien (Leipz. 1887, Bd. 1);
Fränkel und Pfeiffer, Mikrophotographischer Atlas [* 4] der Bakterienkunde (Berl. 1888-90,6 Hefte);
Braß, Die niedrigsten Lebewesen, ihre Bedeutung als Krankheitserreger (Leipz. 1888);
Bütschli, Der Bau der Bakterien (Leipz. 1890);
Hüppe, Die Methoden der Bakterienforschung (4. Aufl., Wiesb. 1888);
Baumgarten, Jahresbericht über die Fortschritte in der Lehre von den pathogenen Mikroorganismen (bis jetzt 4 Bde., Braunschw. 1886 bis 1890);
»Zentralblatt für Bakteriologie und Parasitenkunde« (hrsg. von Uhlworm, Jena, [* 5] seit 1887).
Die Beziehungen der Bakterien zur Landwirtschaft
schildert E. Kramer (s. unten) wie folgt: Die Zersetzungen im Boden führte man früher direkt auf chemische und physikalische Prozesse oder auf die Lebensthätigkeit höherer Pflanzen zurück;
selbst die Verwesung und Vermoderung der organischen Substanz im Boden faßte man als einfachen Oxydationsprozeß auf.
Gegenwärtig kann man mit einiger Gewißheit behaupten, daß eine ganze Reihe von Prozessen im Boden ausschließlich durch die Lebensthätigkeit der Bakterien hervorgerufen wird, enthält doch der Boden in 1 g Erde nicht nur Hunderttausende, sondern selbst Millionen Bakterienkeime. Die Fäulnis, Verwesung und Vermoderung im Boden sind ausschließlich an die Mitwirkung der Bakterien gebunden. Auch die Oxydation des bei dem Fäulnis- und Verwesungsprozeß gebildeten Ammoniaks zu Salpetersäure kann mit großer Wahrscheinlichkeit mit der Lebensthätigkeit gewisser Bakterienarten in Verbindung stehend angenommen werden.
Ebenso ist die Reduktion der Salpetersäure im Boden zu salpetriger Säure und Ammoniak oder auch zu Stickstoffoxydul, Wasserstoff und freiem Stickstoff nur auf die Lebensthätigkeit bestimmter Bakterien zurückzuführen. Der größte Teil des Kohlensäuregehalts der Bodenluft hat im Lebensprozeß der Bakterien seinen Ursprung. Die von den Landwirten gefürchteten Wiesen- oder Sumpferzbildungen bewirken Bakterien. Diese sogen. Eisenbakterien besitzen die Fähigkeit, Eisenoxydulcarbonat aufzunehmen und dasselbe als Hydroxyd auszuscheiden. In andern Böden, die mit gewissen Fabrikabwässern gedüngt werden, treten nicht selten Schwefelausscheidungen auf, und wieder sind es Bakterien, welche an diesem Prozeß sich beteiligen.
Den sogen. Schwefelbakterien kommt das Vermögen zu, Schwefelwasserstoff zu konsumieren, ihn zuerst zu Wasser und Schwefel zu verbrennen und den letztern in den Zellen abzulegen, um ihn sodann zu Schwefelsäure [* 6] zu oxydieren, welche im Boden Veranlassung zur Gipsbildung gibt. Keine geringere Rolle als im Boden spielen die in der Düngerwirtschaft. Der Stallmist erleidet die verschiedenartigsten Zersetzungen fast ausschließlich durch Bakterien, welche sich dabei in enormer Weise vermehren.
Der Düngerhaufen ist nichts andres als eine künstliche Zucht jener Bakterienarten, denen die Aufgabe zufällt, einesteils die abgestorbene organische Substanz zu zersetzen, zu oxydieren, um für die lebenden grünen Pflanzen Kohlenstoff- und Stickstoffverbindungen zu liefern, und anderseits, um mit dem Dünger in den Boden solche Bakterienarten gelangen zu lassen, deren Lebensthätigkeit mit dem Gedeihen bestimmter Kulturpflanzen im Zusammenhang stehen.
Die ganze Düngerbehandlung auf der Düngerstätte ist auf die Vermehrung und Entwickelung einer ganzen Reihe von Bakterienarten gerichtet. Die in Zersetzung begriffene organische Substanz, der Humus, ist ein Produkt der Lebensthätigkeit der Bakterien. Es steht außer Zweifel, daß die Bedeutung des Humus für die Bodenfruchtbarkeit eine bedeutend größere ist, als dies von der Liebigschen Schule angenommen wurde. Die Wirkung des Kompostdüngers ist vielleicht mehr vom Gehalt an spezifischen Bodenbakterien als von jenem an Pflanzennährstoffen abhängig, so zwar, daß derselbe in manchen Fällen nur als eine an Bakterien außerordentlich reiche Impferde hingestellt werden kann.
Die Wurzelknöllchen der stickstoffsammelnden Leguminosen [* 7] sind Bildungen, welche in ihren Zellen eine Menge Bakterien enthalten. Dieses Zusammenleben (Symbiose) mit den Bakterien ist für die Leguminosen von größtem Nutzen, da sie unter Vermittelung der Bakterien mit Stickstoff, der im Boden zumeist in zu geringer Menge enthalten ist, versorgt werden. Es war somit der Bakteriologie vorbehalten, die für die Landwirtschaft so wichtige Frage über »bodenbereichernde« Pflanzen einer Lösung näher zu führen.
Die sogen. Naßfäule der Kartoffeln, die gelbe Krankheit der Hyazinthen, der Rotz der Speisezwiebeln, das häufig auftretende Faulen der Knollen- und Wurzelfrüchte, die Blight-Krankheit der Birn- und Apfelbäume etc. sind lediglich durch spezifische Bakterienarten hervorgerufene Zersetzungsvorgänge. Auch in der Tierzucht kommt den Bakterien eine große Bedeutung zu. Schon bei einigen bekannten Zubereitungsarten des Futters ist ihre Mitwirkung eine unbedingte Notwendigkeit.
An der Ensilage, [* 8] dem Selbsterhitzen der Futterstoffe [* 9] etc., nehmen bestimmte Bakterienarten Anteil. Bakterien verursachen bei unrichtiger Behandlung und Aufbewahrung von Futterstoffen und gewerblichen Abfällen derartige Zersetzungen, daß die Stoffe zur Fütterung unbrauchbar werden (s. Futterbereitung). Die verderblichsten seuchenartigen Krankheiten der Haustiere sind die Folge der Lebensthätigkeit bestimmter Bakterienarten. Das beste und in den meisten Fällen nahezu einzige Vorbeugungsmittel gegen diese Krankheiten, welche durch Bakterien hervorgerufen werden, besteht in einer mit Verständnis für die bakteriologischen Vorgänge durchgeführten Gesundheitspflege der Haustiere. Die Milch ist sogleich nach dem Ausmelken bakterienfrei, aber eine kurze Zeit danach sich selbst überlassen, tritt in ¶
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ihr eine Unzahl von Bakterien auf, welche die verschiedenartigsten Gärungsvorgänge hervorrufen. Die moderne Einrichtung guter Molkereigebäude, alle praktischen Regeln des Molkereibetriebs haben den Zweck, die Milch möglichst lange vor den schädlichen Einflüssen gewisser Bakterien zu schützen. Anderseits leisten die in der Milchwirtschaft die nützlichsten Dienste. [* 11] Im Rahm wird zur Butterbereitung absichtlich die von Bakterien abhängige Milchsäuregärung eingeleitet.
Bei der Käsebereitung sucht man mit Hilfe der durch die Bakterien hervorgerufenen Gärungsprozesse jeder Käsesorte den charakteristischen Geruch und Geschmack zu geben; in dieser Beziehung versucht man bereits Reinkulturen der Käsebakterien bei der Käsebereitung in Anwendung zu bringen. Beim Reifen der Käse kommt bestimmten Bakterien eine besondere Aufgabe zu. Auch bei der Bereitung des Kefir handelt es sich darum, in der Milch unter bestimmten Bedingungen durch gewisse Bakterien eine eigentümliche Gärung einzuleiten.
Schließlich sind jene Bakterien genau bekannt, welche die sogen. Milchfehler hervorrufen.
Vgl. Kramer, Die Bakteriologie in ihren Beziehungen zur Landwirtschaft (Wien [* 12] 1890, Bd. 1);
Migula, Bakterienkunde für Landwirte (Berl. 1890);
Adametz, Bakteriologische Untersuchungen über den Reifungsprozeß der Käse (»Landwirtschaftliche Jahrbücher«, Bd. 18, das. 1889);
Jörgensen, Die Mikroorganismen der Gärungschemie (2. Aufl., das. 1890);
»Wandtafeln für Bakterienkunde« (das. 1891).