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bewirkten Fäulnis ist die Umwandlung der organischen Stoffe in unorganische: Ammoniak, salpetrige Säure und Salpetersäure, Vorgänge, welche als Nitration oder als Nitrifikation bezeichnet werden. Sie sind für Landwirtschaft und Hygiene von größter Bedeutung, denn auf ihnen beruht die Fähigkeit des Bodens, immer wieder von neuem faulige organische Substanzen aufzunehmen. Vermittelst der Nitration assimiliert der Boden den ihm gebotenen Dünger; ohne diese nitrierende Wirkung der Bakterien würde der gedüngte Boden ein stinkender Jauchesumpf werden.
Die vorhin erwähnten organischen Basen, Alkaloide, welche bei der durch Bakterien erzeugten Zerlegung organischer Substanzen entstehen und isoliert werden können, die Ptomaine, sind zum Teil harmloser Natur, zum Teil äußerst heftige Gifte und spielen dann eine Hauptrolle bei den meisten Fleisch-, Fisch- und Muschelvergiftungen. Neuestens ist es auch gelungen, aus den Reinkulturen spezifischer pathogener Bakterien die denselben eigentümlichen Ptomaine herzustellen, und damit hat man das eigentliche spezifische Krankheitsgift, durch welches diese Bakterien dem menschlichen Körper so verderblich werden, gewonnen; so erzeugt z. B. das Tetanin aus den Bacillen des Wundstarrkrampfs oder Tetanus Starrkrampf, das Typhotoxin aus Typhusbacillen sowie verschiedene Alkaloide aus den Cholerabacillen [* 2] auf der Darmschleimhaut lebhafte Entzündung.
Die Untersuchungen dieser Stoffe zielen in letzter Linie praktisch darauf ab, durch genaue Kenntnis derselben zunächst auf dem Wege des Laboratoriumversuchs geeignete Gegengifte zu finden. Eine weitere Gruppe von höchst giftigen Stoffwechselprodukten der Bakterien, welche aber ihrer chemischen Natur nach keine Alkaloide, sondern eiweißartige Körper darstellen, wurden von Brieger und Frankel beim Studium der Ptomaine der Diphtheriebacillen entdeckt. Diese Forscher konnten dann auch noch aus den Reinkulturen von Typhus-, Cholera-, Milzbrand-, Wundstarrkrampfbacillen sowie aus dem Erreger der Eiterungen, Staphylococcus pyogenes aureus, ähnliche Stoffe herstellen, welche sie Toxalbumine nannten.
Endlich hat
Buchner Untersuchungen veröffentlicht, welche beweisen, daß in gewissen
Fällen weniger die Stoffwechselprodukte
der krankheitserregenden Bakterien bei den Infektionskrankheiten
Fieber und
Eiterungen hervorrufen, sondern daß diese
Wirkung spezifischen
Giftstoffen zuzuschreiben ist, welche die absterbenden
oder abgestorbenen Leiber der Bakterienzellen
enthalten.
Manche Bakterien sind ausgezeichnet durch die
Bildung von
Farbstoffen, während andre phosphoreszierende
Substanzen erzeugen.
Die Lebensdauer der Bakterien ist für die einzelnen Arten verschieden; in den künstlichen Kulturen findet ein fortwährendes Kommen und Gehen von Generationen statt, und in Kulturen von einigen Wochen sind stets viele abgestorbene Individuen vorhanden; anderseits ist die sich auf Jahre erstreckende Lebensfähigkeit der Bacillensporen schon oben hervorgehoben. Aber auch die vegetativen Formen (so genannt im Gegensatz zu den Dauerformen, den Sporen) mancher Bacillen, und zwar gerade vieler pathogenen, zeichnen sich durch große Lebenszähigkeit aus; so ist beobachtet, daß sich Tuberkelbacillen in getrocknetem Auswurf bis 6 Monate, Rotzbacillen 3 Monate, Typhusbacillen 2 Jahre in getrockneten Kulturen lebensfähig erhalten haben.
Abschwächung der Bakterien. Von vielen Bakterien ist bekannt, daß sie unter gewissen Bedingungen ihre hauptsächlichsten Eigenschaften ganz oder teilweise einbüßen, d. h. daß sie in ihren Wirkungen abgeschwächt werden, ohne daß sie in ihrem Aussehen oder in ihren Wachstumserscheinungen dabei eine merkliche Änderung erfahren. Solches ist sowohl bei gärungserregenden als auch bei krankheitserregenden Bakterien beobachtet. Die Einflüsse, welche eine solche Abschwächung herbeizuführen vermögen, sind hauptsächlich Hitze sowie auch chemische Substanzen, welche in höhern Graden, bez. in stärkerer Konzentration oder bei längerer Dauer der Einwirkung das Absterben der betreffenden Bakterien herbeiführen würden, aber bei richtiger Wahl nur eine Schwächung im angedeuteten Sinne verursachen.
Wird bei der experimentellen Prüfung die Temperatur für die Abschwächung nur um wenige Zehntelgrade unrichtig gewählt, so kann dieselbe mißlingen, d. h. die Bakterien werden nicht im beabsichtigten Grade abgeschwächt oder sie sterben ab. Merkwürdigerweise überträgt die künstlich abgeschwächte Kultur ihre Eigenschaften auch auf alle weitern Generationen. So kann man z. B. durch Abschwächung der Milzbrandbakterien, indem man verschiedene Kulturen derselben verschiedenen Hitzegraden in verschieden langer Dauer aussetzt, solche Kulturen erhalten, welche nur noch Mäuse, aber keine Kaninchen, [* 3] nur noch Kaninchen, aber keine Hämmel mehr töten etc. Alle so erhaltenen Kulturen übertragen diesen verminderten Grad der Giftigkeit auch auf die später aus ihnen hervorgehenden Bakterien.
Auf diesen hochwichtigen Thatsachen, deren erste Kenntnis man Pasteur verdankt, beruhen die von demselben eingeführten Schutzimpfungen gegen Hühnercholera, Milzbrand, Rauschbrand, Schweinerotlauf und Hundswut (vgl. auch Immunität, Bd. 17). Bei der letztgenannten Krankheit, deren vielleicht bakterielle Erreger man noch nicht kennt, wird ein etwas andres Verfahren zur Abschwächung eingeschlagen: Stücke des Rückenmarks von mit Tollwut geimpften Kaninchen (man weiß, daß das Rückenmark der geimpften Tiere das Gift enthält) werden durch verschieden langes Trocknen in ihrer Giftigkeit abgeschwächt.
Eine weitere Art der Abschwächung besteht nach Pasteur darin, daß man das betreffende Krankheitsgift auf für diese Krankheit wenig empfängliche Tiere verimpft. Ist dies mehrfach wiederholt worden, so erhält man durch Züchtung mit dem letztgeimpften Tiere eine Kultur von in bestimmtem Grade abgeschwächten Bakterien. Selbstverständlich zeigen Kulturen aus der Reihe dieser geimpften Versuchstiere heraus die verschiedenen Zwischenstufen der Giftigkeit zwischen der zuletzt erhaltenen und derjenigen Kultur, von welcher man ausgegangen war.
Endlich wurde auch eine Abschwächung der infektiösen Eigenschaften mancher pathogener Bakterien beim fortdauernden Weiterzüchten auf den künstlichen Nährstoffen beobachtet; so verlieren Rotzbacillen, wenn sie durch eine Reihe von Generationen auf Agar-Agar gezüchtet sind, ihre Giftigkeit; auch bei andern pathogenen Bakterien ist dies schon beobachtet worden. Die Tuberkelbacillen halten dagegen ihre infektiösen Eigenschaften sehr fest. Nach einer Mitteilung Kochs beim zehnten internationalen medizinischen Kongreß, 1890, haben sich Tuberkelbacillen, welche er seit 9 Jahren im Reagenzglas fortgezüchtet hat, in ihrer Wirkung nur sehr wenig vermindert.
Die schädlich wirkenden Bakterien können unschädlich gemacht werden radikal durch Abtötung, Sterilisierung oder mehr palliativ durch Entwickelungshemmung. Die völlige Abtötung der Bakterien gelingt mit absoluter Sicherheit durch halbstündige Einwirkung von strömendem Wasserdampf von 100°; desgleichen durch genügend langes Kochen; die Dauer ¶
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richtet sich nach der Größe und Beschaffenheit des zu kochenden Gegenstandes. Auch halbstündige Einwirkung trockner Hitze von 150° genügt in gewissen Fällen. (Näheres hierüber sowie über die chemischen Desinfektionsmittel vgl. Desinfektion, [* 5] Bd. 17.) Die Entwickelungshemmung ist zwar ein Notbehelf, welchen wir anwenden, wo die Abtötung nicht ohne Schädigung des zu sterilisierenden Gegenstandes stattfinden könnte, aber dieser Notbehelf leistet in vielen Fällen alles, was man beanspruchen kann.
Entwickelungshemmung wird erzielt durch Kälte oder durch chemische Mittel, welche zwar nicht stark genug sind, die Bakterien zu töten, in deren Gegenwart aber doch die letztern sich nicht zu vermehren im stande sind. Die Entwickelungshemmung durch Kälte benutzt man z. B. beim Konservieren von Nahrungsmitteln; auch Chemikalien werden zum selben Zwecke verwendet (z. B. Zusatz von Salicylsäure zu Früchten, Konserven etc.). Bei Infektionskrankheiten läßt sich eine Abtötung der betreffenden pathogenen Bakterien im Körper nicht erzielen, da die Abtötungsmittel in solcher Stärke [* 6] angewandt werden müßten, wie sie der menschliche Organismus nicht ertragen würde; aber auch die Versuche, mit entwickelungshemmenden Mitteln die Infektionskrankheiten zu bekämpfen, haben lange zu keinen günstigen Resultaten geführt, und in dieser Richtung hat die Bakteriologie den anfänglich in sie gesetzten Hoffnungen bisher noch nicht entsprochen. Erst jüngst hat R. Koch auf dem zehnten internationalen medizinischen Kongreß in Berlin [* 7] die Aussicht eröffnet, daß man der Tuberkulose vermittelst eines solchen entwickelungshemmenden Mittels werde beikommen können, und in seiner Mitteilung vom hat er die Anwendungsweise seines Mittels gegen Tuberkulose bekannt gemacht (vgl. Tuberkulose). In Folgendem geben wir eine Übersicht der wichtigsten Bakterien.
I. Saprophytische Bakterien.
Bacillus prodigiosus ist ausgezeichnet durch die intensiv blutrote Farbe, welche die Kulturen annehmen. Er findet sich zuweilen auf Nahrungsmitteln ein, so aus Brot, [* 8] Kartoffeln, Fleisch, Milch. Die Keime gelangen aus der Luft auf diese Substanzen und wachsen hier, indem sie sich ins Millionenfache vermehren, zu großen, roten Inseln heran. Der Bacillus prodigiosus ist ein Kurzstäbchen, d. h. kaum länger als breit; seine Länge beträgt etwa 0,001 mm. Er läßt sich auf jedem Nährmaterial züchten; das Eintrocknen hält er sehr lange aus.
Eigenbewegung besitzt er nicht. Eigentümlich ist den Kulturen noch ein widerlicher Geruch nach Heringslake. Der Kartoffelbacillus interessiert besonders durch sein konstantes Vorkommen auf den Kartoffeln und durch seine ungewöhnlich große Widerstandsfähigkeit, vermöge welcher er in nicht ganz sorgfältig sterilisierten Kartoffeln angelegte Kulturen überwuchert und zerstört. Es gibt verschiedene Arten dieser Kartoffelbacillen; einer derselben beginnt erst bei 50-70° zu wachsen.
Der Heubacillus findet sich in Luft und Wasser, im Staube, in den obern Bodenschichten und besonders regelmäßig im Heu; schon hieraus geht hervor, daß er im stande sein muß, in getrocknetem Zustande zu leben. Er bildet in der That sehr widerstandsfähige Sporen; die lebhaft beweglichen Stäbchen sind 0,006 mm lang. In der Luft besonders häufig vorkommend und für gewisse Gärungen von Bedeutung sind zu nennen die Sarcinen, Mikrokokken, welche sich durch eigentümliche Art der Zellteilung nach allen Richtungen auszeichnen, so daß immer eine Gruppe von solchen Organismen zusammen ein Bild liefert wie ein geschnürter Warenballen; ferner die Hefen.
Sowohl Sarcinen- als Hefekulturen haben oft intensive, schöne Farbe: gelbe und orangegelbe Sarcine, rosa, schwarze, weiße Hefe. [* 9] Die für die Biergärung wesentlichen Hefen sind einige Saccharomyces-Arten, insbesondere Saccharomyces cerevisiae. Die Brotgärung wird durch Saccharomyces minor vermittelt. Der Milchsäurebacillus, von Hueppe aus Milch isoliert, erzeugt, in keimfrei gemachte Milch gebracht, durch Spaltung des Milchzuckers Milchsäure und Kohlensäure. Er ist jedoch nicht der einzige Organismus, welcher die Milch sauer machen kann. Er bildet kurze, unbewegliche Stäbchen, welche an einem Ende Sporen hervorbringen, zwischen 10 und 45° gedeihen und die Nährgelatine nicht verflüssigen.
Der Buttersäurebacillus (Clostridium butyricum), 0,003-0,01 mm lange, dicke, lebhaft bewegliche Bacillen, welche Sporen bilden. Sie erzeugen große Mengen von Buttersäure und sind streng anaerob. Oidium lactis, ein fast auf jeder Milch vorkommender Fadenpilz, hat auf die Milchgärungen keinen Einfluß. Bacillen der blauen Milch: Zuweilen stellt sich in Milchwirtschaften eine Krankheit der Milch ein, das Blauwerden;
dabei bekommt die Milch, wenn sie beginnt sauer zu werden, auf der Oberfläche große, intensiv blaue Flecke, welche nach wochenlangem Stehen etwas mehr schiefergrau werden.
Diese Erscheinung wird hervorgebracht durch spezifische Bacillen;
dieselben sind 0,0014-0,004 mm lang und 0,0001 mm breit, langsam beweglich;
sie wachsen bei Zimmertemperatur auf Gelatine und Kartoffeln;
Sporenbildung findet nicht statt, dagegen vermögen die vegetativen Bacillen mehr als ein halbes Jahr an der Luft getrocknet lebensfähig zu bleiben;
gegen Hitze sind sie weniger widerstandsfähig, sie werden schon in einer Minute abgetötet durch Erhitzung auf 80°. Bacillus violaceus kommt zuweilen im Trinkwasser vor;
er ist ausgezeichnet durch einen schönen, intensiv dunkelvioletten Farbstoff, welchen die Kulturen bilden;
eine besondere Bedeutung kommt demselben nicht zu;
seine Anwesenheit im Wasser ist ungefährlich.
Unter dem Namen Bacterium termo vereinigte man früher alle lebhaft beweglichen Bacillen, welche man in faulenden Flüssigkeiten fand; jetzt bezeichnet man mit diesem Namen eine der vielen zur Fäulnis in ursachlicher Beziehung stehenden Arten, welche sich durch Hervorbringung grünlicher Verfärbung der faulenden Flüssigkeiten, auch der Gelatine, auszeichnet und letztere verflüssigt. Alle vorstehend genannten Bakterien färben sich leicht mit den in der Mikroskopie gebräuchlichen Anilinfarben.
II. Parasitische Bakterien.
Schon lange bevor es gelang, die Bakterien durch Züchtung in Reinkulturen dem nähern Studium über ihre Bedeutung zugänglich zu machen, hatte man die Vermutung, daß dieselben zu den Infektionskrankheiten in gewissen Beziehungen stehen. Diese Annahme gewann zuerst Gestalt in der Geburtshilfe durch Semmelweis' Lehre [* 10] von der infektiösen Natur des Kindbettfiebers, sodann in der Chirurgie bezüglich der Wundinfektionskrankheiten. Man sah aber noch lange die Fäulnis der Wund- etc. Sekrete als die eigentliche Ursache der Infektion an, und Listers antiseptische Wundbehandlung, welche den größten Fortschritt in der Chirurgie unsers Jahrhunderts bedeutet, richtete sich gegen die noch mehr geahnten als gekannten Wundinfektionsbakterien. Erst Kochs Untersuchungsmethoden haben Klarheit in die Frage nach dem Vorgang bei der Wundinfektion gebracht, ¶