Hierhin gehört ferner die Bekämpfung der
Trunksucht und
Pflege edler geselliger Vergnügungen (geselligeVereine,
Volksbelustigungen, Gesellschaftsabende), die Anbahnung von gewerblichen
Schiedsgerichten und Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern
und Arbeitern über die Regelung des Arbeitsverhältnisses (Ältesten-Kollegien), endlich
Arbeitsnachweis, direkte materielle
Unterstützungen oder Vorkehrungen zu billiger Beschaffung der notwendigsten Lebensmittel für die
Arbeiter und ihre
Familien
(Masseneinkäufe,
Volksküchen, Kaffeehallen) u. a. Außerdem richten die
Vereine für Arbeiterwohl gewöhnlich ihre
Thätigkeit auf den
Schutz des Familienlebens durch Beschränkung der Sonntagsarbeit, der Nachtarbeit, der
Frauen- und
Kinderarbeit,
soweit solche sittliche und wirtschaftliche
Gefahrenin sich bergen, sowie auf die Unterstützung und
Förderung schon vorhandener
oder neu hervortretender Bestrebungen zur
Hebung
[* 9] der
Sittlichkeit, der
Religiosität und der
Vaterlandsliebe.
Was die Mitgliedschaft zu den
Vereinen für Arbeiterwohl angeht, so nehmen einige
Vereine nur Arbeitgeber auf, andre
stellen einem jeden unbescholtenen
Bürger den
Beitritt frei, erschweren den letztern für die Arbeiterklasse aber durch einen
hohen Beitrag, noch andre
Vereine endlich drücken schon durch den minimalen Beitrag die Absicht aus, neben den Arbeitgebern
eine möglichst große Anzahl von Arbeitern als Mitglieder heranzuziehen und auf diese
Weise den Klassenunterschied
nach Möglichkeit zu überbrücken.
Während von den meisten
Vereinen ein bestimmter Beitrag (meistens in einem Mindestbetrag festgesetzt) erhoben wird, richtet
sich der Beitrag der Mitglieder der reinen Arbeitgebervereine gewöhnlich nach der Zahl der von ihnen beschäftigtenArbeiter.
Die
Vereine für Arbeiterwohl sind konfessionslos, mit Ausnahme des
Verbandes katholischer Industrieller und Arbeiterfreunde: »Arbeiterwohl«,
auf der einen Seite, und der evangelischen
Vereine fürinnere Mission, sofern wir dieselben auf
Grund ihrer Bestrebungen in
neuerer Zeit zu dieser
Kategorie rechnen können, auf der andern Seite.
Von verschiedenen
Vereinen wird ein Vereinsorgan zum Austausch der Meinungen und zur Anregung der einzelnen
Mitglieder benutzt, bez. herausgegeben, so vom Zentralverein für das
Wohl der arbeitenden
Klassen »Der Arbeiterfreund«
(Berlin)
[* 10] und die
Zeitschrift »Volkswohl«
(Herausgeber beider
Schriften V.
Böhmert in
Dresden),
vom
Verein der Anhaltischen Arbeitgeber die »Deutsche
[* 14] Arbeiter-Zeitung«
(Berlin),
vom
Verein Volkswohl in
Dresden das »Monatsblatt«. Bemerkenswert ist, daß auf Anregung des
Anhaltischen
Vereins verschiedene größere Etablissements in dem
Bezirke desselben für ihre
Arbeiter eine
eigne
Zeitung gegründet haben.
Die Thätigkeit der
Vereine für Arbeiterwohl ist eine sehr segensreiche gewesen, wovon die zahlreichen
Wohlfahrtseinrichtungen in den
verschiedenen
Bezirken den besten
Beweis liefern. Mit sachlichem
Interesse haben alle Mitglieder an diesen
Schöpfungen mitgearbeitet,
obwohl viele Schwierigkeiten, namentlich dieAgitation der gegnerisch gesinnten Sozialdemokraten, ihrem
Wirken sich gegenüberstellten. Die Streikbewegung der letzten Jahre hat indessen dieser Vereinsthätigkeit viel Abbruch
gethan und war die Veranlassung zur
Gründung einer Anzahl von reinen
Arbeitervereinen, welche zwar auch das
Wohl der arbeitenden
Klassen zu fördern bestrebt sind, an erster
Stelle aber der fürWirtschaft und
Moral schädlichen Streikbewegung
einen
Damm entgegensetzen wollen.
Unter dieser Überschrift ist bisher (vgl. Bd. 1 u.
17) über das
Streben, auch bei den
Knaben den
Unterricht in gewissen Handfertigkeiten allgemein einzuführen, und namentlich
über die Fortschritte des deutschen
Vereins für erziehliche Knabenhandarbeit berichtet worden. Der
Verein
und mit ihm die
Sache, die er vertritt, haben aus den letzten
Jahren bedeutende Erfolge zu verzeichnen. Die
Frage des Handarbeitsunterrichts
für die männliche
Jugend beschäftigt immer weitere
Kreise.
[* 15] In
Frankreich ist dieser
Unterricht durch
Erlaß des Unterrichtsministers
vom allgemein und pflichtig in sämtlichen
Volks- und
Bürgerschulen sowie demgemäß in den
Lehrerbildungsanstalten eingeführt worden.
Nach neuern amtlichen
Berichten sind thatsächlich 180
Normalschulen
(Seminare) und 220 höhere
Volksschulen in
Frankreich mit
eignen wohlbesetzten Werkstätten ausgerüstet, während in 12,000
Volksschulen die
Handarbeit der
Knaben mit einfachern
Mitteln
betrieben wird. Amtliche Einfügung dieses neuen
Zweiges in den
Lehrplan der öffentlichen
Volksschule ist
ferner vom Jahre 1891 an durch ein neues Schulgesetz in
Norwegen
[* 16] festgesetzt worden.
In den übrigen
Ländern der gebildeten
Welt steht wenigstens dieser Gegenstand überall mit im
Vordergrund der öffentlichen
Interessen und wird gleicherweise vom
pädagogischen wie vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus immer mehr gewürdigt. Das deutsche Handfertigkeitsseminar
zu
Leipzig,
[* 17] dessen verdienter
Leiter,
Dr. W.Götze, jetzt ganz in den
Dienst des
¶
mehr
Vereins übergetreten ist, entfaltet rege Thätigkeit und hat in den letzten beiden Jahren je drei Lehrkurse (Ostern, Juli,
August) von 4-8 Wochen unter zahlreicher Beteiligung von Lehrern aller Stufen abgehalten. Gleichzeitig wird aus Schweden berichtet,
daß das dortige Slöjdseminar zu Nääs bei Gotenburg geradezu großartige Ausdehnung
[* 19] angenommen hat. Es enthält
außer der Wohnung des bekannten Vorstehers Otto Solomon (Björkenääs) Werkstätten für etwa 100 Zöglinge mit den entsprechenden
Räumen für Vorträge, gesellige Zusammenkünfte, Wohnung etc. In dem Jahrzehnt von 1879 bis 1889 sind dort gegen 1100 Lehrer
aller Schularten für den Handfertigkeitsunterricht ausgebildet; davon etwa 900 aus Schweden, von den übrigen
die Mehrzahl aus England und Finnland.
Namentlich englische Lehrer strömen in Scharen herbei, so daß z. B. im letzten Jahre von 130 englischen Bewerbern über 100 zurückgewiesen
werden mußten. Auch die Regierungen haben in Deutschland
[* 20] angefangen, der BewegungAufmerksamkeit zuzuwenden. Bereits 1886 bewilligte
der Landtag im KönigreichSachsen
[* 21] 5000 Mk. jährlich zur Förderung des Arbeitsunterrichts. Im März 1889 ging
auch im preußischen Landtag die Forderung von 14,000 Mk. für den neuen Staatshaushaltsetat anstandslos durch, wovon 5000 Mk.
dem Verein überwiesen sind, denen der Reichskanzler aus Reichsmitteln den gleichen Betrag hinzugefügt hat. Unter den günstigsten
Anzeichen konnten so der neunte Kongreß für erziehliche Knabenarbeit in Hamburg
[* 22] und der zehnte
zu Straßburg
[* 23] abgehalten werden.
Unter den Lehr- und Erziehungsanstalten, an denen der Arbeitsunterricht für die männliche Jugend eingeführt ist, befinden
sich 12 Lehrerseminare, 13 Volks- und Privatschulen, 14 Waisenhäuser, 45 Knabenhorte. Im ganzen sollen 1889 in Deutschland wenigstens 180 Schülerwerkstätten
an 107 Orten mit 5500 Zöglingen bestanden haben. Lehrend waren in diesen Werkstätten etc. 199 Lehrer
und 48 Handwerker thätig. Mit den Kongressen für erziehliche Knabenarbeit waren auch Ausstellungen von Schüler- und Lehrerarbeiten
verbunden, die neben manchen erfreulichen Erzeugnissen aber doch zeigten, was auch die Verhandlungen ergaben, daß die Ansichten
über die Ziele, welche auf diesem Gebiet zu erstreben sind, noch recht weit auseinander gehen.
Neben wahren Kunstprodukten, deren Herstellung den damit beschäftigten Knaben schwerlich erfrischende Erholung gegenüber
der eigentlichen Schularbeit gewährt hat, sah man auch sehr einfache und rohe Arbeiten, die für die ästhetische Bildung
keinen rechten Wert haben. Der Berichterstatter der »Deutschen Schulzeitung« über die StraßburgerAusstellung
empfiehlt als besonders glücklich den Lehrgang des Gymnasiallehrers Fischer zu Zabern
[* 26] i.
Els., der in naturgemäßer Folge vom
Leichtern zum Schwerern fortschreitet und die Handfertigkeitsübungen thunlichst eng an das Zeichnen schließt.
Auch der Beschluß des zehnten Kongresses, daß der Handarbeitsunterricht »in den städtischen
Volksschulen wie an den höhern Lehranstalten, besonders aber in den Lehrerbildungsanstalten überall da, wo die Voraussetzungen
gegeben sind, wahlfrei einzuführen sei«, kam nicht ohne lebhaften Widerspruch solcher Schulmänner zu stande, die von der
»wahlfreien« Einführung entweder Mißerfolg oder Überbürdung, diese
namentlich an den Lehrerseminaren, befürchteten.