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Zinn an prähistorischen Fundstätten ist man nun aber auf Antimon gestoßen. Antimonknöpfe fanden sich in Gräbern am Nordrande des Gebirges, ferner ist Antimon aus assyrisch-babylonischen Fundstätten bekannt geworden und im Mestem, der Augenschminke der alten Ägypter, enthalten. Hierdurch widerlegt sich die frühere Annahme, als sei das Antimon erst im Mittelalter bekannt geworden. Bessere Aufschlüsse über den Gang [* 2] der kaukasischen Kultur erhält man bei Berücksichtigung der Ornamente [* 3] auf den kaukasischen Bronzen.
Obenan steht der Gürtelschmuck für Männer aus Bronzeblechen, die vorn durch ein Schloß von beträchtlicher Größe zusammengehalten werden. In den Funden aus dem Norden [* 4] des Gebirges zeigen die Bleche keine oder nur ganz unbedeutende Verzierungen, das Schloß dagegen zeigt reiche, eingepunzte und oft mit Email gefüllte Ornamente. Die Gürtel [* 5] aus dem Süden besitzen rundherum eine sehr ausgebildete, künstlerische Verzierung, die jedoch so zart ist, daß sie bei der Zerbrechlichkeit der sehr dünnen Bleche oft schwer sichtbar zu machen ist. Die Motive des Ornaments sind stets dem Tierreich entnommen und weisen auf den mandschurischen Hirsch [* 6] und den Grunzochsen hin. Ein Anhalt, [* 7] daß diese Tiere jemals im Kaukasus gelebt haben, besteht nicht, und somit weisen die Ornamente nach dem östlichen Asien [* 8] hin, wo jene gegenwärtig vorkommen. Im zweiten Teil seines Vortrags berichtete Virchow über die neuesten Ausgrabungen Schliemanns am Hügel Hissarlik.
Prof. Schaaffhausen - Bonn [* 9] sprach über das Alter des Menschengeschlechts. Nach der mosaischen Überlieferung ist das Menschengeschlecht 6000 Jahre alt, nach Lyell 200,000 Jahre. Am wahrscheinlichsten dürfte ein Alter von 15-20,000 Jahren sein; immerhin beruht auch das auf bloßer Schätzung. Als man die Spuren der Eiszeit [* 10] entdeckte, meinte man zunächst, der Mensch könne erst nach dieser entstanden sein. Aber die Funde von Wetzikon, welche Beweise für das gleichzeitige Dasein von Mensch und Moschusrind zeigten, bewiesen, daß der Mensch schon während der Eiszeit gelebt habe.
Seine Spuren im Tertiär bleiben allerdings zweifelhaft, obwohl man doch annehmen muß, daß der Mensch auch bereits der Tertiärzeit angehörte. Lage und Funde sprechen dafür, daß der Mensch zusammen mit dem Mastodon in Amerika [* 11] gelebt hat, und einen sichern Beweis seines gleichzeitigen Vorkommens mit dem Mammut in Europa [* 12] liefern die des Markes wegen frisch ausgeschlagenen Knochen [* 13] aus den Höhlen von Krakau [* 14] und Mähren. [* 15] Die Rassen entstehen unter dem Einfluß von Klima [* 16] und Kultur, die niedrigsten Rassen sind die ältesten, und die Merkmale roher Rassen kehren in fossilen Funden wieder; dem kinnlosen Unterkiefer von La Naulette gleicht der Kiefer der Wilden von Neuguinea.
Die große Alveole der letzten Mahlzähne bei jenen entspricht den letzten großen Mahlzähnen der Australier. Die Männer der Höhle von Spy lassen erkennen, daß der aufrechte Gang des Menschen sich allmählich entwickelt hat. Dem entsprechend gehen die rohesten Wilden mit vorgebeugtem Körper und gebogenem Knie. Die Lage des Hinterhauptloches, die hinten abgerundete Tibia, die geringe Entwickelung der Wadenmuskeln, die mehr ausgehöhlte hintere Gelenkfläche des Metatarsus der großen Zehe beim Wilden wie beim vorgeschichtlichen Menschen - das alles steht im notwendigen Zusammenhang.
Die helle Farbe von Haut [* 17] und Haar [* 18] ist wie die blaue Iris ein Erwerb der Kultur. Sie finden sich bei keiner wilden Rasse, nicht bei den höhern Affen, [* 19] nicht bei den Säugetieren im freien Zustand, nur ausnahmsweise bei Haustieren, wie beim Hunde; [* 20] doch kommt die blaue Iris bei Vögeln vor, bei der Gans infolge der Zähmung. Wenn man den Ursprung betrachtet, gibt es nur zwei Rassen, die mongolische und die äthiopische; die kaukasische ist ein Erzeugnis der Kultur. Alte Schriftsteller schildern die heutigen Bewohner Europas als Barbaren, und die Schädelfunde entsprechen diesem Urteil.
Daß aber die Rassen als solche schon sehr alt sind, beweisen die ägyptischen Wandmalereien, die 1500 v. Chr. hellfarbige, blauäugige Menschen neben dem Neger, dem Juden, Mongolen und dem bezopften Chinesen zeigen. Neben diesen rohen Rassen geben sie aber auch edlere Züge in den Bildern der Herrschergeschlechter, die schon erkennbar auf das griechische Schönheitsideal hinweisen. In Fayum haben sich Abbildungen menschlicher Gesichter gefunden, die aussehen, als wenn sie Leuten von heutzutage angehörten.
In der Größe des Gehirns drückt sich der Unterschied zwischen Mensch und Tier am greifbarsten aus. Zwischen höhern und niedern Rassen beträgt der Unterschied in der Größe des Gehirns 150-200 ccm. Schon in der Vorzeit gab es Kurz- und Langschädel ebenso wie Mittelformen, aber der Schädelindex erschöpft die Eigenart der Schädelform nicht, also auch nicht die Bildung des Gehirns, und der große Fortschritt der Menschheit ist undenkbar ohne die Fortentwickelung des Gehirns, also auch des Schädels.
Der Gorillaschädel hat einen durchschnittlichen Inhalt von 485 ccm, der des Neanderthalmenschen einen solchen von 1099, der des Philosophen Kant einen solchen von 1730 ccm. Sicher hat das Klima Einfluß auf die Schädelbildung; ist der Mensch in den Tropen entstanden, so hat er doch seine höchste Ausbildung in den gemäßigten Klimaten erlangt. In Europa wohnte vor den Kelten ein den Lappen verwandtes Volk; wer vor diesem da war, wissen wir nicht. Der Neanderthaler hat nichts vom Kelten und nichts vom Lappen. Da der in ihm vertretene eigentümliche Formenbau in den Skeletten von Spy sich nahezu wiederfindet, so kann man mit Wahrscheinlichkeit schließen, daß dieser Formenbau der Typus einer eingebornen Rasse ist.
Amerika hatte keine ureingeborne Rasse; überall weist die Überlieferung auf erfolgte Einwanderung hin. Der Affe [* 21] brachte es in Amerika nicht über die geschwänzten Formen hinaus. Auch Australien [* 22] besitzt nur eingewanderte Bewohner, die Tierwelt leistet dort ihr Höchstes in den niedrigstehenden Beuteltieren. Was übrigens die Thatsachen der Brachy- und Dolichokephalie betrifft, so sind diese nicht so unveränderlich, wie es vielleicht scheinen könnte. Unter den kurzköpfigen Mongolen treten langköpfige Chinesen auf, und unter den langköpfigen Negern stößt man auf nicht wenige kurzschädelige Stämme und Individuen. Der Neanderthaler ist langschädelig, aber die große Länge wird hervorgebracht durch den Bau der Stirnteile und der Augenhöhlen; rechnet man diese Vorsprünge ab, so bleibt eine Mittelform, ja fast Kurzköpfigkeit übrig. Über alle diese Verhältnisse kann man auf keine andre Weise endgültigen Aufschluß gewinnen als mit Hilfe der Entwickelungsgeschichte. [* 23]
Den letzten Vortrag hielt Dr. Buschau über Heimat und Alter der europäischen Kulturpflanzen. Die älteste Halmfrucht ist der Weizen, schon, 3000 Jahre v. Chr. wurde er der Sage nach in China [* 24] eingeführt; bei uns, ebenso in Österreich, [* 25] Italien, [* 26] Frankreich, Ungarn, [* 27] der Schweiz, [* 28] kommt er schon recht häufig in der jüngern Steinzeit [* 29] vor, häufiger noch in der Bronzezeit. Die Insel Laaland ist die nördlichste seiner alten Fundstellen; in den ¶
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Kjökkenmöddinger fehlt jede Kornfrucht. Am häufigsten ist unter den vorgeschichtlichen Weizenfunden Triticum vulgare und zwar die kleinere Spielart desselben, von Heer deshalb als T. antiquorum bezeichnet. Spelz (T. spelta) fehlt unter den vorgeschichtlichen Funden gänzlich, auch die Römer [* 31] scheinen ihn noch nicht gekannt zu haben. Vereinzelt, z. B. auch unter den trojanischen Funden, kommt das Einkorn (T. monococcum) vor, häufiger der Bartweizen (T. turgidum), wahrscheinlich ein Kreuzungsprodukt.
Die Heimat des Weizens sucht Vortragender in den Gebieten zwischen Ägypten, [* 32] Kleinasien und Griechenland. [* 33] Die Gerste [* 34] dagegen stammt wohl aus Ägypten, wo sie sich in den ältesten Grabkammern findet, während sie unter den Funden Europas seltener ist als der Weizen. Am häufigsten findet sich die sechszeilige Gerste sowie eine kleinere Art derselben (Hordeum sanctum Heer), minder häufig die zweizeilige, nirgends die vierzeilige, die wohl erst in späterer Zeit durch Kreuzung jener beiden gezüchtet worden ist.
Den Roggen erwähnt zuerst Plinius, er gibt an, die Tauriner in den Alpen [* 35] bauten Secale. Früher und südlicher ist keine Spur des Roggens zu finden, weder in den altägyptischen Gräbern noch in den Schweizer Pfahlbauten [* 36] der Steinzeit. Die indischen und semitischen Sprachen besitzen keinen Ausdruck für Roggen. Der älteste Roggenfund gehört dem Pfahlbau von Olmütz [* 37] (Bronzezeit) an; dann tritt die Frucht häufiger in den mittelalterlichen slawischen Ansiedelungen auf.
Jedenfalls haben die Slawen den Roggen, dessen Name selbst slawisch ist, aus Osteuropa (Rußland) nach Westen gebracht. Hafer [* 38] war in Assyrien, Judäa, Ägypten unbekannt. In China wird er etwa 800 n. Chr. zum erstenmal erwähnt. Die ältesten Haferfunde entstammen dem bronzezeitlichen Pfahlbau von Montelier, der Petersinsel und Hallstatt. Diese drei südlich der Alpen gelegenen Funde sind die einzigen bis zum Mittelalter, wo dann der Hafer nördlich der Alpen erscheint und häufig angetroffen wird.
Das Hafermus der alten Deutschen, welches Plinius erwähnt, erscheint dem Redner deshalb nicht ganz zweifellos; als Heimat des Hafers betrachtet er die Ostseeländer. Die wilde Art des Weinstocks ist in Europa heimisch, und zwar erscheint die Gattung Vitis bereits in der Tertiärzeit. Aus der Steinzeit liegt ein Fund von Rebenresten vor, der dem Pfahlbau Bovere im Scheldethal entnommen wurde. Mehrfach stieß man auf Weintraubenkerne in den italienischen Terramaren.
Diese Kerne gehören einer kleinen, vermutlich wild wachsenden Art des Weinstocks an. Ob diese Art auch angebaut wurde, ist zweifelhaft; nirgends in den Terramaren finden sich Spuren von Geräten zur Kelterung des Weins. Auch die Topfreste der Terramaren sind aus so porösem Stoff, daß sie nicht zur Aufbewahrung des Weins gedient haben können. Dagegen ist im alten Griechenland die Rebenkultur im ausgedehnten Maß betrieben worden. Schon Homer beschreibt sie. Als Heimat des Weinstocks bezeichnet Redner den Süden des Kaukasus. Das Schlußergebnis der Ausführungen geht dahin: Die ersten Kulturpflanzen treten in der jüngern Steinzeit auf;
neben Weizen und Gerste finden sich Bohnen, Erbsen, Linsen, Flachs, Hirse, [* 39] Weintrauben.
Der Mensch der ältern Steinzeit trieb noch keinen Pflanzenbau, er lebte vielmehr von Jagd und Fischfang, bis, wie Redner vermutet, die Arier den Ackerbau nach Europa verpflanzten.
Prof. Ascherson ergänzte den Vortrag durch einige Bemerkungen über die Stammformen unsrer Getreidearten, wie solche durch neuere und neueste Forschungen bestimmt worden sind. So hat Körnicke überzeugend nachgewiesen, daß der Roggen nicht, wie früher angenommen, von dem in den Steppenländern wachsenden Secale fragile, sondern von dem am östlichen Mittelmeer heimischen S. montanum abstammt. Die Urform unsers Weizens ist das Einkorn (Triticum monococcum), welches von T. dicoccum wohl zu unterscheiden ist. Die Gerste ist auf Hordeum spontaneum zurückzuführen; Taubert hat diese Art neuerdings in der Kyrenaika wild wachsend angetroffen. Auch der Hafer stammt von Arten, die im Gebiete des Mittelmeers [* 40] heimisch sind.
In der dritten Sitzung berichtete Prof. Schaaffhausen über die Fortschritte des Schädelkatalogs; man dürfe hoffen, es werde der knöcherne Kodex der Schädellehre [* 41] mit seinen genauen Angaben über 9-10,000 Schädel binnen zwei Jahren vollendet sein. Bei Erwähnung der Vorschläge zur Erweiterung der Körpermessung gedachte Redner der an Studierenden der Universität Cambridge ausgeführten Messungen. Die jungen Leute standen im Alter von 19-24 Jahren. Sie wurden nach ihrer geistigen Begabung in drei Gruppen geteilt, und es zeigte sich nun, daß bei den minder Begabten der Schädel bereits mit dem 19. Lebensjahr seinen größten Umfang erreicht hatte, während er bei den Bestbeanlagten bis zum 24. Jahre wuchs.
Die Körperkraft war aber bei den geistig Unbedeutendern merklich höher als bei den geistig Höherstehenden; sie erreichte durchschnittlich im 23. Jahre ihren Höhepunkt, und auch die Atmungsgröße entsprach dem, insofern die Lungen im 23. Jahre ihre höchste Leistung äußerten. Prof. Ranke - München [* 42] berichtete über Rekrutenmessungen in Bayern, [* 43] welche von der Militärbehörde unter der Bedingung gestattet worden waren, daß die Leute zu denselben nicht gezwungen werden sollten.
Indessen entzogen sich von 1200 Rekruten nur 9 den Messungen, die ohne Störung des Aushebungsgeschäfts, aber mit einem Kostenaufwand von 25 Pf. pro Mann ausgeführt wurden. Man nahm dabei mit Ausnahme der Ohrhöhe alle in Wien [* 44] als wünschenswert bezeichneten Maße. Generalarzt Friedrich befürwortete die Ausführung derartiger Körpermessungen in größern Spitälern. Die vorgeschichtliche Karte von Deutschland [* 45] schreitet rüstig fort und wird bereits im nächsten Jahre in großen Teilen vorliegen.
Nunmehr sprach Dr. Finke - Münster [* 46] über die Urgeschichte Westfalens bis zur Einführung des Christentums. Redner widmete eingehende Erörterung der vielumstrittenen Schlacht im Teutoburger Walde, besprach dann die geschichtliche Entwickelung der einzelnen germanischen Stämme, soweit sie Westfalen [* 47] berührt haben, und schloß mit einem Überblick über die Entwickelung der Kulturzustände auf der roten Erde während der besprochenen geschichtlichen Periode.
An den Vortrag knüpfte sich eine lebhafte Debatte zwischen Virchow und Nordhoff über das Alter der westfälischen Hünengräber. Für den nächstjährigen Kongreß wurde dann Königsberg [* 48] gewählt. Aus der Vorstandswahl gingen Virchow als erster, Schaaffhausen als zweiter und Waldeyer als dritter Vorsitzender hervor. Dann sprach Dr. Hachwitz - Bochum [* 49] über die volksgebräuchlichen Freudenfeuer, Osterfeuer, Johannisfeuer. Bei seinen Forschungen ist dem Redner aufgefallen, daß wo die Osterfeuer nach Süden aufhören, die Johannisfeuer beginnen. Erstere hat Redner verfolgt von Zerbst [* 50] aus über Bernburg, [* 51] den Südharz, den Kyffhäuser, die Hainleite, das Eichsfeld, den Hüffelsberg bei Eschwege bis zum Meißner. Im hessischen Lande fand er sie ¶