San
Marino, Republik in Mittelitalien, der kleinste Staat Europas, umfaßt ein Areal von 59 qkm (1,07 QM.) mit einer Bevölkerung [* 2] von (1886) 7840 Seelen und bildet einen hügeligen Landstrich zwischen den Provinzen Pesaro e Urbino und Forli, der von den letzten Ausläufern der Apenninen durchzogen (Titano 738 m) und von den Flüssen Tamaro und Calore bewässert wird. Der Boden ist, soweit er nicht steinig ist, fruchtbar; Produkte sind: Getreide, [* 3] Kastanien, Wein, Öl und Seide. [* 4]
Hauptbeschäftigung ist Ackerbau und Viehzucht; [* 5] die gewerbliche Industrie ist ganz unbedeutend. Was die Verfassung des Ländchens anbelangt, so geht der souveräne Große Rat (generale consiglio-principe), welcher mit der gesetzgebenden Gewalt betraut ist, nicht aus Volkswahlen hervor, sondern besteht aus 60 Mitgliedern auf Lebenszeit, die zu je einem Dritteil dem adligen Patrizierstand, den städtischen Bürgern und den ländlichen Grundeigentümern angehören; erledigte Stellen werden durch Kooptation vom Rat selbst besetzt.
Die vollziehende Gewalt besitzen zwei Capitani reggenti, welche vom Großen Rat aus seiner Mitte (der erste aus den Adligen, der zweite aus den Bürgern und ländlichen Grundbesitzern) gewählt werden. Jeder derselben bleibt sechs Monate im Amt. Eine aus zwölf Mitgliedern des Großen Rats gebildete Congregazione economica di stato hat für die Förderung der Landwirtschaft Sorge zu tragen. Sonst ist die Staatsverwaltung unter zwei Staatssekretäre verteilt, neben welchen ein Generalschatzmeister und ein Oberkommandant der Miliz bestellt sind.
Die Rechtspflege wird in Strafsachen von dem Rate der Zwölf, einem Ausschuß des Großen Rats, der sich durch zwei auswärtige Rechtsgelehrte verstärkt, als dem höchsten Tribunal gehandhabt; sonst bestehen zwei Richter, beide auswärtige Juristen, die auf drei Jahre gewählt werden. Die Staatseinnahmen und die Staatsausgaben wurden 1887/88 mit 139,000 Lire veranschlagt; eine Staatsschuld existiert nicht. Die Miliz besteht aus 9 Kompanien, welche 38 Offiziere und 950 Mann zählen. Nach der mit Italien [* 6] abgeschlossenen und erneuerten Konvention hat sich die Republik unter den Schutz des Königs von Italien gestellt. In kirchlicher Beziehung gehört das Ländchen zur Diözese von Montefeltre. Seit 1859 besteht ein vom Großen Rat gestifteter Ritterorden (mit den fünf Graden der Ehrenlegion). Das Wappen [* 7] zeigt in blauem Schilde drei silberne Türme, welche sich auf einem Felsen erheben. - Die Hauptstadt S. liegt 15 km südwestlich von Rimini auf hoher Felswand, zu welcher in weiten Windungen eine neue Straße hinanführt, hat enge, steile Straßen, einen Platz mit Zisterne, 5 Kirchen, ein Theater, [* 8] ganz in der Höhe die alte, turmgekrönte Burg mit weitem Ausblick, ein Gymnasium, eine Münzsammlung (von Borghesi angelegt) und ca. 1600 Einw. An die Stadt schließt sich Borgo di S. an, am Fuß des Bergs gelegen, mit 2 von Arkaden umgebenen Plätzen und 3 Kirchen. Die übrigen Ortschaften und zerstreuten Häuser bilden die Gemeinden Serravalle, Faetano und Monte Giardino.
Geschichte. Als Gründer der Stadt und erster Missionär in dieser Gegend wird ein ehemaliger Krieger und Einsiedler, Marinus, im 3. Jahrh. genannt. Im 11. Jahrh. kauften die Bewohner San Marinos einige naheliegende Dörfer, nahmen auf ghibellinischer Seite teil an den Kämpfen zwischen Kaiser und Papst und traten um die Mitte des 13. Jahrh. in ein freundschaftliches Verhältnis zu den Grafen von Montefeltro und Urbino, ein Verhältnis, das allmählich zu einem förmlichen Schutzbündnis ward.
Diesem verdankt S. seine Unabhängigkeit. Als Papst Urban VIII. 1631 von dem Herzogtum Urbino als heimgefallenem Lehen Besitz nahm und es dem Kirchenstaat einverleibte, bestätigte er den Schutztraktat mit der Republik, erkannte deren Unabhängigkeit an und verlieh ihr Zollfreiheit für ihre Ausfuhr nach seinen Staaten. Auch Napoleon I. schonte S., und nach der Restauration blieb S. ein freier Staat unter dem Schutz des Papstes. Im September 1847 wurde der Ausschuß oder Rat in eine repräsentative Kammer verwandelt, deren Mitglieder von sämtlichen Einwohnern gewählt wurden. 1850 und 1851 suchten mehrere Flüchtlinge aus dem Kirchenstaat in S. eine Zuflucht, deren Verbannung oder Auslieferung die päpstliche Regierung verlangte.
Infolgedessen rückten im Juni 1851 mit Zustimmung der exekutiven Behörde der Republik 800 Österreicher von Ancona [* 9] und 200 päpstliche Gendarmen und Liniensoldaten in S. ein; die politischen Verbrecher erhielten Pässe ins Ausland, die gemeinen wurden an die Gerichte des Kirchenstaats abgeliefert. Seitdem blieb S. vollständig ruhig und verhielt sich auch bei den großen staatlichen Umwälzungen, welche 1859 und 1860 ganz Italien betrafen, durchaus neutral, wurde daher auch von den neuen Ereignissen nicht berührt und in seinem Bestand nicht beeinträchtigt. Des 1862 mit Italien abgeschlossenen Schutzvertrags wurde schon oben gedacht.
Vgl. Delfico, Memorie della repubblica di S. (Mail. 1804, 2 Bde.; Flor. 1843);
Graf Bruc, St-Marin, ses institutions, son histoire (Par. 1876);
Jonas, Studie über die Republik S. (Wien [* 10] 1878);
Cazeneuve, San Marino
(Par. 1887).