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Gesetzes durch, indem es einige Bestimmungen ein- ^ fügte, die Religion und Sitte wirksamer als bisher schützen sollten, aber ihre Spitze gegen die freie wissen- schaftliche Forschung richteten. Hierzu konnten die Mittelparteien ihre Zustimmung nicht geben, und da das Centrum die Regierungsvorlage nickt an- nahm, so fand sich keine Mehrheit, und das Gesetz wurde in der zweiten Lesung abgelehnt Von den übrigen Beschlüssen des Reichstags waren die wichtigsten die Erhöhung der Zuckerprämien und ' der Branntweinsteuer, die Abänderung des Reichs- invalidenfonds, die Verstärkung [* 1] der Marine um vier Kreuzer und das Gesetz zur Bestrafung des Sklaven- handels und -Raubes. Am erfolgte die feierliche Eröffnung des Nordostseekanals unter Teilnahme sämtlicher seefahrenden Nationen, außerdem fielen in dieses Jahr die Jubiläumsfeiern der Siege von 1870, die mit einem zur Erinnerung an den Friedensschluß in Frankfurt [* 2] a. M. unter Teilnahme des Kaisers abgehaltenenFeste ihren Abschluß fanden.
Für die Entwicklung des Parteiwesens war das I. 1895 höchst wichtig. In der Deutschkonserva- tiven Partei (s. d.) kam es zu lebhaften Kämpfen zwischen den agrarischen Elementen und den Christ- lich-Socialen, die damit endeten, daß die Christlich- Socialen unter Führung des Hofpredigers a. D. Stöcker aus der Partei ausschieden si. Febr. 1896; s. Christlich-sociale Partei). Auch die Socialdemo kratie (s. d.) blieb nicht von innern Kämpfen ver schont. Nach außen blieb die Partei jedoch einig und lieh es uamentlich im Militärweseu nicbt an scbarfen Angriffen auf die Regierung fehlen.
Sehr ereignisreich war das 1.1895 auf dem Ge- diete der auswärtigen Politik. In dem Kriege zwi- schen Japan [* 3] und China hielt Deutschland [* 4] strikte Neu- tralität; aber als Japan im Frieden von Simono- seki China und Korea in seine wirtschaftliche und polit. Abhängigkeit zu bringen drohte, setzte Deutscb- land gemeinsam mit Rußland, Frankreich und Spa- nien eine durcb. Daß Deutschland hier an der Seite seiner europ. Gegner den siegreichen Japanern, die in Deutsch- land viel ^ympatbie fanden, entgegentrat, wurde vielfach verurteilt, fand aber seine Erklärung darin, daß Deutschland den Russen und Franzosen die Re- gelung der ostasiat.
Frage uicht allein überlassen durfte, vielmehr durch seine Mitwirkung deren Vor- gehen gegen Japan seinen Interessen entsprechend modifizieren konnte. Der Abschluß einer chines. An- leihe durch deutsche Häuser und ein deutsch-japcm. Handelsvertrag, der abgeschlossen und 12. Juni auch vom Reichstage angenommen wurde, waren die Folgen dieser Politik. In der armenischen Frage (s. Armenien) war Deutschland weniger interessiert. Es nahm an der ersten Intervention Englands, Frankreichs und Ruß- lands (Anfang 1895) keinen Anteil; erst als Anfang Oktober Straßenkämpfe in Konstantinopel [* 5] stattfan- den, beteiligte es sich an den Vorstellungen gegen die Pforte, und einen Monat später verlangte es gemeinsam mit den beiden andern Dreibundsmit gliedern von den beabsichtigten Reformen in Arme- nien offiziell in Kenntnis gesetzt zu werden.
Seit- dem ging die deutsche Negierung mit den übrigen Großmächten gemeinsam vor und empfahl der Pforte wiederholt dringend Reformen zur Beruhigung der Armenier^ widerstrebte aber einem bewaffneten Druck am den Sultan, wie ihn England vorschlug. Brockhaue' Konversations-Lexikon. 14. Aufl.. XVII. Bald geriet Deutschland auch auf anderm Gebiete zu England in Gegensatz. Schon lange hatte sich m England infolge der starken deutschen Konkurrenz in Industrie und Handel eine antideutsche Stimmung geltend gemacht, die nach dem Widersprüche Deutsch- lands gegen den engl.-kongolesischen Vertrag neue Nahrung erhielt.
Zum erstenmal kam sie zu offenem Ausbruch, als im Sommer 1895 der Kaiser seiner Großmutter einen Besuch abstattete und dabei mit taktlosen Artikeln in ministeriellen Blättern ein- pfangen wurde, worauf deutsche Zeitungen scharfe Entgegnungen brachten. Viel heftiger aber wurde der Streit, als Anfang 1890 Deutschland für die von Beamten der engl. (Harwi oä ^0mz)"u^ über- fallene Südafrikanische Republik [* 6] entschieden Partei nahm. Die deutsche Regierung forderte und erhielt die Erklärung von der englischen, daß sie die Erpe- dition mißbillige und die Unabhängigkeit der Buren- republik nicht antasten wolle.
Bereits in diesem Vor- gebeil erblickten die Engländer eine unberechtigte Ein- misckung Deutschlands, [* 7] und als der Kaiser den Präsi- denten Krüger zu seinem l^iege über die Freibeuter beglückwünschte, stieg die Erbitterung aufs höchste, und die eugl. Zeitungen ergingen sich in den heftig- sten Drohungen und Schmähungen gegen Deutsch- land. Der Streit batte zwar keine äußern Folgen, docb blieb ein gewisser Antagonismus zwischen bei- den Nationen bestehen.
Die Haltung der deutschen Regierung begegnete im Volke wie im Reichstage ausgesprochener Sympathie. Sehr fruchtbar war die Reichstagösession von 1895/96. In derselben wurden zunächst mehrere Gesetzentwürfe angenommen, die teils der Land- wirtschaft, teils dem kleinen Handelsstande zu gute kommen sollen, so das Zuckersteuergesetz, das Vörsengesetz, das Gesetz gegen den unlautern Wett- bewerb. Ein Gesetzentwurf derselben Tendenz gegen die künstlichen Ersatzmittel für Butter u. dgl., das si.^.
Margarinegesetz, fand jedoch wegen seiner weit- gehenden Bestimmungen uicht die Zustimmung des Bundesrates. Ferner wurde eine Abänderung der Armeereform von )89^ beschlossen, wodurch die 1. (Halb-)Bataillone in Vollbataillone umgewandelt werden sollen ^s. Deutsches Heerwesen); sodann das Depotgesetz, das genaue Vorschriften über die Auf- bewahrung fremder Wertpapiere enthält, und endlich wurde die Stellung der kaiferl. Schutztruppen in den afrik. Kolonien neu geregelt.
Weitaus das bedeu- tendste Ergebnis der Session war jedoch die Annahme des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Am dem Reichstage vorgelegt, wurde es vom 8. bis 6. Febr. in erster Lesung behandelt; hierauf fanden eifrige Kommissionsberatungen statt, und 19. Juni das Plenum zur zweiten Lesung zurückgelangt, wurde es ). Juli mit 222 gegen 48 Stimmen in dritter Be- ratung genehmigt. «Dagegen votierten nur die So- cialdemokraten, Antisemiten, Elsaß-Lothringer und einige Konservative. Der Regierungsentwurf blieb im wesentlichen unverändert; ursprünglich machte sich zwar eme Apposition von kath. und orthodor- prot. Seite gegen das Eherecht, namentlich die Civil- ehe, geltend, indessen wurden alle derartigen Anträge von principieller Bedeutung abgelehnt. Die öffent- liche Meinung nahm die Vollendung des großen nationalen Werkes mit Genugthuung auf, und auch der Kaiser ließ dem Reichstage durch den Reichskanz- ler seinen Dank für den bewiesenen Patriotismus aufsprechen. Die Vollziehung durch kaiserl. Unter- scbrift erfolgte 21 ¶