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ohne Vermittelung eines äußern Trägers des In- fektionsstoffes geleugnet; der damals noch unbe- kannte Infektionsstoff werde vom Cholerakranken nicht in fertigem, infektionstüchtigem Zustande aus- geschieden, sondern müsse im Boden erst eine ge- wisse Umwandlung erfahren, um dann eine neue Ansteckung bewirken zu können. Jene besondern Eigenschaften des Bodens, welche diese Umwandlung des primären, von Erkrankten ausgeschiedenen, an sich unwirksamen Krankheitskeimes, den von Pet- tenkofer bei dem damaligen Fehlen jeglicher nähern Kenntnis desselben einfach als x bezeichnete, be- wirken, hielt dieser Forscher dann für gegeben, wenn in einem lockern, mit organischen fäulnisfähigen Stoffen imprägnierten und zeitweise durchfeuchteten Boden das Grundwasser [* 1] sinke; welcher Art die unter solchen Verhältnissen im Boden zur Wirkung gelangenden Faktoren seien, ob etwa gar ein zweiter organisierter Keim hierbei mitspiele ldib lastische Tbeorie Nägelis), war übrigens ebenfalls völlig unbekannt, weshalb diese Bodenwirkung als zweite Unbekannte einfach mit x bezeichnet wurde.
Unter der Einwirkung dieses ^ sollte nun im Boden der vorher unwirksame Keim heranreifen und als fer- tiges, infektionstüchtigcs 2 durch Luftströme aus dem Boden in die Atmosphäre geführt werden; von hier aus fei dann die Möglichkeit einer Aufnahme in die Luftwege des Menschen und biermit einer Neuinfektion gegeben. Als thatsächliche Grund- lagen für seine Hypothese führte von Pcttenkofer hauptsächlich die Existenz einer örtlichen und zeit- lichen Disposition oder Immunität gegen Cholera an. So giebt es z. B. geradezu immune Orte, wozu selbst große Städte wie Lyon, [* 2] Versailles, [* 3] Hannover, [* 4] Stuttgart, [* 5] Frankfurt [* 6] a. M. gehören, während an- dere Städte befonders häufig von Cholera befallen wer- den.
Ähnliches sollte auch für größere Gegenden so- wie andererseits für kleine, dicht benachbarte Be- zirke, z. V. verschiedene Stadtteile, gelten; die Unter- schiede sollten sich in allen Fällen auf die Beschaffen- heit des Untergrundes zurückführen lassen. Betreffs der jahreszeitlichen Verteilung der Cholerafälle hebt von Pettenkofcr hervor, daß sowohl in Indien wie in Europa [* 7] die stärkste Entwicklung der Epidemien stets mit dem Tiefstand des Grunowasscrs zusammen- falle.
Ferner werden als Stützen der lokalistischen Lebre das Fehlen größerer Choleraepidemien auf Seeschiffen (wo ja der Einfluß des Bodens ganz in Wegfall komme) sowie die Gruppierung der Cbo- leraepidemien nach den natürlichen Drainagcgebie- ten eines Landes, nach den Flußläufen, angeführt. Viele der angeführten epidemiologischen Thatsachen sind nun als solche auch heute noch als richtig an- zusehen; doch ist die Deutung derselben nicht ge- nügend begründet, und für viele Thatsachen ist eine ganz andere, ungezwungenere, vollständig einwands- freie Erklärung möglich.
Hier sei nur erwähnt, daß z. V. die örtliche Immunität gewisser Städte sich in viel einfacherer Weise auf die daselbst herrschen- den günstigern socialen Zustände zurückfübrcn läßt, zumal von einigen dieser Orte auch eine bedeutend geringere Gefamtsterblichkeit ermittelt worden ist, und andererseits durch statist. Erhebungen feststeht, daß Armut der Bevölkerung [* 8] der epidemischen Verbrei- tung der Cholera, und zwar in weit Höbcrm Maße als bei andern Infektionskrankheiten, Vorschub leistet.
Das angeführte Zusammenfallen von Grundwasser- tiefstand und jahreszeitlicher Choleraausbreitung ist ferner nur rein zufällig; auch sind in Indien selbst Abweichungen von der Negel zu verzeich- nen. Auch auf Seeschiffen sind Epidemien von Cholera beobachtet worden; ihre relative Seltenheit erklärt, sich durch die Möglichkeit schärferer ärztlicher Kon- trolle. Insbesondere aber erklärt sich die Gruppie- rung der Cholerafälle nach Flußläufen sehr einfach durch die direkte Infektion des Fluhwassers mittels- Cboleradejektionen von Schiffern, Anwohnernu.s. w. Betreffs genauer kritischer Analyse der von Pet- tenkofer vorgebrachten Argumente fei auf Flügges eingebende Arbeit in der «Zeitschrift für Hygieine und Infektionskrankheiten», Bd. 14, verwiesen.
Hiernach liegt in den mitgeteilten epidemiologischen Thatsachen nicht der mindeste zwingende Grund vor,, der zur Annahme der lokalistischen Theorie nötigte. Im Gegenteil sind neuerdings mehrfache sichere epidemiologische Thatsachen festgestellt worden, welche den Voraussetzungen dieser Lehre [* 9] direkt wider- sprechen und sie völlig unannehmbar erscheinen lassen. Hierher gehören vor allem die in größter Zahl nachgewiesenen Fälle von direkter Übertra- gung der Cholera von Kranken auf Gesunde, wofür be- sonders die im Litteraturverzeichnis angeführten Arbeiten von Flügge über die neueste oberschlesische sowie von Amsterdamsky über eine 1894er russ. Epi- demie einzusehen sind; in beiden, auf Hunderte von Füllen ausgedehnten Epidemien handelte es sich ausschließlich um unmittelbare Kontaktinfektionen.
Allerdings läßt sich eine solche direkte Ansteckung, da sie nur durch Berührungen mit den Kranken, dessen Dejektionen oder Gcbrauchsgegenständen, nie- mals aber durch die Luft zu stände' kommen kann, und da der Cholerakeim gegen äußere Schädigun- gen sehr wenig widerstandsfähig ist, sebr leicht durch zweckmäßige Lebensführung, Reinlichkeit und des- infizierende Mahnahmen vermeiden; zudem ist, wie noch zu besprechen, die individuelle Disposition re- lativ gering. So können also durch die unmittelbare Ansteckung allein nie explosionsartig auftretende gleichzeitige Massenerkrankungen zu stände kommen.
Ganz unvereinbar mit der lokalistiscben Lehre sind ferner die neuerdings mehrfach mit Sicherheit kon- statierten Fälle einer Verbreitung der Cholera durch in- fiziertes Trinkwasser; hierbei treten, besonders wenn es sich um größere Wasserversorgungsanlagen han- delt, wirkliche Masscnerkrankuugen auf, und die Art der Wasserversorgung zeigt sich von alleinigem, beherrschendem Einfluß auf die Verbreitung der Epi- demie, unbekümmert um alle Bodenverhältnisse u.s.w.
Ein wahrhaft klassisches Beispiel hierfür liefert das Verhalten der großen 1892er Epidemie in Ham- burg und Altona. [* 10] Hamburg, [* 11] welches damals mit unfiltriertcm Elbwasser versorgt war, wurde in furchtbarer Weise heimgesucht, während Altona, das filtriertes Wasser bezog, abgesehen von den aus der Nachbarstadt eingeschleppten Fällen, fast ganz ver- schont blieb, obgleich alle sonstigen Vebauungs-, Bodenverhältnisse u. s. w. beiderseits ganz gleich waren.
Die Grenze zwischen beiden Städten be- zeichnete streng die Schranke für die Ausbreitung, der Cholera; dies ging so weit, daß sogar ein inmitten eines stark verseuchten Hamburger Stadtgebietes gelegenes Hamburger Grundstück, das aber von Altona aus mit Wasser versorgt war, vollständig frei blieb. Die Vertreter der lokalistischen Lehre haben vergebens versucht, dieses prägnante Beispiel einer direkt, ohne jede Beteiligung des Bodens er- folgten Masseninfektion mit ihrer Tbeorie in Ein- klang zu bringen, während es vom Standpunkt der Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen. ¶