zugeführt wird, erhält der
Taube durch das
Auge
[* 1] nur
Vorstellungen vom Sinnlichen und ist dadurch lediglich auf Sinnliches
hingewiesen.
Der ungebildete
Taubstumme denkt nicht, wie der Hörende, in Worten, in
Begriffen, sondern nur in
Anschauungen und Bildern.
Ein klares abstraktes
Denken ist ihm unmöglich. Aus diesem
Grunde stellte man diese Unglücklichen in
frühern
Zeiten in gleiche Reihe mit den Blödsinnigen und hielt sie für bildungsunfähig. Auch in sittlicher
Beziehung steht
der ungebildete
Taubstumme auf sehr niedriger
Stufe, zumal wenn er in einer Umgebung aufgewachsen ist, die sich wenig um ihn
gekümmert oder wohl gar zum
Bösen Anleitung gegeben hat. Um sich verständlich zu machen, bedient er
sich der Gebärdensprache. (S.
Gebärden.) Obgleich dieselbe (namentlich in
Frankreich) sehr vervollkommnet worden, so kann
sie doch nie die hörbare
Sprache
[* 2] ersetzen; aber sie ist wichtig als das erste Bildungsmittel des
Taubstummen.
Eine höhere Ausbildung des
Taubstummen wird jedoch nur durch das Wort möqlich, nur dadurch kann
Geist
und
Herz in ähnlicher
Weise wie bei den Hörenden veredelt werden. Es ist dies die schöne, aber schwere
Aufgabe des
Taubstummenunterrichts
(s. d.), dessen Resultate besonders bei befähigten
Taubstummen wahrhaft bewundernswert sind. Nicht nur, daß viele dieser
gebildeten
Taubstummen sich als geschickte Handwerker und Künstler auszeichnen, einzelne unter ihnen
sind sogar schriftstellerisch thätig gewesen, wie der verstorbene
Karl Teuscher in
Leipzig
[* 3] und
Otto Kruse in
Altona.
[* 4]
Gelangen auch nur wenige auf eine solche
Stufe geistiger Ausbildung, so gelingt es doch bei den meisten, daß sie wenigstens
der Hauptvorteile der
Sprache teilhaftig werden. Freilich klingt das Sprechen vieler dieser
Armen gewöhnlich
rauh und monoton und beleidigt das an modulierte
Sprache gewöhnte
Ohr.
[* 5] Die Zahl der
Taubstummen läßt sich nicht genau angeben;
man rechnet im allgemeinen 1
Taubstummen auf 1400
Menschen, also 700 auf 1 Mill. Demnach müßten auf der ganzen Erde etwa 1 Mill.
Taubstumme sein, wovon auf Europa
[* 6] 220000, auf
Deutschland
[* 7] etwa 30000 kämen. In gebirgigen Gegenden kommt
die Taubstummheit häufiger als in den mehr ebenen vor. Die männlichen
Taubstummen verhalten sich zu den weiblichen wie 4:3;
die bildungsfähigen zur Gesamtzahl wie 3:10. -
Für
Taubstumme gelten die rechtlichen Vorschriften wie für
Taube (s.
Taubheit) und
Stumme. Besonders vorgeschrieben ist im
Deutschen Strafgesetzbuch §. 58, daß ein angeklagter Taubstummer, welcher die zur Erkenntnis der Strafbarkeit einer
von ihm begangenen Handlung erforderliche Einsicht nicht besaß, freizusprechen ist. Im schwurgerichtlichen
Verfahren ist
deshalb eine besondere Frage zu stellen.
Blinde,Personen, die in früher
Jugend, vor dem schulpflichtigen
Alter, taub und blind geworden sind. Da sie
somit von den fünf
Sinnen des
Menschen nur auf drei (Fühlen, Riechen, Schmecken) beschränkt sind, so nennt man sie auch
Dreisinnige. Auf etwa 1 Mill.Menschen wird ein taubstummer
Blinder gerechnet. In neuerer Zeit ist es gelungen,
auch ihnen die Kenntnis des
Lesens (durch Betastenlassen allgemein gebrauchter Dinge, wie
Messer,
[* 9] Gabel, Löffel,
Schlüssel,
auf denen die Benennung in
Blindenschrift angebracht
ist) und der
Fingersprache (wobei sie die
Hände des mit ihnen Sprechenden
anfassen) beizubringen, sowie sie in den
Stand zu setzen, ein Handwerk (Drechslerei, Korbmacherei, Bürstenbinderei)
zu betreiben. Der bekannteste Fall ist die taubstummblinde Amerikanerin Laura
Bridgman (1829-89), die in der
Blindenanstalt
zu
Boston
[* 10] lesen und schreiben lernte.
Andere Fälle kamen vor in Lausanne,
[* 11]
Dresden
[* 12] (Jahresbericht der dortigen
Blindenanstalt
von 1861) und an andern OrtenDeutschlands.
[* 13] -
Unterrichtsanstalten für
Taubstumme. Sie entstanden erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh.
Das
Altertum erzählt nichts von Versuchen, die
Taubstummen zu bilden. Auch die
Kirche nahm sich ihrer nicht
an, da der heil.
Augustinus den
Satz aufgestellt hatte: «Von
Geburt aus
Taubstumme können niemals
Glauben empfangen,
Glauben haben;
denn der
Glaube kommt aus der Predigt, aus dem, was man hört; sie können weder lesen noch schreiben lernen.»
So betrachtete man die
Taubstummen mit stummer
Scheu als von Gott Gezeichnete.
Erst im 16. Jahrh. begannen einzelne
Männer
sich ihrer Ausbildung zu widmen. Freilich ward solche Hilfe nur wenigen zu teil und erstreckte sich auch da nur auf den Unterricht
in mechan. Fertigkeiten und die Elemente der
Sprache. Als erster Taubstummenlehrer ist Pedro Ponce de
Leon (gest. 1584), ein span. Benediktinermönch, anzusehen,
der vier
Taubstumme in
Schrift und
Sprache unterrichtete. Seine Lehrweise ward von
Juan Pablo Bonet in einer 1620 erschienenen
Schrift dargestellt.
Gleichzeitig mit Bonet wird Ramirez de
Carrion als Taubstummenlehrer genannt. In England nahmen sich JohnBulwer,
John Wallis
und Will.
Holder, in
Holland der aus der
Schweiz
[* 16] gebürtige
Arzt Joh. Konr.
Amman, in
DeutschlandAgricola, Karger,
Schulze,
Raphel, Lasius,
Arnoldi, in
Frankreich Deschamps und Pereira mit Wort und That der
Taubstummen an. Aber erst in der zweiten
Hälfte des 18. Jahrh. entstanden die ersten Taubstummenanstalten. Der
Abbé de l'Epée (s. d.) und in
Deutschland Samuel Heinicke (s. d.) stellten es sich zur Lebensaufgabe, einen
planmäßigen, auf wissenschaftliche Principien gegründeten Unterricht der
Taubstummen durchzuführen, und eröffneten zu
diesem Zwecke die ersten Erziehungsanstalten. 1760 begründete de l'Epée, zunächst aus eigenen
Mitteln, eine Taubstummenanstalt
zu
Paris,
[* 17] die 1791 zur Staatsanstalt erhoben wurde; 1778 verlegte Heinicke auf Veranlassung des Kurfürsten
FriedrichAugust von
Sachsen seine in Eppendorf bei
Hamburg
[* 18] bestehende Privatanstalt für
Taubstumme nach
Leipzig.
Bald nachher
entstanden die Anstalten zu
Wien,
Berlin
[* 19] und
Prag.
[* 20]