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In Deutschland [* 1] war im spätern Mittelalter die Legende Hauptgegenstand der Unterhaltung für Kin- der; eine Iugendschrift bot Konrad vonDankrotz- heim (1435) in seinem «Neimkalender» mit den Heiligen des Jahres und Wetterregeln. Früher noch (um 1400) erschien «Der Seele Trost», ein Exempel- buch zu den Zehn Geboten in Gesprächsform, das in spätern Auftagen (bis 1500 erschienen deren 10) mit 11 Holzschnittbildern versehen war, die erste be- deutende deutsche Kinderschrift. Im Reformations- zeitalter erschienen eine ganze Reihe von kleinen Kinderbüchern mit gereimten Sonntagsevangelien, frommen Wiegenliedern, Gebeten und Sprüchen, so z. B. von Nik. Hermann, Joh. Heer- mann, Barth. Ningwaldt.
Die erste Stelle als Hausbuch für jung und alt in Deutschland verschaffte sich aber die Bibel, [* 2] wofür die Aus- schmückung mit Bildern (schon die 1477 in Augs- burg gedruckte besäst Holzschnitte) von großer Wich- tigkeit war. Bald folgten der Vollbibel Kinder- bibeln, biblische Geschichten, denen ebenfalls Bilder deigegeben wurden, z. V. war die von Luther herausgegebene mit 50 Holzschnitten versehen. Sie waren eine sehr beliebte und allgemein verbreitete Lektüre, auch viel später uoch, denn Hübners illustrierte biblische Historien erlebten vom I. 1715 an 99 Austagen.
Auch die Schulkomödie, für die Luther warm eintrat, wurde vielfach zur Lektüre verwendet. Sie legte klassische Stücke, neulat. Ge- dichte und biblische Stoffe zu Grunde, wurde in den prot. Lateinschulen und in den Instituten der Je- suiten bis zum Ende des 18. Jahrh, behandelt; Chr. Weiße in Zittau [* 3] schrieb 54 Schauspiele, von denen 31 im Druck erschienen. Aus der klassischen Litteratur dienten im 16. und 17. Jahrh, neben dem Schulgebrauch zur freien Lektüre Virgil, Ovid, Te- renz; Erasmus' «l^oiiocinia» wurden viel zu Hause gelesen; Comenius knüpfte mittels des Latei- uischen in seinem «0rl)i8 picw3» (1659) an das praktische Leben an, während F «Tele- inach», der in 130 Ausgaben gedruckt wurde, in An- lehnung an antike Verhältnisse moderne Zustände schilderte.
Bis zum Ende des 18. Jahrh, bestand die nationale Iugendlektüre in Volksliedern, Mär- chen, Abenteuern, Nitterromanen, insbesondere aber volkstümlich gehaltenen Geschichten (z. B. von dem armen Heinrich, den Haimonskindern). Von der didaktischen Poesie sind aus diesen Jahrhunderten der «Freidank» und die für die reifere Jugend be- stimmten Lehrgedichte «Winsbeke» und «Winsbekin» zu nennen. Von dauerndem Interesse noch für Volk und Jugend war die Fabeldichtung, namentlich «Reineke Fuchs». [* 4] Auch moralische Geschichten für das heranwachsende Geschlecht fehlten nicht; von hvnher gehörigen histor.
Schriften seien die «Kaiscr- chronik» von Gottfried von Vitcrbo(l2.Jahrh.),
von geogr. Dichtungen die Reifen des Engländers MandeviNe (Montevilla, 14. Jahrh.; deutsche Bearbeitung von Otto von Diemermgen um 1470) und Defoes «Robinson» (1719) erwähnt. Die ersten modernen I. verdanken ihre Ent- stehung der Rousseau-Basedowschen Schule. In demselben Jahre (1776) wie Rochows «Kinder- freund», das erste deutsche Lesebuch für die Schule, erschien auf Anregung Basedows von dem oben erwähnten Rektor Christian Felix Weihe als Fortsetzung des fünf Jahre vorher von Adelung ge- gründeten «Wochenblattes für Kinder» der «Kinder- sreund», der 24 Bände zählt (1775-84). Er ent- hält Geschichten zur Belehrung, Kinderschauspiele und Gedichte und fand in mehrern Auflagen eine weite Verbreitung.
Noch mehr aber die ebenfalls in philanthropistischem Sinne abgefaßte Jugend- litteratur, die Joachim Heinrich Campe be- gründete. «Robinson Crusoe» war bereits von Rousseau als der köstlichste Vücherschatz seines «Emil» gepriesen und Defoes Ausgabe bis 1760 in 40 verschiedenen Nobinsonaden nachgebildet worden. Campes Bearbeitung jedoch hatte den durchschla- gendsten Erfolg. Sehr viel Anklang fand auch desselben Schriftstellers «Geschichte der Entdeckung Amerikas», die ebenfalls noch heute aufgelegt wird.
Weniger glücklich wählte Campe feine übrigen Stoffe («Kinderbibliothek», 6 Bde., «Reisebeschreibungen», 19 Bde., «Theophron», «Väterlicher Rat für meine Tochter» u. s. w.). Moralisierende Kinderschriften waren schon von dem Hallenser Rektor I. P. Mil- ler (von 1753 an) und I. I. Vodmer mit gutem Erfolg geschrieben worden; grundlegend für diese Gattung wurde aber erst der gemütreiche und einfach fromme Cbrist. Gotthold Salzmann mit sei- nem moralischen Elementarbuch (1782), seinem «Sittenbüchlein» und namentlich «Joseph Schwarz- mantel».
Nicht so volkstümlich wie Salzmanns Iugendschriften waren diejenigen Kaspar Fried r. Lossius' in Erfurt, [* 5] der in feinem «Gumal und Lina» (3 Bde., 1795-1800) unter Anlehnung an die Nousseauschen Gedanken in christl. Sinne zu veredeln suchte. Viel Anklang fand in dieser Rich- tung ferner Jakob Glatz [* 6] in Wien [* 7] mit feinen 21 Bänden (1800 fg.),
besonders seinem «Roten Buch» und «Rosaliens Vermächtnis», und I. A. Ch. Löhr mit seiner «Vildergeographie. Eine Dar- stellung aller Länder und Völker der Erde» (4 Bde., 1810) und seinen «Kleinen Plaudereien» (1801). In der Flut von Schriften für die Jugend, die am Ende des 18. Jahrh., vielfach veranlaßt durch den großen Erfolg der soeben (von Weiße an) aufge- führten Schriftsteller, auftauchten, war eine der wertvollsten die u. d. T. «Palmblätter» (4 Tle., 1787 -1800) von Herder veranstaltete Auswahl von Morgenland.
Erzählungen. Pestalozzis «Lien- hard und Gertrud» (1781) wurde in vielen Häu- sern gemeinsam von jung und alt gern gelesen, besonders aber war bei Knaben und Mädchen Hebels «Schatzkästlein» beliebt. Gediegene I. lieferte der Philolog Friedr. Jacobs («Alwin und Theodor», 1802, «Rosaliens Nachlaß», 1812, «Feierabende in Mainau», 1820 u. s. w.) in der Zeit, als die Brüder Grimm den mit zahl- reichen höchst minderwertigen Kinderschriften be- setzten Büchermarkt durch ihre «Kinder- und Za.us- märchen» (1812) bereicherten.
Aber bis in die un- bemitteltsten Kreise [* 8] hinein konnten erst wegen ihrer bis dahin beispiellosen Wohlfeilheit die Schriften des Augsburger kath. Domherrn Christoph von Schmid gelangen. Sein feines Verständnis der Kindesnatur und seine, freilich nicht überall unbe- merkt genug bleibende christl. Tendenz machten ihn zu einem der gelesensten und beliebtesten Autoren («Genovefa», 1819, «Ostereier», 1819, «Heinrich von Eichenfels», «Rosa von Tannenburg» u. s.w.). Ein Jahrzehnt später folgte GustavNieritz (gest. 1876) mit seiner erstaunlichen Anzahl von Kinderromanen und nicht lange darauf Franz Hoffmann (gest. 1882), der gleich dem letztern äußerst produktiv war und ebenso, bei aller Breite [* 9] der Darstellung, das Interesse ungemein zu spannen, noch mehr aber als ¶