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Unter Lullys Nachfolgern ragt Campra hervor; ital. Musik verdrängte diese Oper eine Zeit lang, bis um 1740 Jean Philippe Rameau (s. d.) mit Werken, die den Lullyschen ebenbürtig sind, aufs neue dem Französischen die Bahn brach. In Rameaus spätern Tagen, um 1750, drang die Musik Italiens [* 1] abermals mit erneuerter Macht in Paris [* 2] ein, und jetzt bewies Jean Jacques Rousseau, im Einverständnis mit den Encyklopädisten, in einem berühmt gewordenen Sendschreiben, daß die Franzosen keine Musik hätten, noch haben könnten.
Die hier den Italienern zuerkannte Überlegenheit wurde von den Anhängern der als Französische Musikals eine Beleidigung der Nationalehre aufgefaßt; ein erbitterter Kampf folgte, an dem alle teilnahmen bis zum Hofe hinauf, und der, wenn er auch anscheinend resultatlos verlief, doch die schlummernden musikalischen Kräfte der Nation aufs tiefste erregte. Die Folgen waren nach zwei Seiten hin höchst bedeutend. Hauptsächlich war es die Opera buffa Dunis und anderer Italiener, die den Streit entfacht hatte; die Franzosen lernten schnell in dieser Schule, nahmen ihre Kräfte zusammen und schufen jene zahlreichen und köstlichen Gebilde der komischen Oper, die sich von hier über die Welt verbreitet haben.
Der eigentlich franz. Geist, die leichte graziöse Beweglichkeit, kommt in diesen Stücken zum Vorschein; sie sind nicht burlesk, wie die ihnen voraufgegangenen italienischen, sondern aus ernsten und heitern Situationen gemischt, aber nicht im Sinne der engl. Tragödie, sondern des damals aufkommenden rührenden bürgerlichen Schauspiels. Als unverkennbar nationales Eigentum hauptsächlich von Grétry bis Auber in vielen glücklichen Werken zu Tage getreten, bilden sie die eigentümlichsten Erzeugnisse der franz. Oper.
Die zweite Folge der Streitigkeiten um den Vorrang der franz. oder der ital. Musik war die Umgestaltung der Großen Oper. Lully und Rameau behaupteten sich zwar standhaft, neben ihnen fanden aber die neuern Italiener leichten Zugang, und die Werke beider standen unvermittelt nebeneinander. Da trat der Deutsche [* 3] Christoph Wilibald Gluck (s. d.) 1774 in Paris auf, dessen Kunst die Werke der alten Franzosen mit den Produkten der neuern Italiener auf einer höhern Stufe vereinigte, ebendeshalb aber von beiden Seiten angefochten wurde. Am heftigsten entbrannte der Kampf gegen die Italiener, die in Nicola Piccini (s. d.) ihren besten Opernkomponisten nach Paris gezogen hatten, endete aber endlich mit dem Siege Glucks und durch ihn mit dem Triumph der franz. Bühnenmusik.
Die Verschmelzung des Französischen und Italienischen auf nationalem Grunde, die das Endresultat der langen Kämpfe war, zeigt sich ebensosehr in den Werken der aus Italien [* 4] stammenden Cherubini und Spontini, als in denen der geborenen Franzosen Méhul, Boieldieu u. a. Später (um 1830) waren es wieder ein Italiener und ein Deutscher, Rossini und Meyerbeer, welche die franz. Oper und durch diese alle Opernbühnen der Welt in Bewegung setzten, aber mehr in friedlichem Wetteifer als in aufreibenden Kämpfen.
Von ihren Werken zehrt die Pariser Große Oper, die seit 1874 auch das größte und prächtigste aller vorhandenen Theater [* 5] besitzt, noch gegenwärtig; die neuern Komponisten für diese Bühne sind sämtlich geborene Franzosen. Unter ihnen sind Charles François Gounod, Georges Bizet und Massenet die hervorragendsten. Dagegen ist derjenige der neuern franz. Komponisten, der durch die Ausbildung der komischen Oper zur Burleske von allen Zeitgenossen den größten Bühnenerfolg gehabt hat, J. ^[Jacques] Offenbach [* 6] (aus Köln), [* 7] wieder ein Ausländer.
Mit der Großen Oper kann sich an Bedeutung unter sämtlichen musikalischen Instituten Frankreichs nur allenfalls das 1795 gegründete Conservatoire vergleichen, das für die europ. Musikschulen lange Zeit Normalinstitut gewesen ist. In der Instrumentalmusik wird Bedeutendes geleistet, aber mehr im virtuosen Solo- und Orchesterspiel als in der Komposition. Das Haupt der jetzigen Instrumentalkomponisten in Frankreich ist nach H. Berlioz' Tod C. Saint-Saëns geworden.
Tonangebend auf diesem instrumentalen Gebiete waren die Franzosen nur einmal, in der zweiten Hälfte des 17. Jahrh., zur Zeit der Entstehung ihrer Oper, wo selbst alle deutschen Kapellen mit franz. Instrumentisten besetzt waren. In der Kirchenmusik ist verhältnismäßig wenig geleistet; seit Cherubini werden aber die besten ausländischen Meister dieses Fachs mehr als früher beachtet. Noch ärmlicher ist es um die Pflege des Oratoriums bestellt, obwohl das Pariser Concert spirituel zu Anfang des 18. Jahrh. die großen Werke dieser Gattung zum Teil angeregt hat.
Neuerdings sind auch in dieser Hinsicht allerlei Versuche gemacht, namentlich in der Popularisierung der Konzertmusik für große Massen. In der Gesangskunst ist Paris fast im ganzen 19. Jahrh. deshalb so bedeutend gewesen, weil die ital. Größen des Gesangs fast sämtlich hier ihren bleibenden Wirkungskreis hatten. Auch in der Musikwissenschaft haben die Franzosen Hervorragendes geleistet; sowohl die Theorie wie die Geschichte der Musik sind mit Geist und gründlichem Ernst von ihnen behandelt worden. Über das Charakteristische der Französische Musik gegenüber der musikalischen Kunst der Italiener und der Deutschen sowie über die Litteratur s. Musik.