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traf das Gesetz der Vorwurf nicht mit Unrecht, daß es gegen bestimmte, offenbarem Betruge dienende Formen der Ausbeutung nicht erschwerende Schutzwehren aufgerichtet hatte und daß es ihm bei im ganzen richtigen Principien doch an reifer und kräftiger Ausgestaltung der einzelnen Normen wie an der erforderlichen Schaffung schärferer und überall deckender Verantwortlichkeitsfolgen gebrach. In der zweiten Hälfte des Jahres 1870 bis Ende 1873 sind in Preußen [* 1] (nach Engel) 838 Aktiengesellschaften mit einem Gesamtkapital von 3229 Mill. M. (nach der amtlichen Begründung zum Aktiengesetzentwurf vom 843 Gesellschaften mit 2484 Mill. M.) errichtet worden.
Eine hervorragende Rolle spielten dabei diejenigen, bei welchen ein hohes Grundkapital vermöge der Übereinstimmung der Interessen aller zunächst Beteiligten, die die Gesellschaft nur um des Vorteils aus dem beabsichtigten Weiterverkauf der Aktien willen schufen, durch unterwertige Einlagen von Fabriketablissements oder Grundstücken gebildet wurde. So erlangte man Aktien in beliebiger Menge mit großen Ziffern für erheblich darunter zurückbleibende Aufwendungen und Leistungen.
Der Hergang wurde gänzlich nach Belieben, und wie es für den beim Weiterverkauf der Aktien zu erzielenden Eindruck am besten paßte, insceniert. In der Reichstagssitzung vom regte der Abgeordnete Lasker eine neue gesetzliche Regelung an. Die Reform blieb dauernd Gegenstand von Vorschlägen wirtschaftlicher Körperschaften und Vereine wie in der Litteratur. Nach längerm Abwarten wegen der seit 1873 wesentlich veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse und nach gründlicher Vorbereitung und Beratung des 1884 dem Reichstage vorgelegten Entwurfs kam das am verkündete neue Gesetz zu stande. Es bestrebt sich, die oben an dem Gesetz von 1870 gerügten Mängel zu beseitigen.
Seine Hauptbedeutung beruht in der klaren und scharfen Kennzeichnung der erforderlichen Gründungshergänge und Gestaltung derselben im Sinne der Offenlegung des Erheblichen unter Hereinziehung der ersten Ausgabe der Aktien an das Publikum in die Gründungshergänge, sowie in der Auferlegung von Prüfungspflichten in Bezug auf Wahrheit und Maßeinhaltung bei jenen Hergängen, alles dies unter Verantwortung, und zwar gegenüber der Gesellschaft. Auch ist mit manchen irrationellen Zugeständnissen, die in der Zeit der Staatsgenehmigung an ein angebliches Bedürfnis gemacht worden waren, wie z. B. der gesetzlich zugelassen gewesenen Stellung der Interimsscheine auf den Inhaber nach Einzahlung von 40 Proz. des Aktienbetrags, so daß für die übrigen 60 Proz. keine Person mehr haftete, gebrochen.
In der seit 1888 mit der steigenden Konjunktur verknüpften neuen Gründungsepoche bilden die Umwandlungen bestehender Etablissements wieder einen erheblichen Prozentsatz. Unter den vom 1. Jan. bis in Deutschland [* 2] gegründeten 226 Aktiengesellschaften sind, soweit ersichtlich, nur 64 neue Unternehmungen. In der Zeit vom bis in welchem Zeitraum bereits die Konjunktur weniger stark anzog, sind immer noch 179 Aktien- oder Aktienkommanditgesellschaften gegründet worden, unter denen sich 55 Umwandlungen bestandener industrieller Etablissements, neben zum allermindesten 34 Umwandlungen von Genossenschaften befinden.
Der Gründergewinn, der bei denselben offenbar einen erheblichen Faktor bildet, wird hierbei jetzt in dem offen den Aktienkäufern abgeforderten Agio über den Paribetrag der Aktie gesucht, indem über den Substanzwert des Unternehmens hinaus der bisherige gute Ertrag desselben im Hinblick auf die steigende Konjunktur als präsumtiv dauernder vergütet werden soll. So wenig die Gefahren dieser Agiotage zu verkennen sind, so darf man sie doch mit den Praktiken der Jahre 1871–73 nicht auf eine Linie stellen, um deren Beseitigung sich das Gesetz von 1884 entschieden verdient gemacht hat.
In Österreich [* 3] gilt noch das Recht des unveränderten Deutschen Handelsgesetzbuchs, also die Staatsgenehmigung. 1874 ist im Abgeordnetenhause ein Gesetzentwurf, nach welchem unter Beseitigung derselben die Gesellschaft wesentlich entsprechend den nach den Erfahrungen von 1871 bis 1873 in Deutschland und Österreich gemachten Reformvorschlägen geregelt werden sollte, durchberaten worden. Es hat aber ebensowenig damals wie bisher ein Abschluß stattgefunden.
Von 1869, in welchem Jahre dort bereits ein Gründungsfieber vorhanden war, bis inkl. 1873 wurden ungeachtet des Erfordernisses der Staatsgenehmigung 660 neue Aktiengesellschaften gegründet. Das eingezahlte Aktienkapital nahm von Anfang 1869 bis April 1873 um 1314 Mill. Fl. zu. In den 2 ½ Jahren von Anfang 1870 ab vermehrten sich die Banken um das Dreifache und die Industriegesellschaften weit über das Doppelte. Für Ungarn, [* 4] wo es schon vorher keiner Staatsgenehmigung bedürfte, regelte das dortige Handelsgesetzbuch vom die Aktiengesellschaft. Es beschränkt das Institut nicht auf Handelsgesellschaften und steht auf dem Boden des deutschen Gesetzes von 1870 unter mannigfachen Verbesserungen desselben, indem es insbesondere eine Verantwortlichkeit der Gründer bereits normiert.
Eine Kommanditgesellschaft auf Aktien kennt es nicht. Außer in Österreich bedarf auch in Rußland, Schweden [* 5] und den Niederlanden die Aktiengesellschaft der Staatsgenehmigung. Sonst herrscht, soweit bekannt, überall, auch in den Vereinigten Staaten, [* 6] Errichtungsfreiheit unter gesetzlichen Normativbestimmungen, in Belgien [* 7] auf Grund der Revision des Handelsrechts von 1873 und eines die Nichtigkeiten des franz. Systems einschränkenden Gesetzes von 1886, in der Schweiz, [* 8] Italien, [* 9] Spanien [* 10] und Portugal auf Grund ihrer Kodifikationen des Handels- oder Obligationenrechts in neuester Zeit.