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die sog. Tuchlaube über der städtischen Metzg (noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrh.) oder der Saal eines Wirtshauses. Gegenwärtig dient für Konzerte und Theater, wie für gesellige Zwecke überhaupt der 1882 erbaute Saalbau, der aber jetzt schon den Anforderungen nicht mehr genügt. Der gesellige Trieb der Aarauer äussert sich in einem regen Vereinsleben. Es bestehen gegen 100 Vereine und Gesellschaften, welche die allgemeine oder die fachliche und berufliche Ausbildung der Mitglieder bezwecken, der Gemeinnützigkeit dienen oder der Kunst und dem Sport huldigen.
Die städtische Organisation beruht auf dem kantonalen Gemeindeorganisationsgesetz (1841 mit seitherigen Aenderungen), welches zwei gesonderte Verwaltungen, die der Ortsbürgergemeinde und der Einwohnergemeinde, kennt. Die Leitung beider Gemeinden liegt in der Hand des Stadtrates von 7 Mitgliedern, dessen Präsident der Stadtammann ist. Alle Gemeindeangelegenheiten werden von der versammelten Ortsbürger- oder Einwohnergemeinde behandelt und erledigt; die Absicht, in einem revidierten Gemeindeorganisationsgesetz den grossem aarg. Gemeinden eine Art Volksvertretung («Grosser Stadtrat») zu gewähren, ist durch die negierende Volksabstimmung 1908 vereitelt worden. Das Organ der Gemeinde, das gegenüber dem Stadtrat die finanzielle Kontrolle ausübt, ist die Rechnungskommission. Besondere Verwaltungszweige der Stadt sind das Elektrizitätswerk und die Wasserversorgung; das Gaswerk ist Privatunternehmung.
Das städtische Verwaltungsbudget für 1909 zeigt folgende Ziffern auf:
Einwohnergemeinde | Einnahmen Fr. | Ausgaben Fr. |
---|---|---|
Schulwesen | 42800 | 214750 |
Eigentl. Gemeindeverwaltung | 283600 | 535600 |
Steuern | 426100 | 2150 |
Total | 752500 | 752500 |
Ortsbürgergemeinde | . | |
Bürgergut | 19550 | 9950 |
Armenverwaltung | 51200 | 51200 |
Wälder | 83320 | 83320 |
Elektrizitätswerk | 500000 | 50000 |
Wasserversorgung | 91000 | 91000 |
Da Aarau nicht gross ist, keine eigentliche Grossindustrie besitzt, und da vor allem der grösste Teil der Arbeiter nicht in der Stadt, sondern in den umliegenden Dörfern wohnt, kann von schroffen sozialen Gegensätzen nicht gesprochen werden. Neben der städtischen Armenfürsorge und den polizeilichen Massregeln (wie Arbeitsvermittlungsamt, Lebensmittelpolizei) ist es die private Tätigkeit, die helfend und lindernd einspringt. Die Hilfsgesellschaft nährt u. a. arme Kinder mit Milch und Suppe; sie hat im Jura ein Ferienheim für die bedürftigen Kinder errichtet; ähnlichen Zwecken dienen der Frauenarbeitsverein, der Verein gegen Hausbettel, die Krankensuppenanstalt. Der Fürsorge für Kinder in ungünstigen Verhältnissen widmen sich der Fünfrappenverein, der Armenerziehungsverein; geistig zurückgebliebene Kinder nimmt die Anstalt auf Schloss Biberstein auf, andere Unglückliche die Taubstummenanstalt auf Landenhof. Verschiedene Krankenkassen sorgen für die Tage der Krankheit.
Aus alter Zeit haben sich allerlei Bräuche erhalten. Ein Fest der Jugend ist der Maienzug, von dem schon aus dem 16. und 17. Jahrh. Nachrichten vorliegen. Besonders lebhaftes und kriegerisches Gepräge erhält das Fest durch das Kadettenkorps, das nachmittags Manöver abhält. Dieses Korps ist eines der ältesten der Schweiz (gegründet 1789) und hat sich ununterbrochen bis heute erhalten. Der Bachfischet ist die Zeit der Reinigung des Stadtbaches, zu welchem Zweck das Wasser aus dem Bachbett abgelenkt wird. Wenn es dem Bache wieder zugeleitet wird, zieht die ganze Jugend vor die Stadt hinaus ihm entgegen und holt es mit Lampions und Rutenzweigen, einen Vers zur Begrüssung singend, wieder ab.
Aarau ist landschaftlich wohlgelegen. Die Umgebung ist reich an Waldungen, die sorgsam gepflegt und mit Wegen und Bänken gut versehen sind. Ein idyllischer Ort ist der Wildpark im Roggenhauserthälchen. Die Annehmlichkeiten, zu denen namentlich auch die zentrale Lage und die guten Eisenbahngelegenheiten gehören, hat es verursacht, dass Aarau sehr oft als Versammlungsort schweizerischer Vereine und Gesellschaften auserkoren wird.
Geschichte.
Es ist nicht wahrscheinlich, dass da, wo heute die Stadt Aarau steht, einst eine römische Ansiedlung bestanden habe; dafür sind die in der Erde aufbewahrten Ueberreste zu geringfügig und zu unbedeutend. Dagegen ging die von Salodurum nach Vindonissa führende Strasse der Römer bei Aarau vorbei; von ihr haben sich Reste am «obern» oder «Siechenweg», dem «Hochgesträss», wo die heutige Bahnhofstrasse sich hinzieht, gefunden. Ebensowenig darf mit Sicherheit von einem Aarübergang in römischer Zeit gesprochen werden.
Die ältesten Bauten gehen wohl nicht über das Jahr 1000 zurück. Es sind die drei Türme, die sich am Rande des Felsenplateaus, auf welchem die Stadt steht, erhoben: der Turm des «Schlössli», der Turm Rore und der obere Turm. Sie schützten wohl den «Pass» über die Aare, bei dem sich die Wege über Staffelegg, Benken und Schafmatt vereinigten. Hier wurde die Stadt etwa um 1200 angelegt und zwar durch die Kiburger. Die grosse Regelmässigkeit der ältesten Anlage (eine Ringstrasse, welche ein Kreuz von zwei breiten Strassen umschliesst), lässt die Annahme eines allmählichen Entstehens nicht zu. Mit einbezogen wurden zwei der Türme, während das «Schlössli» nie zur eigentlichen Stadt gehörte. Bald kamen im NW. und im O. Vergrösserungen mit Ausdehnung der Befestigung hinzu, während die im S. sich vorlagernde Vorstadt stets ausserhalb von Mauer und Graben blieb. 1256 ist Aarau (Arovo) zuerst genannt, 1270 erscheint sie als mit Mauern umgeben, und am erhält sie von König Rudolf I., dessen Geschlecht in den Besitz der Kiburger eingetreten war, Stadt- und Marktrecht mit einigen Rechten und Freiheiten.
Wie die ursprüngliche Ansiedlung zur Markgenossenschaft Suhr gehörte, war Aarau auch kirchlich von der Mutterkirche Suhr abhängig, bis es im Anfang des 14. Jahrh. selbständig ward. Unter der österreichisch-habsburgischen Herrschaft entwickelte sich die Stadt; die Herren vermehrten ihre Rechte, (so erlangte sie das Recht der Schultheissenwahl und den Blutbann). Dafür leisteten die Bürger getreulich ihre Dienste, besonders in den vielen Kriegen der Herzoge.
Wie der gesamte Aargau, so litten auch die Aarauer unter den Verheerungen der Gugler. Bei Sempach fielen mehrere Bürger der Stadt, mit ihnen soll auch der Schultheiss Burkhart Vogt umgekommen sein; und zwei Jahre nach der Schlacht (1388) verbrannten die vorüberziehenden Berner die Vorstadt, die erst seit etwa 20 Jahren mit der Stadt verburgrechtet war, aber keinen Schutz irgend welcher Befestigungen genoss. Der Chronist berichtet, dass die Vorstadt damals ein Haus mehr zählte als die Stadt. 1415 eroberten die Berner mit dem Aargau auch die Stadt Aarau, die sich nach wenigen Schüssen mit Rücksicht auf ihre «kranken Muren» ergab (18. April). Bern anerkannte die Rechte der Stadt; aber diejenigen der Herrschaft Oesterreich übernahm es selbst und suchte mit der Zeit auch Aaraus Privilegien zu einem grossen Teile illusorisch zu machen. Die Reformation brachte auch für Aarau eine bewegte Zeit; denn es herrschte über die Glaubensfrage keineswegs Einstimmigkeit: an der offiziellen Abstimmung, welche Bern am vornehmen liess, stimmten 146 für den neuen, 125 für den alten Glauben. Nach der Glaubenstrennung versammelten sich die Abgeordneten der reformierten Kantone häufig in Aarau; und der Friede, der den Toggenburgerkrieg (1712) beendete, ward in Aarau abgeschlossen.
Eine hervorragende Rolle spielte Aarau in der Zeit der helvetischen Revolution. Hier versammelte sich am die Tagsatzung, um die drohenden Gefahren zu besprechen; aber es kam schliesslich nur zur Beschwörung der alten Bünde, welche am auf dem Schachen vorgenommen wurde. Indessen hatte der Vertreter Frankreichs, Mengaud, den grössern Teil der Bürger von Aarau für Frankreich zu gewinnen vermocht, und als die Tagsatzung sich aufgelöst hatte, erhob sich in Aarau der offene Aufruhr gegen Bern Doch schon wenige Tage nachher musste sich die Stadt den Bernern ergeben, deren Truppen, mit dem Landvolk um Aarau vereinigt, die Stadt ¶