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nur noch eine allgemeine Bezeichnung: das penninische Thal (Vallis poenina). Aber die alten Namen der Volksstämme bestehen zu dieser Zeit noch, indem die Nantuaten und Seduner den Augustus als ihren Schutzherrn und Vater erklärten (die betr. Inschriften finden sich in dem bereits erwähnten Werk von Boccard).
Barbarische Völker dringen nun in das Wallis ein. Im Jahr 407 erscheinen die Vandalen, von germanischer Rasse (und anthropologisch vom kymrischen Typus) nach den Einen 1), von sarmatischer Rasse nach den andern. ^[1) Im Jahr 405 zeigten sich die Vandalen und Alanen am Ufer des Rheins, wurden hier aber von den Alemannen und Franken aufgehalten. Es scheint, dass einige ihrer Horden bis in das Rhonethal vorgedrungen seien.] Im Jahr 413 sind es die Burgunder. Nach dem Vorschlag des Aëtius, sie von den Ufern des Rheins in das Land der Helvetier zu bringen, liessen sie sich in verschiedenen Gegenden nieder, besonders auch im Rhonethal. 569 drangen die Longobarden über den Simplon erobernd in das Wallis ein.
Hat sich dieses Volk wirklich im Wallis niedergelassen? Nachdem sie gezwungen worden waren, das Gebiet zu verlassen, kamen sie im Jahr 574 über den Grossen St. Bernhard wieder. Gegen die Mitte des 10. Jahrhunderts sind es die Sarazenen, die über die Alpenpässe in das Rhonethal eindrangen. Nach verschiedenen Wechselfällen scheinen sie sich hier endgiltig festgesetzt zu haben und als Ackerbauer sesshaft geworden zu sein (vergl. Gremaud: Documents relatifs à l'histoire du Valais. Tome I). Wir könnten diese Liste noch fortsetzen. Es scheint uns aber, dass sie genüge, um zu zeigen, wie die Anthropologie des Wallis äusserst schwer zu entziffern wäre, wenn alle die zitierten Namen der Völkerschaften einen ethnischen Wert hätten. Glücklicherweise darf daran erinnert werden, dass alle diese Namen nur politischen Wert haben und keineswegs zugleich auch ethnische Einheiten darstellen.
Wenn wir nach dem heutigen Stand unsrer Kenntnisse die Volksschläge von gleicher «Rasse» vereinigen, werden wir es mit zwei Hauptgruppen zu tun haben, wozu sich vielleicht noch drei andre Gruppen von geringerer ethnischer Wichtigkeit gesellen. Diese Hauptgruppen wären:
1) Die keltische Gruppe (Urbevölkerung: Nantuaten, Veragrer, Seduner, Viberer etc.; wahrscheinlich vertreten durch die Brachyzephalen);
2) die kymrische Gruppe (germanische «Rassen»),
die zu verschiedenen Epochen unter dem Namen der Burgunder, Franken, Alemannen, Longobarden in das Land eingedrungen waren (wahrscheinlich vertreten durch die Dolichozephalen). Was die Gruppen zweiter Ordnung anbetrifft, würden sie, wenn sie wirklich existieren, ihre Vorfahren in der «sarmatischen Rasse» (Vandalen),
in den sog. «ural-altaischen Rassen» (Hunnen) und in den «syrisch-arabischen Rassen» (Sarazenen) haben. Psychologisch werden die anthropologischen Forschungen im Wallis noch dadurch erschwert, dass man gerne die Tendenz hat, dort Rassen zu suchen, nämlich eben diejenigen, deren Namen zum Teil bereits erwähnt worden sind. Man muss sich dieses Vorurteiles ein für allemal entledigen; nirgends wie hier ist ein objektives Studium das einzig wissenschaftliche.
Der Kanton Wallis ist gewiss in anthropologischer Hinsicht der bestbekannte Kanton der Schweiz. Man muss aber daraus nicht schliessen, dass man nun wunderbar gut unterrichtet sei und nach Belieben definitive Schlussfolgerungen ziehen könne. Bis zum Jahr 1896, dem Zeitpunkt des Beginnes unsrer persönlichen Forschungen, waren erst zwei Arbeiten über dieses Gebiet erschienen (Scholl: Ueber rätische und einige andre alpine Schädelformen. Jena 1892. - Bedot: Notes anthropologiques sur le Valais im Bull. de la Soc. d'Anthrop. 1895; mit einer Ergänzung vom Jahr 1898 in dem selben Bulletin). Die erstere betrifft die Schädel, welche im Beinhaus von Saas Im Grund enthalten sind; die zweite ist eine Untersuchung über Grösse, Schädelindex und Haarfarbe bei den Rekruten.
Während zehn Jahren ist das Wallis unser hauptsächlichstes wissenschaftliches Untersuchungsobjekt gewesen. Wir haben es systematisch untersucht, und zwar zuerst das Rhonethal, dann die Seitenthäler. Wir haben noch nicht alle unsre Beobachtungsresultate veröffentlicht.
Die mittlere Grösse des Walliser (der Kanton als ganzes genommen) ist 1,63 m. Diese Zahl ist mit Hilfe von Messungsserien gewonnen worden, die von Rekrutierungen verschiedener Jahre herrühren. Die Abweichungen betreffen nur die dritte Dezimale (1,632-1,633 m). Man kann annehmen, dass diese Zahl für die jungen Männer im Alter von 19 Jahren definitiv sei. Der mittlere Wuchs der Erwachsenen dürfte etwas grösser sein. Um wieviel? Wir wissen darüber absolut nichts.
Die Regel von Quételet, nach welcher man 15 mm zugeben muss, um die definitive Grösse zu erhalten, kann wahrscheinlich hier nicht verwendet werden. Wenn wir den Kanton nach seinen beiden Sprachgebieten trennen (eine Einteilung übrigens, die nicht wissenschaftlich ist), so können wir feststellen, dass der östl. Teil (das deutsche Sprachgebiet) eine mittlere Körpergrösse (1,64 m) aufweist, die um etwas grösser ist als diejenige des westl. Teiles (französisches Sprachgebiet; 1,63 m). Im gleichen Alter von 19 Jahren ist also der Oberwalliser von etwas grösserem Wuchs als der Unterwalliser. Dieser Unterschied in der Körpergrösse bleibt noch zu erklären. Haben die Gegenden des Oberwallis, welche wahrscheinlich schärfern Brachyzephalismus aufweisen, zugleich als Begleiterscheinung das andre anthropologische Charakterzeichen einer höheren Statur? Gewisse Anzeichen machen diese Hypothese wahrscheinlich.
Die Untersuchung der Körpergrösse nach Bezirken zeigt, dass das Goms mit 1,658 m an der Spitze steht, einer Statur, die für das Wallis verhältnismässig sehr gross ist. Der Bezirk Siders steht mit 1,612 m am Schluss. Eine bezirksweise Untersuchung der Körpergrösse wäre von hohem Interesse. Es wäre namentlich interessant zu wissen, aus welchen Gründen man von Bezirk zu Bezirk solche Unterschiede konstatieren kann. Als bemerkenswerte Tatsache erscheint dabei, dass der Bezirk Siders in Bezug auf den Schädelindex nicht homogen ist. Der höchste Wuchs der Walliser scheint zwischen den Höhen von ¶