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hintern Kantonsteils sind vorwiegend aus Holz und tragen in Aussehen und Einrichtung den Charakter der Häuser des Toggenburgs und von Appenzell. Teilweise Steinbauten finden sich im übrigen Kanton. Gefälliges Aussehen und Sauberkeit zeichnen sie aus; kaum eines ist ohne seine weissen Gardinen, ohne Blumenschmuck auf den Gesimsen und ohne einen Zier- oder Nutzgarten vor den Fenstern. Die Kleidung hat im Lauf der Zeiten Wandlungen durchgemacht, besonders unter dem Einfluss des Reislaufens, das allerlei Auswüchse, bald spanischer bald französischer Herkunft ins Land brachte.
Sie haben es aber nicht gehindert, dass in den nun freilich vergangenen Tagen eine eigentümliche Tracht sich einbürgerte. Die Männer hatten im Egnach ihre Räderhosen, in den andern Landesteilen ihre kurzen ledernen oder sammtnen Hosen mit weissen Strümpfen und Schnallenschuhen, dazu den dreifach aufgekrämpten Filzhut, den sog. «Nebelspalter», und ein stattliches Kamisol. Die Frauen trugen ein durch Fischbein und Holzschienen gesteiftes Mieder, ein ebenso gesteiftes Brusttuch darüber, das mit metallenen Haften und Kettchen festgemacht war.
Ein vielfarbiges Göller schmückte den Hals, und zwei Hüftenstücke am Mieder trugen den Rock von Wollentuch. Die Jungfrauen trugen eine Kappe aus schwarzer Seide mit zwei wie Flügel auf den Seiten hinausstehenden gesteiften Spitzen und drei über die Stirne herabfallenden gerundeten Spitzenlappen. Die Haube der Weiber deckte den Zopf, schmiegte sich wie ein abgerundeter Kegel dem Hinterkopf an und schirmte das Gesicht mit einer von einem Ohr zum andern über die Stirne laufenden steifen Spitze. Ueber die Stirne lief ferner ein schmales Seidenband, Haarfresserin genannt, das die Locken von der Stirne abzuwehren hatte.
Auch in der Sprache bildete das Volk sich seine eigentümlichen Dialekte, so sehr, dass bei dem allem Verkehr nahezu verschlossenen Zustand der Ortschaften eine jede wieder ihre Besonderheiten aufwies. Kenner waren imstande, nach diesen Besonderheiten den Heimatsort einer Person herauszufinden. Am Bodensee, besonders in der Nähe von Konstanz, in Kreuzlingen etc. haben sich infolge des vielfachen Wechselverkehrs Eigentümlichkeiten des schwäbischen Idioms in die Sprache eingemischt. Auf Einzelheiten kann an dieser Stelle nicht eingetreten werden.
Auch an eigentümlichen Gebräuchen und Volkssitten mangelte es in vergangenen Zeiten nicht. Doch sind die meisten ausser Gebrauch gekommen. Geblieben sind das Abbrennen der sog. Fastnachtfunken am Fastnachtsonntag auf den Anhöhen, zu denen die Jugend ganze Holzstösse zusammenträgt und bei denen sie Raketen steigen lässt; sodann die Maskeraden der Jugend in der Fastnachtszeit. Hieher gehört auch die Feier des Berchtoldtages in Frauenfeld, die auf den dritten Montag des Januar verlegt ist. Da sammeln sich die Bürger und die zahlreich Eingeladenen aus den kantonalen Behörden und den Niedergelassenen im Saale des Rathauses zu einem Bürgermahl, bestehend in einer besonders schmackhaft zubereiteten Wurst mit Salat und 3 halben Litern Wein für jeden Teilnehmenden. Die Kosten trägt ein besonderer Fonds.
Die Eigentümlichkeiten des Volkslebens in Tracht, Sprache und Sitten verlieren sich in neuerer Zeit mehr und mehr, seitdem infolge der freien Niederlassung, des nach allen Seiten gesteigerten Verkehrs und der mächtig sich ausdehnenden Fabrikindustrie die Bevölkerung namentlich an den Fabrikorten (in Arbon, Frauenfeld, Sirnach, Romanshorn etc.) zu einem Gemisch aus allen Kantonen, ja fast aller Herren Länder geworden ist. Kaum erkennbar ist daher noch der Unterschied zwischen Einheimischen und Fremden, Stadt- und Landbewohnern, Bauern und Fabrikarbeitern, Dienstboten und Herrschaften. So wills und wirkts die Kulturentwicklung der Gegenwart.
Das thurgauische Volk hat schon schwere Heimsuchungen über sich ergehen lassen müssen. Im Jahr 1611 starben 33584 Personen (mehr als die Hälfte der damaligen Bewohner) an der Pest. Schwere Lücken riss diese Seuche wieder 1629 und in den folgenden Jahren. Pfarrer Bartholomäus Anhorn in Sulgen hat darüber Aufzeichnungen hinterlassen. In den Jahren 1770 und 1771 suchte der Druck einer schweren Teuerung das Land heim, dessen Bewohner scharenweise am Hungertyphus und ähnlichen Krankheiten starben. Dekan Scherb in Sitterdorf hat darüber eine Menge von Angaben gesammelt. Auch die französische Revolution und die folgenden Kriege lagen schwer auf dem Land mit ihren Einquartierungen, Requisitionen und Lasten aller Art. Aber immer hat das tatkräftige Thurgauer Volk sich von den Heimsuchungen wieder erholt.
In frühem Jahrhunderten fanden Volkszählungen nur etwa durch die Geistlichen statt. Nach ihren Angaben zählte der Thurgau (ohne Diessenhofen, aber Ellikon dazu gerechnet) im Jahr 1640 etwa 30700 Ew. und im Jahr 1711 deren 59000. Im Jahr 1801 ergab eine Volkszählung 70878 Seelen, wonach auch der Kanton in die eidg. Bundesskala eingereiht ward. Im Jahr 1835 war die Bevölkerung auf 85372 Seelen gestiegen. Die Zunahme war nur eine mässige. Ein wesentlicher Grund lag in der Auswanderung. Da der Thurgau keine grösseren industriellen Orte zählte, zog ein namhafter Teil seiner arbeitsfähigen jüngern Bewohner nach St. Gallen, Zürich, Basel. So lebten im Jahr 1834 im Kanton St. Gallen 585 angesiedelte Familien (also etwa 2000 Seelen) aus dem Thurgau, wozu noch 600-900 vereinzelte Personen (Dienstboten etc.) kamen. Im Kanton Zürich wurden im nämlichen Jahr 378 Thurgauer gezählt, wovon etwa 300 Familien haben mochten, zusammen also etwa 1200 Köpfe; in Basel waren es 229 Seelen.
Bei der Volkszählung vom Jahr 1900 hatte der Kanton 113221 Ew., wovon 56315 männlichen und 56906 weiblichen Geschlechtes. Davon lebten 36529 in der Heimatgemeinde, 35343 in anderen Gemeinden des Heimatkantons, und 42049 waren Bürger anderer Kantone oder Ausländer. 110845 Ew. waren deutscher, 332 französischer, 1867 italienischer, 77 romanischer und 100 anderer Muttersprache. Die Mischung der Bevölkerung ist eine Folge des industriellen Aufschwungs. Erst bestand der ausländische Zuzug besonders aus Bewohnern der süddeutschen Staaten Baden, Württemberg und Baiern. In neuerer Zeit rekrutiert er sich vorzüglich aus einzelnen Personen und ganzen Familien aus Italien und Welschtirol, so in Arbon, Bürglen, Frauenfeld etc. Dieser Zuzug ist stellenweise so bedeutend, dass die italienisch sprechenden Kinder bereits zu einer Verlegenheit für einzelne Schulen geworden sind.
Von den Einwohnern zählen 77210 zur protestantischen und 35824 zur katholischen Konfession. Sie leben in 24660 Haushaltungen und bewohnen 18807 Häuser. Die Wohnverhältnisse sind äusserst günstige. Auf den Dorfschaften des Landes hat mit geringen Ausnahmen jede Familie ihr eigenes Wohnhaus, und nur in den Städten und industriellen Zentren sind mehrere Familien in ein Haus zusammengedrängt. Der Thurgau hat im ganzen 1534 Häusergruppen, Weiler, Dörfer und Städte.
[a. Pfarrer Wælli.]
15. Industrie und Gewerbe.
Es musste schon im Abschnitt Landwirtschaft darauf hingewiesen werden, dass Industrie und Gewerbe eine Ausdehnung und Bedeutung ¶