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über die allgemeinen physischen Erscheinungen des Erdballes geworfen und keinerlei systematische Untersuchung unseres Landes an Hand genommen oder gar durchgeführt. So auch de Luc, der in dieser Hinsicht beinahe das Gegenteil von Saussure war. Dieser letztere hat in seinem Hauptwerk Voyages dans les Alpes (1779-1796) eine Menge von Beobachtungen niedergelegt, die für die damalige Zeit von einer unvergleichlichen Genauigkeit sind. Sein forschender und aller Spekulation am Studiertisch abholder Geist machte ihn zum ersten Pionier und zum Bahnbrecher in der wissenschaftlichen Untersuchung unserer Gebirge, auf dessen Arbeiten alle seine Nachfolger weiter bauen mussten. Er kennt und beschreibt die Umgebungen von Genf, den Jura, den Salève, die Berge Savoyens und der Maurienne, das Gebiet des Mont Blanc, die Walliser und die Berner Alpen, das St. Gotthardmassiv und die Berge der Urschweiz.
Seine Beobachtungen über die die Berge aufbauenden Felsschichten, über deren Streichen, Fallen und Faltenbiegungen erscheinen wie das Vorspiel zu einer systematischen geologischen Erforschung des Bodens unserer Heimat. Wenn trotz der genauen und sachlich unanfechtbaren Beobachtungen dieses grossen Genfer Gelehrten die von ihm gezogenen theoretischen Schlüsse in der Folge nicht immer bestätigt wurden, so ist das leicht begreiflich, da zu jener Zeit in den Alpen alles noch unbekannt und rätselhaft war.
Werner hatte damals eben die Theorie aufgestellt, dass die Erde aus fünf verschiedenen Formationssuiten bestehe und zwar 1. aus dem Urgebirge, 2. dem Uebergangsgebirge, 3. dem Flötzgebirge (inkl. Basalt und die Mehrzahl der effusiven vulkanischen Gesteine), 4. dem aufgeschwemmten Gebirge (Nagelfluh, Sand, Ton etc.), 5. den vulkanischen Gesteinen (Laven, Auswürflingen, Asche, Bimsstein, Tuff etc.). Diese Werner'sche Klassifikation beruhte z. T. auf den um nahezu ein halbes Jahrhundert, d. h. bis um die Mitte des 18. Jahrhunderts, zurückdatierenden Untersuchungen von Lehmann, Füchsel und Arduino und entfachte wegen der Einreihung der Mehrzahl der Eruptivgesteine (Basalt, Porphyr, Trachyt etc.) in das sedimentäre Flötzgebirge einen sehr heftigen Streit zwischen den Neptunisten und den Vulkanisten.
Jene konnten merkwürdigerweise nicht begreifen, dass diese Gesteine, die oft auf den Sedimenten liegen, eruptiver Natur seien. Die Werner'schen Theorien übten nun in der Folge auf den Gang und die Art der Anhandnahme der geologischen Untersuchungen in der Schweiz einen grossen Einfluss aus. Wir haben gesehen, dass sich ihnen auch Saussure anschloss und zwar so sehr, dass er sich offen zu den Neptunisten bekannte und alle vulkanischen Einflüsse auf die Entstehung der Gesteine und ihre Lagerungsstörungen leugnete.
Die Untersuchungen de Saussure's wurden in einem gewissen Mass fortgesetzt von dem vorübergehend in der Schweiz ansässigen Leopold von Buch (1774-1852), der seine geologischen Arbeiten in der Schweiz mit einer im Auftrag des Königs von Preussen als damaligen Fürsten von Neuenburg und Valangin 1799 unternommenen Erforschung des Fürstentums Neuenburg begann. Der von ihm 1803 dem König vorgelegte Catalogue descriptif wurde aber erst 1867, d. h. 15 Jahre nach seinem Tode veröffentlicht.
Dieser Katalog führt die den Neuenburger Jura aufbauenden Gesteinsarten in systematischer Reihenfolge auf und bildet die erste vollständige stratigraphische Arbeit, die wir besitzen; er beschreibt 216 verschiedene Handstücke und stellt in einer zusammenfassenden Darstellung das relative Alter der verschiedenen Schichtglieder fest, ohne aber in dieser letztern Hinsicht immer das Richtige zu treffen. Vollkommen zutreffend ist dagegen die von unten nach oben fortschreitende Altersbestimmung des schwarzen Alpenkalkes (Lias?), des grauen Kalkes (Dogger?), des weissen Kalkes (Malm), der gelben Kalke und Mergel von Neuenburg (Neokom) und der Molasse, auf welch' letzterer dann endlich das sog. aufgeschwemmte Gebirge liegt.
Leopold von Buch stellte sich auch schon die - von ihm nicht gelöste - Frage, auf welche Weise die Granitblöcke (d. h. die erratischen Blöcke), die doch sicher aus den Alpen stammen müssten, an die Juraflanken zu liegen gekommen seien. Seine Sammlung umfasste 64 Handstücke von erratischen Gesteinen. Er unternahm mehrere Reisen in die Glarner Alpen, besuchte 1809 Chiavenna und 1811 das Berninagebiet und kehrte auch später oft wieder in die Schweizer Alpen zurück.
Dieser ersten Periode in der Erforschung der Gebirge der Schweiz gehört ferner noch J. G. Ebel (1764-1830), der fruchtbarste der alpinen Schriftsteller, an, dessen Arbeiten sich sowohl auf den Jura als auf die Alpen beziehen. Schon seine 1793 zum erstenmal erschienene Anleitung auf die nützlichste und genussvollste Art in der Schweiz zu reisen enthält neben meisterhaften Landschaftsschilderungen, zahlreiche wissenschaftliche Angaben. Noch mehr ist dies der Fall in seinem zweibändigen Werk Ueber den Bau der Erde im Alpengebirge (1808), das alles bietet, was der damaligen Wissenschaft überhaupt bekannt war.
Ebel betont schon, dass die Alpen aus verschiedenen petrographischen Zonen bestehen, nämlich aus einer zentralen Zone mit Urgesteinen (Granit, Gneis, krystallinen Schiefern), an die sich im N. u. S. je eine Kalkstein-, Sandstein- und Nagelfluhzone anschliessen. Diese Annahme ist ganz richtig, wie auch die Beobachtung, dass die fossilen Reste in den tiefen Schichten sehr selten seien, nach oben aber allmählig reichhaltiger würden. Er betrachtet die Fossilien als Marksteine der Erdgeschichte, welche gleich einer unauslöschlichen Schrift den Sedimentgesteinen anhaften. Er erwähnt ferner das Vorkommen von grossen Säugern im aufgeschwemmten Gebirge und führt das Entstehen der Nagelfluh des Mittellandes auf eine in vergangener Zeit erfolgte Zerstörung eines Teiles der Alpen zurück.
Die Alpen selbst erscheinen ihm als aus einem Sockel von Urgesteinen aufgebaut, der da und dort von Sedimenten überlagert sei. Dem schweizerischen Juragebirge gliedert Ebel auch noch den schwäbischen und bairischen Jura an. Er erkennt den Gewölbebau der Ketten des Jura, jedoch ohne ihn erklären zu können, und schreibt den Transport der erratischen Blöcke dem Wasser zu. Alle diese Ansichten sind für die damalige Zeit überraschend und wirklich sehr bemerkenswert.
Weniger glücklich war Ebel dagegen in der theoretischen Begründung und Erklärung der stratigraphischen Beobachtungen. Die Periodizität der einzelnen Formationssuiten, die er aus der Zusammensetzung des Urgebirges und des sedimentären Gebirges glaubte ableiten zu müssen, führte ihn zu der Auffassung, dass die Erde in ihrem Bau einer «Volta'schen Säule» gleiche, die von einer die Gesteine wie die Organismen schöpfenden Macht beseelt sei.
Andere bemerkenswerte Beschreibungen aus dieser ersten Zeit, die aber mehr lokalen Charakter tragen, sind Andreae's Briefe aus der Schweiz (1763), Bruckner's Merkwürdigkeiten der Landschaft Basel (1757) mit sehr guten Abbildungen von zahlreichen Fossilien und die 1789 erschienene Histoire naturelle du Jorat des Grafen Razumowsky, die einen vollständigen und ziemlich genauen Ueberblick über das Molasseland auf der Grenze zwischen Freiburg und der Waadt gibt. Fast zu gleicher Zeit mit Ebels Anleitung veröffentlichte Joh. Konrad Escher (1767-1823) eine geognostische Uebersicht der Schweizer Alpen (1796), der später eine Profilserie von Zürich nach dem Gotthard und kleinere Abhandlungen folgten.
Mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts schliesst die Reihe der Arbeiten ab, die sozusagen das Vorspiel zu der etwa um 1820 einsetzenden Aera der tiefer eingehenden und mehr spezialisierten Forschungen bildet. Es liegt auf der Hand, dass die nun folgenden politisch ruhigeren Zeiten auf eine intensive wissenschaftliche Tätigkeit weit fördernder einwirken mussten, als die eben vorangegangenen Umwälzungen im europäischen Gleichgewicht. Am Anfang dieser neuen Epoche stehen die Arbeiten von Joh. Georg von Charpentier (1786-1855), dem damaligen Salinendirektor von Bex.
Diesem Forscher verdankt man zunächst Untersuchungen über die Steinsalzlager in der Umgebung von Bex, in welchem Gebiet er nach Werner das Uebergangsgebirge und das sedimentäre oder Flötzgebirge mit dem salzführenden Ton, Anhydrit etc. unterscheidet. Seinen eigentlichen Ruf begründete de Charpentier aber mit den in seinen Recherches sur les glaciers niedergelegten Untersuchungen über die von ihm aufgestellte «Eiszeit», wobei er übrigens ausdrücklich betont, dass das Verdienst der ersten Anregung dem Gemsjäger Perraudin aus Lourtier im Bagnesthal und wahrscheinlich schon dem schottischen Geologen Playfair (1748-1819) zukommt. Dieser letztere hatte mit Hinsicht auf das Vorkommen der erratischen Blöcke die ¶