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(Direktionssitz in Chur). Sitz der kantonaleng Regierung, des Kantonsgerichtes, des Kassationsgerichtes, der Kantonalbank, des Kantonsspitales und der kantonalen Strafanstalt. Die Stadt St. Gallen ist namentlich wegen ihrer regen industriellen und gewerblichen Tätigkeit bekannt, verdient aber auch in verschiedener anderer Hinsicht volle Beachtung. Sie liegt zwischen dem Rosenberg und der Höhe von Rotmonten einerseits und dem Freudenberg und Bernegg andererseits in einem einst von einem diluvialen Gletscher erfüllten, engen Hochthal des Mittellandes, das sich nach NO. ziemlich rasch zum Bodensee senkt, während es sich nach SW. zum sog. Fürstenland öffnet. Es bildet das Hochthal von St. Gallen somit den Uebergang zwischen dem fruchtbaren Acker- und Wiesland der st. gallischen Landschaft, den ertragreichen Obstbaumgärten des Rheinthales und den saftigen Weiden des Appenzellerlandes, welch' letztere bis nahe an die Stadt heranreichen, sodass diese selbst im Hochsommer von bemerkenswert frischgrünen Hangen umrahmt wird.
Als Ganzes bietet die Stadt einen überaus freundlichen Anblick. In der Altstadt mit ihren vielen unregelmässig verlaufenden malerischen Gassen und ihren alten, meist mit Erkern geschmückten Häusern herrscht gewöhnlich ein lebhaftes Treiben uni reges Leben, besonders während der Stickereibörse, die unter freiem Himmel abgehalten wird und zur Zeit der Oeffnung und des Schlusses der Geschäfte die Gassen in einen wahren Ameisenhaufen verwandelt, sodass dann der Verkehr sehr schwierig wird und der Passant sich zwischen den dichtgedrängten Reihen von meist hübsch herausgeputzten Arbeiterinnen mühsam seinen Weg suchen muss.
Viele der in gerader Linie verlaufenden neuen Strassen mit ihren prunkvollen Bauten und luxuriösen Verkaufsläden, die elektrische Beleuchtung und die rastlos verkehrenden Strassenbahnen bieten uns ganz das Bild einer geschäftigen Grossstadt. Doch erinnern uns gewisse altväterische Charakterzüge und Bräuche an die noch nicht so weit hinter uns liegende Zeit, da St. Gallen blos eine einfache Landstadt war: man wird, ganz wie auf dem Lande, oft von Unbekannten gegrüsst, altertümliche und einfache kleine Läden finden sich dicht neben den am besten eingerichteten Magazinen, das Abfuhrwesen wäre noch bedeutender Verbesserungen fähig, zahlreiche Kinder gehen während der warmen Jahreszeit barfuss und zeigen, sobald sie erscheinen, den nahenden Frühling an. Wenige Städte bieten ihren Bewohnern auch so zahlreiche Spaziergangs- und Ausflugsziele, und alle die zum Teil mit Tannenwald bestandenen Höhen geben dem durch seine Tagesarbeit Ermüdeten Gelegenheit, in nächster Nähe der Stadt sich in frischer und kräftigender Luft zu erholen und an schönen Ausblicken auf die grüne Landschaft, den glänzenden Spiegel des Bodensees oder die herübergrüssenden Gipfel des Säntisgebirges zu erfreuen.
Geologische und topographische Verhältnisse.
Seiner Zugehörigkeit zum schweizerischen Mittelland entsprechend ist das Thal von St. Gallen in die Molassebildungen eingesenkt, die hier in den drei Stufen der Untern Süsswassermolasse (aquitanische Stufe), der Meeresmolasse (helvetische Stufe) und der Obern Süsswassermolasse (Stufe von Oeningen) erscheinen. Allen drei gemeinsam ist das Auftreten von miozänen Sandsteinen, Mergeln und Nagelfluh. Eine in der Längsrichtung des Thales etwa mitten durch die Stadt gezogene Linie teilt das Gebiet in zwei Abschnitte, die in ihrer Oberflächengestalt ziemlich voneinander abweichen.
Das nw. dieser Linie gelegene Gebiet ist fast durchgehends mit einer bedeutenden Decke von glazialen Geschieben überzogen und zeigt meist breite Höhenrücken, sanfte Gehänge und ausgedehnte Plateauflächen, während im SO. der Linie vorherrschend nackter Fels zu Tage tritt. Das Thal ist isoklinal gebaut und zeigt im SO. (Freudenberg) die steil abbrechenden Schichtköpfe, im NW. (Rosenberg) dagegen die sanfter ansteigenden Schichtrücken mit ihrer mächtigen Decke von Glazialschutt.
Anders gebaut sind die Querthäler der Goldach, Sitter und Steinach, die als tief in die Molasse eingeschnittene Schluchten und Cañons erscheinen. Die glazialen Schuttmassen bedecken in der Hauptsache die Sohle des Hochthales von St. Gallen, reichen aber auch an den Gehängen ziemlich hoch hinauf und überziehen als mächtige Decken die Hochflächen von Rotmonten, Engelburg und des Tannenbergs, indem sie überall die schrofferen Formen der Molasse umhüllen und mildern. ¶