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alten Platanen beschattet, neben dem ehemaligen Regierungsgebäude (Palazzo) steht. Hier liegt ferner der schöne Volksgarten mit einer grossen Volière und einem Teich, auf dem Schwäne und Enten ihr munteres Wesen treiben. Der «Palazzo», der heute Eigentum der Tessiner Kreditanstalt ist, diente zu jener Zeit (1814-1881), da der Kanton Tessin noch drei Hauptorte hatte und die Regierung für je 6 Jahre abwechselnd in Bellinzona, Lugano und Locarno sich befand, als Locarneser Regierungssitz.
Auf dem grossen Platz wird jeden zweiten Donnerstag Markt gehalten, der des Interessanten ausserordentlich viel bietet: «Einen Punkt, auf dem sich das Leben, die Gebräuche, die Trachten so vieler Thalschaften in solch' origineller Weise darstellen, wo so viel Ursprüngliches, aller modernen Kulturveränderung Trotzendes vor unsere Augen tritt, wie auf diesem locarnesischen Marktplatz, gibt es wohl in der ganzen Schweiz nicht wieder.» (J. Hardmeyer). Die die Piazza Grande im NW. abschliessende Häuserreihe bildet mit den Erdgeschossen lange Bogengänge, auf die sich die Verkaufsmagazine, Gastwirtschaften und Restaurants etc. öffnen.
Das bemerkenswerteste Bauwerk ist hier das mitten in der Stadt stehende Rathaus, der Sitz der städtischen Behörden, das 1897 an die Stelle des von Baron G. A. Marcacci, dem einstigen helvetischen Konsul bei der lombardisch-venetianischen Regierung, seiner Vaterstadt geschenkten Gebäudes getreten ist. Wenn bei Anlass der Charfreitagsprozession der ganze Platz festlich beleuchtet wird, glaubt man sich in ein Märchenland versetzt. Von der Piazza Grande aus führt ins alte Locarno eine Reihe von engen Gassen und düstern Durchgängen hinein, an denen die alten Patrizierhäuser der Stadt stehen.
Manche derselben sind in den letztvergangenen Jahren durch Neubauten ersetzt worden. An der von der Piazza nach W. abzweigenden Gasse alla Motta steht links das auf einem Teil des verlandeten einstigen Hafens 1893 erbaute grosse Primarschulhaus. Dahinter erhebt sich etwa 100 m weiter gegen NW. das ehemalige Kastell (Castello) von Locarno, das von den Goten erbaut worden ist und mit dem Beginn der Herrschaft der Visconti (1342) eine grosse Bedeutung erlangte. Es war damals eine der festesten Burgen Oberitaliens und wurde 1502 von einer Armee von 10000 Eidgenossen belagert, die es vergeblich mit Sturm zu nehmen versuchten.
Von seinem einstigen Glanz und von der Macht der hier residierenden Herren zeugen heute noch die Ueberreste seiner mächtigen Mauern, seine unterirdischen Gewölbe, seine den Hof umgebenden Loggien, seine Freskomalereien, Holzschnitzereien etc. und endlich die letzten Ueberreste seines ehemaligen Seehafens. Im Laufe der Zeiten und mit dem Niedergang der Feudalherrschaft liess man den Bau allmählig zerfallen und endlich nach seiner 1513 durch den Herzog Maximilian Sforza erfolgten Uebergabe an die Eidgenossen zum grössten Teil abtragen. Der stehen gebliebene Teil der Burg diente dann den Landvögten zur Wohnung und wird heutzutage als Gefängnis, Gerichtshaus und Amtslokal des Regierungsstatthalters verwendet.
«Wie mag es hier in früheren Jahrhunderten so ganz anders ausgesehen haben! Stolz erhoben sich die Türme des weitläufigen Schlosses mit ihren gezackten Dachkronen, weit ausgedehnte Vorwerke und eine Mauer, die an den steilen Berg hinaufreichte, schützten es vor der Annäherung der Feinde, und mit dem See stand ein kleiner Hafen in Verbindung, der ebenfalls von Mauern und Türmen umgeben war. In demselben lagen die Kriegsfahrzeuge der Schlossherren, ganzerre genannt». (J. Hardmeyer).
Von grossem künstlerischen und historischen Interesse ist auch die auf den Schlosshof hinausgehende Loggia. J. Hardmeyer, den zu zitieren wir bereits einige Male Gelegenheit hatten, sagt darüber in seinem reizenden kleinen Buch Locarno und seine Thäler (vergl. die Bibliographie zu diesem Artikel) was folgt: «Auf der kleinen Loggia lesen wir in den Säulen allerlei Namen eingemeisselt: Hans Jakob Richenbacher von Schwyz, Wernli Jüz von Schwyz, Grosswaibel zu Luggaris 1637, 1638; Christen Frey von Zug 1655 und 1656 u. a. m. Beim Lesen derselben ersteht vor unserem Auge das Bild der alten landvögtlichen Zeit. Wir sehen vor uns diese Waibel, schmucke, stramme Männer aus dem Land jenseits der Berge, wie sie den oft zitternden und zagenden Untertanen den Zutritt zum Herrn Landvogt gewähren oder versagen. Sie sind wohl oft mit scheelen Augen angesehen worden, und indem sie sich hinwegsehnten aus dem Lande, wo sie, als unverstandene Fremdlinge gefürchtet und gemieden, die Tage ihres Bienniums verbrachten, gruben sie ihre deutschen Namen ein in den welschen Stein und dachten wohl mit Sehnsucht hier in der luftigen Loggia an die Holzlaube und an die heimelige Stube des Vaterhauses im grünen Thal ihrer Heimat. Drinnen im Saale inquirierte der gestrenge Herr Landvogt durch den Mund des Landscriba, des Landschreibers, und sprach sein Urteil, das meist auf Geldbusse lautete; denn die zwei ¶