oder sittliche Vernunft),
Schönheit oder Häßlichkeit (eines
Natur- oder Kunstgegenstandes; ästhetische Vernunft) bestimmen zu lassen.
In letzterer Bedeutung heißt derjenige vernünftig, dessen Verhalten im allgemeinen durch seine Vernunft, dessen
Glauben insbesondere durch seine theoretische Vernunft (wissenschaftlich begründete Überzeugung,
Nationalität), dessen
Wollen durch
seine praktische Vernunft (sittliches Vernunftgebot,
Moralität) und dessen (künstlerisches)
Schaffen durch
seine ästhetische Vernunft (ästhetisches
Ideal, Genialität) ausschließlich bestimmt, also frei (autonom, selbstgesetzgebend),
ist. Vernunft im erstgenannten
Sinn ist einem
Gerichtshof zu vergleichen, welcher nach unparteiischem Zeugenverhör der für und
widersprechenden Aussagen über
Schuld oder Unschuld des Angeklagten sein
Erkenntnis fällt, daher die Vernunft, welche bezüglich
Wahrheit oder
Falschheit, Löblichkeit oder Verwerflichkeit,
Schönheit oder Häßlichkeit dasselbe thut,
auch
Erkenntnisvermögen genannt wird.
Dieselbe setzt, da sie ihr
Urteil immer aus
Gründen ableitet, einerseits Verständnis (der
Gründe), anderseits Verständigkeit
(im Schließen), überhaupt
Verstand (s. d.), wie dieser seinerseits einen Vorrat durch
Sinn und
Erfahrung gegebener
Vorstellungen
voraus. Der des Verstandesgebrauchs (zum Verstehen, wie der Blödsinnige; zum verständigen
Denken, wie
der
Narr) gänzlich oder (wie der vom
Rausche,
Schlaf,
Affekt übermannte) vorübergehend Beraubte ist auch der Vernunft unfähig.
Wie die
Entscheidung des
Gerichtshofs, hat jene der Vernunft einen normativen (nach
Kant regulativen)
Charakter; dieselbe schreibt
vor, was vernünftigerweise als wahr, gut und schön anerkannt, als solches geglaubt, gewollt und geschaffen
werden soll. Wird bei der Begründung derselben nur auf die nächsten und nähern
Gründe Bezug genommen, so heißt die Vernunft reflektierend
und ihr
Verfahren (vernünftige) Überlegung (Räsonnement); wird dagegen bis zu den letzten, einer weitern Begründung weder
fähigen (Prinzipien,
Axiome) noch bedürftigen
(Ideen, evidente
Urteile)
Gründen zurückgegangen, so heißt
die Vernunft spekulierend und ihr
Verfahren (vernünftiges) Nachdenken
(Philosophie).
Letzteres, als vollkommenste Form der Begründung, wird wohl auch vorzugsweise Vernunft und die
Philosophie (s. d.) als
Wissenschaft
von den Prinzipien und
Ideen vorzugsweise Vernunftwissenschaft genannt.
Gegensatz der in diesem
Sinn ist die Unvernunft,
welche entweder (aus Unverstand) keinerlei
Gründe vernimmt, oder (aus Unverständigkeit) auf keine solchen hört (grundlos
urteilt); ferner die Widervernunft, welche ihr
Urteil durch andre als sachliche
Gründe (z. B. durch die
Motive der
Furcht,
Hoffnung,
Mode, des
Zwanges, der
Autorität etc.), und die Scheinvernunft, welche dasselbe durch falsche (d. h.
denSchlußsatz nur scheinbar begründende)
Gründe bestimmen läßt
(Sophistik).
Gegensatz der in der zweiten Bedeutung, bei welcher dieselbe mit der
Freiheit
(Autonomie, Selbstgesetzgebung) identisch erscheint,
ist die Unmündigkeit, welche entweder, wie der seiner Vernunft bleibend (wie der Wahnsinnige) oder vorübergehend
(wie der Leidenschaftliche) Beraubte, keine (vernünftige) Einsicht besitzt, oder, wie die
Willkür (transcendentale
Freiheit), ihren
Willen nicht durch
Gründe bestimmen läßt (grundlos will); ferner die Unfreiheit
(Heteronomie), welche ihr
Wollen durch andre
Gründe als durch das Vernunfturteil (durch
Hoffnung auf
Lohn, durch
Furcht vor
Strafe etc.), und die Scheinfreiheit,
welche dasselbe durch das
Urteil einer (sophistischen) Scheinvernunft bestimmen läßt. Insofern der
Mensch
beiderlei
Arten der Vernunft fähig ist, verdient
er denNamen Vernunftwesen.
(Naturrecht,
philosophisches Recht), der Inbegriff der Rechtsgrundsätze, welche durch Nachdenken als
die der Rechtsidee entsprechenden gefunden werden. Im engern
Sinn faßt man unter Vernunftrecht oder
Naturrecht auch wohl diejenigen
Rechte
zusammen, welche dem
Menschen als solchem und abgesehen von besondern staatlichen und gesellschaftlichen
Zuständen zukommen und gewissermaßen angeboren sein sollen (s.
Menschenrechte). Den
Gegensatz zu diesem Vernunftrecht bildet das positive
Recht der einzelnen
Staaten.
Dies allein als der
Ausdruck des staatlichen Gesamtwillens, welchem sich der Einzelwille fügen muß, kann praktische Geltung
beanspruchen, welche dem Vernunftrecht um des willen versagt werden muß, weil gerade auf dem
rechtsphilosophischen Gebiet die
Ansichten sehr weit auseinander gehen. Auf der andern Seite ist aber die
Rechtsphilosophie,
d. h. die philosophische Untersuchung über
Begriff und
Wesen von
Recht und Rechtsverhältnis, als eine wichtige Grundlage der
Rechtswissenschaft anzusehen, wie sie zugleich einen integrierenden und wichtigen
Bestandteil der
Philosophie
überhaupt bildet.
Denn wie es im allgemeinen die Aufgabe der letztern ist, aus den äußern, wechselnden
Erscheinungen und Zuständen des menschlichen
Lebens das diesen zu
Grunde liegende
Gesetz und ihren letzten
Grund zu erforschen, so liegt es ihr auch ob, durch Feststellung
der
Idee des
Rechts eine sichere
Norm für die Beurteilung der bestehenden angeblichen
Rechte und Rechtsordnung
zu gewinnen. Auf diese
Weise wird zugleich dem
Recht eine tiefere Begründung gegeben und die Möglichkeit eröffnet zur Fortentwickelung
der bestehenden
Gesetzgebung im
Geiste der Rechtsidee.
Während das
Altertum die geistvollen Ausführungen eines
Platon und eines
Aristoteles über den letzten
Grund von
Staat und
Recht und über die idealen
Zwecke der
Staats- und Rechtsordnung aufzuweisen hat, ist im
Mittelalter eine völlige
Nichtbeachtung jener philosophischen Grundlage und ein starres Festhalten am
Buchstaben des
Gesetzes vorherrschend. Erst
HugoGrotius stellte den
Grundsatz von der Vernunftmäßigkeit desjenigen
Rechts, das aus der Geselligkeit der
Menschennatur entspringt, und die Möglichkeit der
Ableitung einer
Rechtswissenschaft aus der
Natur des
Menschen
(Naturrecht)
auf, weshalb man ihn wohl den
Vater des Vernunftrechts genannt hat.