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außer Zweifel; allein er verstand diese Richtung durch seine kunstreiche Behandlung so zur Vollendung zu erheben, daß seine Gedichte allein die welthistorischen Repräsentanten des mittelalterlichen Minnegesangs geblieben sind. Anmutige, klare und reine Sprache, [* 1] Reichtum und Mannigfaltigkeit der Gedanken, des Ausdrucks und der Bilder, Geschmack, seines Gefühl für den Wohllaut und vor allem Zartheit zeichnen Petrárca vor allen Liebesdichtern seiner Nation aus.
Dabei vermißt man jedoch an ihm die Innigkeit, die Wahrheit der Empfindung, die Glut der Leidenschaft, die eigentliche wahre und starke Liebe. Er ist überall sinnreich, scharfsinnig, geistreich, aber nirgends glühend und tief; er gefällt sich in weit hergeholten Bildern, in schillernden Gedanken, in Witz, Reflexionen und schwierigen Reimen. Wenn uns in Dante das Bild der männlichsten Entschiedenheit entgegentritt, so finden wir bei Petrárca »ein weibliches Gemüt, das an einer ewigen Verstimmung leidet, in der Gegenwart sich nie befriedigt fühlt, sich nach der entschwundenen Zeit als nach einem unwiederbringlichen Glück sehnt und seinen Schmerz mit wollüstigem Selbstgenuß in Liedern ausströmt, die bei aller Schönheit das Gefühl zu einem Spiel der Reflexion [* 2] machen«.
Namentlich wurde das Sonett von Petrárca zur Normalform dieser Reflexionspoesie erhoben und ist seitdem die populärste poetische Form Italiens [* 3] geblieben. Das Liederbuch zerfällt in zwei Hälften, von denen die erste die Gedichte »In vita di M. Laura« (226 Sonette, 21 Kanzonen, 8 Sestinen und 10 Balladen),
die zweite »In morte di M. Laura« (90 Sonette, 8 Kanzonen und eine Ballade) enthält. Das Vorzüglichste in der ganzen Sammlung sind die Kanzonen, namentlich die, welche Beziehungen auf Rom und [* 4] die politischen Zustände Italiens überhaupt enthalten, wo der Dichter der Liebe nicht selten eine wunderbar zürnende Kraft [* 5] entfaltet. Ein Werk seines höhern Alters sind die »Trionfi«, auf deren Gestaltung Dantes Poesie offenbaren Einfluß hatte. Sie enthalten sechs allegorische Visionen, nämlich der Liebe, der Keuschheit, des Todes, des Ruhms, der Zeit und der Gottheit, deren eine über die andre obsiegt, und die so den Gang [* 6] der menschlichen Schicksale und die Eitelkeit alles Irdischen darstellen, sind aber unvollendet. Die von Thomas aus einer Handschrift der königlichen Bibliothek zu München [* 7] unter dem Titel: »Francisci Petrarcae Aretini carmina incognita« (Münch. 1859) herausgegebenen angeblichen Gedichte Petrarcas haben sich sehr bald nach ihrem Erscheinen als viel spätere Machwerke herausgestellt.
Die italienischen Gedichte des Petrárca, namentlich der »Canzoniere«, haben unzählige Auflagen erlebt; die korrektesten sind die von Marsand (Pad. 1819-20, 2 Bde.), von Leopardi (Mail. 1826 u. öfter), Carrer (Pad. 1826-27, 2 Bde.), Albertini (Flor. 1832, 2 Bde.) und Scartazzini (Leipz. 1883). Sie sind oft kommentiert worden, am besten von Vellutello, Gesualdo, Castelvetro, Tassoni, Muratori, Biagioli und Leopardi. Auch sind sie in die meisten europäischen Sprachen übersetzt worden, ins Deutsche [* 8] unter andern von Förster (3. Aufl., Leipz. 1851), Bruckbräu (Münch. 1827), Kekulé und Biegeleben (Stuttg. 1844), Reinhold (in dessen »Dichterischem Nachlaß«, Bd. 2, Leipz. 1853) und Krigar (2. Aufl., Hannov. 1866); einzelne Gedichte von Gries, A. W. Schlegel, Daniel, J. ^[Julius] Hübner u. a. Gesamtausgaben der Werke Petrarcas erschienen zu Basel [* 9] 1495, Venedig [* 10] 1501, 1503, 1554, 1581 f. Einige bis dahin ungedruckte lateinische Schriften Petrarcas hat A. Hortis unter dem Titel: »Scritti inediti di F. Petrárca« (Triest [* 11] 1874) herausgegeben.
Nicht geringere Verdienste als durch seine eignen lateinischen Schriften erwarb sich Petrárca durch seine Bemühungen um die Wiedererweckung und Kenntnis der alten, namentlich der römischen, Litteratur, und mit Recht wird er daher als der erste und einer der bedeutendsten unter den Vorläufern der großen Humanisten des 15. und 16. Jahrh. betrachtet. Seine häufigen Reisen benutzte er stets, Manuskripte zu sammeln oder zu kopieren. So verdankt man ihm unter anderm die Wiederauffindung mehrerer Schriften Ciceros, Quintilians u. a. Über die meisten Vorurteile seiner Zeit war sein durch das Studium der Alten genährter Geist erhaben. Er verspottete namentlich die Astrologie [* 12] und die Alchimie; ja selbst in religiösen Dingen urteilte er, obgleich ein strenger und sogar asketischer Katholik, oft überraschend unbefangen. Die Litteratur über Petrarcas Thätigkeit ist überaus reich. Die besten Biographien lieferten Giov. Boccaccio (hrsg. von Rossetti, Triest 1828), Leonardo Bruni, Vellutello, Beccadelli, Tomasini, Muratori, de la Bastie, Bandini, de Sade, Badelli, Ugo Foscolo und Blanc (in Ersch und Grubers »Encyklopädie«); die neuesten sind von L. Geiger (Berl. 1874),
Körting (Leipz. 1878) und A. Bartoli (Bd. 7 der »Storia della letteratura italiana«, Flor. 1874) herausgegeben worden.
Vgl. auch Söderhjelm, Petrárca in der deutschen Dichtung (Münch. 1886);
Pakscher, Chronologie der Gedichte Petrarcas (Berl. 1887).
Petrarcas Verdienste um die klassischen Studien sind am besten gewürdigt von G. Voigt in »Die Wiederbelebung des klassischen Altertums« (2. Aufl., Berl. 1880).