freie Wille in Bethätigung, während z. B. für die wenig schwankende Relativzahl der Totgebornen
(Verhältnis der Totgeburten zur Zahl aller Geburten) im Deutschen Reich im gleichen Zeitraum sich zwar eine mäßige Tendenz
zur Minderung berechnet, welche aber nach den Regeln der mathematischen Statistik als zweifelhaft zu bezeichnen ist. Ebenso
kann auch die Moralstatistik auf andern Gebieten darthun, daß die Menschen thatsächlich, wenn sie nicht gerade als
krank anzusehen sind, nach Beweggründen handeln, daß die Willensrichtung nicht eine notwendig gegebene ist, sondern sich
ändern kann (z. B. bei einer Änderung der Strafgesetzgebung).
Die Moralstatistik kann wohl zeigen, daß äußere Umstände (Naturumgebung, gesellschaftliche Verhältnisse)
einen großen Einfluß auf Entschließungen und Handlungen ausüben, doch vermag sie eine zwingende Notwendigkeit für solche
Handlungen weder für den Einzelnen noch eine solche für die Masse nachzuweisen. Das ist auch in der neuern Zeit allgemein
als Thatsache anerkannt worden.
Vgl. hierüber insbesondere Drobisch, Die moralische Statistik und die menschliche
Willensfreiheit (Leipz. 1867);
v. Öttingen, Die Moralstatistik in ihrer Bedeutung für eine Sozialethik (3. Aufl., Erlang. 1882);
Knapp,
Die neuern Ansichten über Moralstatistik (Jena 1871);
Lexis, Zur Theorie der Massenerscheinungen in der menschlichen Gesellschaft (Freiburg
1877).
(Gandecken), Schuttwälle längs des Gletscherrandes oder auch (beim Zusammenfließen mehrerer Gletscher in
einen Gletscher) auf dem Rücken derselben (Mittelgandecke, Gufferlinie) sowie am Ende eines Gletschers (Endmoränen)
und am Grunde desselben (Grundmoränen). Die Endmoränen bleiben, wenn ein Gletscher durch zeitweilige Wärmezunahme sich verkleinert,
unterhalb des Gletscherrandes zurück u. bezeichnen des Gletschers frühere Ausdehnung.
Die Unterscheidung der Gandecken von andern Steinanhäufungen (Strandblocklagen, Felsstürzen) ist oft
nicht leicht, aber sehr wichtig für die Geologie. Im allgemeinen ist das Fehlen von Schichtung, von Symptomen des Rollens etc.
durch das Wasser und das Vorhandensein von Ritzen, auch Schliff- oder Politurstellen an den größern Blöcken für die Gandecken
charakteristisch; auch bilden in der Regel die wallartigen Anhäufungen der Endmoränen im Thal eine konvex
nach abwärts gerichtete Kurve. Vgl. Gletscher.
Stadt in der ital. Provinz Cosenza, Kreis Castrovillari, das antike Muranum, terrassenförmig über
dem Coscile aufgebaut, mit verfallener Normannenburg, Weinbau, Seiden- und Wollweberei und (1881) 8259 Einw.
Olimpia Fulvia, eine der gelehrtesten Frauen des 16. Jahrh., geb. 1526 zu Ferrara, Tochter des Dichters Fulvio
Pellegrino Morato (gest. 1547), hielt schon in ihrem 16. Jahr gelehrte Vorträge in Ferrara. Seit 1548 mit dem deutschen Arzt
Andreas Grundler verheiratet, folgte sie ihm nach Schweinfurt, trat hier zur protestantischen Kirche über,
geriet aber infolge der Plünderung und
Einäscherung der Stadt durch die Reichstruppen (1554) in schwere Bedrängnisse und
hatte mit ihrem Gatten kaum ein neues Asyl in Heidelberg gefunden, als sie daselbst starb.
Ihre zahlreichen griechischen und lateinischen Gedichte, meist religiösen Inhalts, gab C. S. Curio heraus
(zuerst Basel
1558 u. öfter); andere Ausgaben erschienen zu Augsburg 1570 und 1578. Außerdem hinterließ sie Abhandlungen über
Ciceros »Paradoxa«, ein »Elogium Mucii Scaevolae« (lat. u. griech.),
Dialoge, zwei Bücher Briefe u. a.
Vgl. Wildermuth, Olympia Morata, ein christliches Lebensbild (Stuttg. 1854);
(spr. -tallja), Stadt in der span. Provinz Murcia, am Benamor, hat Tuch- und Leinwandfabriken, Steinkohlen-
und Schwefelgruben, Handel mit Olivenöl und trefflichem Wein und (1878) 11,216 Einw.
1) Nicolas Fernandez de, span. Dichter, geb. zu
Madrid, studierte in Valladolid die Rechte, widmete sich aber daneben den schönen Wissenschaften, erhielt nach beendeten Studien
ein Amt am Hof der Königin-Witwe Elisabeth zu San Ildefonso und begleitete dieselbe später nach Madrid. Er wandte sich zuerst
dem Drama zu und trat 1762 mit dem Lustspiel »La petimetra« auf, in welchem er den nationalen und den französischen
Geschmack miteinander zu vereinigen suchte.
Diesem folgte 1764 eine Sammlung vermischter Gedichte. »El poeta«, und
das ganz im französischen Geschmack geschriebene Trauerspiel »Lucrecia«. Dieser Richtung blieb er auch in seinen spätern Tragödien:
»Hormesinda« und »Guzman el Bueno«, getreu. Der geringe Ertrag seiner schriftstellerischen Thätigkeit
bewog ihn, 1772 zur Advokatur überzugehen; doch ward er bald nachher zum Professor der Poetik ernannt. Sein letztes und vorzüglichstes
Werk war der »Canto épico de las naves de Cortez destruidas« (1785),
eins der schönsten epischen Gedichte der Spanier. Auch
sein didaktisches Gedicht »La Diana, ó arte de la caza« enthält viele Schönheiten, und unter seinen
kleinern Gedichten finden sich manche vortreffliche. Er starb in Madrid. Eine Ausgabe seiner Werke veranstaltete
sein Sohn Leandro unter dem Titel: »Obras póstumas« (Barcel. 1821);
vollständiger erschienen sie in der »Biblioteca de autores
españoles«, Bd. 2 (Madr. 1848).
2) Leandro Fernandez de, berühmter span. Dramatiker, Sohn des vorigen, geb. wurde von seinem Vater schon früh
in die Dichtkunst eingeweiht, erlernte jedoch auf dessen Wunsch bei seinem Oheim das Juwelierhandwerk, ohne dabei der Poesie
untreu zu werden. 1779 trug er durch sein Gedicht »La toma
de Granada« und drei Jahre später durch seine »Leccion poética«
das Accessit der Akademie davon. Durch Jovellanos' Vermittelung erhielt er 1786 eine Sekretärstelle beim Grafen Cabarrus und
begleitete denselben nach Paris, wo die Bekanntschaft mit Goldoni ihn in dem Vorhaben bestärkte, die spanische Bühne durch
Einführung der französischen Regeln zu reformieren.
Nach seiner Rückkehr in sein Vaterland (1789) erhielt er durch den Minister Florida Blanca eine Präbende, welche ihn in den
Stand setzte, seinen litterarischen Neigungen zu leben, und er widmete sich nun ganz der dramatischen Dichtkunst. Sein erstes
Lustspiel: »El viejo y la niña« (1790),
wurde vom Publikum mit großem Beifall aufgenommen, von den Anhängern
des alten Nationalgeschmacks aber hart angegriffen, wofür Moratin sich durch das satirische Lustspiel »La comedia nueva«.