Sören Aaby, der bedeutendste
Denker und eigentümlichste Prosaist
Dänemarks, geb. zu
Kopenhagen,
[* 4] wurde bei kränklichem
Körper zu strenger christlicher
Askese erzogen, widmete sich auf der
KopenhagenerUniversität theologischen und philosophischen
Studien, machte nach deren
Abschluß 1841-42 eine wissenschaftliche
Reise durch
Deutschland und führte dann in seiner Vaterstadt ein zurückgezogenes
Denker- und Schriftstellerleben, bis er daselbst
starb. Kierkegaards
Forschen war ausschließlich der
Religion gewidmet, aber nicht den dogmatischen Einzelheiten,
sondern dem Grundprinzip des
Christentums, das er in ganz eigentümlicher
Weise auffaßte. Seine schriftstellerische Thätigkeit
begann mit der philosophischen Abhandlung »Om Begrebet
Ironi« (»Über den
BegriffIronie«, Kopenh. 1841) und ward zunächst
mit zweien seiner Hauptwerke:
»Enten
[* 5] -
Eller« (»Entweder - Oder«, das.
1843; deutsch von
Michelsen und
Gleiß, Leipz. 1885) und »Stadier paa Livets Vei«
(»Stadien auf dem Lebensweg«,
Kop. 1845; deutsch von Bärthold, Leipz. 1886), in denen der ästhetische und der ethische
Standpunkt in ihrem
Gegensatz zum christlichen entwickelt werden, fortgesetzt.
Ihnen folgte weiterhin eine große Anzahl pseudonym (unter Benutzung verschiedener
Namen) herausgegebener
Schriften, worin er
seinen religiösen Standpunkt des weitern darlegt, und von denen »Afsluttende
uvidenskabelig Efterskrift«
(»Definitive unwissenschaftliche Nachschrift«, Kopenh. 1846),
»Indøvelse i Christendom« (»Einübung
im
Christentum«, das. 1850; deutsch von Bärthold,
Halle
[* 6] 1878) u.
»Til Selvprøvelse« (»Zur Selbstprüfung«,
Kop. 1851; deutsch, 3. Aufl.,
Erlang. 1881) die bedeutendsten sein dürften. Kierkegaard macht in diesen Werken mit äußerster
Konsequenz die absolute ideale
Forderung des
Christentums geltend und bildet in dieser Hinsicht eine merkwürdige
Parallele
[* 7] zuL.Feuerbach. Aber während dessen
Lehre
[* 8] sich vom
Christentum abwendet, strebt Kierkegaard entschieden nach diesem hin.
Nach seiner Auffassung (sagt
Winkel
[* 9]
Horn) ist das
Christentum das Paradoxe, d. h. das, objektiv betrachtet,
Absurde, welches
nur für das religiöse
Bewußtsein Gültigkeit erlangt, dem
Verstand ein Ärgernis, für den
Glauben ein Gegenstand
der
Leidenschaft ist. Das
Leben im
Glauben ist ihm daher ausschließlich eine Vereinbarung zwischen Gott und »dem
Einzelnen« (wie
er denMenschen als religiöses
Wesen bezeichnet); für das
Leben in derGemeinde hat er nicht
nur keinen
Sinn, sondern er steht ihm feindlich gegenüber.
Alle Werke Kierkegaards zeichnen sich aus durch die feinste und geistvollste
Dialektik, verbunden mit leidenschaftlicher
Begeisterung
für Aufrechterhaltung des
Christentums als
»Evangelium des
Leidens«. Seine
Sprache
[* 10] ist edel, voll dichterischen Schwunges und
von hinreißender
Beredsamkeit, wenn auch nicht immer leicht verständlich. Auf seine Zeitgenossen und
den Entwickelungsgang der dänisch-norwegischen Litteratur waren seine
Schriften von mächtigem Einfluß, und in manchem
Gemüt
haben
sie denSinn für echte
Religiosität geweckt. Eine Anzahl von Kierkegaards
Schriften übersetzte Bärthold.
Vgl. G.
Brandes,
Sören Kierkegaard. Ein litterarisches Charakterbild (Leipz. 1879),
und folgende
Schriften von Bärthold: »Noten zu S. Kierkegaards Lebensgeschichte«
(Halle 1875),
»Lessing und die objektive
Wahrheit
aus S. Kierkegaards
Schriften zusammengestellt« (das. 1877),
»Die Bedeutung der ästhetischen
Schriften S. Kierkegaards« (das.
1879) und »S. Kierkegaards Persönlichkeit in ihrer Verwirklichung der
Ideale« (Gütersl. 1886).