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Ganz besonders hervorgehoben zu werden verdienen die Beobachtungen, welche seitens der Schweizer Regierung und der Schweizer naturwissenschaftlichen Gesellschaft seit 1874 am Rhônegletscher angestellt werden. Aus farbigen Steinen hergestellte Linien durchschneiden den an mehreren Stellen und geben, alljährlich kontrolliert, ein getreues Bild der Bewegungsdifferenzen in verschiedener Höhe und Breite [* 1] des Gletschers.
Über die letzten Ursachen der Bewegung der Gletscher gehen die Ansichten auseinander. Während ältere Forscher sie nur auf die Ausdehnung [* 2] zurückführen wollten, welche das Wasser beim Gefrieren erfährt, und im G. selbst einen ewigen Wechsel zwischen Auftauen und Gefrieren voraussetzten, stehen sich jetzt im wesentlichen zwei Theorien gegenüber: einige Forscher (Hugi, Forel) finden die Ursache ausschließlich in der Vergrößerung der den Gletscher zusammensetzenden Eiskörner durch Ankristallisieren von Infiltrationswasser (thermische Theorie), die Mehrzahl (unter andern Tyndall, Forbes, Helmholtz, Heim, Pfaff) rekurrieren auf die eigentümlichen Plastizitätsverhältnisse, welche das Eis [* 3] nach den Untersuchungen von Helmholtz, Tyndall u. a. in der Nähe des Schmelzpunktes zeigt, und führen auf diese im Verein mit Schwerewirkung das Fortschreiten zurück, das demnach am besten mit der Bewegung einer dickflüssigen Masse auf geneigter Ebene zu vergleichen wäre (mechanische od. Schweretheorie). Hinzu kommt, daß unter hohem Druck der Gefrierpunkt des Wassers sinkt; tiefer gelegene Eisteile des Gletschers können deshalb auch bei einer Temperatur unter 0° schmelzen; hierbei wird das gebildete Wasser ausgepreßt und dadurch eine Volumverminderung erzeugt, welche das Nachrücken höher gelegener Eismassen zur Folge hat.
Vermindert wird der Gletscher zunächst durch oberflächliche Abschmelzung in Gegenden und zu Zeiten, wo und wann eine höhere Temperatur als 0° herrscht. Das dabei gebildete Wasser versinkt teils in Haarspalten, teils in größern Schlöten (Gletschermühlen, moulins) bis zum Untergrund, auf dem es sich unter dem Gletscher thalabwärts bewegt, bis es am Gletscherthor (B der [* 4] Figur), am untern Ende des Gletschers, als Gletscherbach (C der [* 4] Figur) hervortritt. Diese seine untere Grenze findet der Eisstrom dort, wo die Abschmelzung durch die im Thal [* 5] herrschende höhere Temperatur dem Nachschub an Eis die Wage [* 6] hält, ein Punkt, welcher ausnahmslos tief unter der Schneelinie des betreffenden Territoriums liegt. Als Beispiel diene folgende Zusammenstellung (nach Heim):
Breite | Schneegrenze Meter | Untere Gletschergrenze Meter | |
---|---|---|---|
Justedalsbraeer (Norwegen) | 61° 38' Nord | 1300 | 50 |
Felsengebirge (Nordamerika; ob echte G.?) | 52° " | ca. 3000 | ca. 2000 |
Altai | 51° " | 2200 | 1250 |
Tátra (Ungarn) | 49° 10' " | 2180 | 2115 |
Tiroler Zentralalpen | 47° " | 2820 | 1550 |
Hohe Tauern | 47° " | 2860 | 1700 |
Schweizer Zentralalpen | 47° " | 2750-2800 | 983-1000 |
Montblanc | 46° 45' " | 2860-3100 | 1100 |
Kaukasus | 43° " | 2900-3600 | 1930 |
Pyrenäen | 42° 30'-43° | 2700-2800 | 2200 |
Karakorum | 35° 20' Nord | 5670 | 3011 |
Himalaja | 28° " | 4800 | 2865 |
Chilenische Andes | 35° Süd | 2580 | 2100 |
Neuseeland | 43° 36' " | 2300 | 210-845 |
Patagonien | 46° 50' " | ? | 0 |
Feuerland | 54° " | 1070 | 0 |
Die untere Grenze der Gletscher ist keine unveränderliche. Die warme Jahreszeit schiebt sie hinauf, in der kalten wandern sie weiter thalwärts. Außer diesen jährlichen Schwankungen sind aber auch große Perioden
[* 4] ^[Abb.: Ideale Gletscherlandschaft (nach Simony). A Firnschneefelder, B Gletscherthor, C Gletscherbach; a Seitenmoränen, b Gufferlinie, c Gletschertisch, d Endmoräne.] ¶