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»Stafford«, »Colombe's birthday«, »In a gallery« und »The blot on the Scutcheon« auf die Bühne gebracht, wie die Shelley-Gesellschaft das vorher nie aufgeführte, auch zur Aufführung vor einem gemischten Publikum nicht eben geeignete, grausig-großartige Stück ihres Lieblingsdichters: »The cenci«. Robert Buchanan und William Willis erzielten mit Dramatisierung von Romanen des vorigen Jahrhunderts Erfolge. Weniger als Fielding und Oliver Goldsmith haben zwei Bearbeitungen von Nathaniel Hawthornes »Scarlet letter« (die eine von Eduard Aveling) das Publikum angezogen.
Ziemlich häufig sind die Bearbeitungen von neuerschienenen
Romanen lebender englischer
Schriftsteller, und diese haben den
Übertragungen aus dem
Französischen einen Teil des von ihnen früher behaupteten Platzes abgewonnen.
Dahin gehören unter andern die Dramatisierungen von
Büchern, die Haggard,
Stevenson, Fergus
Hume vom
Stapel laufen ließen.
Den bedeutendsten Erfolg hatte
Frau
Frances
Burnett mit der Dramatisierung ihrer trefflichen
Erzählung
»Little
Lord Fauntleroy«.
Es sei hier auch erwähnt, daß mehrere
Dramen von
Ibsen auf die
Bühne gebracht wurden, sicherlich Aufsehen
erregten, aber keineswegs einstimmigen Beifall fanden.
Unter der leichtern Ware, die vom Ausland eingeführt wurde, ist Mosers »Bibliothekar« zu erwähnen, der nach einigen Änderungen als »The private secretary« schließlich zu einem Lieblingsstück des Publikums wurde. Für das Bedürfnis nach Spektakelstücken mit viel Mord, Liebe, Fälschung, Humor und großen szenischen Effekten wird unter anderm von Sims [* 2] (»The harbour lights«, »Romany Rye« 2c.) gesorgt, neben welchem auch Pinero und der kürzlich verstorbene Albern zu nennen wären.
Auf dem Gebiet des
Singspiels reichen sich, wie früher,
Gilbert und
Sullivan in anmutigen und schalkhaften
Stücken die
Hände.
Dahin gehören in den letzten
Jahren: »Princess
Ida«, »Ruddigore«, »The
yeoman of the guard«, vor allen aber der auch in
Deutschland
[* 3] mit Beifall aufgenommene
»Mikado«. Der
Schauspieler
Irving und seine
Gefährtin
Ellen Terry beherrschen noch immer die
Bühne. Trotz des berechtigten Vorwurfs, durch die Pracht der
Bühne das litterarische
Interesse in den
Hintergrund gedrängt zu haben, bleibt es immerhin sicher, daß
Irving die Shakespeareschen
Dramen wesentlich im täglichen
Leben der
Nation festhält, wie dies in den 20
Jahren vor ihm niemand gethan.Und so sei ihm auch
ein
Verdienst darin zugeschrieben, daß er
Goethes
»Faust« (in der Bearbeitung von W. G.
Willis) dem englischen
Publikum
vorgeführt hat. Diese Bearbeitung erweist sich in der That doch treuer, als man erwarten mochte; sicher haben durch die
Hunderte von Aufführungen
Tausende einen großen
Eindruck von
Goethe erhalten, der ihnen vorher kaum ein
Name war.
Roman.
Überaus reichlich stießt auch jetzt noch der
Dorn des englischen
Erzählungstalents in der Prosadichtung,
doch müssen wir uns begnügen, nur das Hervorragende zu erwähnen. Vorausgeschickt sei, daß der kontinentale
Sturm widerstrebender
Winde
[* 4] des
Realismus,
Naturalismus,
Idealismus die
[* 5] englische Litteratur
nur wenig berührt hat. Unbeachtet blieb er indessen nicht. Seine
Wellen
[* 6] haben auch
Englands
Ufer erreicht, aber sie haben keine wesentliche
Störung hervorgebracht. Ein gesunder
Realismus ist hier längst aus dem
Leben in die Litteratur
übergetreten, da beide so eng sich in
England berühren.
Eben daß,
ohne jedes Schul-Schibboleth, jener Wirklichkeitssinn
bereits vorhanden, hat England vor dem Gefallen an dem Schmutz, dem Anstößigen, der Verfaulung bewahrt, welche sich an Zolas Namen anknüpfen. Die rege Teilnahme der Frauen als Schöpferinnen und Leserinnen hat zu diesem Grundzug beigetragen, während doch die große Vielseitigkeit des thatkräftigen Lebens des Engländers eine schale Prüderie nicht zur Herrschaft kommen ließ. Bezeichnend ist, daß die Photographie der obern Klassen und der höhern Mittelklasse, deren sich Anthony Trollope nach Thackerays Vorgang so eifrig befliß, noch eifriger als sein humorvoller Meister, etwas in den Schatten [* 7] getreten ist, während Walter * Besant die humoristischen Bestrebungen des Charles Dickens weiter vertritt, und daß zugleich eine helle Freude am Abenteuerlichen nicht nur, sondern eine starke Hinneigung zum Mystisch-Schauerlichen an den Tag getreten ist, in welcher Hugh Conway auf niedrigerm Gebiet sich bemerkbar gemacht, Stevenson und Haggard auf viel höherm Niveau sich ausgezeichnet haben.
Daneben steht noch der philosophische Roman mit Pater (»Marius the Epicurean«) und die Romane der mehr oder weniger radikalen Freidenker, welche dem althergebrachten religiösen Anstrich des Romanlebens gewaltig zusetzen, der historische Roman und der Seeroman. Zur Seite läuft die alte Liebes- und Familiengeschichte, fröhlich oder traurig, einher und ist nicht in allen ihren Erzeugnissen unbedeutend. Es gibt treffliche Sittengemälde aus dem In- und Ausland, die tägliche Berührung mit dem Orient und den Kolonien liefert reichlich Stoffe und verhindert die Versauerung und Verdumpfung des Philistertums, zu dem es dem Engländer sonst an Anlage nicht fehlt.
In erster Reihe haben sich die alten Lieblinge bewährt: Thomas Hardy mit »Wessex tales« und »The Woodlanders«;
William Black mit »Sabina Zembra«, »The strange adventures of a house boat«, einem Gegenstück zu seinem längst erschienenen »Strange adventures of a phaeton«, und in jüngster Zeit mit »In far Lochaber«;
James Payn mit »A prince of the blood«, »By Proxy«, »The talk of the town«;
Frau Frances H. Burnett mit dem sehr gelungenen »Little Lord Fauntleroy«, »The pretty sister of José« und »The fortunes of Philippa Fairfax«;
George Meredith mit »Diana of the cross ways«, an dem seine Verehrer die Feinheit der psychologischen Darstellung rühmen, der aber doch nicht die gebildete Mehrheit zu gewinnen verstanden hat.
Um so mehr ist dies Francis Marion * Crawford gelungen, der sich rasch einen Platz unter den Klassikern des Romans erstritten hat. Ebenso ist Walter * Besant ans einer sehr geachteten Stellung in der zweiten Reihe zu unbestrittenem Rang in der ersten vorgeschritten. In »Herr Paulus, his greatness and fall« behandelt er in origineller Weise den Spiritismus, in »The world went very well then« ein Stück altfränkischen Lebens, in »Katharina Regina« die Leiden [* 8] u. Freuden der Erzieherin.
Seinen größten Erfolg hatte er aber mit »All sorts and conditions of men« schon deshalb, weil der Roman zur Gründung des People's Palace in London [* 9] geführt hat. Von jüngern traten auch Stevenson und Rider Haggard in die erste Reihe. R. L. Stevenson brachte in den Bukaniergeschichten: »The treasure island« ein Meisterwerk in der Art von Defoes »Robinson Crusoe«, wie auch »The black arrow«, gefiel sich aber dann in dem mysteriösen, alle Voraussetzungen des wirklichen Lebens verleugnenden »Dr. Jekyll and Mr. Hyde« und »New Arabian nights« im ¶
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Gruseligen. * Haggard, dessen erste Bücher ziemlich unbeachtet vorübergingen, errichtete sich mit »King Solomon's mines« (mit der Fortsetzung »Allan Quatermain«),
besonders aber mit dem genialen »She« auf dem mysteriösen Boden des dunkeln Kontinents, den er lange selbst bewohnt hat, ein bleibendes Denkmal (weiteres in der Biographie). Den vorübergehenden Erfolg, den ein Sensationsroman des Australiers Fergus M. Home: »The mystery of a hansom cab«, als Buch und Drama gefunden, verdankt derselbe hauptsächlich der ungeheuersten Reklame und wohl auch seiner Eigenschaft als litterarische Gabe aus Australien. [* 11] Des Verfassers zweiter Versuch: »Madame Midas«, war indessen erfolglos.
Dagegen hat sich eine Schriftstellerin deutscher Abkunft, Olive Schreiner, Tochter eines Missionärs, mit »An African farm« sogleich einen geachteten Namen gemacht. Als Verfasser einer langen Reihe anonymer Romane, in denen das Wunderbar-Unwahrscheinliche bis auf die Spitze getrieben ist, allerlei revolutionärer Einfälle und Strömungen nicht zu gedenken (»Mehalah«, »Court royal« u. a.),
ergab sich zu allgemeinen: Erstaunen der würdige Landpfarrer Sabine Baring-Gould, der auch Reisebeschreibungen, 15 Bände »Lives of the Saints« und zwei wohlgemeinte, wenn auch nicht fehlerfreie Bücher über Deutschland herausgegeben hat. In seinem neuesten Buch: »Arminell«, erklingen die wunderlichsten Töne. Die immer lesenswerte, gedankenreiche Frau Lynn Linton brachte »Through the long night«; die erstaunlich produktive Frau Oliphant: »Queen Eleanor and Fair Rosamond«, »Madam«, »A house dividend against itself«, »Oliver's bride«, »Effie Ogilvie«, »The son of his father«, »The second son« und »Joyce«. Mit ihr darf nicht verwechselt werden der kürzlich verstorbene Laurence Oliphant, Diplomat, Satirist, Romanschreiber, Religionsschwärmer, Reisender und Weltmann, als Schriftsteller oft ebenso klar wie verworren. Sein letzter Roman war »Massolam«; es gesellt sich darin sein altes Erzählertalent mit interessanten Erinnerungen aus Syrien, wo er den Abend seines Lebens zubrachte, und haarsträubendem Mystizismus.
Auf der Seite geistiger Freiheit in Religionssachen steht Frau Humphry *Ward, die Gattin eines Geistlichen, mit ihrem Buch »Robert Elsmere«, welches seinen außerordentlichen Erfolg neben dem eignen Verdienst auch dem Angriff verdankt, dem es von seiten des frommen Herrn Gladstone ausgesetzt war. Während hier der Geistliche selbst es ist, den wachsende Überzeugung aus der Gemeinschaft der Kirche und damit aus dem Vertrauen der Gattin treibt, ist in »John Ward, preacher« von Fräul. Deland der Konflikt gerade umgekehrt.
Beide Bücher sind für die neuere Geistesentwickelung in England höchst bezeichnend. Fräul. * Bayly hat unter dem Namen Edna
Lyall ihrem beliebten Roman »Donovan« mehrere andre von gleich gesunder Richtung folgen lassen. Th. A. * Guthrie, unter dem Schriftstellernamen
T. Anstey bekannt, der als einer der allerersten seit etwa acht Jahren in »Vice versa« das Phantastische
wieder in die englische
Novellistik einführte, wo es sich seither vielleicht übermäßig breit macht, brachte zwei ernste,
aus dem wirklichen Leben gegriffene Romane: »The giant's robe« und »A
fallen idol«; in letzterm gibt er sich wieder drolliger Laune hin. In humoristisch-phantastischer Weise
behandelt er in »The tinted Venus« einen Gegenstand, den Heinrich Heine in die »Götter im Exil« eingeflochten. F. W. Robinson,
der seit 1854 etwa 40 Romane veröffentlicht hat,
Kriminalgeschichten und andres, brachte »The youngest Miss Green«, der jüngere, fruchtbare Christie Murray eine höchst originale Landgeschichte: »Aunt Rachel«, dem er »Old Blazer's hero« und »The weaker vessel« folgen ließ. Clark Russel setzt die Reihe seiner beliebten Seegeschichten fort mit »The frozen pirate«, »The golden hope« und »The death ship«, Mabel Robinson fand ihren Stoff in Irland mit »The plan of campaigne«;
Frau Cashel Hoey schrieb: »All or nothing«, Hamilton Aide: »Passages in the lige of a lady«;
W. Englische
Norris: »Chris« und »The
rogue«;
Hall [* 12] Caine: »A son of Hagar und «The deemster";
Mathilde Blind: »Tarantella«;
Justin Mc Carthy, der Vater: »Roland Oliver« Frau Riddle: »Miss Gascoigne« u. a. Der Politiker Wemyß Reid: »Gladys Fane: a tale of two lives«.
Der tüchtige Naturforscher Grant * Allen fühlt sich gedrungen, Sensationsromane zu schreiben: »Babylon«, »The devil's die«, »This mortal coil«;
der inzwischen verstorbene alte Soldatenfreund James Grant verherrlichte seine Bergschotten in »The master of Aberfeldie«, in dem er den Stoff dem ägyptischen Feldzug von 1882 entnahm;
sein letzter Roman war »Love's labour won«.
Die unverwüstliche Frau Braddon mag mit »Like and unlike« und »The fatal three« ihre Verehrer befriedigt haben. In diesem Sinn ist auch das Buch »Wanda« von Ouida zu erwähnen, welcher auf dem Kontinent merkwürdigerweise immer noch eine höhere Bedeutung zugeschrieben wird als in England. Als Zolaist oder Naturalist erwies sich George Moore, dessen skandalöses Buch »Confessions of a young man« die größte Entrüstung hervorrief.
Ästhetik, Kritik, Litteratur
geschichte.
Hier tritt dem deutschen Leser zunächst ein mit großer Sachkenntnis gearbeitetes Buch entgegen, in welchemi Charles Harold
Herford
[* 13] frühe litterarische Beziehungen zwischen England und Deutschland behandelt: »Studies in the literary relations
of England and Germany in the sixteenth century«. Ebenso erfreulich ist uns »The spirit
of Faust« von Dr. Coupland, ein umfassender Kommentar zu Goethes Wert, und »The early letters of Goethe« (Übersetzung und Einleitung)
von Eduard Bell. Die drei eben genannten Schriftsteller sind Mitglieder der englischen
Goethe-Gesellschaft, die, 1886 gegründet,
eine wichtige Vermittlerrolle zwischen den beiden Nationen bildet, wie in Deutschland die Shakespeare-Gesellschaft.
An die Stelle ihres ersten Präsidenten Max Müller trat Eduard Dowden, der sich vielfach mit Goethe beschäftigt hat und seinem
wertvollen Buch über Southey eine größere Biographie des Dichters Shelley folgen ließ.
Hieran schließe sich die Veröffentlichung des hochwichtigen Briefwechsels zwischen Goethe und Carlyle (1887, beinahe gleichzeitig in London, Berlin [* 14] und Boston [* 15] erschienen). Auch sonst ist die Carlyle-Litteratur beträchtlich gewachsen, zunächst durch die »Early letters« (2 Bde., 1886) und weitere »Letters« (abermals 2 Bde., 1888),
von C. Englische
Norton herausgegeben, neuerdings durch Briefe der Gattin, welche Ritchie
veröffentlicht hat, und das meisterliche Buch von Garnett: »Carlyle«. Ein Deutscher, Professor Aloys Brandt, hat in seinem von
Lady Eastlake ins Englische übersetzten Werk über Samuel Taylor Coleridge zur englischen Litteratur
geschichte und Kritik einen
sehr wohl aufgenommenen Beitrag geliefert; deutsche Gelehrte beteiligten sich auch mit Furnivall und der Early English Society
an der Herausgabe altenglischer
Texte. Der bekannte Litterarhistoriker Henry Morley
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