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Riechstoffabsonderungen dienen in weiten
Kreisen der Tierwelt als bequemste
Verteidigungs- und Abschreckungsmittel. Sehr viele
Tiere, namentlich
Amphibien und
Reptilien, strömen, wenn sie gefangen werden, den übeln Knoblauchsduft
aus, welcher der
Knoblauchkröte
ihren
Namen gegeben hat, und einen solchen, vermutlich von der ganzen
Oberhaut abgesonderten Angstduft
hat man auch häufig
bei vor
Gericht stehenden menschlichen Verbrechern beobachtet. Sehr zahlreiche
Tiere haben aber einen besondern
Apparat ausgebildet, um
Stoffe, die einen lange anhaftenden und unerträglichen
Geruch besitzen, in größerer
Menge in Vorrat
zu halten und im
Augenblick der
Gefahr in bald flüssiger, bald dunstförmiger Gestalt auszustoßen. Am meisten bekannt und
verrufen in dieser
Richtung sind die Stinkmarder-
(Putorius-), Stinkdachs- (Mydaus-) und
Stinktier-
(Mephitis-)
Arten, welche aus neben dem
After liegenden
Drüsen dem Angreifer manchmal mehrere
Meter weit eine
Flüssigkeit entgegenspritzen,
die so übelduftend
ist, daß ein von ihr besudelter
Mensch am besten thut, die
Kleider gleich wegzuwerfen.
Nächstdem sind die Bombardierkäfer (Brachinus-Arten) am bekanntesten, kleine Raubkäfer, die im stande sind, durch explosionsartig aus dem After hervorgeschossene Wölkchen eines blauen, salpetrig riechenden und ätzenden Dunstes ihre Verfolger wiederholt zurückzuschrecken. Man hat beobachtet, daß ein solches kleines Tier (Brachinus crepitans) seinen 100mal größern Verfolger, den Puppenräuber (Calosoma inquisitor), 20mal nacheinander zum Stillstehen brachte, und dadurch entgeht er ohne Zweifel oft der Gefahr, ergriffen zu werden.
Aber diese nämliche Fähigkeit ist den meisten Raubkäfern eigen und dient somit Tausenden von Käferarten zum Schutz, die nicht so hörbar bombardieren. Die größern Laufkäfer-(Carabus-)Arten senden den Schuß auch auf erhebliche Entfernungen, während verschiedene Wasserraubkäfer, z. B. die Schwimmkäfer (Dyticus-Arten), aus feinen Poren der Flügeldecken einen höchst unangenehm riechenden und erst durch mehrmaliges Waschen von den Fingern zu entfernenden Stoff absondern.
Bei den kleinen Drehkäferchen unsrer Wasserflächen (Gyrinus natator) ist der
Duft so stark, daß, wenn ein Sammler mehrere
Stück in ein offenes
Glas
[* 2] gethan hat, man den
Geruch auf 500-600
Schritt spüren soll. Übrigens ist die
Duft
absonderung wohl bei allen
Raubkäfern für menschliche
Nasen unangenehm, und der
oben erwähnte
Puppenräuber verbreitet,
wenn man ihn fängt, einen fast betäubend zu nennenden
Geruch nach
Bittermandelöl oder
Nitrobenzol. Unter den übrigen
Käfern
führt die ganze Abteilung der Dämmerungskäfer (Tenebrionidae) im Volksmund den
Namen der Stinkkäfer;
sie stoßen aber die übelriechende
Flüssigkeit vielfach nicht aus dem Hinterteil, sondern aus dem
Mund hervor.
Bei mehreren
Arten der kleinen Marienschäfchen
(Coccinella) tritt, wenn man sie angreift, eine gelbe, unangenehm nach
Opium
duftende
Flüssigkeit aus den Fußgelenken, und ähnlich verhalten sich die
Maiwürmer (Meloë-Arten), die dieserhalb
auch Ölmutter genannt werden. Von den übrigen Insektenklassen sind besonders die
Wanzen verrufen, doch gibt es auch unter
den
Fliegen,
[* 3]
Ameisen,
Schmetterlingen und
Geradflüglern, namentlich unter den
Schaben, viele
Arten, die ihrer
Ausdünstung wegen
von allen
Insektenfressern gemieden werden und dann
Anlaß zu
Nachahmungen ihrer
Tracht, geben (Mimikry-Erscheinungen).
Unsre Widderchen-(Zygaena-)Arten besitzen solche Aussonderungen. Auch bei vielen Insektenlarven findet sich dieses Verteidigungsmittel bereits ausgebildet. Rührt man die Larve unsers gemeinen Pappelkäfers (Chrysomela populi) an, so treten aus 18 kegelförmigen Erhöhungen auf dem Rücken ihrer mittlern Ringe ebenso viele Tröpfchen einer höchst unangenehm riechenden milchweißen Flüssigkeit hervor, die nach vorübergegangener Gefahr wieder aufgesaugt werden.
Der schon grün und schwarz geringelten
Raupe unsers
Schwalbenschwanzes wächst, wenn man sie beunruhigt, plötzlich ein schön
orangerotes Gabelhorn aus dem Hinterkopf, welches einen starken Fenchelgeruch verbreitet und jedenfalls ein Verteidigungsmittel
gegen kleine Feinde, wie
Mücken und
Schlupfwespen, vorstellt.
Andre
Raupen haben gleich den
Schaben und den kurzflügeligen
Raubkäfern (Staphyliniden) solche hervorstülpbare Duft
hörner am hintern Leibesende. Diese
Beispiele ließen sich ins Unendliche
vermehren.
Viel weniger bekannt als die antipathischen
Gerüche sind die sympathischen Duft
stoffe, welche namentlich die Weibchen in
bestimmten
Zeiten aussondern und damit die Männchen aus weiten
Entfernungen zu sich heranlocken; sie sind in vielen
Fällen
viel zu schwach, um von unsern
Nasen wahrgenommen zu werden. Daß es indessen in vielen
Fällen doch nur
der von den Weibchen ausgestreute
Geruch sein kann, welcher die Männchen herbeizieht, sieht man schon daraus, daß vielfach
nur die Männchen stärker entwickelte
Geruchswerkzeuge und zwar bei den
Insekten
[* 4] stärker entwickelte
Fühler haben
als die Weibchen.
Man kann dies besonders schön unter den Schmetterlingen bei den Spinnern und unter den Käfern bei den Lamellikorniern sehen, sofern die Fühlerblätter, die den Duft auffangen, z. B. bei unsern Maikäfermännchen und noch auffallender bei dem sogen. Walker [* 5] (Polyphylla Fullo), viel größer entwickelt sind als bei den Weibchen. Bei Nachtschmetterlingen kann man die Sache auch praktisch erproben, indem man ein Weibchen in einem Käfig aufhängt, welches in der Regel dann bald von Männchen umschwärmt wird, so daß die Methode der seltenern Arten zum Fang benutzt werden kann.
Bei manchen Insekten sind die Weibchen ungeflügelt, und in einzelnen Fällen kommen sie gar nicht aus der Erde oder ihren sonstigen Schlupfwinkeln heraus, sondern strecken nur einen kleinen Teil ihres Körpers hervor; dennoch wissen die Männchen sie zu finden. Selbst im Puppenzustand ist dieser Geruch bei manchen Schmetterlingen schon ausgeprägt, und man hat wiederholt beobachtet, daß weibliche Chrysaliden, z. B. Seidenraupenpuppen, schon vor dem Ausschlüpfen Männchen anlockten.
Umgekehrt sind bei den
Tagschmetterlingen oft die Männchen mit einem deutlichen, selbst der menschlichen
Nase
[* 6] erkennbaren
Duft versehen, ja sie besitzen, wie
Fritz
Müller 1876 entdeckte, besondere Duft
organe, die aus pinselartigen Anhäufungen von
Haar- und Schuppengebilden der
Flügel bestehen, die für gewöhnlich nicht offen der
Luft ausgesetzt sind,
sondern in einem
Umschlag des innern Flügelrandes oder mitten auf der Oberseite der
Flügel in kleinen
Furchen oder
Taschen
liegen, aber daraus hervortreten und sich sträuben können, wo sie dann als die denkbar besten Verbreiter solcher Duftstoffe
in die
Luft thätig sein können. Sind die Gebilde aus eigentlichen
Schuppen zusammengesetzt, so pflegen
diese doch verlängert und am obern Ende fransenartig zerteilt zu sein, um den wahrscheinlich in flüssiger Form aufsteigenden
Duftstoff besser zu verdunsten. In vielen
Fällen ist dieser
Duft bisam- und moschusartig,
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wie bei mehreren unsrer Schwärmer, in einzelnen Fällen aber schön vanilleartig und bei den Männchen von Papilio Grayi so angenehm würzig, daß dieser Falter den von Jean Paul den Schmetterlingen im allgemeinen beigelegten Namen »Blumen der Duft« mit doppeltem Recht verdient und dazu einladet, wie ein duftender Blumenstrauß verwendet zu werden. Die Duftpinsel der europäischen Arten wurden namentlich von Dalla Torre untersucht. Auch aus den andern Insektenklassen sind einzelne sehr angenehm duftende Arten bekannt, z. B. eine prächtig nach Rosen duftende Hummel (Bombus fragrans) aus Südeuropa.
Unter den Wirbeltieren besitzen viele Arten in der Nähe der Geschlechtsteile Drüsen, welche Duftstoffe absondern; bei einigen Säugetieren, wie den verschiedenen Arten der Zibetkatzen und bei den Männchen der Biber und Moschustiere, erfolgt die Absonderung so reichlich in besondere Taschen, daß sie seit alten Zeiten daraus entnommen und als Arzneimittel verwendet werden. Sie haben einen außerordentlich durchdringenden und andauernden Geruch, der aber beim Moschus und Zibet in starker Verdünnung selbst der menschlichen Nase annehmbar wird, weshalb sie in der Parfümerie eine gewisse Rolle spielen. In der Medizin gelten Moschus, Zibet und Bibergeil als drei sehr kräftige Nervenmittel; die erstern beiden wurden gebraucht, wenn es galt, die Kräfte eines an großer Schwäche daniederliegenden Kranken zu beleben oder die Lebensgeister eines Sterbenden noch für einige Stunden zurückzuhalten; das Bibergeil gilt als vorzügliches Krampfmittel.
Psychologische Wirkungen der Duftstoffe.
Feinsinnige Beobachter haben schon längst ähnliche Beziehungen wie bei den Tieren auch beim Menschen wahrgenommen, und Goethe hat bekanntlich sowohl im ersten als im zweiten Teil des »Faust« mehrfache Anspielungen auf die berauschende und berückende Wirkung des weiblichen Dunstkreises auf Männer wie des männlichen auf Personen weiblichen Geschlechts gemacht. Im J. 1821 veröffentlichte Cadet-Devaux eine »Dissertation de l'athomosphère de la femme et de sa puissance«, worin allerlei Beispiele von der Wirkung der weiblichen Atmosphäre auf Männer und ihrer Veränderung durch Krankheiten angeführt wurden, worauf A. Galopin 1885 ein Buch: »Le [* 8] parfum de la femme et le sens olfactif dans l'amour« herausgab. G. Jäger in Stuttgart [* 9] hatte sich mit diesen Verhältnissen näher beschäftigt und dabei gefunden, daß, ähnlich wie bei den Schmetterlingen, auch bei dem Menschen die Haargebilde als eigentliche Träger [* 10] und Verbreiter des Individualgeruchs zu betrachten seien. Er glaubte dies sogar durch den Versuch beweisen zu können, indem er durch Meßinstrumente eine Erhöhung der Nerventhätigkeit bei Leuten nachwies, die an dem Haar [* 11] oder Kopfputz geliebter Personen gerochen hatten.
Ähnliche Ansichten sind schon in alten Zeiten ausgesprochen worden. In der Bibel [* 12] lesen wir, daß der alternde König David von der Gesellschaft eines jungen Mädchens Verjüngung hoffte, und als ein gewisser Gommarus ein römisches Denkmal fand, nach dessen Aufschrift ein gewisser Hermippus durch das Anhauchen junger Mädchen ein Alter von 115 Jahren erreicht haben sollte, entwickelte der Neuplatoniker Marsilius Ficinus (gest. 1499) eine Theorie, nach welcher in den Ausdünstungen von Pflanzen, Tieren und Menschen ein Lebendiges enthalten sei, »Geisterchen«, die von einem Lebewesen durch Nase und Mund auf das andre übergehen könnten und alle jene Erscheinungen des Gesellschaftslebens, wie Liebe und Haß, Sympathie und Antipathie, Gleichheit der Gefühle bei Freunden, Liebenden, Ehegatten, bei verschiedenem Alter Verjüngung der ältern Hälfte etc. erzeugen sollten.
Diese Ansichten wurden von vielen Philosophen, z. B. von Bacon von Verulam, adoptiert und auch im Volk sehr populär, wie die bekannte Volksheilmethode des Einhüllens einzelner kranker Glieder [* 13] oder des ganzen Körpers in das Fett frisch geschlachteter Tiere beweist. Bacon wies als Beweis auf das hohe Alter, welches Lehrer durch den beständigen Verkehr mit frischer Jugend zu erreichen pflegen, und sprach von einem Überströmen der Lebensgeister dabei. Auch der Mißbrauch, den man in frühern Jahrhunderten mit dem frischen Blut Enthaupteter trieb, und die ganze Paracelsische Theorie von der Zauberwirkung der »Mumie«, h, irgend welcher animalischen Körperstoffe, gehört in diesen Ideenkreis.
Bekanntlich hat Jäger in Stuttgart diese Ansichten neu belebt und ist dabei von der bekannten Thatsache ausgegangen, daß die Fleisch- und Albuminstoffe der verschiedenen Tiere einen verschiedenen Geschmack und Geruch besitzen, der besonders hervortritt, wenn dieselben mit starken Säuren oder Alkalien behandelt werden. Es entwickelt sich dann in der Regel der Geruch, welchen die Fäkalien des betreffenden Tiers besitzen, und es läßt sich in diesem Sinn von Klassen-, Gattungs-, Art- und Individualgerüchen sprechen, sofern z. B. das Fleisch der Fische [* 14] bei aller Verschiedenheit im einzelnen durch solche Behandlung Gerüche von einer gewissen Gemeinsamkeit dem Vogel- oder Säugetierfleisch gegenüber liefert.
Daher präge sich in diesen von dem Eiweißmolekül abspaltbaren Art- und Gattungsgerüchen die durch kein andres chemisches Verfahren nachweisbare Spezifizität des lebenden Körpers aus, und so unterschieden sich wieder die Rassen einer Art, z. B. des Menschen, durch einen besondern Duft (Völkergeruch), der den Angehörigen der fremden Rasse mehr und unangenehmer auffällt als denen der eignen, die ihn nicht mehr bemerken. Dadurch erklärten sich aber auch manche Erscheinungen des Rassenhasses, gerade so wie verschiedene Instinkte der Tiere durch den bloßen Geruch geweckt werden, z. B. die Wut einer Katze, [* 15] wenn man sie mit der Hand [* 16] berührt, die unmittelbar zuvor das Fell eines Hundes gestreichelt hat.
Das geht nun weiter, sofern die Ausdünstungsstoffe wieder bei einer und derselben Person durch Alter, Konstitution, Befinden und namentlich durch Affekte beeinflußt werden. Ein lebender Körper dufte besser, wenn derselbe sich in gehobener, fröhlicher Stimmung als unter dem Einfluß deprimierender Affekte, wie Furcht, Angst, Wut, Haß etc., befindet. Es spiegle sich demnach auch die ganze seelische Individualität mit allen ihren Stimmungen in den ausgesonderten Duftstoffen, und diese Ansicht äußerten schon die alten Juden, indem sie aus Jes. 11, 3-4. schlossen, der Messias werde die Gerechten und Ungerechten nach ihrem Geruch unterscheiden.
Sie sollen sogar einen falschen Messias, Bar-Kochba, im 2. Jahrh. unsrer Zeitrechnung verleugnet haben, weil er diese Fähigkeit nicht besessen habe und nicht einmal schwere Verbrecher von rechtlichen Leuten nach dem Geruch unterscheiden konnte. Offenbar hat sich aus diesen und ähnlichen Anschauungen auch die bekannte, oftmals auf Märtyrergebeine übertragene Lehre [* 17] von dem »Geruch der Heiligkeit« entwickelt, welchen Görres in seiner »Christlichen Mystik« von der völligen Harmonie des geistigen und körperlichen Lebens der Heiligen ableiten wollte. ¶