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Ursache der Neuwahlen, der Ablehnung des Septennats, abzulenken und vielmehr die Absicht der Regierung, das Volk mit Monopolen zu belasten, als Ursache der Auflösung hinzustellen; übrigens hatte E. Richter 13. Jan. die Hoffnung verraten, mit der sich seine Partei schmeichelte: nämlich die Aussicht auf die baldige Thronbesteigung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, welchen sie als ihren Gönner und Gesinnungsgenossen ansah, so das;
»die Zukunft und eine nicht allzu entfernte Zukunft ihr gehöre«.
Das Zentrum geriet durch das Eingreifen des Papstes in eine eigentümliche Lage. Leo XIII. hatte schon durch den Staatssekretär Jacobini das Zentrum auffordern lassen, für das Septennat einzutreten, weil es geeignet sei, den Frieden zu sichern, und die Regierung durch die Zustimmung des Zentrums den Katholiken wie auch dem heiligen Stuhl immer geneigter gemacht werden würde; die Führer des Zentrums sollten daher allen ihren Einfluß bei ihren Kollegen für die Annahme des Septennats einlegen und denselben versichern, »daß sie durch Unterstützung des Septennats dem heiligen Vater eine große Freude bereiten, und daß das für die Sache der Katholiken sehr vorteilhaft sein würde«.
Windthorst und Franckenstein hatten aber das Schreiben Jacobinis ohne weiteres unterschlagen und nur wenigen Zentrumsmitgliedern mitgeteilt. Auch ein zweites Schreiben Jacobinis vom 21. Jan., welches 4. Febr. veröffentlicht und allen deutschen Bischöfen mitgeteilt wurde, deutete Windthorst auf dem ultramontanen Parteitag in Köln [* 2] 6. Febr. in sophistischer Weise so um, als ob der Papst nur die Verdienste der Zentrumspartei anerkannt und seine Aktionsfreiheit in keiner Weise beschränkt habe.
Die Kaplanspresse betrachtete das Eingreifen des Papstes für das Septennat als nicht vorhanden und gab die Wahlparole »Gegen das Septennat!« aus, und nur ein Bischof, Klein von Limburg, [* 3] wagte den Wunsch des Papstes seiner Geistlichkeit zur Nachachtung zu empfehlen. Wenn auch die Führer des Zentrums und die Deutschfreisinnigen die auswärtige Lage für gänzlich ungefährdet und die Macht des Reichs für völlig ausreichend erklärten, so konnten doch das herausfordernde Auftreten Boulangers seit 14. Jan. und die Wühlereien der Franzosen in Elsaß-Lothringen [* 4] über die Notwendigkeit, die Wehrkraft dauernd zu stärken, nicht täuschen, und die Nationalgesinnten boten 21. Febr. alles auf, um die Opposition zu schlagen.
Und es gelang. Die Deutschfreisinnigen erlitten eine furchtbare Niederlage: von 67 Wahlkreisen behaupteten sie bei der ersten Wahl nur 11 und von diesen sogar 9 nur mit Unterstützung des Zentrums;
bei den Stichwahlen 2. März glückte es ihnen mit Hilfe der Ultramontanen und Sozialdemokraten, noch 21 Sitze zu erobern, 447,702 Stimmen wurden 1887 weniger für sie abgegeben als 1884. Die kleine Volkspartei (5 Mitglieder) verschwand gänzlich, die Sozialdemokraten sanken von 24 auf 11 Mitglieder. Am glänzendsten siegte das Kartell im Königreich Sachsen, [* 5] wo nur ein nicht Nationaler gewählt wurde, in Baden, [* 6] Württemberg, [* 7] Rheinhessen und der Pfalz. In Elsaß-Lothringen (s. d., Bd. 17) wurden dagegen nur Protestler gewählt.
Die Deutschkonservativen waren 80 Mitglieder stark, die Reichspartei 41, die Nationalliberalen 101; letztere hatten insgesamt 1,658,158 Stimmen erhalten, mehr als das Zentrum und 661,125 mehr als 1884. Der Besitzstand des Zentrums wurde nur wenig verringert. Die nationalen Kartellparteien aber hatten nun eine Mehrheit von 44 Stimmen. Der Kaiser sprach seine hohe Freude über dies Ergebnis aus.
Der neue Reichstag wurde vom Minister v. Bötticher eröffnet. Er wählte v. Wedell-Piesdorf zum Präsidenten und den nationalliberalen Buhl zum ersten Vizepräsidenten; Franckenstein wurde nicht wieder gewählt, und da darauf der zum zweiten Vizepräsidenten gewählte Ultramontane v. Hertling die Wahl ablehnte, trat v. Unruhe-Bomst von der Reichspartei an seine Stelle. Schon 7. März begann die Beratung der von neuem eingebrachten Militärvorlage, und 9. März fand die entscheidende Abstimmung statt.
Das Zentrum trug dem nationalen Gedanken und dem Wunsch des Papstes insoweit Rechnung, daß es sich mit Ausnahme von Reichensperger und 6 Mitgliedern, welche mit Ja stimmten, der Abstimmung enthielt. Von den Deutschfreisinnigen waren nur 23 anwesend, welche gegen das Septennat stimmten. Die Regierungsvorlage wurde schließlich mit 223 gegen 48 Stimmen angenommen und 12. März als Gesetz verkündet. Seine Ausführung, vollständig vorbereitet, folgte auf dem Fuß und war bis vollendet; die Garnisonen an der West- und Ostgrenze wurden ansehnlich verstärkt.
Darauf wurde auch das Reichsetatgesetz für 1887/88, welches vor der Auflösung 14. Jan. nicht erledigt worden war, und welches der Schatzsekretär Jacobi von neuem einbrachte, ebenso rasch durchberaten und hierbei endlich die Errichtung einer Unteroffizierschule in Neubreisach, welche die Regierung seit 1881 immer vergeblich beantragt hatte, genehmigt. Da aus strategischen Rücksichten eine Vervollständigung des deutschen Eisenbahnnetzes notwendig war, auch die Festungen verstärkt und die Bewaffnung verbessert und ergänzt werden mußten, so wurde im April dem Reichstag noch ein Nachtragsetat vorgelegt, dessen Höhe, 172 Mill., welche durch eine Anleihe aufgebracht werden sollten, allerdings anfangs überraschte, aber vom Kriegsminister 25. April gerechtfertigt und 20. Mai bewilligt wurde.
Die Ausgaben für das Reichsheer für das Jahr 1887/88 stiegen damit auf fast 580 Mill., 204 Mill. mehr als bisher, und um die erhöhten Ausgaben bestreiten zu können, beantragte die Reichsregierung nochmals die Einführung einer Verbrauchsabgabe von Branntwein für ganz Deutschland, [* 8] von welcher sie sich eine bedeutende Vermehrung der Reichseinnahmen versprach, und eine neue Zuckersteuervorlage, welche den Zucker [* 9] ebenfalls mit einer Verbrauchsabgabe belegte und die Ausfuhrvergütung regelte; beide Vorlagen wurden 17. und 18. Juni (auch von der Mehrheit des Zentrums) angenommen und hierauf die Session des Reichstags geschlossen, wobei Minister v. Bötticher dem Reichstag auf Befehl des Kaisers, der 22. März unter glänzenden Festlichkeiten seinen 90. Geburtstag gefeiert hatte, dessen Dank und Anerkennung dafür ausdrückte, daß er durch seine Beschlüsse der vaterländischen Wehrkraft und den Finanzen des Reichs diejenige Stärke [* 10] und Festigkeit [* 11] gegeben habe, welche die Vorbedingungen für den Frieden und die Entwickelung seiner Werke bildeten. Auch den Erwartungen des Volkes hatte der Reichstag durch seine Thätigkeit entsprochen und zur Beruhigung der Kriegsbefürchtungen wesentlich beigetragen.
Die äußere Stellung des Reichs wurde nicht wenig dadurch befestigt, daß das Bündnis Deutschlands [* 12] und Österreichs mit Italien, [* 13] welches schon 1883 abgeschlossen worden war, erneuert und fester geknüpft wurde, so daß fortan der Dreibund der mitteleuropäischen Mächte, Deutschland, Österreich [* 14] und Italien, ein gewaltiges Bollwerk des Friedens gegen Osten und Westen bildete. Kalnoky hatte im ¶
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September und der neue italienische Ministerpräsident Crispi im Oktober eine Konferenz mit Bismarck in Friedrichsruh, in welcher eine Verständigung über die schwebenden politischen Fragen erzielt wurde. Trotz der Stärkung ihrer Kraft [* 16] durch diesen Dreibund trat die deutsche Politik überall, auch Frankreich und Rußland gegenüber, friedfertig auf und bemühte sich, alle Konflikte versöhnlich beizulegen, wenn auch der andre Teil durch Herausforderungen reizte und die deutsche Geduld auf harte Proben stellte.
Der französische Polizeikommissar Schnäbele (s. d., Bd. 17), welcher eingestandenermaßen wiederholt Elsaß-Lothringer durch Bestechungen zum Landesverrat verleitet hatte und, als er auf Einladung der deutschen Polizei deutsches Gebiet betrat, auf Requisition des Reichsgerichts verhaftet wurde, ward 30. April freigelassen, obwohl die Pariser Presse [* 17] sich in den pöbelhaftesten Schmähungen erging uud das französische Ministerium die Stellung eines Ultimatums an D. nur mit sieben gegen fünf Stimmen ablehnte, obwohl ferner die Prozesse wegen Landesverrats gegen Elsaß-Lothringer, welche von Frankreich bestochen waren, bei dem Reichsgericht zu Leipzig [* 18] immer zahlreicher wurden.
Als der Zar Alexander III., nachdem er den Besuch des Kaisers in Stettin [* 19] während der Manöver unterlassen hatte, auf der Rückreise von Kopenhagen [* 20] den Besuch in Berlin [* 21] abstattete, erbat sich der Reichskanzler eine Audienz bei demselben, um ihn über gewisse Ränke und Umtriebe mit gefälschten Papieren aufzuklären; danach sollte der Reichskanzler hinter dem Rücken Rußlands und im Widerspruch mit seinen offiziellen Depeschen in der bulgarischen Frage eine russenfeindliche Politik getrieben haben.
Bismarck vermochte die Unechtheit der Schriftstücke, welche dem Zaren in Kopenhagen zugesteckt worden waren, und welche nachher (im Dezember) veröffentlicht wurden, nachzuweisen, und der Zar erklärte sich beruhigt und versicherte, daß er die Erhaltung des Friedens wünsche und weder einen Angriff auf Deutschland und Österreich noch die Teilnahme an einer gegen sie gerichteten Koalition beabsichtige. Indes die Haltung seiner Regierung und die Äußerungen der Presse bewiesen, daß in Rußland eine höchst gereizte Stimmung gegen Deutschland bestand, welche leicht zu einem Krieg führen konnte. Überdies wurden immer mehr Truppen und Kriegsvorräte an der deutschen und österreichischen Grenze Rußlands aufgehäuft.
Die Thronrede, mit welcher v. Bötticher die neue Session des Reichstags eröffnete, schloß daher auch mit den etwas düstern Worten: »Die auswärtige Politik des Kaisers ist mit Erfolg bemüht, den Frieden Europas, dessen Erhaltung ihre Aufgabe ist, durch Pflege der freundschaftlichen Beziehungen zu allen Mächten, durch Verträge und durch Bündnisse zu befestigen, welche den Zweck haben, den Kriegsgefahren vorzubeugen und ungerechten Angriffen gemeinsam entgegenzutreten. Das Deutsche Reich [* 22] hat keine aggressiven Tendenzen und keine Bedürfnisse, die durch siegreiche Kriege befriedigt werden könnten. Die Verfassung sowohl als die Heereseinrichtungen des Reichs sind nicht darauf berechnet, den Frieden unsrer Nachbarn durch willkürliche Angriffe zu stören. Aber in der Abwehr solcher und in der Verteidigung unsrer Unabhängigkeit sind wir stark und wollen wir mit Gottes Hilfe so stark werden, daß wir jeder Gefahr ruhig entgegensehen können«. Diese Verstärkung [* 23] der Wehrkraft sollte das Landwehr- und Landsturmgesetz bewirken, dessen Entwurf dem Reichstag vorgelegt wurde; dasselbe stellte das 1868 aufgehobene zweite Aufgebot der Landwehr wieder her, das alle gedienten Mannschaften (Landwehrleute ersten Aufgebots und Ersatzreservisten) vom 32. - 39. Jahr umfaßte, während die nicht ausgebildeten Ersatzreservisten dem ersten Aufgebot des Landsturms zugewiesen wurden, das zweite Aufgebot des Landsturms alle Mannschaften vom 39. - 45. Jahr enthielt.
Die Kriegsstärke des deutschen Heers wurde durch die neue Formation um ½ Mill. Streiter vermehrt. Die Stimmung im Reichstag hatte sich so geändert, daß außer den Sozialdemokraten sich keine Partei grundsätzlich gegen die neue Vorlage erklärte, welche an einen Ausschuß zu geheimer Beratung überwiesen wurde. Da während des Winters die Kriegsrüstungen Rußlands in seinen Westprovinzen immer bedrohlicher wurden, so sahen sich Deutschland und Österreich veranlaßt, das zwischen ihnen abgeschlossene Bündnis zu veröffentlichen, um zu beweisen, daß dasselbe nur ein Verteidigungsbündnis sei für den Fall, daß Rußland eins der beiden Reiche angreife oder eine andre Macht (Frankreich), welche angreife, sei es in Form einer aktiven. Kooperation, sei es durch militärische Maßnahmen, welche den Angegriffenen bedrohen, unterstütze, daß aber in diesen Fällen die Verbündeten einander mit ihrer ganzen Kriegsmacht beizustehen und den Frieden nur gemeinsam und übereinstimmend zu schließen hätten. Das Bündnis mit Italien wurde nicht veröffentlicht, lautete aber wohl ähnlich, nur daß hier Frankrerch als die Macht, von der der Angriff ausgehen könne, angeführt war.
Unter dem Eindruck dieser Veröffentlichung, welche großes Aufsehen hervorrief, begann im Reichstag die zweite Beratung des Wehrgesetzes; mit ihr wurde verbunden die erste Lesung eines neuen Gesetzentwurfs über Aufnahme einer Anleihe von 278 Mill., durch welche für die verstärkte Kriegsmacht der Mehrbedarf an Kriegsmaterial sofort beschafft werden sollte. Die Beratung eröffnete Bismarck mit einer großen Rede, in welcher er einen höchst interessanten Überblick über die auswärtige Politik Preußens [* 24] und Deutschlands in den letzten 40 Jahren gab, zwar augenblicklich jede Kriegsbefürchtung für ungegründet erklärte, aber hervorhob, daß bei der geographischen Lage Deutschlands, das drei Angriffsfronten hatte und zwar gegen die kriegerischte und unruhigste Nation, die Franzosen, und gegen Rußland, wo früher nicht vorhandene kriegerische Neigungen groß geworden seien, das Reich militärisch so stark sein müsse, daß es auch jeder Koalition mit Ruhe entgegensehen könne; auch die ältere Landwehr und der Landsturm müßten die besten Waffen [* 25] haben, dann werde Deutschland im Osten und Westen, an jeder Grenze eine Million guter Soldaten haben und noch eine Million im Hinterland, und dieses gewaltige Heer werde Offiziere und Unteroffiziere besitzen, wie sie weder Frankreich noch Rußland an Tüchtigkeit und Menge aufbringen könne.
»Wir wollen nach wie vor den Frieden mit unsern Nachbarn. Frankreich gewährt uns bei diesen Bemühungen keine Sicherheit auf Erfolg, wenngleich ich nicht sagen will, daß es nichts hilft; wir werden nie Händel suchen, wir werden Frankreich nie angreifen. Wir haben in den vielen kleinen Vorfällen, welche die Neigung unsrer Nachbarn, zu spionieren und zu bestechen, verursacht hat, immer eine sehr gefällige und freundliche Beilegung herbeigeführt, weil ich es für ruchlos halten würde, um solcher Lappalien willen einen großen nationalen Krieg zu entzünden. Da heißt es: der Vernünftigere gibt nach. Ich nenne also vorzugsweise Rußland, und da habe ich dasselbe ¶