Publikums weit über die musikalischen
Kreise hinaus. Anschaulich, so bedeutend als liebenswürdig sind die
»Briefe aus
Italien«
[* 2] von
JuliusSchnorr v. Carolsfeld, die in die römisch-deutsche Künstlerkolonie des zweiten und dritten
Jahrzehnts unsers
Jahrhunderts zurückversetzen. Eine
Natur und ein Frauenleben von ungewöhnlicher Vorzüglichkeit erschließen
die in dem
Buch
»EmmaFörster« gesammelten
Briefe der Tochter
JeanPauls. Nach
Inhalt und
Reiz der Form gleich
wertvoll ist der »Briefwechsel der Bildhauer
Fr.
Rauch und
ErnstRietschel«, herausgegeben von
KarlEggers, der auch
»Rauch und
Goethe, urkundliche Mitteilungen« veröffentlichte.
Die »Reisebriefe
K. M. v.
Webers an seine
Gattin« waren zum größern Teil schon in der
Weber-Biographie
von
M. M. v.
Weber mitgeteilt. Als völlig neu erschienen die
»Briefe zwischen
Mendelssohn und
Moscheles«, »Ferdin.
David und die
FamilieMendelssohn«. Der »Briefwechsel und die Tagebuchblätter« von
ArnoldRuge, das durch seine brieflichen Mitteilungen allein wichtige
Buch »Zeit und
Menschen« von Feod.
Wehl, auch das zu
einem vollen Lebensbild ausgestaltete, aber durch Tagebuchblätter und
Briefe gehaltreiche
Buch »Aus dem
Leben der Dichterin
Amalie v.
Helvig« von
Henriette v.
Bissing nähern sich schon mehr der ungeheuern Anzahl von Werken, die durch ihren
Stoff, durch
Mitteilung von
Material ein gewisses
Interesse beanspruchen, ohne der höhern
Forderungin sich geschlossener
künstlerisch reifer
Darstellung zu genügen.
Auf dem Gebiet der litterarischen
Biographie sind eine
Reihe von Werken zu verzeichnen, die diesem
Ideal besser entsprechen.
Das klassische biographische Werk
»Herder« von R.
Haym gelangte mit seinem zweiten Teil zum erfreulichsten
Abschluß.
ErichSchmidts
»Lessing«,
Franz Munckers
»Klopstock« und ganz neuerdingsPaul Herrlichs umfassende
Biographie
»Jean Paul«
legten nicht bloß vom rühmlichen Forscherfleiß, sondern auch von
Geschmack und Darstellungskunst ihrer Verfasser
Zeugnis
ab.
Schiller erhielt in O.
Brahm, R. Weltrich, E.
Minor neue Biographen;
GoethesLeben und Dichten ward von dem
Jesuiten A.
Baumgartner
in das
Licht
[* 3] einer Auffassung gerückt, nach der es überhaupt eine
Todsünde ist, der römischen
Kirche
und ihrer Weltanschauung nicht gedient zu haben.
Sprachverein,Allgemeiner. Das gesteigerte
Selbstbewußtsein des deutschen
Volkes im neuen
Reich hat seit der
Gründung des letztern vielfach den
Wunsch angeregt, daß die hergestellte
Einheit auch der
Pflege der gemeinsamen
Sprache
[* 6] zu
gute kommen möge. Nachdem das Bestreben, zunächst eine gemeingültige, folgerechte
Rechtschreibung herzustellen, mit
einem unleugbar erfreulichen Fortschritt vorläufig abgeschlossen, hat sich die allgemeine
Aufmerksamkeit in den letzten
Jahren
namentlich der Reinheit der
Sprache zugewandt, die durch mangelnde Einsicht, Nachlässigkeit und Modethorheit in der That
oft unbillig hintangesetzt und durch Einmischung zahlloser
Fremdwörter getrübt wird. Nachdem einzelne leitende
Männer im
öffentlichen
Dienst, zumeist der Reichspostmeister v.
Stephan, innerhalb ihres
Kreises in diesem
Sinn vorzugehen
begonnen hatten, gelang es dem Museumsdirektor H.
Riegel zu
Braunschweig,
[* 7] mit zwei kleinen
Schriften: »Ein
Hauptstück von unsrer
Muttersprache« (Leipz. 1885) und »Der Allgemeine
Deutsche
[* 8] Sprachverein« (Heilbr. 1885), die
Bewegung in festere
Bahnen zu leiten.
Durch Begründung von Zweigvereinen, öffentliche Versammlungen, Entsendung von Wanderrednern, Preisaufgaben, namentlich
aber durch Herausgabe einer Vereinszeitschrift (seit 1886) wußte der
Verein ein reges
Leben zu erhalten. Anfang 1890 bestanden 147 Zweigvereine
(darunter 20 in
Österreich)
[* 11] mit 12,000 Mitgliedern. Neben diesem äußern Erfolg hat der Gesamtverein eine
Reihe von Zustimmungserklärungen
seitens hervorragender
Männer,
Körperschaften und Behörden (unter andern des Reichspostmeisters und des preußischen Kultusministers
v.
Goßler) zu verzeichnen. Aber auch an
Widerspruch und Bedenken hat es nicht gefehlt. Aufsehen erregte
zunächst der
Angriff des inzwischen verstorbenen
Tübinger¶
mehr
Uni-230 versitätskanzlers GustavRümelin in dessen Rede zur akademischen Preisverteilung die er mit einem Fremdwörterverzeichnis
unter dem Titel: »Die Berechtigung der Fremdwörter« (2. Aufl., Freiburg
[* 13] 1887) besonders herausgab. Rümelin sieht die Fremdwörter als
naturgemäßen Erwerb aus der geschichtlichen Entwickelung des deutschen Geistes an, der eben nicht für
sich und getrennt, sondern unter dem starken Einfluß der alten Kultur und in reger Wechselwirkung mit den Nachbarvölkern
sich gebildet hat. Er teilt daher nicht den leidenschaftlichen Haß gegen die Eindringlinge, der gegenwärtig in weiten Kreisen
herrscht, und fürchtet von grundsätzlicher Bekämpfung der Fremdwörter einen wesentlichen Schaden für die deutsche Sprache
der Gegenwart.
Wenngleich mit Recht von den Leitern des Deutschen Sprachvereins gegen die AusstellungenRümelins eingewandt ist, daß sie unmittelbar
nur die einseitige Überspannung des Gegensatzes gegen die Fremdlinge in unsrer Sprache treffen, so bleibt doch eine wesentliche
Verschiedenheit des Gesichtspunktes übrig. Man begegnet daher dem Kanzler wieder bei der zweiten gleich
bedeutenden Kundgebung gegen den Sprachverein, der Erklärung, die 41 Gelehrte und Schriftsteller, großenteils von hohem Ruf,
am in den »Preußischen Jahrbüchern« abgaben.
Die Unterzeichner erklären sich auch ihrerseits gegen den herrschenden Überschwang der Sprachmengerei und erkennen die
maßvolle Fassung der Vereinsgesetze an. Sie verwahren sich aber dagegen, daß die Pflege der Muttersprache
vornehmlich in Abwehr der Fremdwörter beruhe und diese zum Gebot des Nationalstolzes erhoben werde. »Es genügt«, so erklären
sie, »daß unsre Jugend durch wissenschaftlich und pädagogisch gebildete Lehrer wie bisher zum saubern Gebrauch der Sprache
und zu fortschreitender Versenkung in die Schätze der Nationallitteratur angeleitet werde.« Als Anlaß
zu dem Hervortreten der Verwahrenden wird ausdrücklich bezeichnet, daß der Gesamtvorstand des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins
durch Anträge an die deutschen Schulverwaltungen versucht habe, die Schule in den Dienst seines Bestrebens zu ziehen und nach
dem Muster der Rechtschreibung auch den Sprachgebrauch von obenher zu regeln.
Ihr Widerspruch richtet sich aber außerdem gegen den im Schoß des Vereins und in dessen Zeitschrift wiederholt verfochtenen
Gedanken, öffentliche Behörden, namentlich eine »Reichsanstalt für die
deutsche Sprache«, einzusetzen, die nach Art der französischen Akademie die deutsche Sprache meistern könnten, sowie endlich
gegen den blinden Eifer, mit dem innerhalb des Vereins durch sprach- und sinnwidrige Schnellprägung von
Ersatzwörtern Schade angerichtet werde.
Die Spitze der letzten Andeutung richtet sich gegen die vom Sprachverein auf Grund von Vorarbeiten in den Zweigvereinen herausgegebenen
Verdeutschungsbücher, durch die auf einzelnen Gebieten, wie Gerichts-, Verwaltungs-, Hof-, Kriegs-, Versicherungs-, Schulwesen,
Handel, Gewerbe u. dgl., für die
gebräuchlichen FremdwörterErsatz dargeboten wird, der allerdings nicht durchweg glücklich gewählt ist und dem Ernste der
Sache oft mehr schadet als nützt. Man kann diesen Bedenken ihr volles Recht lassen, ohne doch das Gute der Vereinsarbeit zu
verkennen. In diesem Sinn haben öffentliche Meinung und Presse
[* 14] sich wirklich zumeist entschieden.