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Ostrumelien mit Bulgarien als eine vollzogene Thatsache anerkannte und sich als Fürst von Nord- und Südbulgarien »durch den Willen des allmächtigen Gottes und des Volkes« unterschrieb, auch 21. Sept. in Philippopel selbst die Regierung übernahm, erklärte das enttäuschte Rußland dies Verhalten ohne sein Vorwissen und seine Zustimmung für einen direkten Verrat an der Pflicht der Dankbarkeit und des Gehorsams, die und Fürst Alexander ihm schuldeten, und berief sämtliche russische Offiziere aus und Ostrumelien ab; Fürst Alexander, welcher Generalleutnant à la suite der russischen Armee war, wurde auf Befehl des Zaren aus den Listen derselben gestrichen, und alle Bemühungen der Bulgaren, welche sogar eine Gesandtschaft nach dem Sommeraufenthalt des Zaren bei Kopenhagen schickten, den Zorn desselben zu versöhnen, waren vergeblich.
Was sie thun müßten, um die Gunst Rußlands wiederzugewinnen, wurde ihnen freilich auch nicht gesagt. Der Zar wollte noch keinen Krieg beginnen, um Rußlands Herrschaft auf der Balkanhalbinsel herzustellen, da er noch nicht hinreichend gerüstet war, auch einen Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich abwartete; bis Rußland aber im stande war, in Bulgarien thätig einzugreifen, wollte der Zar sich in keiner Weise binden. Die Pforte hatte anfangs die Absicht, Truppen in Ostrumelien einrücken zu lassen, um ihre Autorität herzustellen.
Die Großmächte (außer Rußland) rieten ihr davon ab, und sie unterließ es. Den offenen Bruch des Berliner Vertrags von 1878 einfach anzuerkennen, konnten sich die Großmächte aber auch nicht entschließen; nur England, das von Rußland beschuldigt wurde, den Aufstand vom angestiftet zu haben, riet, die Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien anzuerkennen. Daher blieb eine im November 1885 in Konstantinopel abgehaltene Botschafterkonferenz resultatlos.
Die thatsächlich vollzogene Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien erregte bei den beiden andern stets nach Vergrößerung begierigen Balkanstaaten, Griechenland und Serbien, Neid und Eifersucht; sie besorgten, daß der neue bulgarische Staat einst auch Makedonien an sich reißen könnte, nach welchem sie selbst schon längst ihre lüsternen Blicke geworfen hatten. Sie erklärten also das Gleichgewicht auf der Balkanhalbinsel für gestört und verlangten, wenn der neue Zustand in Bulgarien erhalten bleibe) auch für sich Vergrößerungen.
Griechenland fühlte sich freilich zu einem kriegerischen Konflikt mit der Pforte, welchen es nicht hätte vermeiden können, nicht stark genug und mußte erst rüsten; inzwischen aber verstrich der günstige Augenblick, und schließlich mußte sich der griechische Minister Deligiannis im Mai 1886 den energischen Mahnungen der Mächte fügen und Frieden halten. Serbien aber, das Altserbien schon auf dem Berliner Kongreß vergeblich beansprucht hatte, forderte nun von Bulgarien dessen Abtretung, und da es sein rasch mobil gemachtes Heer für stark genug hielt, um die nicht vorbereiteten, durch den Austritt der russischen Offiziere, wie es meinte, desorganisierten bulgarischen Truppen zu vernichten, erklärte es, angebliche Grenzüberschreitungen zum Vorwand nehmend, an Bulgarien den Krieg (serbisch-bulgarischer Krieg). In zwei Heersäulen überschritten die Serben 14. Nov. die bulgarische Grenze und rückten unter Befehl des Generals Horvatowitsch auf Widdin, unter General Jovanowitsch auf Sofia vor. Die unbedeutenden bulgarischen Streitkräfte, welche in aller Eile an die Grenze geworfen werden konnten, wurden von der serbischen Übermacht in den Gefechten von Zari-
brod, Dragoman, Trn und Bresnik mit leichter Mühe zurückgeworfen, und schon 17. Nov. standen die Serben vor den Schanzen von Sliwnitza, welche Major Gutschew mit 8000 Mann besetzt hielt; die Hauptmasse des bulgarischen u. ostrumellschen Heers, in welchem die Stellen der ausgeschiedenen russischen Offiziere durch junge Hauptleute und Leutnants hatten besetzt werden müssen, befand sich noch in Ostrumelien, wohin Fürst Alexander sie zur Abwehr einer befürchteten türkischen Okkupation geführt hatte.
Obwohl die Befestigungen von Sliwnitza vortrefflich waren und, etagenförmig sicherhebend, den Verteidigen ein mehrfaches Feuer ermöglichten, die Serben auch von der geringen Zahl der bulgarischen Truppen nichts, wußten, griff General Jovanowitsch die bulgarischen Stellung dennoch in der Fronte an, statt die entblößte linke Flanke zu umgehen, und 17., 18. und 19. Nov. entspannen sich heftige Kämpfe, in denen die Bulgaren die Schanzen behaupteten. Inzwischen hatte Fürst Alexander die bulgarischen und ostrumelischen Truppen, soweit es ging, mit der Eisenbahn, dann in Gewaltmärschen von Ostrumelien nach Sliwnitza geführt und die dortigen Streitkräfte so verstärkt, daß Angriffe, welche Jovanowitsch nun auf die linke Flanke der Bulgaren unternahm, abgeschlagen werden konnten. Am 22. Nov. brach sodann Oberstleutnant Nikolajew mit der ostrumelischen Miliz aus den Schanzen von Sliwnitza hervor und schritt zum Angriff auf die Serben bei Dragoman; dieselben wurden hier und bei Zaribrod zurückgeworfen, und 24. Nov. überschritt das gesamte bulgarische Heer unter dem Fürsten selbst siegreich die serbische Grenze und rückte auf Pirot vor, das nach heißen Kämpfen 27. und 28. Nov. um dic umliegenden Höhen erobert wurde.
Die serbische Armee war nicht nur geschlagen, sondern wegen Mangels an Patronen auch fast wehrlos. Nur durch das Dazwischentreten Österreichs wurde Serbien gerettet. Der österreichische Gesandte in Belgrad, Graf Khevenhüller, erschien in Pirot und erklärte dem Fürsten Alexander, daß, wenn er weiter in Serbien vorrücke, die österreichischen Truppen in Serbien einmarschieren und den serbischen Truppen zu Hilfe kommen würden. Da der Fürst von keiner Seite auf Beistand rechnen konnte, vielmehr mit der Feindseligkeit Rußlands und der immer noch drohenden Intervention der Pforte rechnen mußte, überdies die militärische Ehre Bulgariens durch den Verlauf des Kriegs glänzend gewahrt war, so erteilte er den Befehl zur Einstellung der Feindseligkeiten, worauf unter Vermittelung der Mächte 21. Dez. ein Waffenstillstand abgeschlossen wurde; beide Teile räumten das feindliche Gebiet, die Bulgaren Priot, die Serben die Gegend von Widdin, das sie vergeblich angegriffen hatten. Die Friedensunterhandlungen wurden in Bukarest eröffnet, führten aber erst 2. März zum Abschluß, da Serbien alle möglichen Schwierigkeiten erhob, obwohl die Mächte die nicht unbillige Forderung Bulgariens, daß Serbien ihm eine Kriegsentschädigung zahle, ablehnten, und durch Erlangung einiger Vorteile seine Niederlage zu bemänteln suchte. Im wesentlichen stellte der Friede von Bukarest den Stand der Dinge vor dem Krieg her.
Mit der Pforte schloß der Fürst einen Vertrag, wonach das Generalgouvernement von Ostrumelien dem Fürsten Alexander durch einen kaiserlichen Ferman, der nach Ablauf der gesetzlichen Periode von fünf Jahren erneuert werden könnte, übertragen, ein Schutz- und Trutzbündnis zwischen der Türkei und Bulgarien geschlossen und einige Grenzdistrikte an die Türkei abgetreten wurden; eine
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türkisch-bulgarische Kommission sollte demgemäß das organische Statut von Ostrumelien revidieren. Den Inhalt dieses Vertrags teilte die Pforte den Großmächten mit, und deren Bevollmächtigte traten in Konstantinopel zu einer zweiten Konferenz zusammen, um das Abkommen zu beraten und zu genehmigen. Rußland erhob aus Feindschaft gegen den Fürsten Alexander, der vergeblich in einem Tagesbefehl an die Truppen im Dezember 1885 durch rühmende Anerkennung der Verdienste der russischen Offiziere um die bulgarische Armee die Eifersucht und den Neid des Zaren und der russischen Generale wegen seiner glänzenden Erfolge zu beschwichtigen versucht hatte, dagegen Einspruch, daß das Generalgouvernement von Ostrumelien dem Fürsten Alexander persönlich übertragen werde, und verlangte, daß der jeweilige Fürst von Bulgarien Generalgouverneur werde und seine Wiederernennung nach fünf Jahren durch die Mächte zu geschehen habe.
Die Großmächte stimmten diesem Vorschlag zu und auch die Pforte gab nach. Fürst Alexander erhob gegen denselben Einspruch und erklärte sich, falls er angenommen werde, der übrigen im Vertrag vom 2. Febr. enthaltenen Verpflichtungen für entbunden. Er fügte sich aber der Entscheidung der Konferenz als einem europäischen Machtspruch und nahm 25. April aus den Händen des türkischen Abgesandten Schakir Pascha den Ferman entgegen, der ihn zum Generalgouverneur von Ostrumelien ernannte.
Die Vereinigung der türkischen Provinz Ostrumelien mit Bulgarien hätte staatsrechtlich eigentlich nur eine Personalunion sein können, aber thatsächlich wurden beide Länder zu einem Staat verschmolzen, indem die Truppen zu einem Heer vereinigt, ein gemeinschaftliches Budget aufgestellt, die Verwaltung einheitlich organisiert und eine gemeinschaftliche Nationalversammlung (Sobranie) gewählt wurde. In der Thronrede, mit welcher der Fürst 14. Juni diese Nationalversammlung in Sofia eröffnete, sagte er denn auch: »Mit Freuden erkläre ich heute vor Ihnen, daß die Einigung vollzogen ist, da eine allgemeine bulgarische das gemeinsame Vaterland betreffen, prüfen und darüber entscheiden soll«. Die Verhandlungen der Sobranie verliefen ganz ungestört; der Ministerpräsident Karawelow und der Präsident der Sobranie, Stambulow, handelten im Einverständnis, und der Regierung wurden die gewünschten Geldmittel unverkürzt gewährt.
In Rußland sah man mit mißmutigem Arger diese Erfolge des jungen Fürsten, der ohne den Beistand Rußlands, ja gegen den Willen desselben die Serben besiegt und Bulgarien geeinigt hatte und sich als ebenso tüchtigen Feldherrn wie gewandten Staatsmann bewährte. Die panslawistische Partei und auch die russische Regierung beschlossen daher, den Fürsten zu stürzen, in der Hoffnung, daß nach dessen Beseitigung Bulgarien sich wieder ganz dem Zaren unterwerfen werde. Es gelang, unter den Politikern und Offizieren eine Reihe von Leuten zu gewinnen, die, in ihrem Ehrgeiz gekränkt oder in ihren Erwartungen einträglicher Amter getäuscht, zu einer Verschwörung bereit waren. Schon seit dem Frühjahr 1886 wühlte Zankow, der noch im Februar der Vertreter des Fürsten bei der Pforte gewesen war, gegen die Regierung und verband sich endlich mit dem Metropoliten Klemens und einer Anzahl von Offizieren, die noch im serbischen Krieg sich durch Tapferkeit und Geschick ausgezeichnet hatten, zum Sturz des Fürsten. In der Nacht des 21. Aug. zwischen 1 und 2 Uhr wurde der Konak des Fürsten von aufrührerischen Offizieren, Kadet-
ten und Soldaten umstellt, welche in denselben eindrangen und den Fürsten durch Drohungen zwangen, eine Erklärung zu unterschreiben, daß er, überzeugt, daß sein Verbleiben auf dem Thron der Verderb Bulgariens sein würde, abdanke. Bei Tagesanbruch wurde er nebst seinem Bruder Franz Joseph von Battenberg von mehreren Offizieren und bewaffneten Soldaten nach Lompalanka gebracht und auf einem Donaudampfer eingeschifft, der ihn nach Neni führte. Hier wurde der Fürst 25. Aug. auf Befehl der russischen Behörden freigelassen und begab sich mit der Eisenbahn nach Lemberg, wo ihn die Nachricht ereilte, daß in Bulgarien eine Gegenrevolution stattgefunden habe.
Die Verschwornen hatten 21. Aug. eine provisorische Regierung gebildet, an deren Spitze Klement, Zankow und Grüjew standen, und welche sich unter den Schutz Rußlands stellte. Aber der größte Teil des bulgarischen Volkes und Heers war über die verräterische Gewaltthat vom 21. Aug. entrüstet und verweigerte der Regierung den Gehorsam. In Tirnowa stellte sich Stambulow, in Philippopel Oberst Mutkurow an die Spitze der Erhebung; der letztere zog mit den ostrumelischen Truppen gegen Sofia und verjagte 24. Aug. die provisorische Regierung.
Stambulow übernahm selbst die oberste Leitung, übertrug Mutkurow den Befehl über die Truppen und ernannte Nadoslawow zum Ministerpräsidenten. Die neue Regierung rief den Fürsten 25. Aug. zurück, und dieser folgte am 28. von Lemberg aus dem Nuf. Er betrat den bulgarischen Boden 29. Aug. wieder in Rustschuk, wo er von der provisorischen Regierung und dem Voll mit großem Jubel empfangen wurde. Auch der russische Konsul war beim Empfang in Rustschuk zugegen, und durch diesen ließ sich Alexander zu dem Glauben verleiten, daß der Zar einer Versöhnung nicht abgeneigt sei und den Fürsten Dolgorukij nach B.senden wolle, um eine Verständigung herbeizuführen. Er richtete daher 30. Aug. an den Zaren ein unterwürfiges Telegramm, welches mit den Worten schloß: »Da Rußland mir die Krone gegeben, so bin ich bereit, dieselbe in die Hände seines Souveräns zurückzugeben«.
Der unversöhnliche Zar antwortete telegraphisch mit unverhüllter Grobheit: »Ich kann Ihre Rückkehr nach Bulgarien nicht gutheißen, da ich verhängnisvolle Konsequenzen für das Land voraussehe, das schon so sehr geprüft ist. Ich werde mich jeder Einmischung in den traurigen Zustand der Dinge enthalten, welchem Bulgarien wieder überliefert ist, solange Sie dort bleiben werden. Ew. Hoheit werden zu würdigen wissen, was Sie zu thun haben.« Diese Depesche erreichte den Fürsten auf seiner Fahrt nach Sofia, wo er 3. Sept. unter glänzenden Ovationen von der Bevölkerung und den Truppen begrüßt wurde.
Doch gab er schon 4. Sept. einer Versammlung der Offiziere seinen Entschluß kund, angesichts der feindseligen Haltung Rußlands abzudanken. Alle Bemühungen seiner Anhänger, ihn zum Bleiben zu bewegen, waren fruchtlos. Nachdem er eine aus Stambulow, Mutkurow und Karawelow bestehende Regentschaft eingesetzt hatte, erließ er 7. Sept. eine Proklamation, in welcher er, »von der schmerzlichen Wahrheit überzeugt, daß seine Abreise aus Bulgarien die Wiederherstellung guter Beziehungen zwischen und Rußland erleichtern werde«, seinen Verzicht auf den bulgarischen Thron erklärte, und reiste über Lompalanka nach seiner Heimat ab.
Die Regentschaft ernannte Radoslawow zum Ministerpräsidenten und berief zum 13. Sept. die kleine Sobranie, welche in ihrer Antwort auf die Eröffnungsrede der Regentschaft 16. Sept. den Streich vom
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21. Aug. für ein abscheuliches Verbrechen erklärte und ihrer Bewunderung für die patrotische Selbstverleugnung des Fürsten Alexander Ausdruck gab. Eine Anleihe von 15 Mill. wurde bewilligt und die Absicht der Regentschaft, die große Sobranie zur Neuwahl eines Fürsten zu berufen, gutgeheißen. Die russische Regierung schickte nach der Abdankung des Fürsten Alexander den bisherigen Militärbevollmächtigten in Wien, General v. Kaulbars (Bruder des ehemaligen bulgarischen Kriegsministers), nach Bulgarien, um die dortigen Verhältnisse nach ihren Wünschen zu ordnen.
Kaulbars behandelte die bestehende Regierung nur als eine unberechtigte Parteiregierung und trat daher als Herr aus. Er ließ sich 25. Sept. in Sofia von den Russenfreunden mit einer Ansprache empfangen, in welcher die Regenten und Minister als Landstreicher und Kanaillen bezeichnet wurden, richtete und veröffentlichte ein Rundschreiben an die russischen Konsuln mit Beschuldigungen gegen die Regierung und stellte an diese 26. Sept. die Forderung, daß der Belagerungszustand sofort aufgehoben, die auf den 10. Okt. festgesetzten Wahlen zur großen Sobranie verschoben würden, weil Rußland eine unter den gegenwärtigen Verhältnissen gewählte Sobranie nicht als gesetzlich ansehen könne (Rußland fürchtete nämlich die Wiederwahl Alexanders), und daß alle verhafteten Teilnehmer am Staatsstreich vom 21. Aug., auch die Offiziere, bedingungslos freigelassen werden müßten.
Die Regierung hob 1. Okt. den Belagerungszustand auf und versprach auch, auf die Wiederwahl des Fürsten Alexander verzichten zu wollen, obwohl das Volk sie wünschte. Die beiden andern russischen Forderungen lehnte sie ab; die Wahlen zur Sooranie wurden auf 10. Okt. festgesetzt. Kaulbars verließ Sofia, und der russische Agent Neklindow brach 10. Okt. die diplomatischen Beziehungen zur bulgarischen Regierung ab. Diese mußte auf eine direkte russische Einmischung gefaßt sein, aber die Anmaßung des Generals Kaulbars zwang sie zur Einigkeit und Entschlossenheit, und die Bemühungen des russischen Vertreters, Beamte, Offiziere und Bevölkerung zum Ungehorsam gegen sie aufzureizen, waren meist vergeblich, sowohl in der Hauptstadt als in der Provinz, in welche sich Kaulbars Anfang Oktober begab. Er mußte sich überzeugen, daß der Glaube, an welchem die Russen hartnäckig festhielten, daß nämlich nur die Ränke des Fürsten und seiner wenigen Anhänger die Bulgaren abhielten, sich Rußland wieder in die Arme zu werfen, irrig war.
Die Wahlen zur Sobranie fielen besonders in Ostrumelien durchaus nach Wunsch der Regentschaft aus; bloß etwa 20 Zankowisten wurden gewählt. Nur wenige bulgarische Politiker von Bedeutung, wie Karawelow, hielten angesichts des Verhaltens Rußlands an der Notwendigkeit und Möglichkeit des Anschlusses an dasselbe fest. Die Hetzereien und Wühlereien von Kaulbars bei den Truppen blieben nicht ganz ohne Erfolg; es bildeten sich unter der Leitung von Russen Verschwörungen gegen die Regentschaft, welche aber entdeckt und bestraft wurden, worüber sich Kaulbars als über eine schreiende Ungerechtigkeit beschwerte.
Endlich gab Kaulbars seine fruchtlose und wenig ehrenvolle Thätigkeit auf und erklärte 18. Nov. in einer Note an die bulgarische Regierung, daß er abreisen werde, da sie keinen Ratschlag Rußlands befolgt, namentlich die Sobranie ungeachtet des russischen Einspruchs berufen habe; die gegenwärtige Regierung habe das Vertrauen Rußlands verloren und die Fortdauer der Beziehungen unmöglich gemacht, solange die bulgarische Regierung aus den gegenwärtigen Mitgliedern zusammen-
gesetzt sei. Wirklich reisten er, das Personal des russischen Generalkonsulats und sämtliche russische Konsuln 20. Nov. ab.
Inzwischen war die Sobranie 31. Okt. in Tirnowa eröffnet worden und hatte 10. Nov. auf Vorschlag der Regentschaft einstimmig den Prinzen Waldemar von Dänemark, Schwager des Zaren, zum Fürsten erwählt, in dessen Namen der König von Dänemark die Wahl sofort ablehnte. Nachdem dieser letzte Annäherungsversuch an Rußland mißlungen war, nahm Karawelow seine Entlassung; an seiner Stelle wurde Ziskow zum Regenten gewählt. Die Sobranie beschloß, nun eine Deputation an die Signatarmächte zu senden, um ihre Ansichten über die Lage und den Namen eines tauglichen Thronkandidaten zu erfahren.
Dieselbe trat 2. Dez. ihre Reise nach Wien, Berlin, London, Paris, Rom und Konstantinopel an, empfing aber überall den Bescheid, daß vor allem die Aufrechterhaltung des Friedens ein europäisches Bedürfnis und daher eine Verständigung Bulgariens mit Rußland wünschenswert sei. Diese war aber für die Regentschaft unmöglich, da Rußland für sie unnahbar war und der durch die Vermittelung der Pforte kundgewordene Wunsch des Zaren, daß der Prinz Nikolaus Dadian von Mingrelien, ein unbedeutender Mensch, zum Fürsten von Bulgarien gewählt werde, nicht ernst genommen werden konnte.
Überdies setzten die russischen Agenten ihre Wühlereien bei den Truppen in Bulgarien fort und zettelten Verschwörungen und Aufstandsversuche an, so in Burgas, in Silistria, namentlich aber in Rustschuk, wo der Kommandant Usunow einen Teil der Garnison für sich gewann, den Präfekten und die treuen Offiziere verhaftete und eine neue Regentschaft unter dem Metropoliten Klemens proklamierte. Aber zwei treugebliebene Bataillone unter Hauptmann Vulkow überwältigten im Verem nnt der Bürgermiliz die Aufrührer; 16 Offiziere wurden zum Tod verurteilt, 9 davon, unter ihnen Usunow, 6. März erschossen, der russische Unterthan Kapitän Bollmann wurde dem deutschen Konsul, der die Vertretung Rußlands übernommen, ausgeliefert; die gemeinen Soldaten wurden melst begnadigt, die Unteroffiziere zu Kerkerhaft verurteilt.
Mit gleicher Strenge wurde in andern Orten gegen alle der Verschwörung Verdächtigen verfahren. In Rußland geriet man über die Energie der Regentschaft in äußerste Wut, und die russischen Agenten, welche selbst Mordversuche auf bulgarische Beamte nicht verschmähten, setzten unter Leitung des russischen Gesandten in Bukarest, Hitrowo, ihr Werk, wenn auch ohne Erfolg, fort; im Januar 1688 unternahm der ehemals russische Offizier Nabokow sogar einen allerdings fruchtlosen Landungsversuch in Burgas.
Das bulgarische Volk besaß noch so viel Anhänglichkeit an den Fürsten Alexander, daß es diesen am liebsten wieder zum Fürsten gewählt hätte; auch die Minister Radoslawow und Nikolajew waren dafür, daß Alexander wenigstens der Thron offen gehalten werde. Die Regenten aber wünschten eine baldige definitive Fürstenwahl, und die zu diesem Zweck zusammenberufene Sobranie wählte einstimmig den Prinzen Ferdinand von Koburg aus der katholischen Linie Koburg-Kohary zum Fürsten. Der Prinz zögerte mit der Annahme bis 10. Aug.; dann erst reiste er nach Bulgarien, leistete 14. Aug. in Tirnowa den Eid auf die Verfassung und nahm durch eine Proklamation an das Volk vom Thron Besitz; 22. Aug. hielt er seinen feierlichen Einzug in Sofia und ernannte Stambulow zum Präsidenten eines neuen
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Ministeriums. Keine der Mächte erkannte den neuen Fürsten an; Rußland wollte selbst nicht einschreiten, verlangte aber von der Pforte, daß sie einen Russen mit fürstlichem Rang zum Statthalter von Bulgarien ernenne, der, von einem türkischen Kommissar begleitet, die Regierung in Sofia absetze, eine neue Sobranie wählen lassen und dann die Wahl eines Fürsten leiten solle. Die Pforte weigerte sich indessen, dies zu thun, und begnügte sich, 22. Aug. zu erklären, daß die Anwesenheit des Fürsten Ferdinand in Bulgarien den Bestimmungen des Berliner Vertrags zuwiderlaufe, also ungesetzlich sei.
Die thatsächliche Ausübung der Herrschaft durch den Fürsten Ferdinand wurde aber nicht angefochten, und im Besitz reichlicher Geldmittel, welche seine Mutter, Prinzessin Clementine von Orleans, spendete, vermochte sich der neue Fürst allmählich auf dem Thron zu befestigen, obwohl es ihm an den persönlichen Eigenschaften fehlte, die Fürst Alexander auszeichneten, und auch seine katholische Konfession bei der orthodoxen Geistlichkeit Mißtrauen erregte.
Unter den Politikern fehlte es freilich nicht an Eifersucht und ehrgeizigen Ränken, und die herrschenden Machthaber scheuten sich nicht, ihre Nebenbuhler durch Prozesse zu vernichten; Aufsehen erregte 1888 die Verurteilung des Majors Popow, der sich im August 1886 durch seine Treue und seinen Mut hervorgethan hatte, wegen angeblichen Unterschleifs zu vier Jahren Kerker. Die arbeitsame Bevölkerung erfreute sich des Friedens, der die Entwickelung von Wohlstand und Kultur ermöglichte, und infolge guter Ernten befanden sich die Finanzen in geordnetem Zustand.
Behufs Vollendung des Eisenbahnnetzes schloß Bulgarien 1889 mit der Österreichischen Länderbank eine Anleihe von 30 Mill. ab. Die dritte Tagung der Sobranie wurde im November 1889 vom Fürsten mit einer Thronrede eröffnet, welche sich sehr vertrauensvoll über die Zukunft des Landes aussprach und mit Stolz auf die anerkennenden Worte hinwies, die Kaiser Franz Joseph im Sommer 1889 über Bulgarien geäußert hatte. Das Heer- und Verteidigungswesen wurde vortrefflich ausgebildet. Aber noch schwebt eine gefahrdrohende Wolke über Bulgarien, der Zorn Rußlands, das nur den großen europäischen Kriegsbrand abwartet, um seine vermeintlichen Rechte über Bulgarien zurückzunehmen.
Vgl. »Der serbisch-bulgarische Krieg bis zum Waffenstillstand« (vier Vorträge von einem preußischen Offizier, Mind. 1886);
v. Bilimek-Waissolm, Der bulgarisch-serbische Krieg (Wien 1886);
v. Huhn, Der Kampf der Bulgaren um ihre Nationaleinheit (Leipz. 1886);
Der selbe. Aus bulgarischer Sturmzeit.
Eine authentische Darstellung des Handstreichs von Sofia und seiner Folgen (das. 1886);
Gopcevic, und Ostrumelien (das. 1886);
Koch, Mitteilungen aus dem Leben und der Regierung des Fürsten Alexander von B (Darmst. 1887);
Möller, Der serbisch-bulgarische Krieg (Hannov. 1888);
Samuelson, Bulgaria, past and present (Lond. 1888).