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und in den 3 Arbeitshäusern (Verwahrungshaft) 1695 Männer, 477 Weiber untergebracht.
Medizinalwesen. Die Zahl der approbierten Ärzte in Bayern [* 2] beträgt nach der Reichserhebung von 1887: 1916; sie ist größer als in den übrigen größern deutschen Staaten. Unter den 1512 berufsmäßigen Krankenpflegern befinden sich 38 männliche, 999 weibliche Angehörige katholischer Orden. [* 3] Die Zahl der Pfuscher wird alljährlich erhoben und beträgt 1313 Personen. An Heilanstalten besitzt Bayern 389 öffentliche Krankenhäuser mit 11,596 Betten, 17 Privatkrankenanstalten mit 599 Betten, 14 Augenheilanstalten mit 291 Betten, 5 öffentliche Entbindungsanstalten mit 239 Betten, 14 Irrenanstalten mit 3957 Betten (hiervon 142 in Privatanstalten), endlich eine Anzahl von Krankenabteilungen in den zahlreichen Wohlthätigkeitsanstalten.
Die Zahl der behandelten Fälle betrug in den Krankenhäusern 102,802 (gestorben 6572). Augenheilanstalten 6217, Entbindungsanstalten 1469, Irrenanstalten 5547. Das Impfwesen ist im J. 1886 in eine neue Ära getreten, indem nunmehr die Impfung [* 4] mit Tierlymphe eingeführt ist. Die hierzu errichtete königliche Zentralimpfanstalt in München [* 5] hat im J. 1887: 363,300 Portionen tierischer Lymphe erzeugt und abgegeben. Die infolge des Reichsgesetzes über die Krankenversicherung der Arbeiter errichteten Kassen betrugen 1886: 4276 bei einem Mitgliederbestand von 397,508. Die Jahresausgabe betrug 3,999 Mill. Mk. (30 Mk. auf einen Erkrankten) und waren von je 100 Mitgliedern 33 erkrankt, 6,6 hiervon infolge von Unfällen. Nach den Ergebnissen des Militärersatzgeschäfts wurden im J. 1887: 80,705 Wehrpflichtige untersucht und waren hiervon 10 Proz. dauernd, 39,7 Proz. zeitig untauglich, 15,2 Proz. bedingt tauglich und 35,1 Proz. tauglich zum Heeresdienst. Unterfranken und Schwaben liefern immer die meisten Tauglichen (40 Proz.).
Geschichte.
Die Finanzen Bayerns besserten sich so, daß die Finanzgesetzentwürfe für die Budgetperioden 1884/85 und 1886/87 wieder mehrere Millionen Überschüsse aufwiesen; der Malzaufschlag wurde daher von den Kammern nur bis 1887 bewilligt, 1883 ansehnliche Beihilfen für die durch Überschwemmung geschädigten Kreise [* 6] Pfalz und Unterfranken gegeben, 1884 eine Hagelversicherungsanstalt unter staatlicher Leitung gegründet und 1885 die Forstverwaltung reorganisiert.
Die Opposition richtete ihre Thätigkeit hauptsächlich auf Durchkreuzung der Reichspolitik: die Zweite Kammer genehmigte einen Antrag auf Aufhebung der Freizügigkeit und Wiedereinführung der alten Niederlassungs- und Verehelichungsbeschränkungen, verlangte 1885 Befreiung der Geistlichen vom Militärdienst, bekämpfte den am abgeschlossenen russisch-bayrischen Auslieferungsvertrag und forderte 1886 Diäten für die Reichstagsabgeordneten; auch die Aufhebung des siebenten Schuljahrs wurde von der Zweiten Kammer beschlossen. Alle diese Beschlüsse blieben aber wirkungslos, da die Reichsratskammer ihnen nicht beitrat.
Inzwischen war das Verhalten des Königs Ludwig II. immer auffälliger geworden und hatte die sonderbarsten Gerüchte hervorgerufen. Während er nie mehr nach München kam, sondern auf seinen Bergschlössern Linderhof und Neuschwanstein in gänzlicher Abgeschiedenheit, nur von Kammerdienern, Chevaulegers und Stallknechten umgeben, lebte und mit den Ministern, ja selbst mit dem Kabinettssekretär nur schriftlich verkehrte, betrieb er mit fieberhafter Hast den Bau und die kostbarste Ausschmückung seiner Schlösser; außer dem prachtvollen Neuschwanstein und dem in den kolossalsten Dimensionen nach dem Muster von Versailles [* 7] angelegten und mit unsinnigem Lurus ausgestatteten Herrenchiemsee plante er noch den Bau eines großen gotischen Schlosses, eines chinesischen Palastes etc.; in Herrenchiemsee feierte er die französischen Könige Ludwig XIV. und Ludwig XV. und ihre Gewaltthaten gegen Deutschland [* 8] durch Statuen und Gemälde.
Seine Verschwendung mußte ihn, obwohl er eine Zivilliste von 4¼ Mill. bezog und bei seiner menschenscheuen Zurückgezogenheit für seine Hofhaltung wenig verbrauchte, in Schulden stürzen, und nachdem 1883 durch eine von den Agnaten garantierte Anleihe von 10 Mill. die Finanzen der Zivilliste geregelt worden waren, hatte die Schuld der Zivilliste 1886 wieder einen Stand von 13½ Mill. erreicht, und die Kabinettskasse war schon von mehreren Gläubigern gerichtlich belangt worden.
Als die Agnaten sich weigerten, die Zivilliste mit einer neuen großen Anleihe zu belasten, wandte sich der König an Finanzmänner und auswärtige Fürsten, so die Orléans, [* 9] mit Gesuchen um Anleihen und forderte schließlich in einem Handschreiben die Minister auf, dem Landtag eine Vorlage über die Regelung seiner Finanzen zu machen. Die Minister, welche dem König schon im Januar Vorstellungen über seine Verschwendung gemacht hatten, berichteten nach Besprechungen mit dem Präsidenten und einflußreichen Mitgliedern des Landtags 5. Mai an den König, daß eine solche Vorlage keine Aussicht auf Annahme habe und die Verhandlung darüber dem Ansehen der Krone nur schaden könne.
Der König geriet hierüber in solchen Zorn, daß er den Finanzminister Riedel zum Tod verurteilte und seinen Kammerdiener Hesselschwert mit der Bildung eines neuen Ministeriums beauftragte. Daher erhielt der Irrenarzt v. Gudden 4. Juni den Auftrag, den König in Neuschwanstein zu beobachten. Auf Grund seines und dreier andrer Irrenärzte Gutachten, daß der König schon seit vielen Jahren an Verrücktheit leide und in hohem Grad seelengestört sei, beschloß 7. Juni ein beim Prinzen Luitpold, Ludwigs II. Oheim, versammelter Ministerrat, daß bei der Unfähigkeit des Königs, zu regieren, eine Reichsverweserschaft eingesetzt und, da des Königs jüngerer Bruder, Otto, ebenfalls dem Blödsinn verfallen war, dem Prinzen Luitpold als dem nächsten Agnaten übertragen werden müsse. Der Prinz verkündete 10. Juni durch eine Proklamation an das bayrische Volk den Antritt der Regentschaft und übernahm den Oberbefehl über das Heer.
Nach Neuschwanstein wurde eine Kommission unter dem Minister v. Crailsheim [* 10] geschickt, um dem König ein Schreiben, welches die Übernahme der Regentschaft durch den Prinzen Luitpold anzeigte, zu überreichen und ihn in ärztliche Behandlung zu geben. Die Kommission, welche es versäumte, den Bezirksamtmann von Füssen zuzuziehen, und deren Auftrag vorzeitig verraten wurde, traf in Neuschwanstein 10. Juni auf eine aufgeregte Menge von Bedienten, Forsthütern und Bauern, welche den König verteidigen wollten, und ließ sich verhaften, um weitern Gewaltthaten zu entgehen; eins der Mitglieder, den Grafen Holnstein, wollte der König durchaus erschießen lassen, was nur mit Mühe verhindert wurde. Durch den Bezirksamtmann von Füssen aus der Haft befreit, kehrte die Kommission unverrichteter Sache nach München zurück. Beim König schlug aber die zornige Aufregung bald in Niedergeschlagenheit und Verzweiflung um, und so gelang es Gudden, den ¶
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König 12. Juni zur Übersiedelung nach Schloß Berg am Starnberger See zu bewegen, wo er fast allein die Bewachung übernahm. Auf einem Spaziergang am Abend des 13. Juni stürzte sich aber der König in den See, und Gudden, der ihn retten wollte, fand gleichfalls den Tod. Nun war dem Namen nach Prinz Otto als Otto I. König, und es wurde ihm auch von Truppen und Beamten der Eid der Treue geleistet. Die Reichsverweserschaft behielt aber Prinz Luitpold auch für den neuen König und berief zum 15. Juni den Landtag ein, um demselben die Notwendigkeit der Regentschaft durch Vorlegung der Aktenstücke darzuthun.
Beide Kammern sprachen einstimmig die Gutheißung der Einsetzung der Regentschaft aus und genehmigten die Dotation derselben mit 343,000 Mk., worauf der Prinz-Regent 28. Juni vor dem Landtag den Eid der Verfassung leistete. Prinz Luitpold hatte bisher für streng kirchlich und, mit Unrecht, für einen Gegner der neuen Verhältnisse in Deutschland gegolten. Daher hatte die ultramontane Partei, nachdem ein Versuch Franckensteins, an den sich der König noch 10. Juni gewendet hatte, nach Hohenschwangau zu reisen und das Ministerium von Ludwig II. sich übertragen zu lassen, gescheitert war, sicher auf die Entlassung des verhaßten Ministeriums Lutz gerechnet, sah sich aber bald bitter getäuscht.
Die Minister reichten 5. Juli dem Regenten ihr Entlassungsgesuch ein, das aber 6. Juli mit voller Anerkennung ihres bisherigen Wirkens und mit dem Ersuchen abgelehnt wurde, auch ferner im Amt zu bleiben, da er »des Rates so diensterfahrener, erprobter Männer nicht entbehren möchte«. Die »Patrioten« in der Zweiten Kammer rächten sich, indem sie eine Änderung der Verfassung in dem Sinn, daß dem Regenten nicht bloß die provisorische, sondern die definitive Ernennung der Beamten zustehen solle, vorläufig ablehnten. Im oberbayrischen Landvolk aber erhielt sich der Glaube, daß die Verhaftung und der Tod des Königs Ludwig, ein zwischen den Ministern und Bismarck abgekartetes Spiel gewesen sei. Die Abzahlung der Schulden der königlichen Kabinettskasse wurde vom Finanzminister v. Riedel mit den Gläubigern geregelt und sehr schnell durchgeführt.
Der Prinz-Regent stellte sich sofort zum Kaiserhaus und zur Reichsregierung auf einen freundschaftlichen Fuß. Mit Kaiser Wilhelm I. hatte er auf dessen Reise nach Gastein 19. Juli München eine Zusammenkunft, empfing 31. Juli den Besuch Bismarcks und reiste im Dezember nach Berlin, [* 12] wo er die bayrischen Reichstagsabgeordneten zur Annahme der Septennatsvorlage ermähnte. 1888 wohnte er nicht nur dem Leichenbegängnis des Kaisers Wilhelm 16. März bei, sondern auch der Eröffnung des Reichstags nach der Thronbesteigung Wilhelms II., um die Einheit aller deutschen Fürsten kundzuthun. In Bayern selbst unternahm der Prinz-Regent Reisen zum Besuch der bedeutendsten Städte und Landesteile und wurde überall mit Begeisterung aufgenommen.
Die neuen Landtagswahlen 1887 fielen weniger günstig für die ultramontane Patriotenpartei aus, welche die Mehrheit in der Zweiten Kammer verlor; Ultramontane und Liberale zählten fast gleichviel Mitglieder, und die Entscheidung lag in der Hand [* 13] der wenigen Konservativen und gemäßigten Patrioten. Der am 15. Sept. eröffnete Landtag genehmigte die vom Reich beschlossene Branntweinsteuer auch für und gab sein Reservatrecht in dieser Beziehung auf, da die neue Steuer für Bayern zu vorteilhaft war, und bewilligte auch den Malzaufschlag noch für die Finanzperiode 1888-89 (erst 1889 wurde der Malzaufschlag in veränderter Abstufung definitiv bewilligt); die dadurch gewonnenen Mehreinnahmen wurden für die Erhöhung der Gehalte der Geistlichen, Lehrer und Beamten und für die Gründung einer Kasse für die Invaliden- und Reliktenversorgung der Arbeiter bei der Staatseisenbahn verwendet.
Das Ministerium erlitt nur durch den Rücktritt des Kriegsministers v. Maillinger, an dessen Stalle General v. Heinleth trat, und den Tod des Justizministers Fäustle, der durch Leonrod ersetzt wurde, Veränderungen. Mit der katholischen Kirche lebte die Regierung in Frieden; 1886 erklärte der Papst ausdrücklich die kirchlichen Zustände in Bayern für befriedigend. Allerdings stellten die bayrischen Bischöfe 1887, dem Drängen der Ultramontanen folgend, in einer Eingabe an den Prinz Regenten eine Reihe von Forderungen hinsichtlich des höhern und mittlern Unterrichts, welche jedoch auf Befehl des Prinzen 1889 durch eine Denkschrift des Ministeriums als teils schon erfüllt, teils unzulässig nachgewiesen wurden.
Die Bischöfe schwiegen darauf. Die Ultramontanen aber beschlossen, nachdem sie 1889 einen Katholikentag in München abgehalten hatten, bei Beginn der Kammersession im Oktober 1889 noch einen Ansturm gegen das Ministerium Lutz. Sie beantragten daher an den Regenten die Bitte zu stellen, das Ministerium anzuweisen:
1) auszusprechen, daß das königliche Placet auf die Glaubens- und Sittenlehre sich nicht erstrecke;
2) die Altkatholiken nicht als Katholiken zu behandeln;
3) beim Bundesrat die Zurückberufung der Redemptoristen zu beantragen. Die Anträge wurden im November, da die gemäßigten Patrioten dafür stimmten, mit 81 gegen 79 Stimmen angenommen, und das siegreiche Zentrum kündigte Lutz für die Budgetdebatte seine Feindschaft an. Doch gab die Reichsratskammer den Anträgen ihre Zustimmung nicht, und sie waren damit gegenstandslos.