Wie ferner zwischen Rußland und der preußischen
Regierung ein
Vertrag über die von Verbrechern abgeschlossen worden ist
(1885), so ist dies auch von seiten
Bayerns gegenüber dem russischen
Reich geschehen. Die preußische,
resp. bayrische
Regierung hat sich hiernach gegenüber der russischen verpflichtet, russische
Unterthanen auszuliefern, wenn
es sich um eins der nachstehend bezeichneten
Verbrechen oder
Vergehen gegen den
Kaiser oder gegen ein Mitglied der kaiserlichen
Familie oder um Vorbereitungen zur Ausführung solcher
Verbrechen oder
Vergehen handelt, nämlichTotschlag,
Thätlichkeit,
Körperverletzung, vorsätzliche Beraubung der persönlichen
Freiheit und
Beleidigung.
Außerdem wird ausgeliefert wegen
Mordes und Mordversuchs und wegen strafbarer Herstellung und strafbaren
Besitzes von
Dynamit
und andern
Sprengstoffen. In andern
Fällen soll ein Auslieferungsantrag in Erwägung genommen, und es soll ihm mangels eines
Bedenkens
Folge gegeben werden. Der Umstand, daß das
Verbrechen oder
Vergehen in einer politischen Absicht
begangen, ist kein
Grund, um die Auslieferung abzulehnen. In analoger
Weise hat sich die russische
Regierung dem andern
Vertrag schließenden
Teil gegenüber verpflichtet. - Zur Litteratur: Lammasch, Auslieferungspflicht und Asylrecht (Leipz.
1887).
*, Hauptort des Danakilstammes der Modaito, etwa 100 km westlich vom
Golf von Tadschurra, am Südufer des gleichnamigen, 22 km
langen und 11 km breiten Süßwassersees, in welchen der
Hawasch mündet, ein wichtiger Handelsplatz, an welchem die Kaufleute
des südlichen
Abessinien mit den Afar und
Danakil zusammentreffen, der aber in den letzten
Jahren sehr
heruntergekommen ist und gegenwärtig 5-6000 Einw. zählt.
Die Forschungen über den Aussatz sind seit den
Jahren 1879-82 auf eine völlig geänderte Grundlage gestellt durch
die
Entdeckung des
Lepra-Bacillus (Armauer
Hansen und Neißer). In allen dem leprösen Krankheitsprozeß eigentümlichen Erzeugnissen
(Hautknoten, Schwellungen der
Nerven,
[* 2] Geschwürsbildungen innerer und äußerer Teile) finden sich die
Aussatzmikroben vor: feine, schlanke Stäbchen, an den
Enden leicht verjüngt, deren
Länge etwas mehr als die Hälfte des
Durchmessers eines roten Blutkörperchens beträgt. Im Innern hegen sie 2-3
Sporen, ihr Wachstum in künstlichen
Kulturen ist
ein ungemein langsames.
Durch den Nachweis dieses
Mikroben ist einerseits die früher mögliche
Verwechselung des
Aussatzes mit
äußerlich ähnlichen bloßen Hauterkrankungen wissenschaftlich beseitigt; als einer bacillären Allgemeininfektion entstehen
ihm gegenüber die Aufgaben, die
Einwanderung des geschilderten Krankheitskeims in den menschlichen
Körper (seine Verbreitung
innerhalb der einzelnen
Gewebe),
[* 3] die zur Vernichtung der letztern führenden
Kämpfe des eingewanderten
Mikroben mit der lebenden
Zelle
[* 4] zu verfolgen und in den groben pathologischen
Erscheinungen,
den klinischen
Formen des
Aussatzes das Widerspiel dieser
innern Vorgänge zu entdecken. In diesem
Sinn haben die fieberhaften Allgemeinleiden in den ersten Stadien der Aussatzertrankung,
die plötzlichen Knotenausbrüche im weitern Verlauf, welche das
Wesen einer Selbstinfektion zeigen, das
Streben zur Ausheilung,
allerdings nach Zerstörung und Abstoßung der befallen gewesenen Teile (lepra mutilans), neuerdings ihre richtige Würdigung
erfahren.
Eifriger
noch ist man den
Wanderungen des zerrüttenden Mikroorganismus durch die einzelnen
Gewebe: die
Nerven, die
Lymphdrüsen,
die
Schichten der
Lederhaut und des Unterhautbindegewebes, die
Milz, die
Leber, die männlichen Generationsorgane, mittels der
Färbemethoden gefolgt (Doppelfärbungen mit
Fuchsin und
Methylenblau). Ein Streit über den wichtigen
Punkt, ob die Leprabacillen innerhalb der Leprazellen ihren Hauptaufenthalt nehmen und hier ihr zerstörendes Werk verrichten,
oder ob sie
frei von einer Zellenumhüllung, wenn auch zu Klumpen geballt, innerhalb der Lymphbahnen sich ansiedeln, darf
als dahin entschieden gelten, daß nur in Ausnahmen Bacillen frei gefunden werden: vielleicht ausschließlich
im Zwischengewebe der Hautschichten und der
Muskeln.
[* 5] Wo sie in den
Lymph- und
Blutgefäßen frei erscheinen, zeigt ein besonders
verfeinertes Färbeverfahren sie doch als Bewohner der die Innenwand dieser
Gefäße austapezierenden (Endothelzellen), und
hinsichtlich ihres Hauptwohnsitzes innerhalb der in einer Art
Entzündung begriffenen spezifischen Leprazellen
bahnt sich mehr und mehr eine Einigung der
Forscher an, seitdem man erkannt hat, daß die Erscheinungsform wie die
Größe
dieser Gebilde eine sehr variable ist.
Die Leprazellen erscheinen auch auffällig indifferent gegenüber dem an ihnen nagenden Krankheitsgift. Dies stimmt völlig
überein mit der so außerordentlich chronischen
Natur des
Aussatzes, der selbst so zarte Gebilde wie das
Innere des
Auges und die Schleimhaut des
Kehlkopfes deshalb so langsam zerstört, weil seine
Mikroben, für gewöhnlich in
Zellen
eingekerkert, in mehr lokalisierter
Weise ihre
Wirkungen ausüben und in ihren Allgemeinwirkungen nicht zu vergleichen sind
mit den Bacillen des
Milzbrandes oder der
Blutvergiftung
(Septichämie), welche in ungeheurer
Vermehrung
bald die ganze Blutmasse erfüllen.
Mit größter
Spannung hat sich aber die
Mehrzahl der Aussatzforscher dem Tierexperiment in der Form zugewandt, bacillenbewohnte
Aussatzgewebe, besonders die Aussatzknoten, welche von Leprastäbchen wimmelten, auf
Kaninchen,
[* 6]
Meerschweinchen und andre warmblütige
Tiere zu
übertragen.
Drei Meinungen über die experimentelle
Übertragbarkeit oder Nichtübertragbarkeit
der
Lepra auf
Tiere bekämpfen sich. Von einigen Seiten wird die
Übertragung durch den Einimpfungsversuch beschränkt oder
unbeschränkt zugegeben.
Eine starke Gegenpartei leugnet jede
Übertragung einschließlich jeder
Spur übertragener krankhafter Reste. Vermittelnd tritt
die Meinung ein, welche zwar die wirkliche
Übertragung (besonders in Gestalt einer Allgemeininfektion)
in Abrede stellt, jedoch als bewiesen annimmt, daß nicht selten an der
Stelle
(Auge,
[* 7] Unterhautbindegewebe,
Bauchhöhle), auf
welche die
Übertragung ausgeführt wurde, deutliche Überbleibsel der übertragenen
Parasiten nachzuweisen waren. Als Zufälligkeiten,
welche wahrscheinlich dem Gelingen eines Teils der
Experimente mehrfach hinderlich waren, bezeichnet man: nicht genügende
Frische des Impfmaterials,
Inokulationen¶
mehr
an wenig empfänglichen Stellen, Anwendung ungeeigneter Färbemethoden beim Nachweis. Jedenfalls ist der Eifer zu vervollkommten
Übertragungsversuchen, welche den Beweis der kontagiösen Natur des Aussatzes liefern sollen, neu angefacht worden durch ein
Experiment am Menschen (Arning). Mit Einwilligung der hawaischen Behörden wurde Ende 1885 ein zum Hängetod verurteilter Kanake
methodisch mit Aussatzmaterial geimpft. Nach Ablauf
[* 9] von noch nicht drei Jahren wurde die knotige Form der
Lepra an ihm behördlich und protokollarisch festgestellt.
Völlig einwandsfrei ist diese Thatsache nicht, da die Versuchsperson einer Rasse angehörte, welche für den Aussatz auch sonst
(durch Erblichkeit) empfänglich und disponiert ist. Ein vermehrtes Gewicht erhält er jedoch durch gewisse
gut beglaubigte Fälle, in denen Kinder europäischer Eltern durch humanisierte Lymphe (die von latent aussätzigen Kindern entnommen
war) infolge der Schutzpockenimpfung ebenfalls aussätzig wurden; durch Fälle ferner, in denen durch sehr intimes Zusammenleben
(auch abgesehen vom geschlechtlichen Verkehr) Ansteckungen erfolgten; durch Fälle endlich, in denen auf diesem
Weg die Übertragung (anscheinend mit dem syphilitischen Gift gleichzeitig) bewirkt wurde mit dem Erfolg, daß zuerst Erscheinungen
der Syphilis, später unverkennbare Merkmale des Aussatzes sich geltend machten.
keine Rasse und kein Individuum ist gegen ihn völlig
gesichert (immun), mögen auch gewisse Rassen, Klimate oder Gegenden die Entwickelung des Leprakeims begünstigen,
andre ihm feindlich sein;
Alle Hergänge, welche sich auf die geographische Verbreitung des Aussatzes während
der letzten zwei Jahrzehnte beziehen, scheinen sich nicht allein zur Unterstützung der Ansteckungshypothese zu eignen, sondern
sie zeigen aufs klarste, daß der Aussatz sich in beunruhigender WeiseTerrain zu erobern beginnt, und dies dort am meisten, wo
man an die aus der Ansteckungslehre abzuleitende Konsequenz: die Absonderung der Aussätzigen, nicht geglaubt
oder nicht gedacht hat. Auf indirektem Weg dient hier Norwegen
[* 12] als Beweis, wo man seit 1869 auf Isolierung der Kranken gesetzlich
drang und ein Fallen der
[* 13] Krankenzahl von 2689 (im I. 1868) auf 1433 (1882) erreichte. Im
Distrikt Sandfjord, wo 70 Proz. der Aussätzigen in Asylen isoliert sind, war das Veränderungsverhältnis sogar 431:132, während
im Distrikt Nordmar, wo nur ein Fünftel der Aussatzkranken isoliert ist, das Absinken der Ziffer ein entsprechend geringeres:
von 106 auf 90, war. Eine sichtliche Vermehrung des Aussatzes zeigt sich zunächst in Amerika,
[* 14] wo längs
der südlichen Pacificbahn eine Anzahl Kranker lebt; in San Francisco sind ihrer einige 20; im übrigen Kalifornien, in Louisiana
und Florida gibt es bereits Kolonien von Aussätzigen. In Louisiana wurde der von den französischen Akadiern eingeschleppt,
nach den
nordwestlichen Staaten
haben ihn die Skandinavier gebracht, nach Floridaist er von Westindien,
[* 15] nach den
Küsten des StillenMeers von China
[* 16] gekommen. In Hawai,
[* 17] wo es gegenwärtig über 1100 Aussätzige gibt, und wohin die Seuche ebenfalls
durch chinesische Kulis geschleppt wurde, steht man bestürzt vor derEntdeckung, daß es zu spät ist, sie auszurotten. Eine
deutliche Vermehrung der Aussätzigen ist in Skutari und Konstantinopel
[* 18] bemerkbar, auch in Italien
[* 19] zwischen
dem Val di Nervia und dem Val d'Argentina. In Spanien
[* 20] haben ernste Maßregeln unter Hinblick auf die Ansteckungslehre den Aussatz aus
seinen frühern Gebieten vertrieben, so aus Valencia,
[* 21] Alicante; wo solche Maßnahmen unterlassen wurden, breitet er sich auch
dort (so in Parcent, Sunal, Valldegna) unaufhaltsam aus.
Die bedrohlichsten Fortschritte hat er aber einerseits in Frankreich, anderseits in Rußland gemacht; in Paris
[* 22] hat es keine
Schwierigkeiten, in Jahresfrist mindestens 80 Aussätzige zu sehen (Doyon, Diday); in Petersburg
[* 23] ermittelten Ärzte ein Mateterial
von 43 Aussatzkranken in den verschiedenen Kliniken und Hospitälern, und die offiziellen Zählungen der
Leprösen in den baltischen Provinzen erwiesen sich als derart unzuverlässig, daß statt einer (durch das Gouvernement veröffentlichten)
Zahl von 171 bereits 1884 nicht weniger als 378, im J. 1888 aber 803 Aussatzfälle zur Ermittelung gelangen konnten (Petersen).
Die Bedeutung dieser Thatsachen läßt sich leicht abschätzen an der Hand
[* 24] der Erwägung, wie außerordentlich
Gesetze und Verordnungen, betreffend die Isolierung und den bürgerlichen Tod der Aussätzigen, in das Zivil- und Familienrecht
eingreifen, und im Hinblick auf die völlig trostlosen Aussichten, welche die Unheilbarkeit des Aussatzes darbietet. Genau
wie früher Bäder, aromatische und zerteilende Stoffe, balsamische und reizende Salben, Eisen
[* 25] und Leberthran
sich als gänzlich unwirksam erwiesen, hat auch die neuere Therapie mit all ihren Hilfsmitteln: Gurjunöl, Ichthyol, Pyrogallol,
Resorcin, Chrysorabin, ferner Salicyl und Jodkalium, hat die Stichelung und das Ausschneiden der erkrankten Partien sowie die
Nervendehnung den Dienst bei der Heilung des Aussatzes regelmäßig versagt. - Zur Litteratur: Leloir, Traité
pratiqueet théorique de le lèpre (Par. 1886).