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Euphratländer zuzuführen. In Sidon ward 1887 ein großer Grabfund aus hellenistischer Zeit gemacht.
Ein Schacht führte zu unterirdischen Grabtammern hinab, welche Marmorsarkophage, zum Teil ägyptischen Stils, nach Mumiensärgen geformt, zum größern Teil hellenistisch-griechischer Kunst, enthielten. Der größte (2,30 m lang, 1,70 m breit und ohne den 0,80 m hohen Deckel 1,40 m hoch) wird als Meisterstück der Skulptur, Architektur und Malerei bezeichnet. Alles ist wohlerhalten mit natürlichen Farben bedeckt, vor allem mit den verschiedenen Arten der Purpurfarbe, welche bekanntlich in Sidon angefertigt wurde.
Die Skulpturen sind alle in Hochrelief gehalten und dabei die losgelösten Glieder [* 2] ganz ohne Stützen gearbeitet. Zwei Darstellungen nehmen die vier Seiten ein, jede eine Lang- und eine Schmalseite, erstens eine Schlachtszene, zweitens eine Jagdszene. Der Kampf findet zwischen Griechen und Persern statt; jene sind nackt dargestellt, nur mit Helm und Schild [* 3] bekleidet, die Perser dagegen sind voll bekleidet, mit einer Tiara [* 4] auf dem Haupt, wie auf dem berühmten Alexandermosaik in Neapel. [* 5] Auch die Hosen [* 6] charakterisieren die Perser. In dem Anführer der Griechen, dessen Haupt mit einem Löwenfell bedeckt ist, glaubt man Ähnlichkeit [* 7] mit Alexander zu finden. Das Jagdbild zeigt einen außerordentlich bewegten Löwenkampf. Sämtliche Sarkophage befinden sich jetzt im Museum zu Konstantinopel. [* 8]
Ausgrabungen in Ägypten.
In Ägypten wurden die interessantesten Funde gemacht, so überraschend, wie niemand erwartet hatte.
1) 1881 bereits wurden bei Theben durch Brugsch eine große Anzahl einstmals in unruhiger Zeit besonders hoch im Gebirge versteckter Königsmumien gefunden, 1885 aber wurden im Museum zu Bulak die wichtigsten ihrer Bindenumhüllung entkleidet, so daß die alten Könige, deren Namen wir schon als Schüler lernen, wieder leibhaftig vor uns treten, vor allen der große Sesostris, Ramses II. (ca. 1300 v. Chr.). Die Züge des großen Eroberers sind fast vollständig erkennbar und deuten auf das Alter eines Mannes in den 80er Jahren.
Die Nase [* 9] ist stark gekrümmt, der Mund fest geschlossen, der Kopf oben abrasiert, das Haar [* 10] an den Schläfen und am Hinterhaupt vollständig erhalten und von großer Weiche und Feinheit. Der Ausdruck der Gesichtszüge ist der eines Mannes von entschlossenem, fast tyrannischem Charakter. Die Größe der Mumie beträgt 173 cm. Rechnet man hierzu die durch das Zusammenschrumpfen entstandene Differenz, so ergibt sich die Gestalt eines Mannes, dessen Maß über die mittlere Größe hinausgeht.
2) Hieran schließen sich die reichen Funde ägyptischer Porträte [* 11] aus hellenistischer Zeit aus dem Fayûm, welche, jetzt im Besitz des Wiener Kaufherrn Th. Graf, 1888 und 1889 in München, [* 12] Berlin [* 13] u. a. O. ausgestellt waren. Meist ist nur Kopf und Hals mit dem obern Teil der bekleideten Brust dargestellt, hin und wieder auch die Hände; sie waren mit Asphalt auf den Binden des Kopfendes der Mumien befestigt, von andern Binden eng umrahmt, so daß meist nur das Gesicht [* 14] hervorschaute. In einigen Fällen waren die Porträte von wirklichen Bilderrahmen umgeben. Sie stellen also den Verstorbenen dar. Die Zeit ist nicht mit absoluter Sicherheit anzugeben, doch darf nicht über das 3. Jahrh. v. Chr. hinaufgegangen werden; wahrscheinlich fallen sie in die erste römische Kaiserzeit.
Vgl. Graul, Die antiken Porträtqemälde aus den Grabstätten des Fayûm (Leipz. 1889).
3) Von dem geistigen Leben geben uns Kunde: a) die Papyri
von Fayûm, jetzt meist in Wien [* 15] als Papyrus Rainer, welche Fragmente aus allen Zeiten der griechischen Litteratur, aber auch der mohammedanischen bieten (eine besondere Publikation erscheint in Wien: »Die Papyrus Rainer«); d) die Thontafeln von Tell el Amarna. Sie stammen aus dem Archiv des ägyptischen Königs Amenophis IV. (um 1350 v. Chr.), jenes ketzerischen Königs, welcher an Stelle der alten ägyptischen Religion den Sonnenkultus gewaltsam einführte und sich eine neue Residenz gründete, die ihn freilich nur wenige Jahre überdauerte. Sie enthalten Briefe asiatischer Könige und ägyptischer Präfekten an die Pharaonen Amenophis III. und Amenophis IV. Die Schrift ist die babylonisch-assyrische Keilschrift, die Sprache [* 16] die semitisch-babylonische. Für die Kenntnis jener Zeit sind sie von unschätzbarem Wert. Sie befinden sich größtenteils seit 1888 im Berliner [* 17] Museum.
4) Für die Aufdeckung der alten Städte und Baudenkmäler ist besonders thätig die englische Gesellschaft des Egypt exploration fund unter Leitung des verdienten Flinders Petrie. Wichtig besonders für unsre Kenntnis der griechischen Ansiedelungen sind die Funde von Naukratis, der ersten Stadt, in welcher den Griechen die Niederlassung erlaubt wurde; die zahlreichen Scherben bemalter Vasen [* 18] mit Inschriften geben uns reichliche Auskunft auch über die Geschichte des griechischen Alphabets, besonders seines ionischen Zweigs. Die Zeiten der Hyksos, die Pfade der auswandernden Juden erfahren neue Beleuchtung. [* 19] Auch die Pyramide von Hawarah hat Flinders Petrie eröffnet. Veröffentlicht sind: »The Store-City of Pithorn and the route of Exodus«;
»Tanis I und II«;
»Naukratis I und II«;
Goslen and the Shrine of Saft-el-Hemach";
»Bubastis«, alle unter dem gemeinsamen Titel: »Egypt exploration fund publications«.
Ausgrabungen in Griechenland [* 20] und auf den griechischen Inseln.
Zwischen Ägypten [* 21] und Griechenland, glaubte man lange Zeit, hätten die engsten Beziehungen bestanden, ja man leitete griechische Mythologie (Athene-Neith) wie Kunst (sogen. protodorische Säule von Beni-Hassan) von dem Pharaonenland her, während in den letzten 30 Jahren die entgegengesetzte Ansicht überhandnahm, welche die griechische Kunst als völlig unbeeinflußt von außen darstellte. Die neuesten Funde geben der ältesten Tradition recht, welche z. B. in der Argolis eine ägyptische Kolonie annahm.
Die mykenische Kultur, deren Blüte [* 22] vor die Dorische Wanderung fällt, zeigt sich in einigen Punkten von der ägyptischen beeinflußt. Diese Kultur umfaßt den östlichen Rand Griechenlands von Thessalien bis zum Eurotasthal und liegt uns in Gräbern und Palästen vor. Die Gräber sind meistens unterirdische, bienenkorbartige Gewölbe [* 23] von den kleinen Dimensionen des Privatgrabes bis zum 16 m hohen Kuppeldom des Königsgrabes. In den letzten Jahren sind neu gefunden, resp. neu untersucht worden von den größern Kuppelgräbern 1) das Kuppelgrab von Volo am Golf von Volo 1886. Es war seit dem Altertum unberührt, der Zugang noch verrammelt und bot eine große Anzahl kleiner Fundgegenstände aus Perlen, kleinen Goldrosetten und -Voluten und Glasgegenstünden, alle vom Schmuck der ganz verwesten Leichen herrührend;
2) neu untersucht durch Dörpfeld wurde das berühmte »Schatzhaus des Minyas« zu Orchomenos. Die Spiralendecke seines Seitengemachs, der eigentlichen Totenkammer, steht ganz unter ägyptischem Einfluß. Es ist in römischer Zeit ¶
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wieder benutzt worden, wie dies eine große Marmorbasis beweist, welche in der Mitte des Hauptraums gefunden wurde, sie hat jedenfalls Marmortafeln getragen; vor ihr hat, wie die in den Fels gehauenen Standspuren beweisen, ein Tisch oder Sarkophag [* 25] mit zwei Füßen gestanden. Das Innere war nur nach Art eines Sternenhimmels mit Bronzerosetten in regelmäßigen Abständen bekleidet, nicht, wie man bisher annahm, mit Bronzeplatten zusammenhängend bedeckt (vgl. »Verhandlungen der Berliner Anthropologischen Gesellschaft 3) auch im «Schatzhaus des Atreus« zu Mykenä [* 26] zeigte es sich, daß die Wölbung nur mit Bronzerosetten bekleidet war;
4) eine besonders wichtige Ausgrabung ist 1889 gemacht und von bedeutenden Resultaten gekrönt gewesen. In der Nähe des alten Amyklä bei Sparta im Eurotasthal ist ein schon länger bekanntes Grab ausgeräumt worden, in welchem sehr wichtige Gold- und Silbersachen (Trinkgefäße mit figürlichen Reliefs, Schmuckgegenstände und Waffen) [* 27] gefunden wurden. In Mykenä selbst wurden von Tsuntas 1887 und 1888 ein großes Kuppelgrab und einige 50 kleinere Gräber ausgegraben.
Dabei wurden sehr reichhaltige Funde an Gefäßen und geschnittenen Steinen gemacht.
Vgl. Belger, Beiträge zur Kenntnis der griechischen Kuppelgräber (Programm des Friedrichs-Gymnasiums zu Berlin, 1887).
Die zweite Gattung von Resten der mykenischen Kultur sind die Palastbauten von Tiryns und Mykenä. Die erstern sind seit Schliemanns großer Ausgrabung (1884) bekannt (vgl. Schliemann, Tiryns, 1886). Der Palast von Mykenä liegt auf der Akropolis; [* 28] bei der Ausgrabung fanden sich auch Inschriften, welche beweisen, daß Mykenä auch nach der Zerstörung durch die Argiver (468) noch existiert hat. Da Tiryns auf einem ziemlich niedrigen Hügel aus der Ebene sich erhebt, so ist dieser natürliche Mangel durch ganz kolossale Mauern ausgeglichen worden.
Sie sind aber nicht völlig massiv, sondern von korridorartigen Hohlräumen durchsetzt; da die Mauer nach außen größtenteils verfallen ist, so öffneten sich diese »Galerien« in Spitzbogenform nach außen, und man glaubte lange, daß dies der ursprüngliche Zustand gewesen sei, indem man die ganze Einrichtung für Ausfallsgalerien hielt. Die letzten Ausgrabungen haben aber bewiesen, daß es Innenräume waren. Da die Mauern von Karthago [* 29] ähnlich konstruiert sind, mit Hohlräumen, welche als Elefantenställe und Magazine benutzt wurden, so hat man auch hier phönikische Verwandtschaft gesucht.
Scheinen so sich Fäden nach dem Orient hinüberzuspinnen, so gewinnt es auch immer mehr Wahrscheinlichkeit, daß auch die spätere griechische Kultur, so grundverschieden sie auf den ersten Blick von der mykenischen zu sein scheint, doch mit ihr zusammenhängt. So sind in allerletzter Zeit in einem mykenischen Grab zwei Fibeln [* 30] (unsern Plaidnadeln durchaus ähnlich) gesunden worden, welche bisher als ein spezifisches Eigentum der spätern griechischen Kultur gehalten wurden. Geographisch war auch der mykenische Palastbau selbst in Attita vertreten. Bei der großartigen Aufräumung der Akropolis von Athen [* 31] haben sich namentlich auf der Nordseite tief unter dem heutigen Niveau beträchtliche Reste der alten vorpersischen Bauten gefunden, welche in Gesamtanlage und Einzelheiten zu Tiryns und Mykenä Analogien zeigen.
Wir verlassen jetzt die mykenische Kultur, deren Denkmälerkreis sich noch beständig erweitert und uns sicherlich noch die Zusammenhänge der uralten Kulturen Ägyptens, Babyloniens, Griechenlands aufzeigen
wird, und gehen über zu der eigentlich griechischen Kunst, wie sie etwa vom 6. Jahrh. v. Chr. uns entgegentritt. Im Peloponnes gräbt die hochverdiente griechische Archäologische Gesellschaft schon seit Jahren das berühmteste Asklepiosheiligtum, den beliebtesten Kurort Griechenlands, Epidauros, aus. Gefunden wurde der Asklepiostempel aus dem Ende des 5. Jahrh. v. Chr. mit vielen Resten der Giebelgruppen, welche im Stil der Nikebalustrade zu Athen am nächsten kommen, ein Tempel [* 32] der Artemis, [* 33] Hallen für den Kurgebrauch, das wohlerhaltene Theater [* 34] und der berühmte, säulenumgebene, kleine Rundtempel des großen Polyklet, die sogen. Tholos.
Letztere ist in allen Ornamenten von wunderbarer Schönheit und Feinheit der Ausführung, ja der Bau macht in allen Einzelheiten so starken individuellen Eindruck, daß Furtwängler ihn wirklich für das Werk des berühmten Polyklet hält. Das Theater wird mit Recht demselben Architekten zugeschrieben, ist wohl das schönste aller erhaltenen und gibt wichtige Aufschlüsse über den Theaterbau [* 35] der Griechen vor der Zeit des römischen Einflusses. An Skulpturen wurden die Giebelgruppen des Asklepiostempels, Amazonenkämpfe darstellend, gefunden, sind aber noch nicht zusammengesetzt, ferner herabschwebende Nikefiguren, als Krönung der Giebeldreiecke, welche deutlich den Einfluß der Nike [* 36] des Päonios von Olympia zeigen, Statuen des Asklepios [* 37] selbst und ein ganz wundervolles Relief, welches, wohl nach dem Goldelfenbeinbild gemacht, den Gott in ruhig heiterer Würde thronend darstellt.
Für die allgemeine Kulturgeschichte am wichtigsten aber sind die gefundenen Inschriften, unter welchen wir drei Stelen hervorheben, die Kur- und Wundergeschichten enthalten. Sie sind genau so wie etwa mittelalterliche Berichte vom heiligen Blut oder moderne von Lourdes, ja manche Einzelheiten wiederholen sich so frappant, daß man sieht: der Mensch bleibt wenigstens in seinen Bedürfnissen immer derselbe. Der ganze heilige Bezirk war mit Weihgeschenken der Geheilten angefüllt wie ein moderner Wunderkurort: Blinde werden sehend, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, unfruchtbare Weiber erhalten Nachkommenschaft. Auch Epidauros ist noch nicht erschöpft und wird noch vielerlei Aufschlüsse geben. In Sikyon ist das Theater ausgegraben worden, aber noch nicht publiziert; in Korinth [* 38] sind die Fundamente des uralten dorischen Tempels freigelegt worden, welcher wohl bis ins 6. Jahrh. v. Chr. hinaufreicht, und dadurch hat sich der Grundriß wiederherstellen lassen; in Patras ist eine Art von Odeion, ein bedecktes Theater, aufgefunden worden.
Ausgrabungen in Athen.
Eine der bedeutendsten und ertragreichsten Ausgrabungen, die je unternommen worden sind, geschah in den letzten fünf Jahren zu Athen. »Man glaubte bis vor kurzem, daß auf der athenischen Burg jeder Winkel [* 39] genügend durchforscht, jeder Erdhaufe durchsucht sei, und doch hat man noch beträchtliche Reste von großen Bauwerken aufgedeckt und eine solche Masse von Statuen, Bronzen, Terrakotten, [* 40] Vasen und Inschriften gefunden, daß nicht nur das vorhandene Museum damit gefüllt werden konnte, sondern noch ein neues hinzugebaut werden mußte. Für Jahrzehnte werden diese Funde der Wissenschaft noch reichlichen und lohnenden Stoff zu Studien aller Art bieten.« So schreibt Dörpfeld in den »Mitteilungen des Kaiserlich Deutschen Archäologischen Instituts« (athenische Abteilung, 1888, S. 431), in welchen überhaupt über die neuen Funde seit einigen ¶