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der aralo-kaspischen Molluskenfauna im Sande, die Existenz von Uferwällen, Spuren von Meeresbrandung an den beiden Balkangebirgen etc. 1884 begann Grum-Grshimailo seine naturwissenschaftlichen Reisen, welche die Geologie, [* 2] Entomologie, Ethnographie [* 3] und Anthropologie förderten: 1884 durchforschte er Ferghana und 1885 die westlichen Vorländer des Pamir, [* 4] Karategin, Darwas, Bochara, um sich dann im folgenden Jahr dem Pamir selbst zuzuwenden, wovon weiter unten unter »Hochasien« die Rede sein wird.
Praktischen, staatlichen Zwecken dienten in der Zwischenzeit mehrere Unternehmungen, die gleichzeitig die Kenntnis des Landes bedeutend förderten: so vor allen die Erbauung der Transkaspischen Eisenbahn durch General Annenkow, durch welche das ganze Westturkistan im S. umspannt und an Rußland fest angeschlossen wurde. 1880 wurde ihr Bau bei Michailowsk am Kaspischen Meer begonnen (sie sollte zunächst als strategische Bahn für die Expedition nach Achal Teke dienen); dann aber nach Besiegung der Teke-Turkmenen wurde sie weiter fortgeführt und bis Merw, bis Samarkand eröffnet.
Die Strecke bis Taschkent wird voraussichtlich nicht lange auf sich warten lassen. 1885 ließ sodann das russische Kriegsministerium durch Oberst Bjeljawski eine topographische Rekognoszierung des Amu Darja von seiner Mündung bis hinauf nach Tschardschui, wo die Karawanenstraße von Bochara nach Merw und Herat den Strom überschreitet, vornehmen; ebenso von drei militärisch benutzbaren Wegen durch die Ust-urtsteppe, welche die Mündung des Amu Darja in den Aralsee mit der Cäsarewitschbucht des Kaspischen Meers in Verbindung bringen.
In das Jahr 1886 fällt zunächst die schon erwähnte Raddesche Expedition nach Transkaspien (Achal Teke, Merw, Serachs) und Nordchorasan, an welcher außer Radde noch Asien [* 5] Walter und M. Konschin teilnahmen; ihre Ziele waren besonders zoologischer und botanischer Art, abgesehen von Konschins Beobachtungen über das einstige Karakummeer (s. oben). Im Sommer d. J. führte der bekannte Astronom Schwarz zahlreiche astronomische und hypsometrische Bestimmungen im östlichen Bochara aus, während seine Begleiter Myschenkow, Rudnew und Glagolew geologisch und topographisch thätig waren. Im archäologischen Interesse bereiste Wesselowski das Thal [* 6] des Serafschan, wo er den Spuren altheidnischer Zeit unter der jetzigen mohammedanischen Bevölkerung [* 7] nachging.
Im J. 1886 begannen auch die Franzosen Capus, Bonvalot und Pepin ihre zweite Reise in Turkistan, welche im nördlichen Persien [* 8] ihren Anfang nahm und über Merw nach Tschardschui und Samarkand führte. Ein Versuch, in Afghanistan [* 9] einzudringen, mißlang, so daß sie im Winter den Pamir überschritten (ein tollkühnes Unternehmen bei dem tiefen Schnee [* 10] und einer Kälte, die bis auf -44° C. sank). Den chinesischen Truppen, welche sie am Rang-kul zurückjagen wollten, entkamen sie glücklich, wurden aber in Tschitral fast zwei Monate lang festgehalten und erst durch Vermittelung der indischen Regierung befreit. 1887 stellten zwei junge russische Gelehrte, Bogdanowitsch und Obirtschew, in Bochara und Transkaspien geologische Untersuchungen an, während gleichzeitig Nikolski die geologische Beschaffenheit der Umgebung des Balchaschsees untersuchte und zu dem Schluß kam, daß derselbe in Urzeiten nicht, wie man bisher annahm, mit dem Aralsee zusammengehangen, dagegen sich weiter als jetzt gegen O. erstreckt hat. Aus dem
Jahr 1888 endlich verlautete nur, daß Lidski geographische Untersuchungen im östlichen Bochara und Karategin unternommen hat und dabei außerordentlich viel von dem hohen Schnee zu leiden hatte, der stellenweise nur durch das Auflegen von Filzdecken überwunden werden konnte.
Hochasien.
Noch in die Jahre 1878-82 fallen die weit ausgedehnten Reisen des unter der Chiffer A-K-reisenden Punditen Krischna im östlichen Tibet und der südlichen Mongolei, über deren Ergebnisse erst Ende 1884 näheres verlautete. In Gesellschaft zweier Begleiter erreichte er in der Maske eines Kaufmanns Lhassa, wo er ein volles Jahr verweilen mußte, ehe er sich einer nach N. reisenden mongolischen Karawane anschließen und von S. her den fernsten, kurz zuvor von Prschewalskij erreichten Punkt passieren konnte.
Sein nördlichster Punkt war Satscheu (nördlich vom 40.° nördl. Br.) am Rande der Wüste Gobi, sein östlichster Tatschialo (102° südl. L. v. Gr.); sein Hauptresultat ist die topographische Aufnahme einer Wegestrecke von 2800 engl. Meilen Länge. Ihm verdankte man zuerst die Gewißheit, daß der große Fluß von Tibet, der Iarudsangpo, nichts andres sein konnte als der Oberlauf des indischen Brahmaputra. Erst 1886 traten die Resultate eines andern Punditen, des Lama U. G., ans Licht, [* 11] welcher einige Jahre zuvor den zwischen dem Iarudsangpo und dem Himalaja 4206 m hoch gelegenen Paltisee oder Jamdok-tso (d. h. Skorpionensee) vollständig umwanderte und ihn größer fand, als man bisher annahm (Umfang 290 km). Auch daß er zeitweise dem Iarudsangpo tributär ist und neben ihm noch zwei kleinere Seen existieren, ist neu. 1884-85 führte Prschewalskij seine vierte große Forschungsreise in Zentralasien [* 12] aus, welche ihn von Kiachta zu den Quellen des Huangho, nach der Salzwüste Zaidam und dem Nordrand des Tibetischen Hochlands, nach dem schon früher von ihm besuchten Lob-Nor, von dort am Südrand des Tarimbeckens über Tschertschen nach Chotan und Aksu und über den Thianschan zurück auf russisches Gebiet führte.
Eine Fülle von wertvollen topographischen und naturthistorischen Beobachtungen machen das über diese Reise erschienene Werk zu seiner besten Leistung, die leider seine letzte sein sollte. Denn, wie wir hier gleich hinzufügen wollen, es ereilte den kühnen und glücklichen Reisenden, als er schon seine fünfte Expedition in jene unwirtlichen Gebiete angetreten hatte, in Karakol am Issi-kul der Tod. Ein Denkmal von gewaltigen Dimensionen soll sich dort für ihn erheben, und die erst 1868 gegründete Stadt selbst soll in Zukunft seinen Namen führen. Sein Unternehmen selbst aber wird durch den Obersten Pewzow durchgeführt werden, welcher bereits 1876 und 1878-79 größere Reisen im chinesischen Reich ausgeführt hat. Das Ziel ist diesmal das nordwestliche Tibet und vielleicht Lhassa, die Hauptstadt selbst; unter seinen 20 Gefährten sind Roborowski und Koslow, schon Prschewalskijs treue Mitarbeiter, und der Geolog Bogdanowitsch zu nennen. Mitte Juli 1889 hatte die Expedition Jarkand erreicht.
Von April 1884 bis März 1887 dauerte die Reise des Russen Potanin, welcher in Begleitung seiner Frau, des Naturforschers Beresowski und des Topographen Skassi die Mongolei erforschte. Potanin selbst studierte vornehmlich die Ethnologie. Die Reise begann in Tiëntsin; von dort ging er über Peking [* 13] und Kukuchoto nach Ordos, wo er in Iedschenchoro das Grabmal Dschengis-Chans besuchte, Lantscheufu, Sining, in die tibetische Provinz Amdo (eine noch ¶
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nie von europäischen Reisenden betretene Gegend) südwärts bis Sungpan, das schon in der chinesischen Provinz Setschuan liegt. Über den Kuku-Nor, das Gebirgssystem des Nanschan und quer durch die Gobi kehrte er nach Sibirien zurück, während Beresowski noch ein Jahr zu weitern zoologischen Studien in China [* 15] zurückblieb. Die topographische Aufnahme einer Strecke von über 6400 km, zahlreiche astronomische und hypsometrische Beobachtungen, Photographien, über 1500 Pflanzenarten, 15,000 Insekten, [* 16] ethnographische Gegenstände, Sprachstudien, Bücher, Handschriften, Vogelbälge, Tierfelle etc. sind die hauptsächlichsten Ergebnisse dieser dreijährigen Wanderungen.
Für das Jahr 1885 haben wir die Reisen von Carey und Dalgleish, Grombtschewski, Grum-Grshimailo, Needham und des Punditen M-H, ohne Ausnahme teils Engländer, teils Russen, zu verzeichnen. Carey, ein indischer Zivilbeamter, benutzte einen zweijährigen Urlaub, um in Dalgleishs Begleitung und zum Teil auf Prschewalskijs Spuren das Tarimbecken, die Gobi und das nördliche Tibet zu bereisen; seine Beobachtungen stimmen nicht immer ganz mit denen seines russischen Vorgängers, namentlich in dem Bergland Nordtibets.
Die Entscheidung darüber, wer von beiden mehr Glauben verdient, muß die Zukunft bringen. Wichtig sind die Breitenbestimmungen von Dalgleish, der leider inzwischen am Karakorumpaß ermordet worden ist. Grombtschewski, ein russischer Offizier, erhielt 1885 den Befehl, die Grenze Ferghanas gegen China zu bestimmen; dabei dehnte er seine Forschungen, die sich auch auf den Handel, militärische Verhältnisse etc. bezogen, bis Kaschgar, Jarkand und Chotan aus, wobei ihm die Chinesen möglichst hinderlich waren. 1887 bereiste derselbe Offizier den Hindukusch und gelangte bis in das räuberische und Sklavenhandel treibende Chanat Kundschut, welches 1889 auch von dem englischen Offizier Durand besucht wurde; 1888 war er auf Pamir, in Wachan, Chinesisch-Turkistan und Kundschut; doch gelang es ihm nicht, bis zum Karakorumpaß vorzudringen und dort Anschluß an die englischen Aufnahmen zu gewinnen.
Fast die Hälfte seiner Route führte durch bisher ganz unbekanntes Gebiet. Auch 1889 setzte er seine Wanderungen im S. des Hindukusch fort, über welche bei der Spannung zwischen England und Rußland wenig genug in die Öffentlichkeit dringt. 1886 und 1887 setzte Grum-Grshimailo (s. oben) seine in Ferghana begonnenen Forschungen auf dem Pamirhochland selbst fort, die, wie es scheint, vornehmlich topographischer Natur waren und die Arbeiten seiner Vorgänger in mancher Hinsicht erweiterten und vervollständigten. 1889 hat er mit seinem Bruder, welcher ihn schon früher begleitete, eine neue, auf zwei Jahre berechnete große Reise nach dem östlichen Thianschan, dem Lob-Nor und dem Altyn-Tagh angetreten.
I. F. Needhams und Molesworths Reise (Oktober 1885 bis Januar 1886) hatte als wichtigstes Ergebnis, daß der von A-K- (s. oben) besuchte Zajulfluß mit dem Lohit, einem Zufluß des Brahmaputra, identisch ist (ein weiteres Glied [* 17] in der Kette von Beweisen für die Identität des Brahmaputra und Iarudsangpo). Als Arzt verkleidet, führte der indische Feldmesser M-H- 1885 eine Reise durch Nepal und das südliche Tibet aus, wobei er den Himalaja in einem seiner höchsten Pässe, dem Pangula (ca. 6000 m), überschritt und namentlich den Dudhkosifluß bis zu seiner Quelle [* 18] erforschte. Der etwa gleichzeitig unternommene Versuch seines Kollegen
R-N-, das letzte noch unbekannte Stück des Iarudsangpo, von Gjala Iong bis Assam, zu erforschen, scheiterte dagegen an dem feindseligen Verhalten der Tibeter; doch konnte er eine Rundreise um den Kintschindschinga ausführen. Dagegen gelang es 1886 (?) einem dritten dieser indischen Vermesser, K-P, d. h. Kinthup, von Gjala Iona aus dem Iarudsangpo bis zu einem nur 70 km von seinem Austritt aus dem Gebirge entfernten Punkt zu folgen und auch die letzten Zweifel an seiner Identität mit dem Brahmaputra zu heben.
Diese Leistung ist um so höher anzuschlagen, als Kinthup bereits mehrere Jahre vorher zu diesem Zweck aufgebrochen, aber durch einen treulosen Begleiter in die Sklaverei verkauft worden war. Doch darf nicht verschwiegen werden, daß neuerdings Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit laut geworden sind. Erst nachdem ihm die Flucht gelungen war, konnte er, freilich ohne Instrumente, an die Lösung seiner Aufgabe gehen. 1886 sandte auch die Kaiserlich Russische [* 19] Geographische Gesellschaft den Geologen Ignatiew und den Botaniker v. Krasnow aus, um das Gletschergebiet des Chantengri im Thianschan zu untersuchen. Hier, wie auch sonst im Thianschan, wurde das allmähliche Zurückgehen der Gletscher nachgewiesen.
1887 brachte die erste Durchkreuzung Zentralasiens in seiner ganzen Länge von O. nach W. durch den englischen Leutnant Younghusband, der zuvor die Mongolei bereist hatte (s. unten: China). Die einzelnen Teile seiner Route, welche von Peking über Kukuchoto, Chami, Turfan, Kaschgar, Jarkand und durch Kaschmir [* 20] nach Indien führte, sind zwar meist schon vor ihm von russischen und englischen Forschern gemacht worden, aber in ihrer Gesamtheit steht die Unternehmung ohnegleichen da. Über die ausgedehnten asiatischen Reisen des englischen Obersten Bell, welcher 1887 in Ostturkistan war, ist noch nichts veröffentlicht.
Das Sajanische Gebirge unweit der sibirischen Grenzen [* 21] erforschten Iatschewski und der Botaniker Preyn, die es dreimal überstiegen, sodann die Expedition des Obersten Bobyr, welchen der Geolog Makerow, ein Astronom und mehrere Topographen begleiteten. Bisher sind nur wenige Nachrichten über ihre Arbeiten am See Kossogol bekannt geworden. Das Chingangebirge in der östlichen Mongolei war 1887 das Forschungsgebiet für drei russische Reisende, die beiden Brüder Harnak, welche dasselbe viermal überschritten, und für Rassin, dessen Beobachtungen sich mit denen der erstern ergänzen werden. 1888 durchwanderte der in Kaschmir ansässige Franzose Henri Duvergne, Naturforscher und Ethnograph, Russisch-Turkistan, den Thianschan, Pamir und Ostturkistan; er ist der erste, welcher nach dem Ungarn [* 22] Berzenczey, vom russischen Gebiet ausgehend, durch Kaschgarien die britischen Besitzungen erreicht hat.
Außerdem sind in letzter Zeit mehrere Expeditionen geplant oder begonnen worden: so will die Kaiserlich Russische Geographische Gesellschaft 1889 Katanow zu ethnographischen Studien in den östlichen Thianschan schicken;
I. Troll aus Wien [* 23] ist von Russisch-Turkistan über Kaschgar und Jarkand nach Indien gereist, und der uns bereits durch seine sibirischen Reisen bekannte Franzose I. Martin strebt demselben Ziel von N. her über den Kuku-Nor zu. Younghusband (s. oben) ist 1889 nach dem obern Industhal aufgebrochen, um die Pässe über den Hindukusch und das Karakorumgebirge genauer zu untersuchen; Bonvalot hat in Begleitung des Prinzen Henri von Orléans [* 24] Mitte September Kudscha verlassen, um quer durch Asien nach Tongking [* 25] zu ¶