in Anspruch, so erkranken diese entweder unmittelbar
(Schreibkrampf), oder sie bedingt eine Prädisposition zu andern Erkrankungen
(Uterusaffektionen bei Nähmaschinenarbeit,
Eingeweidebrüche bei Überanstrengung etc.).
Viele
Gewerbekrankheiten entstehen durch zu lange Dauer der Arbeitszeit. Es hat sich durch
Experimente in Übereinstimmung
mit der
Erfahrung nachweisen lassen, daß gewisse
Reize die
Funktion der
Muskeln,
[* 2]
Nerven,
[* 3]
Drüsen nicht benachteiligen,
sondern begünstigen, solange sie eine bestimmte
Grenze nicht überschreiten, während intensiv oder extensiv zu starke
Reize
die
Organe schwächen. Ein Ausruhen ist erforderlich, weil der
Organismus Zeit braucht, durch den
Stoffwechsel des arbeitenden
Organismus erzeugte Umsetzungsprodukte aus den
Geweben fortzuschaffen.
Geschieht dies nicht vollständig, so verliert das
Organ die Fähigkeit, es fernerhin zu thun, und wird
dauernd geschwächt. Gegen die physiologisch zu begründende
Forderung nicht zu langer Arbeitszeit wird leider in vielen Betrieben
gesündigt. Es lassen sich viele
Beispiele für 18stündige Arbeitszeit anführen; die Kunstmüller in
Baden
[* 4] arbeiten 30 bis 36
Stunden
ununterbrochen, und noch größere Inanspruchnahme findet man bei
Zieglern im
DüsseldorferBezirk.
Verringerung der Leistungsfähigkeit, Kräfteverfall,
Krankheiten, frühzeitiger
Tod sind die
Folgen so schamloser Ausbeutung
der
Arbeiter. Dabei verfällt gleichzeitig das Familienleben, und die sittlichen
Folgen treten trostlos hervor. Die Arbeitszeit
ist nicht in allen Betrieben beliebig zu regeln, weil diese letztern zum Teil abhängig sind von den
Betriebskräften
(Wind,
Wasser), der
Jahreszeit, der
Beschaffenheit des Rohmaterials, der
Konjunktur und der
Konkurrenz; häufig
aber ist die Bemessung der Arbeitszeit eine
Folge der
Abmachungen zwischen Arbeitern und Arbeitgebern, und wenn zuzugeben ist,
daß diese
Abmachungen oft zu ungunsten der
Arbeiter lauten, so steht doch auch fest, daß die
Arbeiter
sich oft zu Überstunden drängen, selbst wenn sie innerhalb einer vernünftig bemessenen Arbeitszeit hinreichend verdienen.
Im allgemeinen ist im eigentlichen Fabrikbetrieb die Arbeitszeit kürzer als im
Handwerk und beim
Handel. So hatten z. B. von
je 100 Betrieben je 100 männliche oder weibliche
Arbeiter eine Arbeitszeit von mehr als 11
Stunden:
In
Deutschland
[* 5] gilt eine Arbeitszeit von 11
Stunden für die meisten Betriebe als Mittelzahl. Bei
Frauen- und
Kinderarbeit hat
die
Gesetzgebung die Arbeitszeit geregelt. Gegen ein ähnliches Eingreifen der
Gesetzgebung bei den Arbeitern
konnte man einwenden, daß es die
Freiheit einschränken und an der Urteilsfähigkeit des Arbeiters zweifeln heißen würde,
wollte man dem Kontraktverhältnis, in welches er sich zum Arbeitgeber stellt, allzu enge
Grenzen
[* 6] setzen.
Indes würde den nachgewiesenen zahlreichen Mißständen gegenüber, wo von freier Entschließung des Arbeiters
nicht mehr die
Rede ist, eine entsprechende
Gesetzgebung am Platze sein. In der
Schweiz
[* 7] ist durch Bundesgesetz vom die
Arbeitszeit auf 11
Stunden, an Vorabenden von
Sonn- und Festtagen auf 10
Stunden festgesetzt, und für gesundheitsgefährliche
Betriebe sind weitere Beschränkungen dieser Arbeitszeit vorgesehen. In
England hat die Factory and workshop
act von 1878 die früher berüchtigte Überbürdung der englischen
Arbeiter beseitigt, und es haben sich gesunde Verhältnisse
mit 10-12stündiger Arbeitszeit eingebürgert. In
Frankreich ist seit 1848 die tägliche Arbeitszeit auf 12
Stunden festgesetzt
worden, und in
Nordamerika
[* 8] gilt vielfach das
Prinzip: 8
StundenArbeit, 8
StundenSchlaf und 8
Stunden Erholung.
Thatsächlich hat die
Verkürzung der Arbeitszeit vielfach den Anstoß zu
Erfindungen von
Maschinen gegeben, welche die sonst
von Menschenhänden verrichtete
Arbeit mit größerer Genauigkeit, in größerer
Ausdehnung
[* 9] und dabei in kürzerer Zeit ausführen.
Vgl.
Fabrikgesetzgebung (Bd. 5).
im allgemeinen Niederlassungen für
Arbeiter und Arbeiterfamilien. Dieselben
können den
Zweck haben,
Arbeiter seßhaft zu machen, indem ihnen auf einer Ansiedelung der allmähliche
Erwerb von
Grundstücken
zu freiem
Eigentum ermöglicht wird; im engern
Sinn ländliche Niederlassungen, in welchen Arbeitswillige bei länger andauernder
Arbeitsunterbrechung Beschäftigung erhalten, bis sie wieder anderweit ihren Unterhalt finden können.
Die Errichtung solcher Anstalten wurde besonders mit Beginn des letzten Jahrzehnts ins
Auge
[* 10] gefaßt, als
bei häufigerm Mangel an Arbeitsgelegenheit die Wanderbettelei sehr stark anwuchs und einen für
Sittlichkeit und Sicherheit
bedrohlichen
Charakter annahm.
Pastor v.
Bodelschwingh in
Bielefeld,
[* 11] welcher schon früher die Anstalt
Bethel gegründet hatte,
wo hilfsbedürftige und würdige
Wanderer dauernde Unterkunft fanden, errichtete 1882 die
ArbeiterkolonieWilhelmsdorf bei
Bielefeld zu dem
Zweck:
1) arbeitslustige und arbeitslose
Männer jeder
Konfession und jeden
Standes, soweit sie wirklich noch arbeitsfähig sind, so
lange in ländlichen und andern
Arbeiten zu beschäftigen, bis es möglich geworden ist, ihnen anderweit lohnende
Arbeit zu
beschaffen und ihnen so die
Hand
[* 12] zu bieten, vom Vagabundenleben loszukommen;
2) arbeitsscheuen
Vagabunden jede Entschuldigung abzuschneiden, daß sie keine
Arbeit hätten. Diese Arbeiterkolonien sollen allerdings auch
so eingerichtet sein, daß durch sie ein ordnungsgemäßes und gesittetes
Leben gefördert wird. Sie bedürfen daher sittlicher
Fürsorge und Überwachung. Sie sind jedoch nicht zu verwechseln mit Anstalten, welche zur
Aufnahme und
Besserung sittlich Herabgekommener und Verwahrloster bestimmt sind, wie z. B. mit den
Trinkerasylen, welche bei längerm und
selbst mehrjährigem Aufenthalt (so im
Asyl Friedrichshütte 1-2 Jahre) zur Abgewöhnung des Trinkens dienen sollen und daher
als Heilanstalten zu betrachten, einzurichten und zu behandeln sind.
Eine weitergehende Aufgabe als die Arbeiterkolonien haben sich die »Kolonien zur Heimat« oder Heimatskolonien gesteckt. In diesen soll denjenigen,
die sich in den Arbeiterkolonien als brauchbar gezeigt haben, die Möglichkeit geboten werden,
sich ein eignes Heim zu gründen, in einer ihnen in der Kolonie liebgewordenen Beschäftigung sich und den Ihrigen den Lebensunterhalt
zu verdienen und sich als ehrenhafte Bürger des deutschen Vaterlandes zu bewähren; es sol also eine Anstalt geschaffen werden,
welche dauernd Arbeit gibt und dabei auch dauernd auf die Anstaltbewohner einen gewissen Einfluß zu üben
vermag.
Eine solche Kolonie, Düring oder FriedrichWilhelms-Dorf bei Bremerhaven (Cronemayers Heimatskolonie), wurde, nachdem früher
schon mehrere derartige Versuche an verschiedenen Orten resultatlos verliefen, im J. 1886 mit zwölf Kolonisten eröffnet. Die
Kolonisten sollen ein Häuschen und 4 Hektar kultiviertes Land für etwa 5000 Mk. erhalten und dies mit 3 ½
Proz. und 1 Proz. Amortisation verzinsen; Unterhalt und Lohn kosten täglich pro Person 1,72 Mk.
Einen andern Zweck als die Arbeiterkolonien, wenn auch mit denselben Hand in Hand gehend, haben die Naturalverpflegungsanstalten. Dieselben
ermöglichen den einfachen Ortswechsel für Arbeiter, welche anderweit Arbeit suchen, ohne die zum Wandern
nötigen Mittel zu besitzen. Mit den bei dem Hausbeitel ^[Hausbettel?] zersplittert verabfolgten Geldgaben wird meist das
Ziel einer segensreichen Unterstützung nicht erreicht. Aus diesem Grund hat man die Unterstützung vielfach zur Gemeindesache,
in Sachsen 1880 zur Aufgabe größerer Bezirke gemacht, indem die Verpflegung bestimmten Stellen überwiesen
wurde. In Württemberg wurden seit 1880 eigne Stationen für Naturalverpflegung armer Reisender von Gemeinden errichtet.
Hiermit wurden die Vorteile der organisierten Armenpflege mit geeigneter Kontrolle und wirksamer Bekämpfung des Gewohnheitsbettels
erreicht. Solche Anstalten erfüllen ihren Zweck am vollständigsten, wenn sie, netzartig über das ganze
Land verbreitet, miteinander in Verbindung steyen, ihre Unterstützungen nur gegen Arbeitsleistung gewähren und gleichzeitig
in der Lage sind, Arbeit nachzuweisen. Sie hätten demgemäß mit den in lebendiger Verbindung zu stehen.
Derselbe, Die Weiterentwickelung der deutschen Arbeiterkolonien 1886-87 (Berl.
1889);
Märker, Vagabundennot, Arbeiterkolonien und Verpflegstationen (Heilbronn
[* 45] 1887);
»Protokolle der ordentlichen Versammlungen
des Zentralvorstandes deutscher in den Jahren 1884, 1885 und 1886« (Berl.);
»Die Arbeiterkolonien.
Korrespondenzblatt für die Interessen der Arbeiterkolonien, zugleich Organ des Deutschen Herbergsvereins" (hrsg. vom Zentralvorstand deutscher
Arbeiterkolonien, Wustrau 1885 ff.).