mehr
ohne Einwilligung des Landvolkes sich fortan weder in Kriege noch in Bündnisse einzulassen. Aber im 17. Jahrh. gerieten diese Rechte in Vergessenheit, und auch in Zürich bildete sich ein geschlossenes aristokratisches Regiment aus. 1656 und 1712 erneuerte Zürich im Verein mit Bern den Glaubenskrieg, um das Übergewicht der katholischen Orte zu brechen. 1794 entstanden Unruhen am See, hauptsächlich in der Gemeinde Stäfa, welche von der Regierung 1795 mit Härte unterdrückt wurden (Stäfner Handel). Erst 1798, als die Franzosen in die Schweiz einrückten, stürzte die aristokratische Stadtherrschaft, und die politische Gleichberechtigung der Stadt- und Landbürger wurde anerkannt. Die helvetische Verfassung vom 12. April d. J. machte den Kanton Zürich zu einem bloßen Verwaltungsbezirk der Helvetischen Republik. Bei Zürich schlug 2.-4. Juni 1799 Erzherzog Karl die Franzosen unter Masséna und dieser 25.-26. Sept. die Russen und Österreicher unter Korsakow. Die Mediationsakte (1803) stellte den Kanton Zürich als besonderes Staatswesen wieder her und gab ihm eine Repräsentativverfassung, welche durch komplizierte Wahlart und Einführung eines Zensus einer verstärkten Repräsentation der Stadtbürger günstig war und die aristokratische Partei ans Ruder brachte. Ein Aufstand der Gemeinden am See wurde mit eidgenössischer Hilfe unterdrückt und mit Hinrichtung der Anführer bestraft (Bockenkrieg, 1804). 1807 und 1813 wurde Zürich Direktorialort der Eidgenossenschaft. Beim Umsturz der Mediationsakte leistete Zürich dem Versuch Berns, in der Eidgenossenschaft die Zustände vor 1798 wiederherzustellen, erfolgreichen Widerstand, modifizierte aber 11. Juni 1814 seine Verfassung in aristokratischem Sinn, so daß in der Folge die Stadt mit ihren 10,000 Bürgern gewöhnlich 135, die Landschaft dagegen mit 200,000 Seelen bloß 77 Vertreter im Großen Rat zählte. Nach der Julirevolution in Frankreich richteten 31 in Uster versammelte Landgroßräte das Begehren nach einer Verfassungsänderung an den Kleinen Rat (13. Okt. 1830). Eine große Volksversammlung zu Uster 22. Nov., welche durch ihre ebenso entschiedene als würdevolle Haltung in der ganzen Schweiz einen mächtigen Eindruck hervorrief, verlangte zwei Drittel der Repräsentanten im Großen Rat für das Land, Anerkennung der Volkssouveränität, Öffentlichkeit der Staatsverwaltung, Trennung der Administration und Justiz, Preß- und Vereinsfreiheit, Aufhebung des Zunftzwanges, völlige Gleichheit aller Staatsbürger, Reform des Schulwesens u. a. m. Die Regierung gab nach, und ein neuer Großer Rat entwarf eine diesem Programm entsprechende Verfassung, die 20. März 1831 fast einstimmig vom Volke genehmigt wurde. Durch ein Verfassungsgesetz vom 19. Dez. 1837 wurde die Repräsentation im Großen Rat ganz nach dem Prinzip der Kopfzahl geregelt, womit das letzte Vorrecht der Stadt verschwand. Inzwischen hatte das liberale Regiment, dessen Haupt der Rechtsgelehrte Friedr. Ludw. Keller war, eine schöpferische Thätigkeit nach allen Richtungen entfaltet, ein neues Straßennetz angelegt, die gesamte Justizpflege sowie das Schulwesen nach einem umfassenden Plan reorganisiert und das letztere durch Errichtung einer Hochschule gekrönt (1833). Aber die zahlreichen Neuschöpfungen erregten Mißstimmung im Volk, welche von der über die religiös freisinnige Richtung der leitenden Staats- und Schulmänner erbitterten Geistlichkeit geschürt wurde. Als die Regierung 1839 David Strauß an die Hochschule berief, bildete sich ein Glaubenskomitee, das durch Bezirks- und Gemeindekomitees eine allgemeine Agitation gegen die Berufung von Strauß organisierte. Trotzdem die Regierung Strauß noch vor seinem Amtsantritt pensionierte, zogen 6. Sept. Tausende von Bauern unter der Anführung des Pfarrers Hirzel in Pfäffikon nach der Stadt; die Regierung, in sich gespalten, löste sich auf und überließ die Herrschaft den Konservativen, welche in Bluntschli ihr politisches Haupt fanden. Die den Ultramontanen günstige Haltung der neuen Regierung in der Aargauer Klosterfrage gab der liberalen Partei wieder neues Leben; 1844 unterlag Bluntschli bei der Bürgermeisterwahl im Großen Rat, 1845 wurde die Regierung ganz im Sinn der Liberalen bestellt und ihr Haupt, der Winterthurer Furrer, zum Bürgermeister gewählt. Jetzt nahm Zürich wieder in der Eidgenossenschaft seine alte Stelle an der Spitze des Liberalismus ein. Es unterlag Bern 1848 bei der Wahl zur Bundesstadt, wurde aber dafür zum Sitz des eidgenössischen Polytechnikums bestimmt (1855). Seit 6. Aug. 1859 fanden hier zwischen Österreich, Frankreich und Sardinien Verhandlungen über den Präliminarfrieden von Villafranca statt, die 17. Okt. zum definitiven Frieden (Züricher Frieden) führten. Nachdem mehrere vom Großen Rat vorgenommene Partialrevisionen 1849, 1851 und 1865 lediglich die Organisation von Behörden betroffen hatten, begann 1867 eine demokratische Partei die Agitation für eine durchgreifende Verfassungsrevision. Volksversammlungen wurden gehalten, und als das von 27,000 Bürgern unterzeichnete Revisionsbegehren vom Großen Rate dem Volk zur Abstimmung unterbreitet wurde, sprach sich dasselbe mit großer Mehrheit für die Revision sowie für die Vornahme derselben durch einen besondern Verfassungsrat aus (Januar 1868). Die Wahlen für diesen fielen ganz demokratisch aus, und das neue Grundgesetz, welches 18. April 1869 mit 35,000 Stimmen gegen 22,000 angenommen wurde, führte die obligatorische Volksabstimmung über alle Gesetze und finanziell wichtigen Schlußnahmen (Referendum) sowie das Recht einer bestimmten Anzahl Bürger, Gesetze vorzuschlagen (Initiative), direkte Volkswahl der Regierungs- und Ständeräte, Unentgeltlichkeit des obligatorischen Volksschulunterrichts, Übernahme der militärischen Ausrüstung durch den Staat, Progressivsteuer, periodische Wiederwahl der Lehrer und Geistlichen etc. ein. Bei den Neuwahlen der Behörden wurde die Regierung ausschließlich im Sinn der demokratischen Partei bestellt, und dieselbe erhielt, obschon sie durch Verwerfung mehrerer wichtiger Gesetze über das Schul- und Steuerwesen Niederlagen erlitt, auch 1872 und 1875 die Oberhand. In den letzten Jahren dagegen gewannen die Liberalen wieder an Boden infolge der verfehlten Eisenbahnpolitik der demokratischen Führer, welche Staat und Gemeinden mit schweren, ihre Kräfte zum Teil übersteigenden Ausgaben belastete, so daß seit 1878 sowohl im Großen Rat als im Regierungsrat die beiden Parteien sich die Wage hielten. In eidgenössischen Angelegenheiten gingen Liberale und Demokraten gewöhnlich einig, so daß der Kanton Zürich sowohl die neue Bundesverfassung als auch die der Volksabstimmung unterbreiteten Bundesgesetze meist mit großer Mehrheit annahm. Außer dem Referendum, das seit 1869 regelmäßig funktioniert, wurde auch das Recht der Initiative wiederholt benutzt; so 1879 von den Sozialisten, deren Vorschlag zur Übernahme des Getreidehandels durch den Staat jedoch in der Volksabstimmung abgelehnt wurde. Die Neuwahlen zum Regierungsrat und Großen Rat, welche 1. Mai 1881 stattfanden, zeigten ein
mehr
entschiedenes Übergewicht der Liberalen über die Demokraten, von denen sich außerdem die Sozialdemokraten als besondere Fraktion ausgeschieden hatten, freilich nur um dadurch ihrer vollständigen Bedeutungslosigkeit inne zu werden. Vgl. Werdmüller, Memorabilia Tigurina (Zürich 1780-90, 2 Bde.); Hirzel, Jahrbücher der Stadt Zürich (das. 1814 bis 1819, 5 Bde.); Meyer v. Knonau, Der Kanton Zürich (St. Gallen 1844-46, 2 Bde.); Bluntschli, Staats- und Rechtsgeschichte der Stadt und Landschaft Zürich (2. Aufl., Zürich 1856, 2 Bde.); Derselbe, Geschichte der Republik Zürich (das. 1847-48, 2 Bde.; Bd. 3 von Hottinger, 1856); Vogel, Die alten Chroniken oder Denkwürdigkeiten der Stadt und Landschaft Zürich (das. 1845); Derselbe, Memorabilia Tigurina 1840-50 (das. 1853; Fortsetzung von Escher: 1850-60, das. 1870); Vögelin, Das alte Zürich (2. Aufl. 1878 ff., 2 Bde.); »Züricher Taschenbuch« (das. 1858-1863, 1878-83); v. Wyß, Geschichte der Abtei Zürich (das. 1851-58); Leuthy, Geschichte des Kantons Zürich 1831 bis 1840 (das. 1845); Dändliker, Der Ustertag und die politische Bewegung der 30er Jahre im Kanton Zürich (das. 1881); »Urkundenbuch der Stadt u. Landschaft Zürich« (hrsg. von Escher und Schweizer, das. 1889 ff.).