Verantwortlichkeitfrei. Das österreichische
Strafgesetzbuch setzt hier das vollendete 14., das deutsche
Strafgesetzbuch das 12. Lebensjahr
als Altersgrenze fest. Der Lebensabschnitt zwischen dem vollendeten 12. und dem vollendeten 18. Lebensjahr aber bildet nach
dem deutschen
Strafgesetzbuch insofern eine Zwischenstufe, als der Angeschuldigte in diesem
Alter freizusprechen ist, wenn
er bei Begehung der That die zur
Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht nicht besaß. Im
entgegengesetzten
Fall ist das jugendliche
Alter ein Strafmilderungsgrund.
Endlich erklärt das
Strafgesetzbuch auch Taubstumme dann für straffrei, wenn sie die zur
Erkenntnis der Strafbarkeit einer
von ihnen begangenen
Handlung erforderliche Einsicht nicht besitzen. Dagegen hat das deutsche
Strafgesetzbuch
den Standpunkt der gemeinrechtlichen
Doktrin verlassen, welche den Zustand des höchsten
Affekts für ein
Moment der
Unzurechnungsfähigkeit
erachtete. Der
Affekt kann wohl unter Umständen, wie z. B. beim
Totschlag, ein Strafminderungsgrund sein; aber einen selbständigen
Grund zur
Ausschließung der Zurechnungsfähigkeit kann er nicht abgeben, da die Beherrschung der
Leidenschaften als
eine sittliche
Pflicht aufzufassen ist.
Ausschluß der Zurechenbarkeit, also Straflosigkeit einer zurechnungsfähigen
Person wegen einer
an sich strafbaren
Handlung,
tritt dann ein, wenn der Thäter durch unwiderstehliche
Gewalt oder durch eine
Drohung, welche mit einer gegenwärtigen, auf
andre
Weise nicht abwendbaren
Gefahr für Leib oder
Leben seiner selbst oder eines
Angehörigen verbunden
war, zu der
Handlung genötigt worden ist (s.
Zwang), und ebenso, wenn er sich im Zustand der
Notwehr (s. d.) oder des
Notstandes
(s. d.) befunden hat.
Endlich kann auch ein thatsächlicher
Irrtum oder ein Nichtwissen einen Strafausschließungsgrund abgeben, insofern nämlich,
als, wenn jemand bei Begehung einer strafbaren
Handlung das Vorhandensein von Thatumständen nicht kannte,
welche zum gesetzlichen
Thatbestand gehören oder die Strafbarkeit erhöhen, ihm diese Umstände nicht zuzurechnen sind. So
ist z. B. die
Beleidigung des
Landesherrn mit strenger
Strafe bedroht.
Beleidigt nun jemand den
Landesherrn, ohne zu wissen, daß
es der
Landesherr ist, so kann er nur wegenBeleidigung, nicht aber wegen
Beleidigung des
Landesherrn bestraft
werden.
Unkenntnis des Strafgesetzes (Rechtsirrtum) ist dagegen kein Strafausschließungsgrund.
Vgl.
Casper, Handbuch der gerichtlichen
Medizin (7. Aufl. von
Liman, Berl. 1881);
Krafft-Ebing, Grundzüge der Kriminalpsychologie (2. Aufl., Stuttg.
1882);
Derselbe, Lehrbuch der gerichtlichen
Psychopathologie (2. Aufl., das. 1882);
Der voralpine Südosten, inbegriffen seine Vorstufen, bildet das Oberland, und seine beiden
Flüsse
[* 7]
Töß und
Aa (oder
Glatt),
am entschiedensten die letztere, treten nach
NW. in die freiere
Hochebene hinaus, wo das
Ackerbau treibende
Unter- oder Bauernland (um
Bülach) sich ausdehnt. Dieselbe
Richtung nehmen einerseits das
Zürichsee-Limmatthal und das Knonauer
Amt, d. h. das Halbthal der
Reuß,
[* 8] welche, den
Kanton bloß streifend, mit der
Limmat zur
Aare geht, anderseits die aus dem Thurgau
kommende
Thur, die quer durch das »Weinland« zieht und direkt
den
Rhein erreicht.
Während das
Thal
[* 9] der
Glatt, eine breite, durchgehende Senke, wie eine Fortsetzung der
March-Gasterebene erscheint, verhalten
sich die die
Töß begleitenden Höhenzüge wie eine Vorstufe der St.
Gallen-Appenzeller Voralpenwelt, die das
Thal von
Zürichsee-Limmat
einfassenden wie eine Vorstufe der
Schwyzer Voralpen. Zu ersterer
Gruppe gehören einerseits Schnebelhorn
(1295 m), Hörnli (1135 m), Schauenberg (893 m),
Irchel (696 m), anderseits Bachtel (1119 m),
Allman (1083 m) u. a.; auf der
rechten Seite des
Zürichsees erhebt sich die
Kette des Pfannenstiels (737 m), Zürichbergs (679 m) etc., auf der linken, durch
das enge Sihlthal von den eigentlichen Uferhöhen getrennt, die Albiskette (918 m) mit dem
Ütliberg (873
m). So bildet das Land sechs schmälere oder breitere Thalstreifen, die durch ebenso viele Hügelzüge
geschieden sind.
Der
Kanton Zürich zählt (1888) 339,014 Einw. fast ausschließlich
deutscher Abstammung (nur 2024 mit französischer, 2112 mit italienischer und 225 mit romanischer Muttersprache)
und fast ausschließlich protestantischer
Konfession (über 30,000 Katholiken und 1000
Juden). Der Züricher Volksschlag gilt
für arbeitsam, ordnungsliebend, sparsam, verständig, aber auch für anmaßend und gewaltthätig. Vorwiegend agrikol sind
Bauernland, Weinland und Knonauer
Amt. Am
See, bei sehr dichter
Bevölkerung
[* 10] auf den schmalen Uferstreifen, ist derFeldbau
fast Gartenkultur, im Oberland durch die gebirgige Bodenbeschaffenheit beschränkt.
Nicht die Hälfte des Getreidebedarfs wird gedeckt,
Obst dagegen ziemlich ausreichend,
Wein vorzüglich im Weinland (Neftenbacher),
im
See- und Limmatthal (auf 41,5 qkm) gebaut. Der
Wald (521,7 qkm) erzeugt trotz sorgfältiger
Pflege nicht genug
Bau- und
Brennholz,
daher starke
Holz- und Kohleneinfuhr. Die
Viehzucht
[* 11] ist im Aufschwung begriffen; es gibt 88,531
StückRindvieh,
25,905
Schweine
[* 12] und 18,166
Ziegen. Etwas
Bergbau
[* 13] findet in Käpfnach auf
Pechkohle statt, während die
Schieferkohle von Dürnten
und Wetzikon erschöpft ist.
Die beiden allgemeinen Industriezweige sind
Baumwoll- und Seidenindustrie, jene am stärksten im Oberland, hauptsächlich
imTöß- und Aathal, die Seidenweberei an den beiden Seeufern konzentriert. Gegenwärtig arbeiten mehr
als 620,000
Spindeln (ein Drittel der
Schweizer Gesamtzahl), etwa 7000
Webstühle
[* 14] für rohe und bunte
Baumwollgewebe, zahlreiche
Druckereien,
Färbereien,
Appreturen und
Stickereien, und über 40,000
Menschen verdienen ihr
Brot mit
[* 15] dieser
Industrie. Die Züricher
Seidenindustrie ist meist Handweberei, doch arbeiten auch mehrere Jacquardwebereien. Seit 300
Jahren hat
¶
mehr
sie sich trotz mancherlei Wechselfälle behauptet, ja fortwährend erweitert. In neuerer Zeit treten jedoch bedenkliche Krisen
ein, indem die Ausdehnung
[* 17] der nordamerikanischen Weberei
[* 18] und die mehrfach eingeführten Schutzzölle den Absatz reduzieren. Sehr
ansehnlich ist die Züricher Maschinenfabrikation; das alte Etablissement der Neumühle in Zürich,
das zeitweise bis 1500 Arbeiter
beschäftigte, hat in Winterthur, dem zweiten Orte des Kantons, mehrere neue Mitbewerber bekommen: Gießereien,
eine Lokomotivfabrik u. dgl. Auch arbeiten mehrere
Glockengießereien, Schriftgießereien, Papierfabriken, Seifen- und Kerzen-, Fayencefabriken etc. Die Stadt Zürich ist der erste
Handelsplatz der Ostschweiz und insbesondere ein namhafter Geldplatz.
Sie ist der Knotenpunkt eines vielstrahligen Bahnnetzes geworden (s. unten). Die Ledermesse
Zurzachs ist nach Zürich
übergesiedelt. Das Züricher Schulwesen steht in der Vorderreihe der regenerierten Kantone. Als höhere Volksschulen,
mit fakultativem Besuch, sind Sekundarschulen gegründet. Gegenwärtig zählt man ca. 100 Sekundarlehrer und 2600 Sekundarschüler
gegen 600 Primarlehrer und über 44,000 Primarschüler. Dem höhern Schulwesen dienen ein Gymnasium und
eine Industrieschule in Zürich
(äußerlich zur Kantonsschule vereinigt) sowie die »höhern
Schulen« zu Winterthur als Vorstufe zum akademischen Unterricht, eine Tierarzneischule (seit 1819), ein Lehrerseminar (zu Küßnacht),
eine Universität und das eidgenössische Polytechnikum (seit 1855), beide in der Stadt Zürich, das kantonale Technikum in Winterthur.
Ferner bestehen: eine kantonale Ackerbauschule, eine Musikschule (seit 1875), ein privates Lehrerseminar
und ein städtisches Lehrerinnenseminar, eine Blindenanstalt (seit 1809, die älteste der Schweiz, 1826 mit einer neugegründeten
Taubstummenanstalt verbunden), 4 Rettungsanstalten, 3 Zwangsarbeitsanstalten etc., dazu 5 Krankenanstalten:
das Kantonsspital, das Kinderspital, die Gebäranstalt, die Irrenheilanstalt (im Burghölzli) und das Asyl für unheilbare
Gemütskranke (KlosterRheinau). Die öffentlichen Bibliotheken zählen 320,000 Bände (die Züricher Stadtbibliothek
mit 110,000 Bänden, die Bibliotheken des eidgenössischen Polytechnikums mit 15,000 Bänden, die der Kantonallehranstalten mit
50,000, der NaturforschendenGesellschaft mit 18,000 Bänden).
Die Verfassung vom unterstellt alle Gesetze und Konkordate sowie die Beschlüsse der Legislative (die
letztern, sofern die Mehrheit es beschließt) dem Volksentscheid (Referendum); demselben unterliegen auch beträchtlichere
Ausgabeposten. Einer Zahl von 5000 Votanten ist das Recht derInitiative bei der Gesetzgebung eingeräumt; dasselbe Recht steht
sogar jedem Einzelnen zu, sofern er von einem Drittel der Mitglieder der Legislative unterstützt wird. Das Volk wählt nicht
bloß die Legislative direkt, sondern auch die Exekutive. Jene, nun richtiger bloß als das legislatorische Organ des Volkes
bezeichnet, ist einem Kantonsrat übertragen, der auf je drei Jahre in den Wahlkreisen gewählt wird, und zwar (nach der Verfassungsrevision
vom je ein Mitglied auf 1500 Seelen.
Jede Gemeinde hat ihren Gemeinderat und ihren Friedensrichter. Einer der Direktionen der Regierung ist ein Erziehungsrat beigegeben.
Die evangelische Landeskirche und die übrigen kirchlichen Genossenschaften ordnen ihre Kultusverhältnisse
selbständig unter Oberaufsicht des Staats; die erstere steht unter Aufsicht eines Kirchenrats. Die Staatsrechnung von 1887 weist
8,290,530 FrankEinnahmen und 8,291,161 Fr. Ausgaben, also eine Mehrausgabe im Betrag von 631 Fr., auf. Der stärkste der Ausgabeposten
ist das Erziehungswesen mit 2,132,668 Fr. Für das Jahr 1887 berechnet sich das Staatsvermögen auf nahezu 59 Mill.
Fr. Aktiven und 29 Mill. Fr. Passiven, also netto ca. 30 Mill. Fr. Dazu kommen 9 Separatfonds mit 16,757,000 Fr. Nettovermögen
und 19 Fonds, welche vom Staat nur verwaltet werden, im Betrag von 2,223,357 Fr.
Die Stadt Zürich.
Die Stadt Zürich liegt 459 m ü. M. im Thalgrund zwischen
dem Ütliberg und Zürichberg, auf beiden Seiten der Limmat, wo diese den Zürichsee verläßt, und oberhalb der Mündung der
links herantretenden Sihl. Sie ist Knotenpunkt der Bahnlinien über Turgi nach Aarau,
[* 19] Basel
[* 20] und Waldshut, nach Winterthur, der auf beiden
Seeufern nach der Ostschweiz führenden Linien und der LinieZürich-Zug-Luzern. Die Große Stadt auf dem rechten
Ufer, an den Vorstufen des Zürichbergs aufsteigend, ist uneben, meist eng und steil; die Kleine Stadt auf dem linken Ufer ist
flacher und hat breitere Straßen und neuangelegte Quartiere.
Beide sind durch fünf Brücken
[* 21] verbunden, unter denen die neue Kaibrücke die oberste ist und eine prachtvolle
Aussicht auf den belebten See und die im Hintergrund aufsteigenden Schneeberge gewährt. Merkwürdige Bauwerke der Stadt sind:
das Großmünster, eine einfache gewölbte Pfeilerbasilika aus dem Ende des 12. und dem 13. Jahrh.,
mit zwei unvollendeten, 1779 mit achteckigen Hauben geschlossenen Türmen, geschichtlich merkwürdig als Ausgangsstätte
von ZwinglisReformation (vgl. Frick, Das Großmünster in Zürich, Wien
[* 22] 1886);
das Fraumünster, ein gotischer Bau aus dem 13. Jahrh.,
mit hohem Spitzturm;
die (altkatholische) Augustinerkirche, mit schönen Altarblättern;
das 1851 aufgeführte Gebäude der Töchterschule, mit architektonisch merkwürdigem
Kreuzgang;
ferner in der Großen Stadt: das Rathaus (1699 erbaut), die restaurierte Wasserkirche mit der
Stadtbibliothek und antiquarischem Museum, das Theater,
[* 23] das Kasino, die Irrenheilanstalt im vorstädtischen Burghölzli, das
Kantonsspital, das Pfrundhaus, das neue, imposante Gebäude der Universität und des Polytechnikums (nach den Entwürfen von
Semper und Wolf aufgeführt und 1864 vollendet) mit prachtvollem Vestibül, neuem chemischen Laboratorium
[* 24] und neuem Physikgebäude, Naturaliensammlung und Werkstätten, die Kantonsschule, die Blinden- und Taubstummenanstalt, in der
Kleinen Stadt: das Stadthaus, das Postgebäude, die Strafanstalt und der großartige Bahnhof.
Mit den Vorstädten zählt Zürich, das,
als politische Gemeinde auf die City beschränkt, (1888) nur