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Rechtszustandes auf dem zivilproze
ssualischen Gebiet hatte schon 1862 zu einem Beschluß des
Bundestags Veranlassung gegeben,
wonach in
Hannover
[* 2] ein 1866 veröffentlichter
Entwurf zu einer allgemeinen deutschen
Zivilprozeßordnung ausgearbeitet ward.
Allein die zu
Hannover tagende
Kommission war von
Preußen
[* 3] nicht mitbeschickt worden, vielmehr wurde in
Berlin
[* 4] ein
»Entwurf einer
Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für den preußischen
Staat« aufgestellt.
Nach der inzwischen erfolgten
Gründung des Norddeutschen
Bundes wurde dann unter Berücksichtigung des hannöverschen und
des preußischen
Entwurfs der
Entwurf einer
Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für den Norddeutschen
Bund
ausgearbeitet. Nach der Errichtung des neuen
Deutschen
Reichs endlich beschloß der
Bundesrat behufs definitiver
Feststellung eines deutschen Zivilproze
ßentwurfs die Einsetzung einer aus zehn Mitgliedern gebildeten
Kommission, welche
unter dem Vorsitz des preußischen Justizministers
Leonhard zusammentrat und ihre
Arbeiten abschloß.
Der Entwurf der deutschen Zivilprozeßordnung ward dann von dem Reichstag samt den Entwürfen einer deutschen Strafprozeßordnung und eines deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes einer besondern Kommission von 28 Mitgliedern (der sogen. Justizkommission) überwiesen, von welcher er im Herbst 1876 vor das Plenum des Reichstags gelangte, welches ihn fast mit Stimmeneinhelligkeit annahm. Die Publikation der nunmehrigen deutschen Zivilprozeßordnung erfolgte Sie trat gleichzeitig mit der Strafprozeßordnung, dem Gerichtsverfassungsgesetz und mit der Konkursordnung in Kraft. [* 5]
Zur vollständigen Normierung des deutschen gerichtlichen
Verfahrens in einheitlicher
Weise sind noch das Gerichtskostengesetz
vom die Gebührenordnung für
Gerichtsvollzieher vom die Gebührenordnung für
Zeugen und
Sachverständige
vom die deutsche Rechtsanwaltsordnung vom und die Gebührenordnung für
Rechtsanwalte
vom hinzugekommen. Auf diese
Weise ist auf dem Gebiet des Zivilproze
ßrechts die lang ersehnte Rechtseinheit in
Deutschland
[* 6] hergestellt.
Auch für das cisleithanische Österreich [* 7] ist eine auf den Grundsätzen der Mündlichkeit des Verfahrens und der freien Beweiswürdigung durch den Richter beruhende Zivilprozeßordnung in Vorbereitung (Entwürfe von 1876 und 1881). Der frühere Justizminister Glaser (s. d. 2) hat sich um die hierauf bezüglichen Vorarbeiten besonders verdient gemacht. Sein Entwurf schließt sich zwar vielfach der deutschen Zivilprozeßordnung an, ist aber gleichwohl eine selbständige Leistung, indem er namentlich die Berufung nur noch gegen Urteile der Einzelrichter zuläßt und die formellen Parteieide durch die eidliche Vernehmung der Parteien ersetzt.
Gegenwärtig beruht der österreichische Zivilprozeß
noch immer auf der Josephinischen
Gerichtsordnung von 1781 und auf der damit wesentlich
übereinstimmenden westgalizischen
Gerichtsordnung (für
Galizien,
Bukowina,
Tirol
[* 8] und
Vorarlberg,
Istrien,
[* 9]
Triest
[* 10] und
Dalmatien)
von 1797. Dazu kommen dann neuere
Verordnungen und Spezialgesetze, namentlich das
Gesetz vom über
das
Verfahren in
Bagatellsachen (bis zur
Höhe von 50
Guld.). Durch seine Kostspieligkeit und Weitläufigkeit ist das englische
Prozeßverfahren auf dem
Kontinent in übeln
Ruf gekommen und auch in
England selbst vielfach angegriffen worden. Dasselbe kennt
nämlich
auch im Z. die Mitwirkung von
Geschwornen. In neuerer Zeit haben aber verschiedene Prozeßgesetze
(von 1852, 1873, 1875, 1876) wirksam eingegriffen. Dazu kommt die Einrichtung der
County-Courts (Grafschaftsgerichte) für
Streitsachen bis 50 Pfd. Sterl. Wert, von denen Beweisfragen auch durch den
Richter ohne Zuziehung der
Jury entschieden werden
können.
[Arten des Zivilproze
sses.]
Der Zivilprozeß
zerfällt in den ordentlichen und den summarischen
(schleunigen)
Prozeß. Dazu kommt noch das
Verfahren im
Konkurs (s. d.) der
Gläubiger (Konkursprozeß). Während im ordentlichen
Prozeß die
Parteien ihre Rechtsbehelfe uneingeschränkt zur Anwendung bringen können, kommt es im summarischen
Verfahren auf
schleunige Beweisführung an, und
Angriffs- und Verteidigungsmittel, bei welchen es an dieser Möglichkeit fehlt, sind ausgeschlossen.
Die deutsche Zivilprozeßordnung kennt in dieser Hinsicht den Exekutiv- oder Urkundenprozeß (s. d.), zu welchem auch der Wechselprozeß gehört; ferner den Arrestprozeß (s. Arrest) und die einstweiligen Verfügungen (s. d.). Außerdem ist zwischen dem regelmäßigen und dem besondern Prozeßverfahren zu unterscheiden. Nach der deutschen Zivilprozeßordnung ist das ordentliche Verfahren vor dem Landgericht umständlicher als vor dem Amtsgericht im einzelrichterlichen Verfahren.
Für das Verfahren vor den Landgerichten und allen Gerichten höherer Instanz besteht der sogen. Anwaltszwang, d. h. jede Partei muß sich durch einen bei dem Prozeßgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen, wenn sie nicht selbst zu den Rechtsanwalten gehört (Anwaltsprozeß). Für diejenigen Rechtsstreitigkeiten (Parteiprozesse) dagegen, welche vor den Amtsgerichten verhandelt werden, besteht kein Anwaltszwang. Besondere Arten des Verfahrens sind außer dem amtsgerichtlichen (einzelrichterlichen) Zivilprozeß: das Mahnverfahren (s. d.), das Verfahren in Ehesachen, in Entmündigungssachen und das vorbereitende Verfahren in Rechnungssachen, Auseinandersetzungen und ähnlichen Prozessen. In ausführlicher Weise ist ferner die gerichtliche Zwangsvollstreckung (s. d.) in der Prozeßordnung normiert bis auf die Vorschriften über die gerichtliche Hilfsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen, welche vorerst noch der Landesgesetzgebung der einzelnen Staaten überlassen sind. Dagegen enthält die Reichszivilprozeßordnung ausführliche Vorschriften über das Aufgebots- oder Ediktalverfahren u. über das schiedsrichterliche Verfahren.
[Hauptgrundsätze des deutschen Zivilprozesses.]
Wie in allen Verfassungsstaaten besteht auch im Deutschen Reich und in den deutschen Einzelstaaten das Verbot der sogen. Kabinettsjustiz und das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit, Grundsätze, welche schon zur Zeit des frühern Deutschen Reichs reichsgesetzlich anerkannt waren und jetzt in allen deutschen Staaten verfassungsmäßig gewährleistet sind. Nicht nur, daß der Regent nicht selbst in den Gang des [* 11] Verfahrens eingreifen darf, sondern eine Zivilprozeßsache soll auch unter keinen Umständen dem zuständigen Gericht entzogen werden. Ebensowenig darf die Rechtshilfe verweigert oder verzögert werden. In letzterer Hinsicht ist in der deutschen Reichsverfassung (Art. 77) vorgesehen, daß es, wenn in einem Bundesstaat der Fall einer Justizverweigerung eintritt und auf gesetzlichem Weg ausreichende Hilfe nicht erlangt werden kann, dem Bundesrat obliegen soll, erwiesene, nach der Verfassung und den bestehenden Gesetzen des betreffenden Bundesstaats zu beurteilende Beschwerden über ¶
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verweigerte oder gehemmte Rechtspflege anzunehmen und darauf die gerichtliche Hilfe bei der Bundesregierung, die zu der Beschwerde Anlaß gegeben hat, zu bewirken. Auch ist in dem deutschen Gerichtsverfassungsgesetz (Art. 1) der Grundsatz obenan gestellt: Die richterliche Gewalt wird durch unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Gerichte ausgeübt. Damit hängt die vollständige Trennung der Justiz und der Verwaltung (s. d.) zusammen, welche jetzt in ganz Deutschland durchgeführt ist.
Um aber die Unparteilichkeit und die Gründlichkeit der richterlichen Entscheidung noch mehr zu sichern, hat die moderne Gesetzgebung das Prinzip der richterlichen Entscheidung durch Kollegialgerichte mehr und mehr zur Anwendung gebracht. Freilich ist damit ein größerer Zeit- und Kostenaufwand und eine größere Umständlichkeit des Verfahrens verknüpft, und ebendies läßt es als gerechtfertigt erscheinen, wenn in geringfügigen und besonders dringlichen Fällen auch noch im modernen Prozeßverfahren die Entscheidung durch Einzelrichter (Amtsrichter) erfolgt (s. Gericht, S. 165). Gelangt jedoch eine einzelrichterliche Sache im Weg der Berufung an das Obergericht, so erfolgt hier stets die Entscheidung durch ein kollegialisch besetztes Gericht, so daß also auch für jene Sache die Möglichkeit einer eingehenden Prüfung durch ein Richterkollegium gegeben ist. So zweckmäßig aber auch die Einrichtung eines gerichtlichen Instanzenzugs auf der einen Seite im Interesse der Unparteilichkeit und der Gründlichkeit der richterlichen Entscheidung ist, so liegt darin doch auf der andern Seite die Gefahr der Verschleppung und der Verteurung der Prozesse, und ebendarum hat man es sich neuerdings angelegen sein lassen, das Berufungsrecht auf ein gewisses Maß zurückzuführen.
Nach der deutschen Zivilprozeßordnung ist gegen die Endurteile der Amtsgerichte, deren Kompetenz, soweit es sich um vermögensrechtliche Ansprüche handelt, bis zum Betrag von 300 Mk. reicht (s. d.), an das zuständige Landgericht und gegen Endurteile der Landgerichte in erster Instanz an das zuständige Oberlandesgericht Berufung zulässig. Gegen sonstige beschwerende Verfügungen ist Beschwerde an das Berufungsgericht nachgelassen. Die dritte Instanz, das Reichsgericht oder der höchste Landesgerichtshof, aber kann nur bei landgerichtlichen Sachen angerufen werden und zwar mit dem Rechtsmittel der Revision, welches gegen die in der Berufungsinstanz von den Oberlandesgerichten erlassenen Entscheidungen gegeben ist, wofern es sich um die angebliche Verletzung einer Rechtsnorm durch das angefochtene Erkenntnis handelt, und wofern bei Rechtsstreitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche der Wert des Beschwerdegegenstandes (Revisionssumme) den Betrag von 1500 Mk. übersteigt.
Eine genaue Regelung der Zuständigkeit der Gerichte ist durch das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz erfolgt (s. Gericht, S. 164). Sodann ist der gemeinrechtliche Grundsatz des wechselseitigen Gehörs (audiatur et altera pars) in der Zivilprozeßordnung durchgeführt. Das Gericht darf nämlich nie auf einseitiges Vorbringen einer Partei eine Entscheidung zu ungunsten der andern treffen, wofern nicht der letztern Gelegenheit zur Verteidigung gegeben war.
Ferner ist auch die Verhandlungsmaxime beibehalten, d. h. der Grundsatz, wonach das Gericht bei seinen Entscheidungen an die Vorträge und Anträge der Parteien gebunden ist (sogen. Dispositionsprinzip im Gegensatz zum Offizialprinzip des Strafprozesses). Hiernach dürfen nur diejenigen Thatsachen und Beweismittel, abgesehen von Ehe- und Entmündigungssachen, vom Gericht berücksichtigt werden, welche von den Parteien selbst vorgebracht sind, und auf welche sich die Parteien selbst in ihren Vorträgen berufen haben.
Keiner Partei soll mehr zugesprochen werden, als sie selbst verlangte; nur zur Tragung der Prozeßkosten kann eine Partei verurteilt werden, auch ohne daß die Gegenpartei ausdrücklich darauf angetragen hat. Dem Prozeßgericht steht jedoch ein weitgehendes Prozeßleitungsamt zu, welches bei Kollegialgerichten durch den Vorsitzenden ausgeübt wird. Namentlich hat derselbe ein umfassendes Fragerecht (Aufklärungsrecht), durch dessen Ausübung er auf die Erläuterung unklarer Anträge, auf die Ergänzung ungenügender thatsächlicher Angaben, auf die Bezeichnung der Beweismittel, kurz auf die Abgabe aller für die Feststellung des Sachverhältnisses erheblichen Erklärungen hinzuwirken hat.
Dazu kommt die sogen. formale Prozeßleitung durch Anberaumung der erforderlichen Termine, Ansetzung der Fristen, Leitung der mündlichen Verhandlung etc. Im Gegensatz hierzu wird die in negativer Weise, durch Zurückweisung von Anträgen überflüssiger Art u. dgl., sich äußernde Prozeßleitung als materielle bezeichnet. In der Entscheidung selbst ist dem richterlichen Ermessen volle Freiheit eingeräumt, namentlich ist die richterliche Überzeugung nicht an bestimmte Beweisregeln gebunden (s. Beweis, S. 866).
Hervorzuheben ist ferner das Prinzip der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit der Verhandlung. Der Schwerpunkt [* 13] des Verfahrens liegt in der mündlichen Verhandlung, und die schriftlich zu redigierenden Entscheidungen des Gerichts sollen sich nicht auf die Prozeßschriften der Parteien allein oder doch hauptsächlich, sondern vielmehr in erster Linie auf die mündliche Rede und Gegenrede der Parteien in der gerichtlichen Verhandlung stützen. Schriftsätze der Parteien, welche namentlich im landgerichtlichen Verfahren zwischen denselben gewechselt werden, haben zumeist einen vorbereitenden Zweck mit Rücksicht auf die nachfolgende mündliche Verhandlung, wenn auch einzelne Prozeßschriften, wie namentlich die Klage selbst, die bei Gericht eingereicht wird, von wesentlicher Bedeutung sind.
Übrigens kann die Klage im amtsgerichtlichen Verfahren auch mündlich zu Protokoll des Gerichtsschreibers erklärt werden. Wichtig ist ferner der Grundsatz des unmittelbaren Prozeßbetriebs durch die Parteien. Hiernach geschehen nämlich, wenigstens der Regel nach, Ladungen, Zustellungen und sonstige prozessualische Maßregeln nicht mehr, wie früher, durch das Gericht, sondern unmittelbar durch die Parteien selbst mittels der von ihnen beauftragten Gerichtsvollzieher oder, insofern es sich um Ladungen und um die Zustellung von Schriftsätzen handelt, auch durch die Post (s. Zustellung). Endlich ist auch noch der Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens hervorzuheben (s. Öffentlichkeit).
[Litteratur.]
Unter den Lehrbüchern des frühern gemeinen deutschen Zivilprozeßrechts sind hervorzuheben die Systeme von Renaud (2. Aufl., Leipz. 1873) und Wetzell (3. Aufl., das. 1878) und Bayer, Vorträge über den gemeinen ordentlichen Zivilprozeß (10. Aufl., Münch. 1869);
Kommentare der neuen deutschen Zivilprozeßordnung von Bülow (2. Aufl., Hannov. 1882), Gaupp (Freiburg [* 14] 1881, 3 Bde.), Struckmann u. Koch (5. Aufl., Berl. 1887), Wilmowsky u. Levy (4. Aufl., das. 1885), Reincke (das. 1885) u. a.; systematische Bearbeitungen von Bar (2. Aufl., Leipz. 1882), Fitting (6. Aufl., Berl. 1884), Lincke ¶