mehr
geworden. In Zeiten, in welchen ein festgeschlossenes Kunstleben alle Zweige des Handwerks beherrschte, ergab sich eine harmonische Ausstattung der Zimmer aus der Gewöhnung und Überlieferung. Edelleute und Patrizier besaßen eigne Häuser, in welchen die Familie Generationen hindurch seßhaft blieb. Mit der Architektur des Hauses zugleich wurde der Schmuck der Wände und Decken einheitlich hergestellt. Die guten Materialien, welche man anwendete, die sichere Handhabung traditioneller Muster verliehen dem Ganzen einen harmonischen Gesamtcharakter.
Eine Verwirrung auf diesem Gebiet trat erst im 19. Jahrh. ein, als die Fabrik- und Maschinenthätigkeit dem geschlossenen Handwerk Abbruch that und ohne Rücksicht auf die besondern Stellen, an welchen ein Stück angewendet werden sollte, billige Massenartikel herzustellen anfing. Damit begann ein schneller Wechsel der Mode, dessen Begünstigung im Interesse der Fabrikanten und der von ihnen beschäftigten Arbeiter lag. Jeder einzelne Handwerker arbeitete für sich ohne Rücksicht auf die andern mit der Absicht, seinem Erzeugnis zum möglichst großen Erfolg zu verhelfen, und zerstörte hierdurch die Gesamtwirkung des mit solchen Stücken ausgestatteten Raumes.
Das schnelle Wachstum der großen
Städte mit ihren Mietwohnungen, der Übelstand, daß nur ein verschwindender Bruchteil
der
Bevölkerung
[* 2] jetzt noch auf eignem
Grund und
Boden wohnt, haben zu diesem
Verfall der Zimmer
ausstattung das meiste beigetragen.
In dem Miethaus
der großen
Städte nimmt man als
Maßstab
[* 3] für die Bedeutung der
Zimmer die Zahl der
Fenster an und legt mehr Wert darauf, viele
Zimmer als einige wirklich bewohnbare geschlossene
Räume zu haben. Hierdurch entstehen kleine, von
Thüren zerrissene, von
unruhigem
Licht
[* 4] durchsetzte Gemächer. Da die
Ausstattung der
Wände bei jedem
Wechsel der Mieter erneuert
werden muß, so treten an
Stelle der alten Holzvertäfelungen, der
Leder- und Stofftapeten billige Papiertapeten, bei welchen
eine möglichst kräftige
Wirkung für weniges
Geld erstrebt wird.
Die Verwahrlosung des Geschmacks in der Richtung eines groben Naturalismus verdarb die Tapeten noch mehr. Die Öfen [* 5] wurden unter dem Einfluß Schinkels und seiner Schule nur aus weißen Kacheln unter Hinzuziehung von grauen oder gelben Bekrönungen und Zieraten von unglasiertem Thon angefertigt und sind bis jetzt noch in überwiegender Herrschaft geblieben. Ebenso wurden Thüren und Decken meist weiß gehalten. In diese kalte Umgebung kamen Teppiche von schreienden Farben und unruhigen Mustern und Möbel, [* 6] welche durch glänzende Farben und stilwidrige Schnitzereien eine möglichst starke Wirkung hervorzubringen suchten. Die vordringliche Vergoldung der Bilder und Spiegelrahmen, das Einfügen einzelner bunt bemalter Porzellane von harten, hellen Farben vervollständigten diese Ausstattung.
Die Stilreform hat sich in erster
Linie der Zimmer
ausstattung zugewendet. In
Frankreich und
England war eine Besserung
dadurch erzielt worden, daß einzelne geschickte Leute in
Paris
[* 7] und
London
[* 8] große
Magazine begründeten, in welchen alles, was
zur Zimmer
ausstattung gehört, hergestellt oder wenigstens auf
Lager
[* 9] gehalten wird, so daß die einheitliche Zusammenstellung von
Tapeten,
Teppichen,
Stoffen und
Möbeln möglich war. Viele dieser
Magazine haben sich in der
Folge so weit entwickelt,
daß selbst Kunstwerke von
Bronze,
[* 10]
Majolika und andern edlen und künstlerisch bearbeiteten Materialien, persische, chinesische
und indische Schmuckgegenstände sowie
Antiquitäten, wie alte
Gobelins,
Waffen
[* 11] u. dgl., zur
Dekoration
von
Zimmern genügend
vorhanden sind. In
Deutschland
[* 12] und
Österreich
[* 13] hat sich diese Art der Veranschaulichung von Zimmer
ausstattungen
durch private Unternehmer und kunstgewerbliche Vereinigungen ebenfalls sehr schnell eingebürgert und große
Ausdehnung
[* 14] angenommen,
nachdem die
Architekten die
Ausstattung von Innenräumen in einheitlichem, dem gesamten
Bau entsprechendem
Stil übernommen und
zu einem
Zweig ihrer künstlerischen Thätigkeit gemacht hatten. Die
Wirkungen dieser Bemühungen sind zuerst auf den
Ausstellungen
in
Wien
[* 15] 1873, in
München
[* 16] 1876 und in
Berlin
[* 17] 1879 in einer ganzen
Reihe vollständig ausgerüsteter
Zimmer
zu
Tage getreten, und danach haben alle lokalen und nationalen Kunstgewerbeausstellungen ein Hauptgewicht auf Vorführung
von Zimmer
einrichtungen gelegt.
In demjenigen
Zweig der modernen Zimmer
ausstattung, der an die
Renaissance anknüpft, geht man darauf aus, vor allem eine
ruhige und harmonische
Wirkung zu erzielen. Zu dem Holzwerk der
Thüren und
Fenster, welchem man seine natürliche
Farbe läßt,
kommt, wenn die
Mittel es gestatten, die Wandvertäfelung von mäßiger
Höhe, welche dem untern Teil der Wand
Schutz gegen
Beschädigungen gewährt und für die Sitzmöbel einen ruhigen
Hintergrund abgibt. Die
Tapeten sind fast
durchgehends durch die modernen Bestrebungen zu bessern
Mustern gelangt.
Flach gehaltene Muster von wenig hervortretendem Relief in neutralen Tönen sind vorherrschend. Der kalkigweiße Ofen mit seinen glatten Wänden weicht einem reichverzierten, mannigfach gegliederten Aufbau aus Kacheln und Architekturteilen von warmer, farbiger Glasur. Für die Teppiche und Stoffe sind vor allem die orientalischen Muster mit ihren reichen und doch harmonischen Färbungen maßgebend. Für die Möbel dringt man allseitig wieder auf echtes Material, eine solide, klare Konstruktion;
das Holz [* 18] tritt mit dem schönen Glanz seiner natürlichen Erscheinung auf, mit Schnitzerei geschmückt;
der Sitz am Fenster wird aus dem übrigen Zimmer durch Schwellen und Bänke hervorgehoben, mit gestickten Kissen verziert;
dem Fenster selbst wird durch eingesetzte farbige Stücke die vordringliche Helligkeit genommen;
die Vorhänge an den Fenstern sind in licht goldigen Farben getönt;
auch das Gold [* 19] in den Umrahmungen der Bilder und Spiegel [* 20] wird gebrochen und mit dunkeln Streifen versetzt.
Alles geht darauf hinaus, ein behagliches und ruhiges Gesamtbild zu geben, in welches sich der Besitz an schönem verzierten Hausgerät harmonisch einordnet. Ein solches Zimmer mit dem großen Sofa und dem großen Familientisch vor demselben als Mittelpunkt, mit seinen für das Familienleben und den langen deutschen Winter bestimmten Vorratsschränken, seinem reichgeschmückten Ofen und dem für die Hausfrau gezierten Ehrensitz ist keine zufällige Liebhaberei, sondern hat seine innere Bedeutung und bleibende Berechtigung darin, daß es ein treues Abbild des deutschen Familienlebens gibt, in welchem die Wohnstube mit dem Familientisch den wirklichen Mittelpunkt des Lebens ausmacht.
Neben diesen Bestrebungen, dem deutschen Wohnzimmer einen nationalen Charakter zu geben, hat sich in den neuesten Entwickelungsphasen des Kunstgewerbes, welche sich auch an den Barock- und Rokokostil angeschlossen haben, der Nachahmungstrieb insofern geltend gemacht, als für gewisse Räume Stileinrichtungen gewählt werden, welche dem Charakter derselben angemessen sind. So werden für Damenboudoirs und Tanzsäle Rokokoeinrichtung, für Herrenzimmer orientalische Ausstattung, ¶
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für Jagdzimmer gotische Stilformen u. dgl. gewählt, und selbst im japanischen, persischen und maurischen Geschmack werden Räume eingerichtet und dekoriert. Man begnügt sich damit, innerhalb eines Raums eine gewisse Einheitlichkeit zu erreichen, und läßt im übrigen dem individuellen Geschmack freien Spielraum.
Vgl. Falke, Die Kunst im Hause (5. Aufl., Wien 1883);
Hirth, Das deutsche Zimmer der Gotik und Renaissance etc. (3. Aufl., Münch. 1886);
Mothes u. a., Unser Heim im Schmuck der Kunst (2. Aufl., Leipz. 1882);
»Kojen der Berliner [* 22] Gewerbeausstellung im J. 1879« (Berl. 1880);
Schwenke, Ausgeführte Möbel- und Zimmereinrichtungen der Gegenwart (das. 1884, 2 Bde.);
»Die Tapezierkunst« (das. 1887 ff.);
für England: Eastlake, Hints on household taste (4. Aufl., Lond. 1877).